medien und politik
Beide fühlen sich von der anderen Seite vereinnahmt - doch das stimmt so nicht
Stereotype besitzen meist auch dann einen wahren Kern, wenn sie falsch sind. Dies gilt auch für die Vorstellung von den Medien als vierter Gewalt im Staat. Zwar bestand, als die Gewalt der absoluten Monarchie theoretisch aufgeteilt wurde, kein Grund für eine Viererlösung, weil damals die Medien keine Rolle spielten. Von rudimentären Anfängen abgesehen, gab es sie noch nicht. Auch bis heute existieren in der Theorie nur drei Gewalten -und die Medien wehren sich mit guten Gründen dagegen, in die hochgradig formalisierten Beziehungen zwischen ihnen eingebunden zu werden.
Allerdings wird niemand bestreiten, dass sie im Machtgefüge moderner Staaten einen wichtigen Faktor bilden, weshalb die Rede von der vierten Gewalt zwar theoretisch irreführend, praktisch aber angemessen ist. Damit stellt sich die theoretisch wie praktisch bedeutsame Frage, wieviel Macht die Medien im Vergleich zur Politik besitzen. Eine eindeutige Antwort darauf ist allerdings kaum möglich, weil Macht eine objektive und eine subjektive Seite besitzt - den tatsächlichen Einfluss der Politik und der Medien sowie die Einschätzung ihres Einflusses durch die jeweiligen Akteure.
Die objektive Seite der Macht von Politik und Medien kann man kaum erfassen, weil sie sich auf verschiedene Sachverhalte auswirkt - zum Beispiel auf die Meinung der Bevölkerung und die Inhalte von Gesetzen. Die subjektive Seite ihrer Macht kann man dagegen vergleichsweise einfach durch eine Befragung von Politikern und Journalisten ermitteln, die beruflich direkt miteinander zu tun haben. Dazu gehören die Bundestagsabgeordneten und die Mitglieder der Bundespressekonferenz. Sie wurden im Frühjahr 2008 befragt und konnten anhand einer elfstufigen Skala angeben, wie groß nach ihrer Einschätzung der Einfluss der Medien auf die Politik und umgekehrt der Politik auf die Medien ist. Geantwortet haben 189 Politiker aller Fraktionen und 235 Journalisten von Zeitungen, Nachrichtenagenturen, Hörfunk und Fernsehen.
Die Medien besitzen nach Einschätzung der Bundestagsabgeordneten und der Hauptstadtjournalisten mehr Einfluss auf die Politik als die Politik auf die Medien. Daraus kann man folgern, dass nach Ansicht der Beteiligten ein Machtgefälle von den Medien zur Politik besteht.
Trotzdem sehen sich beide Seiten als Opfer des Einflusses der jeweils anderen. So sind die Politiker der Überzeugung, dass sie einem stärkeren Einfluss der anderen Seite ausgesetzt sind als sie selbst auf die andere Seite ausüben. Genauso sehen das die Journalisten. Die Brisanz des Spannungsverhältnisses zwischen Politikern und Journalisten offenbart sich in den Antworten auf die Frage, wieviel Einfluss die jeweils andere auf die eigene Seite besitzen sollte.
Die Parlamentarier gestehen den Medien auf die Politik etwa so viel Einfluss zu, wie sie selbst auf die Medien beanspruchen. Die Hauptstadtjournalisten beanspruchen dagegen nahezu doppelt so viel Einfluss auf die Politik wie sie der Politik auf die Medien zugestehen. Ziel der Politiker ist es, eine Machtbalance zwischen Politik und Medien herzustellen, während die Journalisten das Machtgefälle vergrößern wollen.
Vergleichbare Befunde liegen bereits aus den 1970er Jahren vor. Allerdings hat sich das Machtgefälle seither deutlich zugunsten der Medien verschoben. Dies zeigt sich auch in der wachsenden Sorge um die Instrumentalisierung der Politiker durch die Medien. So sind fast doppelt so viele Parlamentarier wie Journalisten der Ansicht, in den vergangenen Jahren sei die Gefahr, dass Politiker und Journalisten einander wechselseitig instrumentalisieren, größer geworden. Trotz des Machtgefälles sind beide Seiten dennoch stets aufeinander angewiesen und beklagen ähnliche Entwicklungen.
Zwei Drittel der Parlamentarier stimmen der These zu, heute müsse man als Politiker "auch Ereignisse ohne politische Substanz wichtig nehmen". Ähnlich viele Journalisten bekunden, sie müssten "auch über Ereignisse ohne politische Substanz berichten". Beide Seiten leiden ähnlich unter der wachsenden Informationsflut. So stimmen mehr als vier Fünftel der Parlamentarier der These zu, "angesichts der Masse an Neuigkeiten" sei es "heute schwieriger, wichtige Informationen zu platzieren". Nahezu genauso viele Journalisten stellen fest, es sei "schwieriger geworden, aus der Masse der Informationen die wirklich wichtigen herauszufiltern".
Ursachen dieses Problems offenbart eine Befragung von 231 Hauptstadtjournalisten im März 2006. Damals erklärte fast die Hälfte der Journalisten, Politiker würden ihnen heute häufiger als in der Bonner Zeit Exklusivinformationen zustecken, mit denen sie in Wirklichkeit aber mehrere Journalisten bedienten.
Ähnlich viele stimmten der These zu, es sei "schwieriger geworden, von den Politikern zu erfahren, was sie nach der Wahl wirklich tun wollen". Von den Hörfunk- und Fernsehjournalisten berichteten sogar nahezu zwei Drittel über derartige Erfahrungen. In der gleichen Befragung erklärte fast die Hälfte der Journalisten, Politiker hätten versucht, "über ihren Redaktionsleiter ihre Berichterstattung zu beeinflussen" und mehr als zwei Drittel berichteten, Politiker hätten "ein Thema an ihnen vorbei über einen Redaktionskollegen in ihrem Medium platzieren" wollen. Dies alles deutet auf komplexe Beziehungen hinter den Kulissen hin, die für die Rezipienten unsichtbar sind. Bei Wahlen allerdings können sie folgenreich sein.
Der Autor ist Professor für empirische Kommunikationsforschung am Institut für Publizistik der Universität Mainz.