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Die Standorte in Straßburg und Brüssel belasten die Arbeit - sind aber auch Zeichen des Selbstverständnisses
Wenn in Straßburg am Montagnachmittag die Plastikreifen der Rollkoffer übers mittelalterliche Pflaster klappern, ist der Zug aus Brüssel angekommen. Er bringt Mitarbeiter der Parlamentsverwaltung, Assistenten der Abgeordneten, Journalisten und Lobbyisten ein Mal im Monat für eine Woche in die kleine Stadt am Rhein. Die übrigen drei Wochen arbeiten sie in Brüssel. Für die Einwohner bedeutet das ausgebuchte Altstadt-Restaurants am Abend und ein paar Busse mehr am Tag, die zwischen dem Parlamentsgebäude und den wichtigsten Hotels hin- und herpendeln. Unter den 785 Abgeordneten gibt es begeisterte Straßburgfans und flammende Befürworter einer Vertragsänderung. Sie möchten erreichen, dass Brüssel alleiniger Sitz des EU-Parlaments (EP) wird. Doch die französische Regierung hat eine entsprechende Vertragsänderung bislang stets mit ihrem Veto verhindert.
Die Straßburgfans unter den Abgeordneten haben ein anderes Bild von ihrer Institution als die Brüsselanhänger. Sie begreifen sich als Botschafter Europas im heimischen Wahlkreis und als Avantgarde einer europäischen Debatte, die im klausurähnlichen Ambiente von Straßburg besser gedeiht als im umtriebigen Brüssel. Dieses Selbstverständnis datiert aus der Zeit vor 1979, als die Abgeordneten nicht direkt gewählt, sondern aus den nationalen Parlamenten entsandt wurden. Die meisten jüngeren Abgeordneten wiederum schätzen in Brüssel die räumliche Nähe zur EU-Kommission und zu den Sitzungen der Ministerräte, weil sie sich als Teil der Gesetzgebungsmaschine begreifen und sich als modernes Arbeitsparlament verstehen.
In dem Maße, wie sich die gesetzgeberische Mitentscheidung in Bereiche wie Migrationspolitik und Strukturförderpolitik ausdehnt, werden die strukturellen Schwächen der jetzigen Arbeitsorganisation im EP deutlich. Die Reisen fressen Energie und Geld. Unterlagen sind immer genau da, wo sie gerade nicht gebraucht werden, das Medieninteresse an Straßburger Ereignissen wird geringer, die Büroausgaben müssen für drei Standorte reichen. Es gibt zu wenig Bürofläche in Brüssel und zu wenig Geld, um den Apparat wissenschaftlicher Mitarbeiter zu vergrößern. Die Abgeordneten sind zu stark auf externe Experten angewiesen und damit zu leicht durch Lobbygruppen und Nichtregierungsorganisationen beeinflussbar. Angesichts eines zunehmend unbeweglichen, weil zu großen Ministerrats wächst der Druck, das parlamentarische Verfahren abzukürzen und in "Trialogen" zwischen den Berichterstattern von Rat, Parlament und Kommission auf kurzem Weg und hinter verschlossenen Türen Kompromisse auszuhandeln. Dem Plenum bleibt dann, die Vorschläge der Insider abzunicken.
Sollte der Lissabon-Vertrag in Kraft treten, wird er diese Probleme noch verstärken. Das Parlament wird dann in weiteren Politikbereichen mitentscheiden, darunter die milliardenschwere Agrarpolitik und die äußerst kontroverse Innen- und Justizpolitik. Am aufreibenden Wanderzirkus wird sich aber genauso wenig etwas ändern wie an der Tatsache, dass das EU-Parlament für ein Arbeitsparlament zu groß ist. Zwar soll die Zahl der Abgeordneten laut Lissabon-Vertrag auf 751 begrenzt werden, doch beim Übergang vom Nizza-Reglement zum Lissabon-Reglement in der laufenden Legislaturperiode wird es mehrere Überhangmandate geben.