abgeordnetendiäten
Obwohl es klare Regelungen gibt, scheint eine rationale Diskussion nicht möglich
Am Parlamentarismus ist kaum etwas so umstritten wie der Sold der Abgeordneten. Zu Zeiten, zu denen das Besitzbürgertum am liebsten unter sich geblieben wäre, gab es keinen. Heute drängt sich der Eindruck auf, die Öffentlichkeit begegne diesem Thema mit Unwissen, Vorwürfen und Neid. Dabei findet weder Selbstbedienung noch Absahnen statt. Die Diäten unterliegen präzisen, gerichtlich definierten verfassungsrechtlichen Maßstäben.
Und die lauten so: Zu besolden sind Inhaber öffentlicher Ämter, auf die das Arbeits- oder Beamtenrecht nicht anwendbar ist. Denn das Mandat wird weisungsfrei ausgeübt und der Abgeordnete besitzt keinen Dienstherren. Der Anspruch auf Diäten soll verhindern, dass Kandidaturen und die Wahrnehmung des Amtes aus wirtschaftlichen Gründen beeinträchtigt werden.
Was ist angemessen im Sinne des Artikels 48 GG? In seinem berühmten Diäten-Urteil von 1975 hat sich das Bundesverfassungsgericht zunächst auf die Wirklichkeit der modernen Mandatsausübung eingelassen und potenziell 80 Wochenstunden als zeitliche Belastung der Parlaments-, Wahlkreis-, Partei- und Öffentlichkeitsarbeit ermittelt - gewiss keine unrealistische Obergrenze. Grundsätzlich hat sich das Mandat vom Ehrenamt zum Vollzeitamt gewandelt. Diäten sind demnach - so die Karlsruher Richter - nicht mehr Aufwandsentschädigung sondern "Vollalimentation", also Entgelt für die Ausübung des zum Hauptberuf gewordenen Mandats. Dieses Entgelt muss für die Abgeordneten und ihre Familien eine ausreichende Existenzgrundlage abgeben, der Bedeutung des Amtes im Hinblick auf die damit verbundene Belastung und Verantwortung gerecht werden, die Entschei- dungsfreiheit sichern und die Möglichkeit gewährleisten, sich der parlamentarischen Tätigkeit auch um den Preis widmen zu können, Berufseinkommen ganz oder teilweise zu verlieren.
Beträge sind nicht genannt. Aber es sind Maßstäbe vorgegeben, die interpretiert, aber nicht relativiert werden dürfen. Insbesondere ist es nicht zulässig, die Angemessenheit der Diäten nach der Resonanz bei Medien und politischer Öffentlichkeit zu bestimmen.
Aber bestimmen die Abgeordneten nicht in einem Selbstbedienungsverfahren? Sie wären ganz offensichtlich froh, die Verantwortung für ihren Sold abschieben zu können, etwa auf unabhängige Kommissionen oder eine Indexregelung, nach der die Einkünfte sich von selbst an die allgemeine Lohn- und Preisentwicklung anpassen, um den sich stets wiederholenden kritischen Diskussionen zu entgehen. Karlsruhe hat das mit Blick auf das Transparenzgebot untersagt und bestimmt, dass das Parlament über die Höhe der Diäten öffentlich selbst bestimmen müsse, damit die Regelungen für den Bürger durchschaubar sind. Offensichtlich ist es allerdings schier unmöglich, eine rationale Diätendiskussion zu führen.
Schon zur Gründerzeit des Bonner Parlamentarismus pflegten die Kapitäne der Rheindampfer beim Passieren des Bundeshauses ihre Passagiere mit dem Schlager zu erfreuen: "Wer soll das bezahlen, wer hat das bestellt?" Die Paradoxie: Die Bürger haben ihre Abgeordneten durchaus "bestellt", sind aber mit Bedeutung, Stil und Belastungen dieses Amtes nicht vertraut. Wenn aber über den Rang des Amtes keine realistischen Vorstellungen bestehen, ist es schwer, zutreffende Maßstäbe für seine Besoldung zu popularisieren.
Aktuell beträgt die Entschädigung der Bundestagsabgeordneten monatlich 7.668 Euro (das entspricht etwa der Besoldung eines Berliner Bezirksbürgermeisters). Hinzu kommen die kostenfreie Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel und des innerdeutschen Flugnetzes sowie eine steuerfreie Pauschale für mandatsbezogene Kosten von monatlich 3.868 Euro, deren Verwendung der Abgeordnete nicht dokumentieren muss. Allerdings kann er über diesen Betrag hinausgehende Aufwendungen auch nicht steuerlich absetzen. Nach dem Ausscheiden aus dem Amt erhalten ehemalige Abgeordnete für jedes Jahr Mitgliedschaft einen Monat lang Übergangsgeld in Höhe der Abgeordnetenentschädigung.
Die Altersentschädigung wurde 2008 grundlegend neu gestaltet und abgesenkt. Einen anderen Weg geht der Landtag Nordrhein-Westfalen, der 2005 die staatlich finanzierte Versorgung und die Pauschale abschaffte, im Gegenzug die Diäten erheblich erhöhte und die Abgeordneten zur eigenständigen Vorsorge verpflichtete.
Als Amt auf Zeit garantiert das Mandat nicht in jedem Fall lebenslanges Auskommen. Deshalb kann es geboten sein, im bisherigen Beruf präsent zu bleiben - in den Grenzen, die das Mandat zieht. Interessenkonflikte müssen allerdings vermieden werden. Verhaltensregeln verpflichten deshalb zur Angabe von Nebentätigkeiten und Funktionen in Vereinen und Verbänden, die auch veröffentlicht werden, um über mögliche Interessenkollisionen zu informieren. Seit 2007 sind auch grob klassifiziert Angaben zur Höhe der Einnahmen aus Nebentätigkeiten zu machen - eine Regelung, die in Karlsruhe fast gescheitert wäre.
Gemeinsam mit der Regierung sollen die Abgeordneten das Unternehmen Deutschland steuern - in seiner Komplexität und Vielfalt ein mindestens ebenso schwieriges Unterfangen wie die Leitung einer Bank oder eines Konzerns. Werden Sie dafür wirklich zutreffend entlohnt? Ist das Mandat für Führungskräfte noch interessant? Wohl kaum. Wie wird sich das in Zukunft auf die Qualität des Bundestages auswirken? Es besteht Bedarf an einer funktionalen Diskussion.