pluralismus
Lobbyisten sind ein wichtiger Teil unserer Demokratie - solange ihr Einfluss bekannt ist
Die Diskussion um Leihmitarbeiter in den Ministerien hat im vergangenen Jahr noch einmal die Lage verdeutlicht: Regierung und Parlament stehen in engem Kontakt mit den gesellschaftlichen Interessengruppen und ihren Lobbyisten. Der Öffentlichkeit ist diese Beziehung nicht immer klar. Sie wird immer dann zum Problem, wenn der Einfluss von Lobbyisten und Interessengruppen auf politische Entscheidungen als ungerechtfertigt und intransparent skandalisiert wird.
Dabei sollte klar sein, dass Politik ohne eine Verbindung zu den gesellschaftlichen Interessengruppen kaum vorstellbar ist. Doch die Nähe zwischen Lobbyisten, Parlament und Regierung ist in einer Demokratie eine beständige Herausforderung und zuweilen auch anstößig, weil demokratische Grundprinzipien verletzt werden können.
Nur in Sonntagsreden hält sich heute noch die naive Vorstellung, dass in den Ministerien genügend Sachverstand vorhanden sei und dass das Parlament mit seinen unabhängigen Abgeordneten als Repräsentationsorgan nur das Gemeinwohl im Auge hätte. Parlament und Regierung waren immer schon auf die Artikulation der Interessen der verschiedenen Gruppen und ihre Expertise angewiesen. Unter den Bedingungen einer Wissensgesellschaft hat sich diese Abhängigkeit noch einmal verstärkt. Der Regierungsapparat ist immer weniger in der Lage, das nötige Wissen für die Regelung komplexer Sachverhalte aus sich selbst heraus zu schöpfen.
Eine vollständige Trennung zwischen Parlament und Interessengruppen hat es im Übrigen noch nie gegeben. Deutschland ist eine Verbändegesellschaft und nach wie vor sind die Verbände unverzichtbare Akteure. Sie bündeln die Interessen einer Wirtschaftsbranche, sprechen für ganze gesellschaftliche Bereiche wie den Sport oder haben - wie die Wohlfahrtsverbände - die sozialstaatliche Aufgabenerfüllung übernommen.
Den Verbänden gelingt es heute immer schlechter, eine privilegierte Stellung zu verteidigen. Sie schaffen es immer weniger, die heterogener werdenden Interessen zusammenzubinden und in der beschleunigten Mediengesellschaft mitzuhalten. Doch nach wie vor sind sie ein wichtiger Faktor in der Artikulation und Durchsetzung von Interessen. Verbände besitzen das Privileg, frühzeitig von Gesetzgebungsvorhaben zu erfahren; sie sitzen in den wichtigen Beiräten der Ministerien, unterhalten zu den relevanten Abteilungen in den Ministerien stabile Kommunikationsbeziehungen wie die Steuerabteilung des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI) in das Finanzministerium oder der Bundsverband der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) auf dem Gebiet der Sozialpolitik. Im Bundestag treten Verbände häufig als Experten bei Anhörungen auf. Man kann es so ausdrücken: Die Verbände mischen schon immer mit und sie sind nach wie vor wichtige Akteure, wenn es darum geht, politische Entscheidungen zu beeinflussen. Doch die Verbände haben Konkurrenten bekommen. Wer heute seine Positionen gegenüber der Politik vertreten will, muss dies nicht mehr über die Kanäle der Verbände tun. Zudem nimmt die Verbandsfärbung des Deutschen Bundestages ab. Immer weniger Abgeordnete kommen aus den Verbänden. Dies ist ein Zeichen für die Professionalisierung der Politik, mit der politische Karrieren nicht mehr über die Verbände laufen.
So hat sich die Interessenvertretung pluralisiert und das Berufsbild des professionellen Lobbyisten hervorgebracht. Diese sind nicht mehr überwiegend altgediente Politiker, die sich ihre Kontakte versilbern. Eine Professionalisierung ist auch in der Politikberatung zu beobachten: Government Relations, Public Affairs und Politikberatung sind die neuen Bezeichnungen auf Visitenkarten. Seitdem große Unternehmen in Berlin und Brüssel eigene Repräsentanzen unterhalten, ist es für die Wirtschaftsverbände schwieriger geworden. Direktes Unternehmenslobbying verspricht eine bessere Berücksichtigung der Unternehmensinteressen ohne eine Verwässerung durch verbandliche Kompromissbildung. Die Allianz-Versicherung preschte mit einem eigenen Vorschlag bei der Gesundheitsreform vor und brachte den Verband der privaten Krankenversicherungen arg in Bedrängnis.
Zu den Unternehmensrepräsentanzen gesellen sich Public Affairs Agenturen, die ihren Auftraggebern Lobbying und Medienkommunikation (Kampagnen, Werbung) als Gesamtpaket anbieten. Rund 40 dieser Agenturen gibt es in Berlin. Hinzu kommen sogenannte Law Firms, große Anwaltskanzleien, die sich auf politische Kommunikation spezialisiert haben. Nicht zu vergessen sind die Nichtregierungsorganisationen, die ebenfalls bestrebt sind, Politik in ihrem Sinne zu beeinflussen.
Etwa 4.500 Lobbyisten arbeiten in Berlin, in Brüssel sind es rund 15.000; 2.067 Verbände und Interessengruppen sind beim Bundestag akkreditiert - vom ABDA, der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, bis zum Zweckverband Ostdeutscher Bauverbände. Sie alle versuchen, Einfluss auf die Gesetzgebung zu nehmen, indem sie Abgeordnete und Ministerialbeamte mit Argumenten, Positionspapieren und Expertisen versorgen. Aber auch ausgearbeitete Gesetzentwürfe legen sie vor. Die Zusammenarbeit geht bis hin zur Beschäftigung von Unternehmens- und Verbandsmitarbeitern in Ministerien. Greenpeace etwa monierte jüngst, dass der Entwurf des Gesetzes zur Lagerung von CO2 aus der Feder von RWE und Vattenfall stamme.
Die Grenze zwischen legitimer Beratung und unlauterer Einflussnahme ist dabei fließend: Deshalb ist eine Diskussion über die Legitimität und das Verfahren des Lobbying in Gang gekommen. Ausgehend von der US-amerikanischen Regulierung des Lobbying wird auf Ebene der EU und in Berlin über die Rechtmäßigkeit und Transparenz des Lobbying diskutiert. Inzwischen gibt es für die EU eine Regelung für größere Transparenz, allerdings auf freiwilliger Basis.
Auch in Berlin sehen die Fraktionen Handlungsbedarf. In mehreren Anträgen hat sich die Opposition im vergangenen Jahr für mehr Tranzparenz (Bündnis 90/Die Grünen, 16/8762), gegen die Mitarbeit von Lobbyisten in Ministerien (Die Linke, 16/9484) oder für die Einführung eines verpflichtenden Lobbyistenregisters (Die Linke, 16/8453) ausgesprochen. Und die SPD-Fraktion schlägt vor, die Geschäftsordnung des Bundestages zu ändern und auch Angaben zur Finanzierung der Lobbyisten zu registrieren.
Der Autor ist Lobbyismusforscher und Publizist.