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Im Europaparlament läuft vieles anders als in den nationalen Volksvertretungen - aber nicht alles
Wenn sich die finnische EU-Abgeordnete Satu Hassi am Montagmorgen auf den Weg zur Arbeit macht, kann das zwei Stunden Bahnfahrt bedeuten, vier Stunden Flug oder eine strapaziöse Kombination aus Flügen und Autobahnfahrt. Hassi lebt in Tampere, 170 Kilometer nördlich von Helsinki. Eine Woche im Monat betreut die grüne Abgeordnete ihren Wahlkreis, arbeitet von zuhause aus oder fährt mit dem Zug zu Besprechungen in die finnische Hauptstadt. Für die zwei Arbeitswochen in Brüssel reist sie mit dem Flugzeug an, mit Zwischenstopp in Kopenhagen oder Amsterdam. Richtig kompliziert wird es in der Plenarwoche, wenn das Parlament in Straßburg tagt. Dann fliegt Hassi nach Stuttgart, Frankfurt oder Zürich, von dort geht es mit dem Dienstwagen weiter.
Für den südbadischen CDU-Abgeordneten Karl von Wogau sind die Straßburgwochen dagegen fast so bequem wie die Wahlkreiswochen. Wenn alles gut läuft, braucht er mit dem Auto eine Stunde von Freiburg bis zum Parlamentsgebäude. In den Brüsselwochen hingegen muss er mit dem Auto nach Zürich fahren und von dort aus das Flugzeug nehmen. Da sich von Wogau auf Außen- und Verteidigungspolitik spezialisiert hat, ist er auch sonst viel unterwegs. Ein Blitzbesuch bei den EU-Truppen im Tschad oder bei der EU-Grenzsicherungsmission zwischen Ukraine und Moldawien gehört zu seinem Arbeitsalltag dazu.
Für den Beruf des Europaabgeordneten gibt es keine klare Arbeitsplatzbeschreibung. Auch im nationalen Parlament hat der gewählte Volksvertreter einen großen Spielraum bei der Auswahl seines Spezialgebiets und wie er seine Arbeitskraft zwischen heimischem Wahlkreis, repräsentativen Aufgaben und Gesetzesarbeit aufteilt. Im Europaparlament ist dieser Spielraum noch größer, weil der Aufgabenbereich des EP vielfältiger und weniger klar umrissen ist. Mit jeder Vertragsnovelle wächst der Anteil der Gesetzgebung, bei dem das Parlament gleichberechtigt mitzureden hat. Entsprechend nimmt der Anteil gesetzgeberischer Arbeit zu und der politische Druck aus den Heimatländern steigt, die jeweiligen Partei- und Länderinteressen in den Gremien einzubringen.
Es gibt Abgeordnete, die wählen ihren politischen Schwerpunkt danach, was für ihre Wähler zuhause am Wichtigsten ist. So entscheidet sich vielleicht ein Volksvertreter aus einer ländlichen Region Niedersachsens für den Agrarausschuss. Ein katalanischer Abgeordneter wird Mitglied des Fischereiausschusses.
Auch in einem nationalen Parlament wie dem Bundestag spiegelt der Aufgabenschwerpunkt vieler Volksvertreter die regionalen oder föderalen Besonderheiten ihres Wahlkreises. Die Parteibindung spielt hier die entscheidende Rolle. Im Europaparlament hingegen sind die Fraktionen recht diffuse Zusammenschlüsse.
Die Europäische Volkspartei, mit 288 Abgeordneten größte Fraktion im EP, beherbergt so unterschiedliche Strömungen wie die deutschen Christdemokraten, Polens liberalkonservative Bürgerplattform, die Partei der ungarischen Minderheit in Rumänien oder Berlusconis Popolo della Libertà.
Fraktionszwang gibt es im Europaparlament nicht. Er ließe sich angesichts der oft widerstreitenden Interessen der nationalen Untergruppen auch gar nicht durchsetzen. Bei einem ambitionierten Umweltgesetz wie der Chemikalienverordnung Reach, die hohe Folgekosten für die betroffenen Unternehmen bringt, kann sich zwar die grüne Fraktion auf eine einheitliche Linie verständigen. Doch schon bei den Sozialisten wird es schwierig: Deutsche Sozialdemokraten, die um Arbeitsplätze in diesem Industriezweig fürchten, stehen bei einer solchen Entscheidung deutschen CDU- oder CSUAbgeordneten näher als eigenen Fraktionskollegen aus Ländern, die keine Chemieindustrie haben.
Mit aussagekräftigen Wahlprogrammen tun sich die europäischen Parteien deshalb schwer. Selbst wenn Europa mit dem Vertrag von Lissabon noch enger zusammenwachsen sollte, werden sich diese unterschiedlichen Standortinteressen nie aus der Welt schaffen lassen.
Die Autorin ist freie Journalistin und berichtet für "Das Parlament" aus Brüssel.