ANTi-terror-kampf
Der Journalist Thomas Darnstädt warnt vor einer Aushöhlung des Völkerrechts
Eines lässt sich Thomas Darnstädt keinesfalls vorwerfen: dass er die vom Terrorismus à la Al-Qaida ausgehenden Gefahren bagatellisieren will. Im Gegenteil: Der "Spiegel"-Redakteur äußert Verständnis für die Nöte westlicher Politiker angesichts dieser Bedrohung durch Leute, die nach herkömmlichen Maßstäben kaum zu definieren sind - keine Armee eines fremden Staats, keine Partisanen, keine Mafia, keine gewöhnlichen Kriminellen, keine Aufständischen, keine Warlord-Miliz. Rechtlich gehandelt werden sie meist als "feindliche", als "irreguläre" Kämpfer. Osama Bin Laden und die Seinen bomben in einem global verknüpften Netzwerk als neuartige Krieger.
Wie soll man auf solch unkonventionelle Angriffe reagieren? Dürfen Regierungen alles, beim Anti-Terror-Kampf sogar Verfassungsstaat, Recht, Freiheit opfern? Nein, auf keinen Fall, sagt Darnstädt. Nun sind der Abbau von Grundrechten, die ausufernde Überwachung der gesamten Bevölkerung, die Tendenz zur Strafverfolgung selbst bei nur vagem Verdacht schon vielfach kritisch beleuchtet worden. Darnstädts Buch "Der globale Polizeistaat" richtet indes den Blick auf einen wenig beachteten Aspekt: nämlich auf die zunehmende Verlagerung des Anti-Terror-Kampfs in eine völkerrechtliche Grauzone, in der die Grenzen zwischen Krieg und Frieden, zwischen Militär und Polizei, zwischen Inland und Ausland zusehends verschwimmen - und in der Sicherheitsapparate weithin unbehelligt von rechtsstaatlichen Fesseln agieren können. Die Konturen eines globalen Polizeistaats unter der Ägide einer "Pax Americana" zeichnen sich ab.
Streckenweise ist die Lektüre anstrengend, der Text hat bei allem Bemühen um Verständlichkeit auch etwas von einer wissenschaftlichen Abhandlung. Packend ist die Analyse aber allemal. Darnstädt schlägt einen Bogen vom Westfälischen Frieden bis heute. 1648 wurde nach den Verheerungen des 30-jährigen Kriegs die Gewalt "eingehegt": In den einzelnen Herrschaftsbereichen unterlag die Staatsgewalt inneren Regeln. Nach außen führten die Staaten, falls es so weit kam, Krieg, eine Gewalt ohne Regeln, die sich gegen fremde Heere richtete.
Al-Qaida interessiert diese Trennung jedoch nicht. Die Folge: Auch die Staatsgewalt entgrenzt sich. Da beanspruchen die USA das - im Jemen bereits praktizierte Recht -, auf dem Gebiet anderer Länder von ihnen als Terroristen ausgemachte Personen mit Hightech-Drohnen zu töten, da kommen Präventivkriege ins Spiel, da werden "Gefährder" ohne nennenswerten rechtsstaatlichen Schutz interniert. Wird die Bekämpfung des Terrors zum "Krieg" erklärt, bleiben Grundrechte außen vor. Das war auch im Rahmen der Westfälischen Ordnung für Jahrhunderte so - aber eben im Kriegsfall zwischen Staaten, nicht zwischen dem Staat und einzelnen Menschen im In- oder Ausland.
Zu einer Reihe von Beispielen, die in dem Buch diese Entwicklung illustrieren, gehört auch das im Untersuchungsausschuss des Bundestags behandelte Schicksal des in Guantanamo schuldlos inhaftierten Bremer Türken Murat Kurnaz. Dem vorwiegend theoretisch-analytisch geprägten Werk tut Anschaulichkeit dieser Art gut, noch mehr davon hätte nichts geschadet. Es liest sich indes auch spannend und beklemmend, wenn Darnstädt die Bestrebungen in den Blick nimmt, die das Staats- und Völkerrecht den terroristischen Bedrohungen anpassen sollen. Der Autor ist mit gutem Grund zutiefst beunruhigt, dass der autoritäre Jurist Carl Schmitt ("Kronjurist der Nazi-Diktatur") seine "Auferstehung feiert" und auf bestem Weg sei, "der Superstar der Thinktanks, Spindoctors und Staatsrechtler zu werden". Kern solcher Erwägungen ist das "überrechtliche Recht des Ausnahmezustands", den der Terrorismus erforderlich mache: Gegenüber dem "Feind" sind rechtsstaatliche Standards nur beschränkt oder gar nicht zu beachten - da wird für den Notstandsfall auch Folter in der verbrämten Form der "selbstverschuldeten Rettungsbefragung" in Betracht gezogen.
So reifen Schritt für Schritt die Pläne für einen "Weltpolizeistaat" heran, mit Interventionsrechten auf den Territorien anderer Staaten, im Innern mit der Einarbeitung kriegsrechtlicher Elemente in Gesetze und Verfassung - was sich hierzulande im Streit um den Einsatz der Bundeswehr im Inland niederschlägt.
Aber was tun? Darnstädt plädiert für das Konzept "Friede durch Recht". Allerdings, und dies ist ein Manko des Buchs, werden diese ziemlich vage bleibenden Überlegungen nur auf wenigen Seiten am Schluss erläutert. Eine "Antigewaltrechtsordnung", ein "Weltinnenrecht" soll das "Niemandsland" zwischen äußerem Kriegs- und innerem Polizeirecht befrieden: Dem Verfasser schwebt eine "supranationale Polizeimacht" mit Juristen an der Spitze vor, die Anti-Terror-Einsätze dann in die Hand nimmt, wenn der nationale Einflussbereich überschritten wird. Der Autor denkt daran, den Terrorismus von Al-Qaida als Völkerrechtsverbrechen der Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag zu überantworten. Doch je mehr Macht diese Instanz bekommt, desto mehr wird die innere Souveränität der Staaten als völkerrechtliche Basis des Selbstbestimmungsrechts unterminiert - auch wenn Darnstädt diese Gefahr bestreitet. Im Übrigen schwant ihm, dass "Weltgerechtigkeit" wohl nur zu machen ist, "wenn Amerika das Sagen hat" - "die Pax Americana scheint ohne Alternative zu sein".
Der globale Polizeistaat.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2009; 352 S., 19,95 ¤