Alle sprechen von der Renaissance der Stadt, mal euphorisch, mal skeptisch, und meinen damit die (mittel-)europäische Großstadt, vor allem deren Zentrum. Die "Renaissance der Stadt" zeigt sich zuallererst an der Rückkehr besser verdienender Bürgerinnen und Bürger, manchmal Urbaniten genannt, in die Innenstädte - als Touristen, Bewohner, Werktätige und Kunden, aber auch an der Verbreitung fußgängerfreundlicher, attraktiv gestalteter öffentlicher Räume, die zu Erlebnisräumen und Bühnen der Selbstdarstellung dieser Urbaniten werden. Neue oder erneuerte Museen, große Ausstellungen, Musikevents, aber auch unzählige Ereignisse der Pop Culture ziehen erwartungsfrohe Menschen in die Innenstädte.
Doch was soll das heißen: Renaissance, Wieder-Geburt? Wo kommt die Großstadt her, wo geht sie hin? Die Entwicklung eines städtebaulichen Programms für die Großstadt von morgen setzt die Kenntnis der Großstadt von gestern voraus - nicht nur, weil der weitaus größte Teil der Großstadt von morgen heute schon gebaut ist, sondern auch, weil das Wissen um vergangene Visionen und Praktiken den Blick auf die Chancen und Gefahren der Entwicklung von morgen schärft. Die Thesen dieses Beitrags sind: Die europäische Großstadt ist ein sehr junges Phänomen, sie lässt sich in drei große räumliche Bereiche unterteilen: das Zentrum, die kompakten Stadterweiterungen und den suburbanen Raum. Die Gestaltung dieser drei Bereiche kann in drei große Phasen gefasst werden: die Zeit vor der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg, die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg bis in die 1970er Jahre und die Zeit seit den 1970er Jahren. In diesem Sinne erleben und gestalten wir heute die dritte Version einer Großstadt. Jede dieser großen Phasen hatte ihre Kultstädte: Großstädte, die als Vorbild galten und bewundert wurden.
Erst im 19. Jahrhundert wurden die ruhigen vorindustriellen "Altstädte" vor dem Hintergrund stürmischer Urbanisierung in hektische Verkehrs- und Geschäftszentren transformiert. Um diese Zentren wuchsen äußerst dicht bebaute Stadterweiterungsringe, und jenseits dieser Ringe entstand ein suburbaner Raum, der keiner Ringlogik, sondern natürlichen Gegebenheiten folgte. Die Transformation der historischen Stadt in ein Großstadtzentrum führte zu einer Verdrängung des Wohnens in neue Stadterweiterungsgebiete und den suburbanen Raum. Diese neue Großstadtwohnlandschaft war sozial stark segregiert: In den verbleibenden Wohninseln der Zentren, die zu Elendsvierteln bzw. Slums mutierten, konzentrierten sich mittellose Immigranten und subproletarische Schichten, die Masse der Industriearbeiter wurde in äußerst dicht bebauten Arbeitervierteln behaust, seltener in suburbanen Werkssiedlungen. Von herausragender Bedeutung war die Konkurrenz zweier bürgerlicher Wohnformen: neue, kompakte und urbane herrschaftliche Stadtviertel einerseits und suburbane Villenkolonien bzw. Gartenvorstädte andererseits.
Wie das Zentrum waren der kompakte Stadterweiterungsring und die suburbanen Vororte ein gänzlich neues Phänomen. Wichtigster Träger des Baus der neuen Großstadt war das private Kapital. Die öffentliche Hand beschränkte sich zumeist darauf, der privaten Initiative den Rahmen zu setzen - durch Stadtpläne und Bauordnungen. Die entscheidende infrastrukturelle Grundlage der ständig wachsenden Großstadtregion waren der schienengebundene Massenverkehr, die Eisenbahn, Stadtbahn, U-Bahn und die Straßenbahn, sowie die Versorgung mit billiger Energie.
Geburt des Großstadtzentrums: Die Transformation der Altstadt in ein Großstadtzentrum fand in der Regel in den Fesseln des überkommenen, vorindustriellen Straßensystems statt. Ein durchgreifender Zentrumsumbau mit einem ganzen Netz von Straßendurchbrüchen wie etwa in Paris unter Baron Haussmann war die Ausnahme. Die Bahnhöfe, insbesondere die Fernbahnhöfe, fungierten nun als neue Eintrittstore in die Großstadt; zusammen mit dem Bahnhofsvorplatz und der Bahnhofsstraße begründeten sie neue städtebauliche Figuren. Die Bahnhofsstraße wurde zur Bühne großer Waren- und Kaufhäuser, Hotels und Bankgebäude. Kleine Parzellen und Gebäude sowie vorindustrielle Nutzungen wie Handwerk und Wohnen wurden ohne Rücksicht verdrängt. Das vor dem Ersten Weltkrieg konsolidierte Zentrum prägt bis heute die populäre Vorstellung von einem "richtigen Großstadtzentrum". Neben London und Paris war Berlin ein eindrucksvolles Beispiel eines solchen Zentrums.
Geburt der kompakten Stadterweiterung: Um die Großstadtzentren entwickelten sich in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg neue, kompakte, urbane Stadtquartiere, deren Dichte die des Zentrums oft übertraf. Wichtigster Bautypus war das mehrgeschossige Miethaus. In einem Miethausblock fanden sich neben Wohnungen auch Läden und - in den Arbeitervierteln - Gewerbebetriebe. Diese neuen Quartiere wurden zunächst sehr schematisch angelegt, mit breiten Korridorstraßen und großen Stadtplätzen, ohne besondere künstlerische Komposition. Grundlage waren oft staatliche Planungen von Ingenieuren wie James Hobrecht in Berlin und Ildefonso Cerdà in Barcelona. Aufwändigere Planungen erregten großes Aufsehen und dienten als Vorbild: etwa die herrschaftlichen Stadterweiterungen in der Ära Haussmann in Paris oder die Anlage des Wiener Ringes. Zeitgleich wurden Arbeiterviertel mit geringen städtebaulichen Standards errichtet: Dort gab es weniger Stadtplätze, keine Straßenbäume, keine Vorgärten, dafür aber enge und engste Hinterhöfe ohne jedes Grün. Die vorherrschende Mischnutzung der Arbeiterviertel war unattraktiv: Industrie- und Gewerbeanlagen verschmutzten die Luft und verursachten Lärm. Während die stadtweiten Pläne um die Mitte des 19. Jahrhunderts noch durch die öffentliche Hand dirigiert wurden, setzte sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts mehr und mehr ein privater, quartiersbezogener Städtebau durch. Berlin war in dieser Hinsicht ein Modell in Europa. Private Terraingesellschaften entwickelten ganze Stadtteile aus einem Guss, mit prächtigen, begrünten Stadtstraßen und -plätzen und großzügigeren Freiflächen im Blockinneren. Der Bau dieser kompakten Quartiere, die nur mehr bürgerlichen Schichten Wohnraum boten, vollzog sich im Rahmen einer harten Konkurrenz zwischen Terraingesellschaften, Gemeinden, Verkehrsgesellschaften und Großbanken.
Geburt der suburbanen Stadtlandschaft: Weit draußen vor der rasch wachsenden Großstadt schuf sich das Großbürgertum sein Refugium: die Villenkolonie ohne Lärm und Gestank, sittenloses Treiben und Hektik, Gewerbebetriebe und Häusermeer, ohne Arbeiter und Arbeitslose, aber mit Dienstpersonal. Zwar gab es auch schon in früheren Jahrhunderten suburbane Villen, aber die planmäßig angelegte Villenkolonie mit ihren geometrisch geordneten, grünen Straßen und Plätzen war etwas völlig Neues - ein eindrucksvoller Gegensatz sowohl zur kompakten Stadt wie zum geschlossenen Dorf. Die zum Teil riesigen Villen erhoben sich freistehend in repräsentativen Gärten. Die Anbindung an das Zentrum, an den Arbeitsort, sicherte die Eisenbahn. An den Bahnhöfen entstanden kleine Vorstadtzentren. Diese neue Form der Suburbanisierung begann oft schon vor dem Bau von kompakten Stadterweiterungen, zuallererst in London, der Mutterstadt und dem Vorbild der Suburbanisierung, wurde aber erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wirklich populär. In dieser Zeit entstand in Grunewald bei Berlin die herrschaftlichste Villenkolonie des Deutschen Reiches.
Noch vor dem Ersten Weltkrieg wurde das gestalterische und soziale Konzept der Villenkolonie erneuert: In der "Gartenvorstadt" mit ihren oft geschwungenen Straßen gab es bereits kleinere Häuser, Doppelhäuser und Reihenhäuser. Damit wurde das Leben am Stadtrand auch für Teile der Mittelschichten bezahlbar.
Der Erste Weltkrieg markiert eine harte Zäsur in der Entwicklung der Großstädte, die härteste der modernen Städtebaugeschichte. Die wirtschaftlichen Ressourcen Europas waren in einem schrecklichen Krieg verpulvert worden. Der private Städtebau kam zum Erliegen, und mit ihm verkümmerten seine Träger, die Terraingesellschaften. Der Bau neuer herrschaftlicher urbaner Wohnviertel wurde eingestellt. Die schon vor dem Ersten Weltkrieg um sich greifende Großstadtfeindschaft setzte sich auf breiter Front durch. In diesem Klima entstand der sozialstaatliche Städtebau, und mit ihm der soziale Massenwohnungsbau. Politisches und planerisches Ziel war die Dezentralisierung der Großstadt, das heißt die Suburbanisierung von Angestellten und Arbeitern. Die kompakte, urbane Großstadt wurde heftigst kritisiert - ganz gleich, ob es sich um Arbeiter- oder bürgerliche Viertel handelte. Die überkommene Stadt - ihr Straßensystem, ihre Silhouette und vor allem ihre Bauten - galt als nicht mehr zeitgemäß und damit als nicht erhaltenswert.
Der Kult einer radikal modernisierten Großstadt überlebte - mit Varianten - die politischen Brüche der 1930er und 1940er Jahre. Der Bau von Siedlungen am Stadtrand - der attraktiven Siedlungen der 1920er Jahre, der immer noch beliebten Siedlungen der 1930er und 1950er Jahre sowie der wenig akzeptierten Großsiedlungen der 1960er Jahre - sind Zeugnisse dieser variantenreichen Kontinuität. Die Orientierung auf die autogerechte Stadt, auf Hochhäuser, auf bauliche Solitäre, auf eine Stadt, die ihre Geschichte entsorgen will, wurde allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg in großem Umfang wirksam. Die Großstädte wuchsen und wuchsen - gefördert durch öffentliche Subventionen aller Art - in das Umland hinein. Das war eine Entwicklung, die bald als Zersiedelung wahrgenommen wurde. In den Innenstädten wurde mit gewaltigen öffentlichen Mitteln der flächendeckende Abriss von urbanen, durchmischten und kompakten Stadtvierteln aus dem späten 19. Jahrhunderts eingeleitet, der unter der Losung der Auflockerung und Entmischung der Funktionen legitimiert wurde.
Grundlage der rabiaten "Modernisierung" der Stadt war - neben der weiteren Versorgung mit billiger Energie - der schrittweise Übergang vom schienengebundenen zum automobilen Massenverkehr, in sozialer Hinsicht der Aufstieg der Angestellten, welche die Großstädte mehr und mehr sozial prägten.
Modernisierung des Zentrums: Der radikale Umbau der gerade erst geschaffenen Großstadtzentren wurde nach dem Ersten Weltkrieg mit vielen Plänen und Visionen eingeläutet, aufgrund der begrenzten Ressourcen in der Zwischenkriegszeit aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg wirksam. Das erwünschte neue Zentrum der Nachkriegszeit war auf das Automobil orientiert, durch bauliche Solitäre geprägt und zielte auf den Abbruch historischer Gebäude, auf die Auflösung des historischen Stadtgrundrisses, auf eine flächenhafte Nutzungstrennung sowie auf die Revolutionierung der traditionellen Stadtsilhouette. Überkommene Bauten und Räume wurden vernachlässigt, im Vordergrund stand der Neubau. Durch kriegsbedingte flächenhafte Zerstörungen des baulichen Bestandes insbesondere in den zentralen Stadtbereichen "begünstigt", waren West- und Ost-Berlin auf europäischer Ebene Musterbeispiele einer radikalen städtebaulichen Modernisierung. Dabei spielte die öffentliche Hand eine aktive Rolle. Das neue Zentrum war in der Regel Arbeitsort für Angestellte und Einkaufsort für ein Massenpublikum. Seine Realisierung erreichte in den 1960er Jahren den Höhepunkt.
Kampf gegen die kompakte Stadterweiterung: Die hoch verdichteten, urbanen Wohnquartiere wurden nach dem Ersten Weltkrieg nicht mehr weiter gebaut. In den Arbeitervierteln unterblieben nicht nur Modernisierungen, sondern auch Instandhaltungsmaßnahmen. Die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges, oft als "Chance" für einen baulichen Neubeginn betrachtet, schienen die Voraussetzungen für den Abschied von den ungeliebten kompakten Stadtquartieren des späten 19. Jahrhunderts zu bieten. Es dauerte aber noch einige Jahre, bis der Abriss auf breiter Front ins Rollen kam. Glasgow und Berlin waren Zentren umfangreicher Kahlschlagsanierungen. Das bedeutete: Aufkauf von privaten Grundstücken durch gemeinnützige Wohnungsunternehmen, Entmietung der Gebäude und Abriss, Neubau auf verändertem Stadtgrundriss mit deutlich reduzierter Wohnungszahl - alles staatlich subventioniert.
Förderung der Dezentralisierung: Unter der Losung "Licht, Luft, Sonne" wurde nach dem Ersten Weltkrieg eine verallgemeinerte Suburbanisierung des Wohnens propagiert und partiell auch praktiziert. Neue Siedlungen entstanden - nicht mehr durch das private Kapital, sondern durch gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften, die durch staatliche Subventionen unterstützt wurden. Der Baublock wurde aufgegeben, und am Ende der Entwicklung stand der Zeilenbau. Die Nutzungsmischung war gering. Wenig differenzierte Parzellen- und Baustrukturen führten zu verstärkter großräumiger sozialer Segregation. Bewohner der neuen Siedlungen der 1920er und 1930er Jahre waren vor allem Angehörige der unteren bis mittleren Mittelschicht, welche die neue Massenangestelltengesellschaft widerspiegelten. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die durchgrünten, locker durch Zeilenbauten und Punkthochhäuser zusammengesetzten Siedlungen der 1950er Jahre noch Orte des sozialen Aufstiegs, während die riesigen Großsiedlungen der 1960er und 1970er Jahre schnell stigmatisiert wurden. Parallel zu den Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus kam es im westlichen Europa zur Ausbreitung - ebenfalls massiv staatlich geförderter - neuer Einfamilienhausgebiete, welche die Zersiedelung des Umlands förderten. Demgegenüber wurden in den sozialistischen Ländern kaum Einfamilienhausgebiete gebaut; die gewaltigen Satellitensiedlungen am Stadtrand galten dort - angesichts des Verfalls der Innenstädte - weiterhin als Orte des sozialen Aufstiegs.
Die 1970er Jahre waren eine Zeit des Übergangs - des Abschieds von der Ära der Großsiedlungen, der Kahlschlagsanierung, des rabiaten Zentrumsumbaus und des autogerechten Städtebaus. Dieser Abschied war das Ergebnis heftiger gesellschaftlicher Konflikte. Flankiert wurde der städtebauliche Paradigmenwechsel von einer Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse, die sich in der "Ölkrise" und dem Beginn einer Zeit dauernder Arbeitslosigkeit manifestierten und den Abschied von der Industriegesellschaft signalisierten. Ein wichtiges Ereignis dieser Umbruchszeit war das Europäische Jahr des Denkmalschutzes 1975. Im Rahmen dieser Kampagne wurde die historische Stadt rehabilitiert - nicht nur die vorindustrielle Stadt, sondern auch die kompakten Stadterweiterungsgebiete vor dem Ersten Weltkrieg. Der Beitrag West-Berlins bestand in der Rehabilitierung der "Mietskasernenstadt".
In den 1980er Jahren zeigten sich die Folgen des Abschieds von der Industriegesellschaft immer deutlicher. In den kompakten Stadterweiterungsgebieten, aber auch in zentraler Lage und im suburbanen Raum wurden große Flächen für Industrie und Gewerbe, Militär, Bahn, Häfen und Flughäfen aufgegeben. Das eröffnete neue Chancen der Stadtentwicklung, die durch das private Kapital genutzt wurden. Insbesondere zentral gelegene Brachflächen erhielten schnell neue Funktionen, was die "Renaissance" der Innenstädte förderte. In diesen Jahren wurde der Stadtumbau in Barcelona zum viel bewunderten Vorbild in Europa. Nach der Jahrhundertwende zeichnete sich ab, dass ein weiterer Pfeiler der vergangenen Stadtentwicklung - die Verfügung über billige Energie - keine Zukunft mehr hat. Der nicht mehr zu leugnende Klimawandel verweist schließlich auf die Notwendigkeit einer umfassenden Restrukturierung der Stadtregionen.
Postindustrielle Renaissance des Zentrums: Vor noch gar nicht so langer Zeit herrschte noch die Überzeugung, in der Informationsgesellschaft hätten die Zentren der europäischen Großstädte ausgedient. Heute wissen wir, dass dies eine Fehleinschätzung war. Private Investitionen drängen in die Zentren, teure Wohnungen in attraktiver zentraler Lage sind ein Renner, die Stadtpolitik erarbeitet eine Strategie der Rezentralisierung; auch Streit um Architektur und Städtebau bündelt sich in den Zentren. In den viel diskutierten Beispielen der Renaissance der Stadt in Europa, etwa in Barcelona, Manchester, Turin, London und Berlin, zeigt sich, dass vor allem die Zentren der Stadt umgebaut werden. Stadtregionen verbildlichen sich durch ihre Zentren, und diese Bilder gehören zu den Lockmitteln des internationalen Stadttourismus und dienen als werbende Botschafter im Rahmen der Städtekonkurrenz. Jede Großstadt muss sich heute in ihrem Zentrum als Spiegel konzentrierter Geschichte und Tradition, das heißt ihrer Einzigartigkeit inszenieren, aber auch als Motor der Innovation, als Ausdruck ihrer Zukunftsfähigkeit. Die Demonstration von Tradition geht bis zur Rekonstruktion verschwundener Bauten. Das neue Zentrum muss sichtbar und genießbar gestaltet werden. Diesem Leitthema dienen die wichtigsten Themenfelder des Städtebaus: Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs und Fußgängerfreundlichkeit, Rehabilitierung von Korridorstraßen und traditionellen Platzformen, von Dichte und Funktionsmischung, Aufwertung von Wasserlagen. Medien der beschleunigten Veränderung der Großstadtzentren sind große Ereignisse wie Olympische Spiele, Weltausstellungen, Kulturhauptstadt usw.
Lob der kompakten Stadterweiterung: Die heftigen gesellschaftlichen Proteste der 1970er Jahre, zunächst der Bürgerinitiativen, dann auch der Hausbesetzer, betrafen vor allem den Umgang mit den kompakten Stadterweiterungsgebieten: Abriss oder Modernisierung? In den 1980er Jahren war die Rehabilitierung der kompakten Innenstadt vollzogen. Blockbebauung, Korridorstraßen, Stadtplätze, aber auch Hinterhöfe und Stuck wurden nunmehr positiv gesehen. Eine zentrale Rolle dieser Umwertung spielte West-Berlin mit seiner Politik der "behutsamen Stadterneuerung". Hintergründe dieser Wende waren die veränderten Lebensverhältnisse einer postindustriellen Gesellschaft: Wohnungen sind heute nicht mehr überbelegt. Durch Modernisierungsmaßnahmen wurde die Ausstattung der Altbauten den Neubauten angeglichen. Störendes Gewerbe ist heute kaum mehr vorhanden. Keller- und andere Schlichtwohnungen sind verschwunden. Vor allem aber hat sich gezeigt, dass die Wohnungsgrundrisse der Altbauten viel flexibler sind als die Grundrisse der Sozialwohnungsbauten. Vor diesem Hintergrund sind die alten, urbanen "Mietkasernenviertel" mit ihren fußgängerfreundlichen städtischen Straßen und Plätzen heute eine attraktive Adresse gerade der postindustriellen Mittelschichten.
Aufgabe des Siedlungsbaus: Im Schatten der Debatten und Projekte in der Innenstadt wurde auch im suburbanen Raum eine Wende vollzogen. Der Bau von Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus ist weitgehend eingestellt und überkommene Siedlungen sind "nachgebessert", das heißt vor allem gestalterisch im öffentlichen Raum und an den Fassaden erneuert worden. Zugleich entstanden erstmals wieder vereinzelt neue Gartenvorstädte. Allerdings konnte die Zersiedelung noch nicht gebremst werden.
Der größte Teil der Großstadt der Zukunft existiert bereits. Daher ist es entscheidend, wie wir mit der überkommenen Großstadt umgehen werden: im Zentrum, in den Stadterweiterungsgebieten, im suburbanen Raum - und dies angesichts der neuen Herausforderungen einer alternden, postindustriellen europäischen Gesellschaft, die sich im Wettbewerb mit Gesellschaften anderer Kontinente befindet und in Zeiten teurer werdender Energie Antworten auf den Klimawandel finden muss. Notwendig ist daher eine verfeinerte Kultur des Wiedergebrauchs: der Nutzung brach gefallener Flächen, vorhandener Bauten, vorhandener Räume. Notwendig ist aber auch die entschlossene Orientierung auf öffentlichen Nahverkehr, Fahrradverkehr und fußgängerfreundliche öffentliche Räume. In veränderter Form stellt sich auch wieder die soziale Frage.
So schön wie jetzt waren die Großstadtzentren noch nie. Was in der Städtebaudiskussion aber oft nicht thematisiert wird, sind die sozialen Wirkungen des Zentrumsumbaus. Im Zentrum konzentrieren sich Top-Wohnungen, Top-Geschäfte und Top-Arbeitsplätze. Angesichts der zunehmenden sozialen Differenzierungen in der Stadtregion birgt eine solcher Umbau die Gefahr, soziale Verdrängung und Ausgrenzung nicht nur zu dulden, sondern zu fördern. Die Aufgabe besteht daher darin, die Zentren für alle Bürgerinnen und Bürger offen zu halten.
Der wirtschaftliche und soziale Strukturwandel verbessert, so scheint es auf den ersten Blick, die Voraussetzungen einer Renaissance der kompakten Stadterweiterungsgebiete: Immer längere Ausbildungszeiten und der Zwang, lebenslang zu lernen, führen dazu, dass die Innenstadt als Wohnort für einen immer längeren Zeitraum Vorrang hat. Denn hier finden sich in der Regel die Ausbildungsstätten. Immer längere Altersphasen machen ebenfalls die Innenstädte interessant, denn hier werden sich die Dienstleistungen für ältere Menschen konzentrieren. In der Innenstadt siedeln sich auch gerne Beschäftigte der "kreativen Industrien" an, die mit ihren unregelmäßigen Arbeitszeiten auf Dienstleistungsangebote zu unkonventionellen Uhrzeiten angewiesen sind. Hier werden auch jene Beschäftigten lieber wohnen, die dem Zwang zu außerordentlicher Flexibilität am Arbeitsplatz ausgesetzt sind. Wenn man - wie schon heute in den USA - nur einige wenige Jahre in einem Unternehmen Beschäftigung findet und dann wieder wechseln muss, ist man gut beraten, sich dort aufzuhalten, wo man nahe am Geschehen ist. Auch wer als Single lebt, schätzt die Vielfalt sozialer Kontaktorte, die eher in der Innenstadt zu finden sind. Und der zunehmende ökologische Druck rückt die kompakten Stadterweiterungsgebiete auf die politische Wunschliste.
Vor diesem Hintergrund scheint es so, als sei der wünschenswerte Aufstieg der fußgängerfreundlichen, dicht bebauten und nutzungsgemischten urbanen Innenstadt ein Selbstläufer, und man müsse nur abwarten. Aber es gibt auch Trends, die gegen die Innenstadt sprechen: Oft schrumpfen dort die Möglichkeiten zum Einkaufen für den täglichen Bedarf. Zudem belasten Lärm, Abgase, Staus und der Platzverbrauch des Autoverkehrs wichtige öffentliche Räume. Auch Sicherheit und Sauberkeit lassen oft zu wünschen übrig, die Schulen sind nicht so gut wie erwartet, und zunehmende soziale Spannungen vermindern die Aufenthaltsqualität. Offen ist vor allem die Zukunft der ehemaligen Arbeiterquartiere. Diese Stadtviertel sind heute das Experimentierfeld der postindustriellen Stadt, des Zusammenlebens von Deutschen und Immigranten ganz unterschiedlicher Herkunft. Daher ist es notwendig, die Strategien der Revitalisierung dieser Viertel weiter zu fördern und zu verbessern.
Entscheidend ist aber der Umgang mit unserer suburbanen Peripherie: Die Zersiedelung wird immer noch subventioniert, zugleich werden - aufgrund der niedrigen Dichte - erhebliche infrastrukturelle Ressourcen verbraucht. Vor uns steht daher die Aufgabe einer Sanierung der suburbanen Peripherie - durch den konsolidierenden Rück- und Umbau von Großsiedlungen des sozialen Wohnungsbaus, durch eine partielle Nachverdichtung von Einfamilienhausgebieten, durch behutsame funktionale und soziale Mischung, durch die Schaffung kleiner Zentren, durch die Vernetzung mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Dazu muss der Ausstieg aus der öffentlichen Förderung der Zersiedelung gewagt werden - auch aus der Pendlerpauschale.
Die Großstadt der Zukunft erfordert also mehr denn je ein stadtregionales nachhaltiges Programm, das Schönheit, Wirtschaftlichkeit, sozialen Ausgleich und die Belange der Umwelt bündelt. Dafür fehlt uns aber ein handlungsfähiges politisches Subjekt auf der Ebene der Stadtregion; vielleicht aber auch der politische Wille.