SCHWEDEN
Dem skandinavischen Land steht ab 1. Juli eine schwierige EU-Ratspräsidentschaft bevor
Am Hafen von Ekenäs reihen sich rote Holzhäuser aneinander. Weil es auf den Koster-Inseln mit ihren 300 Einwohnern keine Autos gibt, schwingt man sich von der Fähre direkt aufs Fahrrad, um die Lehrerin Lisbeth Johander zu besuchen. Es geht einen Hügel hoch, entlang grüner Wiesen, vorbei an noch mehr Holzhäusern mit perfekt hergerichteten Vorgärten, in denen die gelb-blaue Flagge im Wind flattert.
Auf den Koster-Inseln in Westschweden ist die Europäische Union fast zu Ende. Nur ein paar Kilometer entfernt liegt Norwegen. Es heißt, je weiter man gen Norden fährt, desto EU-kritischer sind die Schweden - und zumindest auf die 57-jährige Johander trifft das zu. Ihr Mann, der seit über 45 Jahren Fischer ist, bekomme vor allem die Bürokratie zu spüren, meint sie. "Früher konnte er fangen, was es im Meer gab - Garnelen und Hummer zum Beispiel. Heute muss er für alles eine Genehmigung einholen", sagt Johander. Mal dürfe er eine bestimmte Fischart fangen, dann wieder nicht. "Das ist doch absurd!" Sie und ihr Mann sind am 7. Juni nicht zur EU-Wahl gegangen.
Im Königreich Schweden ist, anders als in den meisten anderen EU-Staaten, die Wahlbeteiligung dennoch gestiegen - von knapp 38 Prozent auf 43,8. Das liege vor allem an der Piratenpartei, die viele junge Wähler mobilisiert habe, meint Göran von Sydow vom Swedish Insitute for European Policy Studies (SIEPS) in Stockholm. Die Piratenpartei setzt sich für den kostenlosen Download im Internet ein und entstand ursprünglich aus der illegalen Plattform "Pirate Bay". Sieben Prozent erreichte sie bei den Wahlen und kann jetzt einen Abgeordneten ins neue Europaparlament schicken. Die neun Millionen Schweden sind dort mit 18 Sitzen vertreten.
Ab 1. Juli übernimmt Schweden nun für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft - und wird viele Herausforderungen bewältigen müssen. Zunächst gilt es, nach der turbulenten tschechischen Ratspräsidentschaft wieder Ruhe in die EU zu bringen. Der Vorsitz der Tschechen wurde von innenpolitischen Querelen und dem Regierungswechsel in Prag bestimmt, zudem torpedierte Präsident Vaclav Klaus den EU-Reformvertrag von Lissabon. Er weigert sich bis heute, das Abkommen zu unterschreiben.
"Die Schweden können während ihrer Ratspräsidentschaft für Entspannung sorgen und eine Balance in der 27-er-Formel schaffen", sagt Barbara Lippert, Forschungsdirektorin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Es herrsche ein Grundzutrauen in die schwedische Politik und deren hochprofessionelle Administration. Gleichwohl steht Schweden eine "problematische Präsidentschaft" bevor, wie Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt bei der Vorstellung des schwedischen Arbeitsprogrammes betonte. In seine Amtszeit fällt das zweite irische Referendum zum Lissabon-Vertrag und - bei endgültiger Zustimmung der Iren und Tschechen - auch dessen Umsetzung.
Ganz oben auf der Tagesordnung wird in den kommenden sechs Monaten aber die Bewältigung der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise stehen. Reinfeldt will zwar, dass die EU "gestärkt aus der Wirtschaftskrise hervorgeht", möchte die EU-Mitgliedstaaten aber nicht zu neuen Konjunkturpaketen ermuntern. Vielmehr soll unter Schwedens Führung eine Regulierung der Finanzmärkte vorangetrieben werden. Bereits im Herbst will die EU-Kommission Gesetzentwürfe zur neuen EU-Finanzaufsicht vorstellen. Außerdem wirbt der Ministerpräsident für eine "Ordnung der öffentlichen Finanzen", für Budgetkürzungen und Steuererhöhungen.
Als ein Handicap konsequenter Finanzpolitik könnte sich erweisen, dass Schweden zwar seit 1995 festes Mitglied der EU ist, jedoch nicht Teil der Eurozone. "Das könnte ein Nachteil sein", meint auch Politologe von Sydow. 2003 hatten die Schweden in einer Volksabstimmung gegen die Einführung der Währung gestimmt. Für viele gilt: Sie lieben die EU nicht, akzeptieren sie aber.
"Wir könnten bei so vielen guten Sachen mitmachen, aber sagen immer Nein", scherzt Mats Nordström, Gourmetkoch in Göteborg. Er befürwortet den Euro, wenngleich die Mehrheit der Schweden weiterhin an der Krone festhalten will. Im Rahmen der Ratspräsidentschaft wird der 42-Jährige einige Events kulinarisch betreuen. Er denkt europäisch, kauft aber lokal ein - und sieht die in Schweden allgegenwärtige Nähe zur Natur als Teil seiner Identität.
Die Naturverbundenheit der Schweden ist ein Grund dafür, dass besonders in Fragen des Klimaschutzes hohe Erwartungen in die Präsidentschaft der Skandinavier gesetzt werden. Im Dezember findet in Kopenhagen die UN-Klimakonferenz statt. Dort sollen Vereinbarungen für ein Nachfolgeabkommen des Kyoto-Protokolls getroffen werden, das 2012 ausläuft. Ziel der Schweden ist es, während ihres Vorsitzes ein neues Abkommen zu verabschieden. Vor allem betonen sie, dass die Finanzkrise nicht als Entschuldigung dafür herhalten dürfe, notwendige Schritte im Kampf gegen den Klimawandel zu unterlassen. Bei der Bewältigung von Wirtschaftskrise und , gelte "nicht entweder oder, sondern sowohl als auch", betonte Ministerpräsident Reinfeldt.
Auf den Koster-Inseln, der Heimat von Lisbeth Johander, ist das Klima mild, und die Naturverbundenheit geht hier so weit, dass die Lehrerin ihren Matheunterricht im Wald abhält. Auch wenn die EU hier fern zu sein scheint, findet sie es gut, dass Schweden Teil der Gemeinschaft ist. "Denn in Sachen Umwelt können wir Europa noch einiges beibringen", meint sie.