EU-KOMMISSION
Viele Europaparlamentarier sind gegen eine erneute Amtszeit Barrosos
Drei Wochen nach der Europawahl ficht das neue EU-Parlament bereits seinen ersten Grabenkampf aus. Im Zentrum steht José Manuel Barroso, der bisherige und möglicherweise auch nächste Präsident der EU-Kommission. Die 27 Staats- und Regierungschefs der EU hatten Barroso auf ihrem Gipfeltreffen am 18. und 19. Juni für eine zweite Amtszeit nominiert. Der Kommissionspräsident braucht allerdings auch den Segen des Europaparlaments. Hier hat es Barroso sehr viel schwerer.
Sozialdemokraten, Grüne und Linke in der Volksvertretung äußerten während und nach dem Gipfel heftige Kritik an der Amtsführung des Portugiesen. Barrosos Bilanz sei schlecht, etwa in Bezug auf die Banken- und Finanzaufsicht, schimpfte Martin Schulz, der alte und neue Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion. "Die Entscheidung für Barroso war falsch", kritisierte Schulz, der aber jetzt über eine Richtungsänderung von Barroso diskutieren will: "Dazu brauche ich Zeit."
Lothar Bisky, der frisch gewählte Chef der Linksfraktion, sprach sich klar gegen eine zweite Barroso-Amtszeit aus. "Diejenigen in Europa, die den Neoliberalismus schon immer gepredigt haben, spielen sich heute als Retter auf", erklärte Bisky. Die Grünen brachten den Geschlechter-Aspekt ins Spiel: Es müsse die Möglichkeit geben, zwischen einem Mann und einer Frau für das Spitzenamt der Kommission zu wählen, hieß es aus der Fraktion.
Im Moment bringen es weder Barroso-Gegner noch die Freunde des Portugiesen in der 736 Sitze umfassenden Volksvertretung auf eine Mehrheit. Zwar ist die christdemokratische Europäische Volkspartei (EVP) mit 263 Mitgliedern die größte Fraktion und damit "Sieger der Europawahlen", wie der Vorsitzende Joseph Daul unterstreicht. Doch das reicht nicht. Die Liberalen als mögliche Koalitionspartner sind tief gespalten, die neue europa-skeptische Gruppierung um die britischen Tories gilt als unberechenbarer Faktor.
Am 9. Juli wollen die Fraktionsvorsitzenden darüber beraten, wann über Barrosos Zukunft abgestimmt werden soll. Eventuell könnte das schon am 14. Juli geschehen, wenn sich das EU-Parlament konstituiert. Möglicherweise wird das Votum aber auf September oder noch später vertagt. Unklar ist auch, ob eine der Parteien bis dahin einen Gegenkandidaten aufstellt. Fest steht, dass die Befürchtungen von Angela Merkel wahr werden könnten: Die Kanzlerin hatte vor einer monatelangen "Hängepartie" gewarnt.