Wirtschafts- und Finanzpolitik
Heiner Flassbecks Buch entpuppt sich als Ego-Trip
Dieses Buch ist ein zutiefst ärgerliches Buch. Vor allem deshalb, weil Heiner Flassbeck, der frühere Staatssekretär im Bundesfinanzministerium unter Oskar Lafontaine und heutige Chefvolkswirt der Unctad in Genf, eigentlich ein gutes Buch hätte schreiben können. Flassbeck hätte schreiben können, warum der Staat heute wieder eine Renaissance erlebt und zum Rettungsanker für die Wirtschaft wird. Er hätte angesichts der milliardenschweren Konjunkturpakete ein Buch über die Wiederentdeckung von Keynes und der Idee der Nachfragepolitik schreiben können. Und er hätte eine interessante Streitschrift schreiben können, warum all jene "neoklassischen", angebotsorientierten Volkswirte, die gestern noch so wenig Staat und so wenig Regulierung wie möglich haben wollten, sich heute vor ein gewisses Dilemma gestellt sehen, weil der freie Markt eben durchaus zu tiefgreifenden Verwerfungen führen kann.
Wenn er dies geschrieben hätte, wäre er sich einer ernsthaften Auseinandersetzung in Politik und Wissenschaft gewiss gewesen. Doch das hat er leider nicht getan. Flassbeck hat ein zutiefst besserwisserisches Buch geschrieben, in dem jedes Kapitel geradezu durchtränkt ist von der Vorstellung, er - Heiner Flassbeck und sein politischer Mentor, Oskar Lafontaine - seien seit 30 Jahren die einzigen Weltwirtschaftler von Format gewesen, die die heutige Krise vorausgesehen hätten. Und so entlädt sich sein ganzer heiliger Zorn vor allem auf seine einstigen politischen Weggefährten: Der frühere Kanzler Gerhard Schröder wird zu einem "Provinzpolitiker", die SPD ist insgesamt "dumm" und der Logik der Unternehmerverbände auf den Leim gegangen. In diesem Ton geht es weiter: SPD-Ikonen wie Erhard Eppler oder etwa der Soziologe Ulrich Beck haben keinen Sachverstand, Wolfgang Clement ist wirtschaftspolitischer Laie, Ingrid Matthäus-Maier hatte nie wirtschaftspolitische Ahnung und hat sie heute als KfW-Vorsitzende erst recht nicht. Ebenfalls gilt dies - aus Sicht des Autors - für seinen Kollegen, den heutigen EZB-Direktor Jürgen Stark. Der neue Vorsitzende des Sachverständigenrats, ZEW-Chef Wolfgang Franz und der Direktor des DIW, Klaus Zimmermann, sind volkswirtschaftliche Laien. Und überhaupt: Deutsche Politiker haben bestenfalls die nächsten Wahlen vor Augen, aber überblicken nicht das große Ganze der Weltwirtschaft. Und die Journaille - Flassbeck nennt Klaus Kleber und das "heute journal" - redet wirtschaftspolitisch "dummes Zeug".
So geht es munter weiter: Die Grünen sind Dilettanten, die früheren Arbeits- und Sozialminister, Walter Riester und Franz Müntefering, handelten ohne jede Beratung von Experten. Nein, niemand hat Lafontaine und Flassbeck zugehört und deswegen ist die Politik insgesamt gescheitert: Die deutsche Einheit - Helmut Kohl und nach ihm SPD und Grünen haben sie vergeigt. Die Einführung des Euro - misslungen. Die Erweiterung der EU - ein Desaster. Die deutsche und europäische Wirtschaftspolitik - eine Aneinanderreihung von Pleiten, Pech und Pannen. Die G-8/G-20-Gipfel - allesamt ohne jeden Sachverstand.
Bei all dem kommt es auf die wirtschaftspolitische Botschaft gar nicht mehr an. Sie ist - mehrheitlich aus dem Programm der "Linken" - sowieso bekannt und Flassbeck, der sich bei seinem Ego-Trip auch gerne selbst zitiert, hat sie mehr als einmal beschrieben: Löhne rauf, Binnennachfrage ankurbeln, Schulden machen auf Teufel komm raus. Ausgeglichene Haushalte seien ein Irrweg, mit dem der letzte Aufschwung "kaputt gespart" wurde. Und natürlich brauchen wir einen generellen Mindestlohn, die Riester-Rente ist Unfug, die Rente mit 67 Teufelszeug.
Über all das kann man diskutieren - sachlich und ohne Geifer. Aber in dieser Form ist das ungenießbar. Schade! Flassbeck hätte durchaus Punkte machen können, aber nicht dadurch, dass er als selbst ernannter Weltökonom alle um ihn herum zu Zwergen degradiert.
Gescheitert. Warum die Politik vor der Wirtschaft kapituliert.
Westend Verlag, Frankfurt/M. 2009; 264 S., 19,95 ¤