SAARLAND
Das Jamaika-Bündnis will Aufbruchstimmung
verbreiten, leidet aber unter der desolaten Kassenlage
Fix können sich die Zeiten ändern. Atomkraft, Wirtschaft, Innenpolitik: Scharf muten die Gegensätze zwischen CDU, FDP und Grünen an, realistisch schien ein solches Bündnis nicht zu sein. Nachdem aber bei den Wahlen an der Saar Oskar Lafontaines Linkspartei die Mehrheitsverhältnisse durcheinandergewirbelt hatte, wurden politische Glaubenssätze binnen kurzem zu Schnee von gestern. CDU-Ministerpräsident Peter Müller, am Machterhalt interessiert, preist Jamaika plötzlich als "Projekt der ökonomischen, ökologischen und sozialen Modernisierung". CDU-Generalsekretär Stephan Toscani prophezeit einen "guten Koalitionsvertrag". Grünen-Matador Hubert Ulrich bewog einen Parteitag zum Ja-Votum mit dem dicken Eigenlob, er habe für die Partei, die nur 5,9 Prozent erzielte, "wirklich einiges erreicht".
Auch andernorts macht Jamaika Furore. Für den Grünen-Bundesparteitag am 24. und 25 Oktober hatten die Fraktionsvorsitzenden aus acht Landtagen in einem Antrag das Saar-Modell als "neues Kapitel für bündnisgrüne Regierungsbeteiligungen auf Länderebene" gelobt. Schon im Vorfeld des Konvents sorgte dieser Vorstoß für Aufregung, schließlich redete ein Papier des Bundesvorstands Jamaika als "saarländisches Experiment" klein. In diesem Labor wird jetzt eifrig gebastelt. Doch so sehr auch die drei ungleichen Partner während der Verhandlungen den Eindruck perfekter Harmonie zu vermitteln versuchen, so beginnt es gleichwohl im Gebälk zu knirschen, besonders wegen zusätzlicher Ministerposten. Ein Scheitern auf der Zielgeraden ist allerdings kaum mehr vorstellbar.
Müller und FDP-Chef Christoph Hartmann haben den Grünen vieles versprochen: Abschaffung der Studiengebühren, ein integriertes Schulsystem, längere Grundschulzeit, Verzicht auf KFZ-Kennzeichenerfassung und Online-Durchsuchung, Absage an große Kohlekraftwerke, Erleichterung von Volksbegehren. Ausgerechnet im locker-lebenslustigen Saarland soll es nach dem Willen der Grünen künftig die bundesweit repressivsten Rauchverbote geben, obwohl doch die stärkere FDP (9,2 Prozent) eine Liberalisierung angekündigt hatte.
Zu schaffen machen dürfte Jamaika die desolate Finanzlage: Bei einem Jahresetat von 3,4 Milliarden Euro ist das Land mit mehr als zehn Milliarden dramatisch überschuldet. Wegen der Kassenlage wurde auch auf einem kleinen CDU-Parteitag Kritik an der Absicht laut, die Zahl der Minister von sieben auf neun zu erhöhen. Um Ulrich zu ködern, bot Müller den Grünen neben dem Umwelt- noch das Bildungsressort an. Zum Ausgleich bekommen die Liberalen das Wirtschaftsministerium und ein neues Ressort "Gesundheit und demographischer Wandel". Damit die CDU (34,5 Prozent) neben Müller fünf Minister erhält, sollte die Justiz zum eigenständigen Ressort werden und an die Union gehen.
Der Bund der Steuerzahler kritisiert, dass zwei neue Ministerien über fünf Jahre fünf Millionen Euro zusätzlich kosten. Als "Unverschämtheit" attackiert Linken-Landeschef Rolf Linsler den Plan, trotz der Sparzwänge wegen des "Jamaika-Proporzes" die Ressortzahl zu erhöhen. Nach Medienberichten erwägt die CDU angesichts der Proteste neuerdings, es möglicherweise bei acht Ministern zu belassen, am Kabinettstisch hätte man samt Ministerpräsident Müller mit fünf Stimmen ja noch eine knappe Mehrheit.
Unklar ist, wie die Koalition angesichts leerer Kassen den Ausbau der Ganztagsschulen finanzieren will. Vereinbart wurde auch, neben dem Gymnasium ein integriertes System mit allen Schularten zu etablieren: Der nötigen Verfassungsänderung müssten jedoch SPD und Linke zustimmen, SPD-Chef Heiko Maas will aber keinen "Persilschein" ausstellen.
Unter anderem wegen des Streits um die Grundschuldauer brach in der Saar-GEW ein Aufstand gegen den Vorsitzenden Klaus Kessler (Grüne) los, der als Bildungsminister im Gespräch ist. War zunächst von sechs Jahren gemeinsamen Lernens die Rede, so später plötzlich nur noch von fünf Jahren. Stattdessen wird erwogen, das letzte Kindergartenjahr verpflichtend zu machen.
SPD und Linken wird es an Stoff für Kritik vermutlich nicht mangeln, doch sie müssen die harten Oppositionsbänke drücken. Das Tischtuch zu den Grünen dürfte zerschnitten sein: Lafontaine und Maas empören sich, während der Sondierungsgespräche von Ulrich hinters Licht geführt worden zu sein, der parallel bereits die parteiinterne Mehrheit für CDU und FDP gezimmert habe. Lafontaine spricht von "Schmierenkomödie", Maas wirft Ulrich "Unaufrichtigkeit und Verlogenheit" vor. Für vorgeschoben halten SPD und Linke das Argument des Grünen, trotz inhaltlicher Übereinstimmung sei Rot-Rot-Grün wegen der Gefahr der Instabilität nicht in Frage gekommen, da sich Lafontaine im Falle von Rot-Rot-Grün in der Rolle des Fraktionschefs als "Nebenministerpräsident" habe installieren wollen.
Dass Lafontaine längerfristig Fraktionsvorsitzender an der Saar bleiben wird, gilt als eher unwahrscheinlich. Nur im Falle von Rot-Rot-Grün wollte er sich definitiv derart engagieren. Der Linken-Matador hat ja weiterhin die bundespolitische Bühne.
Härter trifft Jamaika Heiko Maas, der jetzt als Hoffnungsträger für die Bundes-SPD ausfällt: Im Personaltableau um Sigmar Gabriel sollte der Saarländer den Siegertyp verkörpern, der an der Spitze von Rot-Rot-Grün als mehrheitsfähiger Alternative zu Schwarz-Gelb punktet. z