Polit-Talkshows
Analysen, Bewertungen und Erfahrungsberichte zu einem TV-Phänomen
Anne Will", "Maybrit Illner," "Menschen bei Maischberger", "Hart aber fair" lauten die Titel der bekanntesten deutschen Polit-Talkshows. Ihre Zahl ist in den vergangenen Jahren rapide gestiegen. Bei den Zuschauern erfreut sich das Sendeformat - schließt man aus den Einschaltquoten - einiger Beliebtheit: 3,6 Millionen Menschen schauten 2008 im Schnitt bei Anne Will zu, drei Millionen bei "Hart aber fair" und immerhin 2,4 Millionen Zuschauer konnte Maybrit Illner durchschnittlich pro Ausgabe an sich binden. Grund genug für Sascha Michel und Heiko Girnth sich in ihrem Band "Polit-Talkshows - Bühnen der Macht. Ein Blick hinter die Kulissen" näher mit diesem Phänomen zu beschäftigen. Auf 207 Seiten lassen sie 26 mehr oder weniger bekannte Politiker, Journalisten, Wissenschaftler und Kabarettisten zu Wort kommen.
Was macht den Erfolg von Talkshows aus? Was passiert, wenn die Kameras aus sind? Wie bereiten sich Politiker auf die jeweiligen Diskussionen vor? Wie fühlt es sich an, sich auf dieser medialen Bühne zu bewegen, und welche Auswirkungen hat es? Dies sind die Leitfragen, an denen sich die verschiedenen Beiträge entlanghangeln. Plädoyers für Talkshows als sinnvollem Bestandteil der Politik wechseln sich dabei ab mit kritischen Betrachtungen zu den Inhalten und Funktionsmechanismen der Talk-Formate. Die Einteilung der Texte und Interviews mutet dabei allerdings nicht ganz einleuchtend an: So firmiert beispielsweise die Erörterung des FDP-Politikers Wolfgang Gerhardt, ob Polit-Talkshows Kommunikation oder ein Kampf aller gegen alle seien, unter "Politiker auf der Talkshow-Bühne". Die inhaltlich sehr verwandten Ausführungen seines Parteikollegen und jetzigen Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel, ob Talkshows Selbstgespräch oder Dialog seien, werden hingegen als Beitrag zum Pro und Kontra des Polit-Talks gewertet.
Erstaunlich sind solche Ungenauigkeiten umso mehr, da sich mit Sascha Michel und Heiko Girnth zwei Sprachwissenschaftler und Kommunikationsexperten als Herausgeber zusammengefunden haben. Michel, studierter Anglist und Germanist, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kulturwissenschaft an der Universität Koblenz-Landau, wo er Kurse zu politischer Kommunikation und journalistischen Darstellungsformen hält. Girnth ist Professor am Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas der Universität Marburg und veröffentlichte bereits einige Bücher zum Verhältnis von Sprache und Politik. Die Orientierung in dem Band erleichtern beide dem Leser allerdings nicht. Dies ist besonders ärgerlich, da sowohl die Qualität als auch die Zugänglichkeit der nebeneinander gestellten Beiträge erheblich schwankt.
Während Universitätsprofessoren wie Karl-Rudolf Korte und Jo Groebel ihre Texte wie für einen wissenschaftlichen Sammelband formulieren, mit zahlreichen Fußnoten versehen, und versuchen, ein tieferes Verständnis der Bedeutung und Funktionsweise von Talkshows zu vermitteln, äußern die beteiligten Politiker ihre Einschätzungen meist weitaus subjektiver. Einige Interessante Einblicke eröffnet der Band dennoch. Etwa dann, wenn der Mainzer Politikprofessor Jürgen W. Falter offen beschreibt, wie er erst ohne eigenes Zutun zum medial gefragten Parteien- und Wahlexperten wurde und bei Sabine Christiansen zum am dritthäufigsten eingeladenen Studiogast avancierte, um dann nach einer kritischen Äußerung zur Sendung in einem Interview recht unsanft von der Abschiedsparty anlässlich der letzten Sendung ausgeladen zu werden.
Ein Fazit oder eine Wertung ziehen die Herausgeber übrigens nicht aus den Beiträgen der verschiedenen Autoren. Ob politische Talkshows wichtig oder unerträglich sind, das muss jeder für sich selbst entscheiden. Nach der Lektüre dieses Bandes ist man jedoch definitiv eines: ein mündigerer Zuschauer.
Polit-Talkshows - Bühnen der Macht. Ein Blick hinter die Kulissen.
Bouvier Verlag, Bonn 2009; 192 S., 18,90 ¤