44. Sitzung
Berlin, Freitag, den 21. Mai 2010
Beginn: 9.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich teile Ihnen mit, dass der Kollege Hellmut Königshaus aufgrund seiner Ernennung und gestrigen Vereidigung zum Wehrbeauftragten auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet hat. Als Nachfolger begrüße ich den Kollegen Holger Krestel.
Herzlich willkommen und gute Zusammenarbeit!
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen wir einen Geschäftsordnungsantrag behandeln. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP haben fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung um die zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus zu erweitern. Die Vorlage soll heute als Zusatzpunkt 13 in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 27 als erster Punkt mit einer auf zwei Stunden verlängerten Debattenzeit beraten werden. Dazu gibt es kein Einvernehmen. Deswegen wollen wir darüber in einer Geschäftsordnungsrunde diskutieren und dann über diesen Antrag befinden.
Gegen diesen Aufsetzungsantrag hat sich die Kollegin Dagmar Enkelmann zu Wort gemeldet, der ich hiermit das Wort erteile.
Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktion Die Linke stimmt der Aufsetzung des genannten Gesetzentwurfes auf die Tagesordnung nicht zu. Kommen Sie mir jetzt nicht mit der Verantwortung, die wir für Europa zu übernehmen haben!
Das Verfahren in dieser Woche ist verantwortungslos.
Sie haben in dieser Woche in einem Schnellverfahren über die Vergabe von über 100 Milliarden Euro entschieden. Das Parlament wird erneut zu einer Abstimmungsmaschinerie degradiert. Die Linke sagt: Damit muss endlich Schluss sein.
Wir teilen ausdrücklich Ihre Kritik, Herr Präsident, an diesem Verfahren, am Umgang der Regierung mit dem Parlament. Wir, das Parlament, sind nicht das Marionettentheater der Regierung.
Im Übrigen will ich die Fraktionsvorsitzenden daran erinnern, dass die Kanzlerin im Gespräch mit ihnen versprochen hat, dass die abschließende Lesung hier im Bundestag erst stattfindet, wenn der europäische Vertrag vorliegt. Der Vertrag liegt bis heute nicht vor.
Sie, meine Damen und Herren, geben sich jetzt mit Eckpunkten zufrieden. Wie diese Eckpunkte im Vertrag tatsächlich geregelt werden, ist bis heute völlig offen. Es ist also die Frage, inwieweit die nationalen Parlamente beteiligt werden, inwieweit eine Kontrolle erfolgt. Das alles sind Fragen, die bis heute offen sind. Sie meinen möglicherweise, das sei unwichtig. Die Linke sagt: Das ist wichtig für die Entscheidung in diesem Hohen Hause.
Wir wollen nicht die Katze im Sack kaufen.
Das ist auch nicht durch Ihren im Ausschuss vorgelegten Änderungsantrag geheilt, in dem Sie sagen: Na gut, wenn der Vertrag nächste Woche da ist, dann werden wir mal den Haushaltsausschuss informieren. - Hier entscheidet heute dieses Parlament, der gesamte Bundestag, nicht der Haushaltsausschuss, der irgendwann mal informiert wird.
Es wäre durchaus möglich, zum Beispiel eine Sondersitzung einzuberufen, wenn der Vertrag da ist. Das hätten wir diskutieren können. Das haben Sie abgelehnt. Sie wollen dieses Schnellverfahren innerhalb von einer Woche. Nein, von einem seriösen Verfahren kann hier keine Rede sein.
Es war keine Zeit, wirklich über Alternativen zu beraten. Heribert Prantl hat in der Süddeutschen Zeitung völlig zu Recht festgestellt: Die Regierung behauptet, dieses Milliardenpaket sei alternativlos, und wir glauben das alles. - Das heißt: Die Regierung stellt das Parlament de facto kalt, und das Parlament oder, sagen wir mal so, eine Mehrheit in diesem Parlament lässt sich auch noch kaltstellen.
Es war auch keine Zeit, die Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes zu prüfen. Die ersten Verfassungsklagen sind angekündigt.
Es war auch keine Zeit, die Folgen oder die langfristigen Auswirkungen des heute vorliegenden Gesetzentwurfes zu prüfen, unter anderem zu prüfen, welche Belastungen künftig auf die Bürgerinnen und Bürger zukommen. Es wird noch schlimmer! Schauen Sie sich den Gesetzentwurf einmal an! Darin steht nämlich:
Die mittelbaren finanziellen Auswirkungen sind nicht bezifferbar.
Das hätten wir als Linke mal in einem Antrag formulieren sollen! Das hätten Sie uns um die Ohren gehauen! Die Regierung darf das ungestraft tun.
Nein, meine Damen und Herren, ein so unsolides, unseriöses Gesetzgebungsverfahren ist mit der Linken nicht zu machen. Da wächst kein Vertrauen in die Stabilisierung des Euro, und da wächst auch kein Vertrauen in diese Regierung. Das haben Sie längst verspielt. Ich finde, Sie können einpacken.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Für die CDU/CSU-Fraktion erhält der Kollege Peter Altmaier das Wort.
Peter Altmaier (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten und entscheiden heute über eines der wichtigsten Gesetzgebungsvorhaben der letzten Jahre.
Gerade weil dies so ist, sollten wir im Interesse der Legitimation und der Legitimität dieses Parlaments gemeinsam das zum Ausdruck bringen, was über jeden Zweifel erhaben ist: dass das Gesetzgebungsverfahren zwar zügig, aber in Punkt und Komma in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Vorschriften und den Vorgaben der Geschäftsordnung durchgeführt worden ist.
Wir haben es mit einem ganz normalen, regulären Gesetzgebungsvorhaben zu tun, wie es in der Geschichte dieses Parlaments schon häufig vorgekommen ist.
Darum geht es Ihnen ja auch nicht, Frau Enkelmann. Tun Sie nicht so! Führen Sie die Leute nicht hinter die Fichte, indem Sie irgendwelche Quisquilien und technischen Argumente anführen!
Ich will Ihnen etwas vorlesen: Vertrag von Maastricht, 1992: CDU/CSU, SPD, FDP: ja, Linke: nein. Vertrag von Amsterdam, 1997: CDU/CSU, SPD, FDP: ja, Linke: nein.
Vertrag von Nizza: CDU/CSU, SPD, FDP: ja, Linke: nein.
Verfassungsvertrag - da hatten Sie keinen Fraktionsstatus, es waren nur zwei MdBs vertreten -: Stimmverhalten: nein. Vertrag von Lissabon: ebenfalls nein.
Heute reden wir über ein weiteres europäisches Vorhaben ersten Ranges, und Sie sagen wieder Nein.
Sehr geehrter Herr Gysi, sehr geehrte Frau Enkelmann, wir haben eine Partei vor uns, die zutiefst antieuropäisch empfindet und sich destruktiv verhält.
Solange Sie diese Haltung nicht ändern, werden wir Sie im parlamentarischen Verfahren nicht als Partner akzeptieren.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, soweit ich weiß, wird sich Bündnis 90/Die Grünen heute Morgen dem Antrag der Linkspartei anschließen.
Ich will hier in aller Deutlichkeit sagen, Herr Trittin: Im Gegensatz zur Linkspartei ist die europäische Überzeugung von Bündnis 90/Die Grünen über jeden Zweifel erhaben.
Das haben Sie in den letzten Jahren in diesem Parlament wiederholt bewiesen, zuletzt bei der Verabschiedung des Griechenlandpaketes. Das ist auch ein Beweis für demokratische Reife.
Nur, Herr Trittin, ich habe nicht verstanden, wie Sie bei der Frage des Griechenlandpaketes ein mutiges Signal Ihrer europäischen und demokratischen Reife geben konnten und jetzt, 14 Tage später, so tun können, als hätten Sie mit all dem nichts zu schaffen, und dies unter Berufung auf zugegebenermaßen wichtige, aber technische Fragen im Zusammenhang mit diesem Gesetzgebungsvorhaben.
Wir haben im Haushaltsausschuss mit Ihrer Unterstützung die Beteiligungsrechte des Parlamentes verschärft. Die Bundesregierung ist ihrer Verpflichtung nachgekommen. Wir haben Ihnen die Eckpunkte der Zweckgesellschaft vorgelegt. Wir haben darauf hingewiesen, dass es in der Sache keine Änderungen und keine Regelungen geben wird, die dem Parlament nicht vorher mitgeteilt werden.
Ich kann Ihnen sagen, was seit der Entscheidung zu Griechenland geschehen ist: Die SPD hat sich damals in die Büsche geschlagen, und nun hoppeln Sie in die Büsche hinterher. Nur - das sieht man in Nordrhein-Westfalen - ist die SPD schon längst einen Busch weiter.
Deshalb sage ich Ihnen: Sie sollten sich an Ihrem Altmeister Joschka Fischer orientieren. Ich bin davon überzeugt, dass Joschka Fischer, wenn er in dieser Situation Vorsitzender der Grünenfraktion wäre, sagen würde: Wir können doch in einer politischen Gestaltungsfrage ersten Ranges nicht über eine haushaltsrechtliche Einzelfrage den Kurs der Grünen bestimmen.
Wenn er heute Morgen vor dem Fernsehschirm sitzt, wird er Ihnen - wahrscheinlich nicht der Fraktion, aber den beiden Fraktionsvorsitzenden - vermutlich seinen Lieblingsspruch zurufen: Avanti Dilettanti!
Ich bin am Ende meiner Ausführungen. Herr Steinmeier ist nicht da, Herr Gabriel ist nicht da.
- Wunderbar. - Ich will am Ende noch einmal einen Appell an die sozialdemokratische Partei in diesem Hause richten. Wir haben seit den 50er-Jahren alle grundlegenden Fragen der europäischen Integration bei vielerlei Unterschieden im Detail gemeinsam diskutiert und gemeinsam entschieden. Sie haben sich bei der Griechenlandfrage für Enthaltung entschieden. Sie haben gesagt: Wir wollen ein klares Signal, dass die Märkte und die Banken an den Kosten der Krise beteiligt werden. Das war auch unser Anliegen.
Wir - CDU/CSU und FDP gemeinsam - sind Ihnen in dieser Frage mit einer klaren Aussage entgegengekommen. Die Märkte haben das realisiert. In ganz Europa wird die Bundesrepublik Deutschland als Vorkämpferin für eine bessere Regulierung und eine vernünftige Eindämmung der Spekulationen angesehen.
Nur Sie wollen das nicht wahrhaben, weil Sie glauben, dass Sie damit die eine oder andere Stimme gewinnen können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir entscheiden heute über sehr viel Geld. Es ist eines der wichtigsten Gesetzgebungsvorhaben, nicht nur, weil es um Geld geht, sondern weil es im Kern um die Frage geht, ob wir es schaffen, unser Modell der sozialen Marktwirtschaft in einer globalen Welt zu verteidigen. Dazu sind wir bereit, und dafür möchte ich Sie noch einmal um Ihre Unterstützung bitten.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Der Kollege Thomas Oppermann erhält nun für die SPD-Fraktion das Wort.
Thomas Oppermann (SPD):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Altmaier, natürlich ist das Verfahren nicht irregulär. Sie halten die Fristen ein, und Sie haben das Recht, diesen Punkt heute auf die Tagesordnung zu setzen.
Wir werden dem nicht widersprechen. Wenn die Regierungsmehrheit heute über diese Frage entscheiden will, dann sollen Sie darüber nach unserer Überzeugung auch entscheiden dürfen.
Aber das ist noch lange kein angemessener Umgang mit diesem Parlament.
Wir sollen heute über Bürgschaften in Höhe von 148 Milliarden Euro entscheiden, aber wir kennen noch nicht die vertraglichen Grundlagen, nach denen diese Kredite bzw. Bürgschaften vergeben werden. Ich finde, das ist für jeden Abgeordneten in diesem Haus eine Zumutung.
Wir sollen schnell entscheiden. Ich frage Sie, Frau Bundeskanzlerin: Warum haben Sie denn nicht gemeinsam mit den Regierungen in Europa schneller gearbeitet?
Ist es denn unzumutbar, dass die Regierungen zwei Wochen lang Zeit haben, eine vertragliche Regelung herbeizuführen, damit die Parlamente entscheiden können? Das ist doch das Selbstverständlichste von der Welt.
Es fällt auf, dass ohnehin mit sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten gearbeitet wird,
je nachdem, welcher Gegenstand betroffen ist. Heute sollen wir innerhalb einer Woche entscheiden. Aber in Ihrer Vorhabenplanung, Frau Bundeskanzlerin, steht: Umsetzung der Bankenrichtlinie: geplant für September 2010;
Gesetz zur Verstärkung des Anlegerschutzes: geplant für Februar 2011;
Bankenabgabe: Verabschiedung geplant für Februar 2011.
Es fällt, wie gesagt, auf, dass mit verschiedenen Geschwindigkeiten gearbeitet wird, je nachdem, ob es darum geht, Banken zu retten oder nervöse Finanzmärkte zu beruhigen, oder ob es darum geht, die Bürgerinnen und Bürger durch Finanzmarktregulierungen vor diesen Finanzmärkten zu schützen.
Ich sage Ihnen, Frau Bundeskanzlerin: Wir werden es nicht hinnehmen, dass Sie aus dem Deutschen Bundestag ein Parlament der zwei Geschwindigkeiten machen.
Glauben Sie nicht, dass den Bürgerinnen und Bürgern nicht auffällt, dass das eine ganz schnell geht und das andere unendlich lange dauert?!
Es ist in der Tat so: Wir haben heute eine der schwierigsten Entscheidungen zu treffen, die der Deutsche Bundestag jemals treffen musste. Dies ist die vierte gravierende Entscheidung in dieser Wahlperiode. Ich muss Ihnen das einmal in Erinnerung rufen: Die erste Entscheidung war das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz, mit dem 1 Milliarde Euro für die Hotelketten bewilligt wurde; das war die Mövenpick-Milliarde.
Die zweite gravierende Entscheidung war der Haushalt 2010. Wir haben einen Haushalt mit einer Nettokreditaufnahme in Höhe von 80 Milliarden Euro verabschiedet, der höchsten Nettokreditaufnahme in der Geschichte der Bundesrepublik.
- Ganz ruhig. Nur weil Sie eine Tu-nichts-Regierung sind, sind wir noch lange kein Abnickparlament.
Bei der dritten gravierenden Entscheidung ging es um die 22 Milliarden Euro, die wir vorvergangene Woche für Griechenland bewilligt haben.
Heute geht es um 148 Milliarden Euro. Ich sage Ihnen: Über insgesamt mehr als 250 Milliarden Euro haben Sie in den ersten sechs Monaten dieser Wahlperiode zusätzlich entschieden.
Das ist eine Viertelbillion Euro, Frau Bundeskanzlerin. Damit sind Sie schon heute die Schuldenregierung, die Regierung, die in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland die meisten Schulden gemacht hat.
Ich bitte Sie: Machen Sie jetzt endlich Ihre Hausaufgaben, damit Sie nicht schon bald das nächste Rettungspaket schnüren müssen. Sie haben Ihr Konto maßlos überzogen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Jörg van Essen für die FDP-Fraktion.
Jörg van Essen (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute eine schwere Entscheidung zu treffen. Wir alle sind in der Verpflichtung, auch in der Diskussion dieser besonderen Situation gerecht zu werden.
Ich werbe nachdrücklich dafür, dass wir das auch nach außen hin deutlich machen.
Es ist doch schon erstaunlich: Über Wochen wirft die Opposition der Regierung vor, dass sie nicht schnell genug entscheidet, dass sie bestimmte Entscheidungen nicht schnell genug herbeigeführt hat. Jetzt geht auf einmal alles viel zu schnell.
Gerade in schwierigen Zeiten ist es gut, wenn man dem Rat folgt, den jemand gibt, der insgesamt großes Ansehen genießt, und zwar berechtigt. In dieser Woche - ein Kollege hat es mitgeschrieben - ist in der Anhörung des Haushaltsausschusses vorgetragen worden: ?Es ist unabdingbar, am Freitag? - am heutigen Tage also - ?das Gesetzgebungsverfahren abzuschließen. Es ist unabdingbar. Man muss daher ohne Wenn und Aber in dieser Woche zu Ende kommen, um weitere Skepsis und weitere Verunsicherungen zu vermeiden.? - Das war die Empfehlung des Präsidenten der Bundesbank.
Wir sollten genau dieser Empfehlung folgen.
Damit werden wir der Verpflichtung unseres Parlaments gerecht.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Der Kollege Volker Beck hat nun für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Fraktion widerspricht der Aufsetzung des Gesetzentwurfes auf die Tagesordnung am heutigen Freitag, und zwar nicht, weil wir gegen den geplanten Stabilisierungsmechanismus wären, sondern weil wir ihn sorgfältig beraten und in Kenntnis aller Unterlagen und Grundlagen beschließen wollen. Diese Grundlagen liegen nicht vor. Was uns vorliegt, ist ein kleiner Zettel mit ein paar Kriterien für den Vertrag über die Zweckgesellschaft.
Herr van Essen, Sie verlangen heute von uns - und das ohne Not -, dass wir unsere Rechte auf Mitwirkung in der Europäischen Union und unser Budgetrecht aufgeben und an die Regierung delegieren. Das ist hochgefährlich.
Es gibt bereits einen Abgeordneten von der Union, der angekündigt hat, gegen das Gesetz zu klagen. Was bewirkt es für die Stabilisierung der Finanzmärkte, wenn der Abgeordnete am Ende zu Recht die Verletzung seiner Organrechte vom Bundesverfassungsgericht bestätigt bekommt und Ihnen das Ganze um die Ohren fliegt? Dann haben Sie mit Zitronen gehandelt und ein Desaster für die Europäische Union angerichtet.
Das Gesetzgebungsverfahren hat schon auf der Ebene der Europäischen Union mit einem ersten Verfassungsbruch begonnen: Am 7. Mai wurden Sie darüber unterrichtet, dass man dringend einen solchen Mechanismus schaffen muss. Frau Bundeskanzlerin, haben Sie den Deutschen Bundestag unverzüglich darüber unterrichtet? Nein. Am 9. Mai waren nämlich Wahlen in Nordrhein-Westfalen. Sie haben abgewartet; Sie haben dieser Verordnung zugestimmt, ohne dem Bundestag das Recht zur Stellungnahme zu geben.
Damit haben Sie die Rechte dieses Parlamentes verletzt.
Heute wollen Sie eine Blankovollmacht für die weiteren Verhandlungen. Warum sollte die Opposition Ihnen eine Blankovollmacht ausstellen? Sie sind uns am Anfang der Woche entgegengekommen und haben gesagt, dass am Freitag die Grundlagen vorliegen; sie liegen nicht vor. Sie haben versucht, uns mit der Zusage zu locken, eine Finanzmarktsteuer einzuführen. Hinterher haben Sie uns dann gesagt: Das könnte die Finanzaktivitätsteuer, die Finanztransaktionsteuer oder eine Kombination aus beidem sein. Sie sind nicht entscheidungsfähig. Sie sind die Bremse in Europa, wenn notwendige Maßnahmen rechtzeitig verabschiedet werden müssen. Das war bei der Griechenlandhilfe so, das ist bei der Finanzmarktsteuerung so. Warum sollten wir Ihnen hier einen Blankoscheck ausstellen?
Meine Damen und Herren, zahlreiche Fragen, die sich im Zusammenhang mit dem geplanten Mechanismus stellen, sind in dieser Woche nicht geklärt worden. Die Kommission handelt hier - auf Wunsch der Bundesregierung - außerhalb des EU-Vertrages und offenbar im Sinne der Unterstützung der Nationalstaaten. Wer kontrolliert die Europäische Kommission bei dieser Tätigkeit? Wenn wir Ihnen heute hinsichtlich dieser Fragen einen Blankoscheck ausstellen, haben wir unsere Rechte abgegeben; das Europäische Parlament ist nicht zuständig.
Zu der zwischenstaatlichen Vereinbarung zur Errichtung einer Zweckgesellschaft - wir kennen sie nicht, und auf dem Zettel steht dazu nichts - stellen sich einige Fragen: Soll dies eine zivilrechtliche Vereinbarung nach luxemburgischem Recht sein, bei der die Bundesregierung den Bundestag nicht konsultieren muss? Oder ist nicht doch eine völkerrechtliche Vereinbarung nötig und vorgesehen? Dann muss sie hier im Deutschen Bundestag beraten werden. All diese Fragen haben Sie nicht geklärt, und Sie wollen die Klärung an die Bundesregierung delegieren. Das ist fahrlässig und entspricht nicht der Seriosität dieses Parlamentes.
Wir schlagen vor, den Gesetzentwurf heute von der Tagesordnung abzusetzen und den Bundestagspräsidenten zu bitten, dann, wenn die Grundlagen hierfür vorliegen, unverzüglich den Deutschen Bundestag, auch in der Pfingstpause, einzuberufen, damit wir die notwendigen Entscheidungen treffen. Andere Länder wie Frankreich haben in dieser Woche auch nicht entschieden. Sie wissen doch: Der Mechanismus greift erst, wenn alle entschieden haben, die Vereinbarungen stehen und die Satzung für die Zweckgesellschaft vorliegt. Vorher kann nichts greifen.
Bis dahin ist bereits eine Regelung in Kraft: 60 Milliarden Euro der Europäischen Union stehen für notwendige Maßnahmen unmittelbar zur Verfügung. Deshalb droht, wenn wir die heutige Entscheidung vertagen, keine Unsicherheit für die Finanzmärkte, es droht insbesondere keine verfassungsrechtliche Krise bei der Verabschiedung dieses Paketes, und wir, der Deutsche Bundestag, können diese Frage seriös in Verantwortung gegenüber unseren Wählerinnen und Wählern sowie den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern beraten und entscheiden und die Verantwortung für diese schwierige Entscheidung dann gemeinsam tragen.
Sie wollen die Opposition daran hindern, hier mitzumachen. Aber darum geht es Ihnen gar nicht; das haben wir am Mittwoch erlebt. Die FDP-Fraktion sagt uns ja: Es ist uns egal, ob die Opposition dafürstimmt oder dagegenstimmt,
Hauptsache, wir bekommen das durch. - Dies liegt nur an einem: Sie glauben, dass Sie Ihre Mehrheiten in der nächsten oder übernächsten Woche womöglich gar nicht mehr zusammenbekommen; denn das Misstrauen Ihrer Fraktionen gegenüber der eigenen Regierung in diesen Fragen ist ja sinnfällig; das hören wir aus Ihren Fraktionssitzungen.
Deshalb, aus Angst davor, dass Ihnen der Laden auseinanderläuft, drücken Sie das Ganze hier mit aller Gewalt und gegen die Rechte des Deutschen Bundestages durch.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Aufsetzungsantrag. Wer für den Aufsetzungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP stimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Aufsetzungsantrag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion angenommen.
Ich rufe nun den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 13 sowie die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 c auf:
ZP 13 Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus
- Drucksache 17/1685 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)
- Drucksache 17/1740 -
Berichterstattung:
Abg. Norbert Barthle
Carsten Schneider (Erfurt)
Otto Fricke
Roland Claus
Alexander Bonde
27. a) Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Stabilisierung des Finanzsektors - Eigenkapitalvorschriften für Banken angemessen überarbeiten
- Drucksache 17/1756 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der geänderten Bankenrichtlinie und der geänderten Kapitaladäquanzrichtlinie
- Drucksachen 17/1720, 17/1803 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
c) Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht über die Umsetzung der neu gefassten Bankenrichtlinie und der neu gefassten Kapitaladäquanzrichtlinie
- Drucksache 16/13741 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Zu dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP liegen zwei Entschließungsanträge der SPD-Fraktion sowie je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Ich mache schon jetzt darauf aufmerksam, dass wir am Schluss dieser Debatte insgesamt vier namentliche Abstimmungen durchführen werden, zunächst über den Gesetzentwurf, dann über die beiden Entschließungsanträge der SPD-Fraktion und schließlich über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst der Kollege Dr. Michael Meister für die CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Michael Meister (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir als christlich-liberale Koalition wollen ein lebendiges und funktionierendes Europa, und wir stehen für einen stabilen Euro. Diese Verantwortung werden wir heute früh im Deutschen Bundestag wahrnehmen. Ich würde mich freuen, wenn auch die Kollegen der Opposition bereit wären, Verantwortung für Deutschland und unsere gemeinsame Währung zu übernehmen, und nicht davonlaufen würden.
Herr Oppermann, Sie sollten sich die Frage stellen, wie Ihre Absicht, sich zu enthalten, von Ihren Kollegen im Europäischen Parlament und von den Regierungen, die von mit Ihnen befreundeten Parteien in anderen europäischen Ländern gestellt werden, wahrgenommen wird. Ich glaube, Sie geben ein Bild ab, das als schwer erträglich empfunden wird.
Wenn wir einen stabilen Euro haben wollen, dann müssen wir aus meiner Sicht drei Maßnahmen ergreifen:
Erstens. Wir müssen den Euro wetterfest machen. Wir haben festgestellt, dass die Regelungen, die der Vertrag von Maastricht enthält, zwar auf dem Papier stehen, aber bedauerlicherweise nicht eingehalten werden. Deshalb brauchen wir eine Stärkung des Maastrichter Vertrages. Dazu hat gestern Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble seinen Kollegen in der Euro-Gruppe Vorschläge gemacht. Heute Nachmittag wird damit begonnen, über Änderungen am Vertrag zu sprechen. Wir als Fraktion wünschen ausdrücklich, dass diese Dinge energisch und zeitnah vorangetrieben werden, damit wir in Zukunft ein festeres Fundament für den Euro gewährleisten können.
Zweitens. Wir brauchen eine Stärkung der Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaften in der Euro-Gruppe. An dieser Stelle müssen wir eine Debatte nach dem Motto ?Alle müssen stärker werden? führen. Wir dürfen keine Debatte nach dem Motto ?Wie kann der Stärkere schwach werden?? führen. Wir müssen gemeinsam unsere wirtschaftliche Leistungskraft steigern. In diesem Sinne müssen wir die Debatte bestreiten.
Das ist nicht ganz einfach, weil nicht alle dieselbe Philosophie haben. Deshalb sagen wir Ja zu mehr Koordination in der Wirtschaftspolitik, aber in richtig verstandenem Sinne. Wir müssen auch in Zukunft wettbewerbsfähig sein, nicht nur in, sondern auch über Europa hinaus, also gegenüber China, Indien und den USA. Deshalb müssen wir gemeinsam unsere wirtschaftliche Leistungskraft stärken.
Drittens. Wir haben es gesehen: Wenn jemand schwach ist, wird das von den Kapitalmärkten entdeckt. Sie versuchen, Schwächen auszunutzen. Mit Blick auf die Finanzkrise, die wir erlebt haben, und mit Blick auf die Schuldenkrise, die wir gegenwärtig erleben, müssen wir deshalb für eine bessere Regulierung der Kapitalmärkte sorgen.
Für diese drei Aufgaben brauchen wir zeitnahe Lösungen. Heute wird es keine Lösungen geben, aber wir müssen darum ringen, dass sie möglichst schnell kommen. Damit wir die Zeit haben, Lösungen auf den drei Problemfeldern zu erreichen, brauchen wir das Nothilfepaket, das heute auf dem Tisch liegt. Deshalb möchte ich Sie alle bitten, dieses Paket zu unterstützen, damit wir die Zeit haben, die richtigen Weichenstellungen in Europa treffen zu können.
Die Schuldenkrise in Europa hat aus meiner Sicht zwei Ursachen. Eine Ursache ist die Finanz- und Wirtschaftskrise, in der die Staaten zum einen durch die Rettung der Finanzinstitute und zum anderen durch die Stabilisierung der Konjunktur mittels staatlich finanzierter Programme versucht haben, diese Krise abzumildern. Die zweite Ursache liegt allerdings in der Struktur. Über viele Jahre hinweg wurde in fast allen europäischen Staaten mehr Geld ausgegeben als eingenommen. Deshalb müssen wir eine Veränderung des Verhaltens herbeiführen. Ich bin der Meinung, wir sollten nicht auf andere schauen, sondern wir sollten bei uns beginnen. Wir sollten ein Vorbild sein, eine positive Rolle spielen und versuchen, unser Budgetdefizit strukturell auszugleichen. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen.
Ich bin sehr einverstanden mit unserer Position, die die Frau Bundeskanzlerin vor zwei Tagen hier vorgetragen hat. Wir sprechen heute über die Frage: Sind wir mit anderen Ländern in der EU solidarisch, die möglicherweise noch nicht vollständig das realisiert haben, was wir ab 2005 getan haben? Wir haben in Deutschland ab 2005 unseren Haushalt konsolidiert und dadurch dafür gesorgt, dass wir heute in der Lage sind, Antworten auf Finanz-, Wirtschafts- und Schuldenkrise geben zu können. Wenn wir diese Konsolidierungsleistung nicht erbracht hätten, könnten wir diese Antwort heute nicht geben.
Andere Länder haben diese Anstrengungen nicht ganz in dem Umfang wie wir unternommen. Deshalb muss man jetzt an dieser Stelle sagen: Solidarität mit anderen, ja, aber notwendigerweise verbunden mit der Forderung nach Solidität, damit das Ganze nicht zu einer bedingungslosen Hilfsaktion wird, die dann letzten Endes dazu führt, dass wir alle nicht mehr leistungsfähig sind. Vielmehr müssen wir dafür sorgen, dass die jetzt geleistete Solidarität dazu führt, dass alle miteinander die Chance haben, leistungsfähiger zu werden.
Nun haben einige Kollegen kritisiert, dass eine wesentliche Vereinbarung bezüglich dessen, worüber wir heute entscheiden, nicht vorliegt. Ich will zum einen festhalten, dass es eine hervorragende Leistung von Thomas de Maizière, Wolfgang Schäuble und der Bundeskanzlerin war, klare Eckpunkte dazu aufzustellen, wie diese Zweckgesellschaft ausgestaltet werden soll.
Es ist wichtig, dass der deutsche Wunsch nach Stabilität in diesen Eckpunkten deutlich zum Ausdruck gebracht wird. So gibt es keine gesamtschuldnerische Haftung. Die Nothilfen werden zeitlich befristet und eben nicht als ein dauerhaftes Instrument eingerichtet. Die Auszahlung der Tranchen muss jeweils einstimmig erfolgen. Schließlich wird sie an Konsolidierungsauflagen für die betroffenen Länder gebunden. Ein entscheidender Punkt aus meiner Sicht ist auch, dass wir den Internationalen Währungsfonds für die operationelle Umsetzung mit eingebunden haben.
Zum anderen sind die Auflagen in dem Gesetzentwurf, den wir heute debattieren, strenger als in dem Gesetz, das wir vor 14 Tagen mit Blick auf Griechenland beschlossen haben.
Im vorliegenden Gesetzentwurf steht drin, dass eine unverschuldete Notlage eingetreten sein muss. Bei Griechenland stellte sich die Lage ja anders dar. Hier haben wir also eine strengere Formulierung als bei dem, was vor zwei Wochen in diesem Hohen Hause beraten worden ist.
Das sind die Eckpunkte. Jetzt kann man natürlich fordern: Wir wollen den genauen Text sehen. - Zu dieser Forderung will ich klar und deutlich sagen: In dem Gesetzentwurf, den wir heute beraten, steht drin, dass es nicht zu einer Auszahlung kommen wird und keine Garantien gegeben werden, bevor nicht der Vertragstext dem Deutschen Bundestag bekannt ist. Das ist doch eine klare Zusage. Wir kennen also, bevor das Gesetz zur Anwendung kommt, den genauen Text. Es ist eine Ausrede, wenn einige von Ihnen, meine Damen und Herren, sich auf diesen Punkt stützend versuchen, Ihre Nichtzustimmung oder Enthaltung zu rechtfertigen.
Ich möchte einen weiteren Punkt aufgreifen. Dabei geht es um die Frage, inwieweit das Ausräumen von Vorbehalten des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages zur Bedingung dafür gemacht wird, dass Zahlungen geleistet werden. Bei dieser Fragestellung geht es zunächst einmal darum, ob denn nun das Paket, das wir heute beschließen, für diejenigen, für die es gedacht ist, glaubwürdig ist; das heißt, die Kapitalmärkte müssen überzeugt werden, nicht weiter gegen den Euro zu spekulieren. Deshalb sollten wir aufhören, zu viele Konditionalitäten zu setzen. Sonst legen wir schon in dem Gesetz dessen eigenes Scheitern an.
Zum Zweiten ist es natürlich berechtigt - ich bin überzeugter Parlamentarier -, zu sagen: Wir können über solche Summen nicht entscheiden, wenn sie in Form von Blankoschecks ausgereicht werden sollen. Ich glaube jedoch, es ist den Haushältern bei ihren Beratungen in sehr kluger Weise gelungen, eine gute Formulierung zu finden: Man hat sich dabei nämlich an den Mitwirkungsrechten des Deutschen Bundestages bei europapolitischen Fragen orientiert und eine Formulierung gefunden, die auch im Zusammenhang mit dem Lissabon-Vertrag und seiner Umsetzung hier gewählt worden ist. Das ist aus meiner Sicht eine optimale Konstellation; denn jetzt werden die Mitwirkungsrechte des Parlaments gegen die eigentliche Zielsetzung dieses Gesetzes gewogen, nämlich eine glaubwürdige Antwort zu geben und damit Spekulation zu beenden.
Ich will einen weiteren Punkt aufgreifen: Es wird jetzt die Mär erzeugt, als müssten wir in Deutschland ob der Griechenland-Hilfe und ob des Gesetzes, das wir heute beschließen wollen, nun anfangen, zu sparen. Nein, wir geben hier zunächst einmal Garantien. Diese sind nicht der Grund, warum wir sparen müssen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wir müssen sparen, damit wir nicht irgendwann selbst in die Lage kommen, von anderen Solidarität und Nothilfe einfordern zu müssen, damit wir selbst als Staat handlungsfähig bleiben und damit künftigen Generationen noch ein finanzieller Handlungsspielraum verbleibt. Deshalb müssen wir in Deutschland sparen und nicht, weil wir hier Rettungspakete beschließen. Es geht hier um unser Eigeninteresse und um ein eigenes Ziel. So sollten wir das auch begründen.
Meine Damen und Herren, ich habe darauf hingewiesen, dass das vorliegende Gesetzespaket auch das Thema Finanzmarktreform beinhaltet. Es ist richtig - wir müssen diesen Punkt ernst nehmen -, dass wir bezüglich des Themas Finanzmarktreform technisch und administrativ keine einfachen Antworten finden werden. Denn es ist ein hochkomplexes Thema, und es ist ungeheuer schwer, es so zu kommunizieren, dass das, was richtig und notwendig ist, von den Menschen draußen verstanden wird. Aber wir sollten uns dieser Aufgabe stellen und versuchen, klarzumachen, was wir tun.
In diesen Tagen ist doch auf der Finanzmarktkonferenz, die Mitte dieser Woche im Bundesfinanzministerium in Vorbereitung auf den G-20-Gipfel im Juni stattfand, deutlich geworden, dass die Bundesregierung an dieser Stelle das Thema inhaltlich nach vorne treiben will. Durch die Verabschiedung der AIFM-Richtlinie, nach der jetzt auch Hedgefonds in Europa beaufsichtigt werden, ist deutlich geworden, dass Deutschland die Entwicklung vorantreibt.
Wir sollten allerdings beachten, dass nicht alle dieselbe Sichtweise auf diese Themen haben. Hier erinnere ich zum Beispiel an die Stellungnahme des kanadischen Vertreters auf der Konferenz im Bundesfinanzministerium, die gezeigt hat, dass Kanada eine ganz andere Sichtweise hat. Es löst doch nicht unsere Probleme, wenn wir als Besserwisser auftreten, sondern wir müssen versuchen, mit Argumenten zu überzeugen und klarzumachen, dass wir in Europa und weltweit eine bessere Regulierung brauchen. Dafür müssen wir entsprechend streiten.
Wenn unsere Freunde von der Sozialdemokratie immer darauf hinweisen,
wie wichtig es ist, zu entsprechenden Steuern und besseren Regulierungen zu kommen, dann mache ich darauf aufmerksam, dass es die Labour-Regierung in Großbritannien und auch die sozialistische Regierung in Spanien waren, die am stärksten die Umsetzung dieser Maßnahmen behindert haben. Sprechen Sie also nicht mit uns! Wir sind doch nicht das Hindernis! Wir wollen die Dinge beschleunigen. Sprechen Sie mit Ihren eigenen Parteifreunden in der Sozialistischen Internationale, damit die Regulierung der Finanzmärkte endlich vorangeht.
Liebe Freunde, zum Abschluss rufe ich Sie dazu auf: Bedenken Sie Ihre Verantwortung für den Euro und für die Menschen in Deutschland. Stimmen Sie deshalb diesem Nothilfepaket zu, damit die Möglichkeit besteht, strukturelle Maßnahmen, Stärkung des Euro-Vertrages, bessere Finanzmarktregulierung und Maßnahmen für eine bessere Wirtschaftskraft in der Euro-Zone durchzusetzen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die nächste Rednerin ist die Kollegin Nicolette Kressl für die SPD-Fraktion.
Nicolette Kressl (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ausdrücklich begrüße ich auch den Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz. Wir finden es gut, dass er dieses Thema für so wichtig hält, hier anwesend zu sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, es ist notwendig, eine Brandmauer gegen einen bewusst gewollten oder in Kauf genommenen Zusammenbruch der Euro-Zone aufzustellen. Und es ist richtig, diese oder ähnliche Instrumente dafür zu beschließen. Es ist richtig, durch die Bereitstellung von Krediten allen, die gegen Europa spekulieren, deutlich zu machen: Wir werden uns entschieden wehren. Aber: Allein dieses dürre Skelett einer Kreditermächtigung, allein dieses technokratische Instrument ist eben nicht im Geringsten ausreichend, um das Vertrauen der Menschen in Europa zu sichern. Auch darum muss es heute gehen.
Sie sind in der Verantwortung, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen und in der Regierung, den Menschen ein Gesamtkonzept vorzulegen, in dem klare Führung deutlich wird. Es braucht Initiativen, die sicherstellen, dass die Menschen und nicht die Märkte in Europa Vorrang haben.
Dass Sie dies immer wieder betonen, hilft uns allen nicht, weil Sie es nicht mit entsprechenden Taten unterlegen. Als die Kanzlerin in der letzten Debatte zu diesem Thema am Mittwoch gesagt hat, wir müssten den Worten endlich auch Taten folgen lassen, mussten Sie, die beiden Regierungsfraktionen, zum Applaus aufgefordert werden. Das ist typisch für die Debatte, wie sie im Moment läuft.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Europa braucht doch beides: Europa braucht ein aktuelles Krisenpaket, aber eben auch eine gradlinige, klar erkennbare Entschlossenheit, alles dafür zu tun, dass die Länder der Euro-Zone nicht Gefahr laufen, von einer Krise in die andere zu schlingern. Das ist die Sorge, die wir hören, wenn wir mit den Menschen reden. Bei diesem zweiten Teil des Konzepts für den von Ihnen so oft zitierten Vorrang der Politik vor den Märkten versagen Sie völlig. Heute liegt kein Gesamtkonzept vor.
Ich will Ihnen einmal deutlich machen, warum Sie die Grundlagen für Vertrauen in Ihre Politik in den letzten Tagen und Wochen fahrlässig verspielt haben. Fatalerweise haben Sie das Vertrauen gleichzeitig bei den europäischen Partnern, bei den Bürgerinnen und Bürgern und hier im Parlament verspielt. In wenigen Tagen haben Sie in dem Bereich alles kaputtgemacht.
Die Regierung, vor allem die Bundeskanzlerin, hat es nicht vermocht, von Anfang an mit ruhiger, klarer Entschiedenheit zu sagen: Ja, wir wollen diesen Nothilfeplan, aber wir setzen uns auch mit aller Kraft dafür ein, die Kosten nicht allein den Bürgern aufzubürden. Am Anfang wollten Sie die Verursacher - in der Hoffnung, dass niemand merkt, dass es nur Symbolpolitik ist - mit einer Alibibankenabgabe beruhigen. Das hat Ihnen niemand geglaubt.
Dann haben Sie - das war die Krönung - diesen lächerlichen freiwilligen Beitrag der Banken als den großen Durchbruch gefeiert. Auch das hat Ihnen niemand geglaubt.
Ich will Ihnen sagen: Wir Sozialdemokraten wollen, dass auf jedes spekulative Geschäft eine Steuer erhoben wird, nämlich die Finanztransaktionsteuer. Dazu hätten Sie sich von Anfang an klar bekennen können.
Stattdessen haben Sie Ihre Kraft damit vergeudet, hier Ihren Eiertanz aufs Parkett zu legen. Vor ganz langer Zeit nannte die Bundeskanzlerin die Spekulationsbesteuerung eine charmante Idee. Dann - ich habe es schon gesagt - hofften Sie, dass die Menschen nicht erkennen, dass diese Alibibankenabgabe keine Lösung ist. Noch am Wochenende hat die Bundeskanzlerin auf, wie ich finde, schon fast herablassende Art den Gewerkschaften gesagt: Sorgt ihr doch einmal auf internationaler Ebene dafür, dass es durchgesetzt wird. Dann machen wir es mit. - Was ist das für eine Führung?
Dann wurden Sie von der eigenen Fraktion zur Unterstützung dieser Finanztransaktionsteuer gedrängt. Jetzt, in der Angst vor dem Koalitionspartner, trauen Sie sich wieder nicht, es hier gemeinsam zu Papier zu bringen. Was soll das eigentlich? Sie haben das Vertrauen verspielt. Das ist peinlich für die Regierung.
Auf diese Weise kann kein Vertrauen in Führung und Geradlinigkeit entstehen. Wer das Hin und Her in dieser Woche beobachten konnte, dem ist klar geworden: Der Ursprung des momentanen Bekenntnisses der Bundeskanzlerin zur Finanztransaktionsteuer beruht nicht auf einer tiefen inhaltlichen Überzeugung, sondern nur auf den äußeren Umständen. Sie laviert so, wie es gerade erforderlich ist. Deshalb können wir Ihrem Wort, Frau Bundeskanzlerin, allein nicht mehr vertrauen. Deshalb erwarten wir, dass gemeinsam schriftlich fixiert wird, dass Sie sich zur Finanztransaktionsteuer bekennen. Ich frage Sie: Welchen Grund sollte es dafür geben, dies hier nicht gemeinsam schriftlich zu fixieren? Haben Sie eventuell vor, sich in zwei oder drei Tagen von diesem Bekenntnis wieder zu verabschieden? Wir haben ja bereits genügend Kehrtwenden erlebt.
Zur Verlässlichkeit gehört auch, nicht verbale Nebelkerzen zu werfen, indem Sie - ich zitiere die Süddeutsche Zeitung - irgendeine ?Finanzdingsbumssteuer? in die Diskussion bringen. Es gehört eine eindeutige inhaltliche Klarheit in der Analyse dazu. Die von Ihnen immer wieder ins Spiel gebrachte Finanzaktivitätsteuer setzt nicht daran an, dass Billionen Euro am Tag durch Spekulationen umgesetzt werden, sondern sie setzt an der Lohnsumme an. Es ist also eine Lohnsummensteuer.
Soll diese Finanzaktivitätsteuer, die an der Lohnsumme ansetzt, wirklich das richtige Instrument für unser deutsches Bankensystem sein, in dem viele Mitarbeiter beschäftigt sind? Darüber sollten Sie noch einmal ernsthaft nachdenken.
Sie verweisen auf unseren Antrag. Darin ist ausdrücklich die Prüfung dieser Möglichkeit enthalten, weil wir wissen, dass die Finanztransaktionsteuer bei den Spekulationen ansetzt. Alles andere müsste sehr genau an die deutschen Verhältnisse angepasst werden. Dazu sind Sie offensichtlich nicht in der Lage. Sie werfen nur mit Vokabeln um sich.
Weil Ihnen dieser inhaltliche Kompass fehlt und weil Ihnen im Übrigen offensichtlich auch der ehrliche Wille fehlt, die Opposition davon zu überzeugen, bei Ihrem Vorgehen mitzumachen, ist Folgendes passiert: Am Mittwoch letzter Woche hat Sie unser Fraktionsvorsitzender, Frank-Walter Steinmeier, gefragt: Wollen Sie denn, dass die Opposition mitmacht? - Da es in diesem Moment zufälligerweise ruhig war, konnte man aus der FDP ein trotziges Nein hören.
Es wäre für die Regierung ein Leichtes gewesen, deutlich zu machen, dass dies eine Einzelmeinung ist. Aber noch nicht einmal dazu hat Ihre Führungskraft gereicht.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Die SPD war und ist offen dafür, sich an Maßnahmen zu beteiligen, damit die Menschen wieder mehr Zuversicht in das große und wichtige Projekt Europa aufbringen können. Aber dafür müssen Sie ein klares Signal geben, dass Sie den Menschen wirklich Vorrang vor den Märkten geben wollen, dass sie nicht für die entstandenen Kosten aufkommen müssen und dass die Wirtschaft in Zukunft durch einen Rahmen zu einem vernünftigeren Wirtschaften gezwungen werden kann. Das können wir nicht erkennen.
Kein Vertrauen, kein Gesamtkonzept, keine Linie, keine Führungskraft - dazu können Sie unsere Zustimmung nicht ernsthaft einfordern.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Otto Fricke für die FDP-Fraktion.
Otto Fricke (FDP):
Geschätzter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Opposition! Versuchen wir es doch heute einmal mit Zuhören. Vielleicht klappt das ja.
Man muss den Bürgern sagen, dass dieser Weg, den wir heute beschreiten werden, schwer ist und dass die Zustimmung zu diesem Schritt keinem leichtfallen wird.
Aber wir wissen genau, dass alle anderen Alternativen - insofern muss man aufhören, zu sagen, dass dieser Schritt alternativlos sei - wie Verschieben und Abwarten, was mit den Ländern passiert, um ein Vielfaches schwerer durchzuführen wären. Wir sind uns sicher, dass alles andere um ein Vielfaches schlimmer wäre: für unsere Währung, für den Kleinsparer, für die Wirtschaft, für mittelständische Familienunternehmen, für Arbeitsplätze, für unsere Sozialsysteme und damit letztlich für unser Land.
In den Briefen, die wir bekommen, und in den Gesprächen, die wir mit den Bürgern führen, ist eine Sorge groß: Haben denn die Märkte jetzt mehr Macht als die Politik?
Bei dem, was wir in den vergangenen Wochen und Monaten erlebt haben, könnte man dieses Gefühl haben.
Wenn man der Meinung ist, dass das so ist, geschätzte Opposition, dann muss man doch alles tun, um der Politik in einer Demokratie und damit dem Bürger die Macht zurückzugeben.
Dazu dient dieses Gesetz.
Die zweite Frage, die oft von Bürgern gestellt wird, will ich ebenfalls gerne beantworten: Wie konnte es denn sein, dass Märkte so viel Macht hatten und haben? Sie bemühen dann immer Verschwörungstheorien.
Ich sage Ihnen nur eines: Verschwörungstheorien können Sie nicht als Basis für politisches Handeln nehmen, sondern Sie müssen Folgendes sehen: Ein Staat, eine Europäische Union, eine Euro-Zone, die sich mit ungeheuren Summen bei den Märkten verschuldet, begibt sich in die Hände dieser Märkte. Es gilt, zu unterbinden, dass wir uns selber durch Verschuldung in die Hände derjenigen begeben, von denen wir uns das Geld ausleihen müssen. Die Verschuldung ist die Ursache für das Übel. Dieses Übel gilt es abzustellen.
Ich will auch deutlich sagen: Es sind die Verschuldung und vor allen Dingen auch die Aufweichung des Stabilitätspaktes, die diese Schwäche noch verstärkt und erst erkennbar gemacht haben. Es ist dieses Aufweichen der Grundeinstellung, dass Sparen etwas Richtiges und Gutes ist. Schließlich sagen viele: Was soll's! In schlechten Zeiten gebe ich ein bisschen mehr Geld aus und hoffe darauf, dass in guten Zeiten gespart werden kann. - Das funktioniert nicht. Wer sparen will, der muss das konsequent tun, und zwar ohne jegliche Möglichkeit, dem auszuweichen.
Wir müssen deswegen zwei Dinge tun. Erstens. Wir müssen die Verschuldung abbauen. Das wird schwierig werden und nicht einfach sein. Aber wir müssen das Sparen, das wir begonnen haben, weiter fortsetzen.
Ich darf ausdrücklich sagen, Herr Finanzminister: Ich begrüße das Schreiben Ihres Staatssekretärs, in einem ersten Schritt bei allen Ressorts an die flexiblen Ausgaben heranzugehen. Weitere Schritte werden dem folgen müssen, um all das zu erreichen, was wir gemäß Verfassung erreichen müssen.
Zweitens müssen wir dem Finanzmarkt klare Grenzen aufzeigen.
- Wenn Sie lachen, zeigt das nur, dass Sie das nicht ernst nehmen. Es stimmt: Sie haben diese Frage elf Jahre lang einfach nicht ernst genommen, auch Ihre Finanzminister nicht. Sie haben elf Jahre lang nichts getan, gar nichts.
Ich will das für die Bürger draußen an einem Beispiel aus dem Bereich des Fußballs veranschaulichen - die Frauen waren gestern übrigens mal wieder erfolgreich -:
Es kann doch nicht sein, dass wir auf nationaler Ebene mit Schiedsrichtern spielen, es auf europäischer Ebene nur noch einen Schiedsrichter gibt und wir auf internationaler Ebene keine Schiedsrichter haben. Es wird die Aufgabe sein, das auf internationaler Ebene hinzukriegen.
Das ist die Verantwortung, die alle Regierungen, alle Nationen dieser Welt haben, weil sie nur dann auf Dauer mit dem Finanzmarkt klarkommen werden.
Als Opposition Verantwortung zu übernehmen, hieß für die FDP immer, dass man auch in schwierigen Zeiten, wie bei der Frage des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes, bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Wir haben damals zugestimmt und im Rahmen der Beteiligung des Parlamentes gegenüber der Großen Koalition noch einiges erreicht.
Ich sage das jetzt bewusst an die Adresse der Grünen: Ich lobe ausdrücklich den Einsatz der Haushälter für mehr Beteiligung und insbesondere für die Aufnahme der Pflicht der Bundesregierung zur Vorlage des umstrittenen Vertrages beim Haushaltsausschuss. Dafür haben sich die Grünen effektiv eingesetzt und haben den Antrag mitgezeichnet. Ich begrüße das ausdrücklich; denn es ist essenziell, dass wir diese Vorlagepflicht bekommen und eine starke Beteiligung des Haushaltsausschusses haben.
Ich bin mir sicher, dass der Finanzminister uns jederzeit, so, wie er es in den vergangenen Wochen und Tagen getan hat, Unterlagen vorlegen wird, die Aufschluss über den Zwischenstand geben. Das war ein sehr transparentes Verfahren. Die englischen Vorlagen erhielten wir schon vor der Übersetzung. Ich muss ausdrücklich sagen: Der Vorwurf, alles sei geheim, stimmt nicht. Herr Trittin, Herr Oppermann, fragen Sie einmal Ihre Haushälter, was sie alles bekommen haben. Dann werden Sie das schon erkennen.
Dennoch will ich den Grünen eines nicht ersparen: Herr Trittin, Sie haben gesagt, wir sollten froh sein, dass Rot-Grün den Stabilitätspakt damals aufgeweicht hat, weil wir sonst Ärger mit Brüssel bekommen hätten.
Herr Trittin, ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich hätte lieber Ärger mit Brüssel bekommen als diese Finanzkrise, die wir jetzt haben. Das ist der eigentliche Grund.
Ich finde die Widersprüchlichkeit der Grünen sehr schade. Im Haushaltsausschuss sind sie konstruktiv, hier aber destruktiv. Vorher sagten sie: ?Oh, das, was die Bundeskanzlerin da gemacht hat, hat alles viel zu lange gedauert?, aber jetzt sagen sie auf einmal: ?Nein, so schnell wollen wir das auch nicht machen.? Das sind doch Krokodilstränen, Herr Trittin.
Warum sind es Krokodilstränen? Nicht nur, weil Krokodile grün sind, sondern auch, weil Sie das grundsätzlich nicht wollen. Sie wollen Ihre Verantwortung an dieser Stelle nicht wahrnehmen.
Ich komme zum Schluss. Der Kollegin Kressl will ich ausdrücklich Folgendes sagen - Frau Kollegin Kressl, nicht nur Sie haben das noch einmal angesprochen, sondern auch Herr Steinmeier und der Kollege Schneider versuchen immer wieder, das Thema hochzuziehen -:
Erstens. Bei der Griechenland-Hilfe bleibt es bei 22,4 Milliarden Euro. Das wissen wir. Das Gesetz ist beschlossen.
Versuchen Sie nicht, hier irgendwelche ... Ich sage es lieber nicht.
Zweitens, und das ist mein letzter Satz.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Fricke, Sie wollten zum Schluss kommen. Das wird durch den Beginn einer Aufzählung von offenkundig zahlreichen, vorbereiteten Punkten nicht sonderlich plausibel.
Otto Fricke (FDP):
Herr Präsident, da haben Sie vollkommen recht. Deswegen gibt es ja auch nur noch einen Punkt.
Meine Damen und Herren von der SPD, nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr,
und zwar nicht, weil eine andere Fraktion das will - das wäre ein falsches Verständnis von Demokratie -, sondern weil Sie zu der Erkenntnis gekommen sind, dass das, was wir machen, heute richtig ist. Auf dieser Enthaltung kann man kein europäisches Haus bauen.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Der Kollege Gregor Gysi ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Altmaier, ich habe Ihnen sehr genau zugehört und war einigermaßen erstaunt. Wenn ich das richtig verstehe, ist man Ihrer Meinung nach proeuropäisch, wenn man für Aufrüstung, für Sozialabbau und für eine falsche Verschuldung ist, und antieuropäisch, wenn man für Frieden, Abrüstung und jeden Verzicht auf Sozialabbau ist. Ich kann dem nicht folgen, überhaupt nicht.
Wir sind für die europäische Integration, aber für eine vernünftige.
Wahr ist, dass wir heute über eine Schicksalsfrage entscheiden, und zwar für unsere Gesellschaft und für Europa.
Ich darf Sie daran erinnern, dass dieser Bundestag bei der Finanzkrise innerhalb einer Woche entschieden hat, einen Rettungsschirm für Banken und Versicherungen im Umfang von 480 Milliarden Euro aufzuspannen, ich darf Sie daran erinnern, dass dieser Bundestag innerhalb einer Woche beschlossen hat, einen Rettungsschirm für Griechenland im Umfang von 110 Milliarden Euro mit einem deutschen Anteil von über 22 Milliarden Euro aufzustellen,
und ich darf Sie daran erinnern, dass heute, wieder innerhalb einer Woche, dieser Bundestag eine Euro-Rettung im Umfang von 750 Milliarden Euro mit einem deutschen Beitrag von 148 Milliarden Euro beschließen will. - Frau Bundeskanzlerin, Sie lesen meine Rede nachher sowieso heimlich; hören Sie doch lieber gleich zu.
Einmal abgesehen davon würde ich Ihnen gerne eines sagen: Wenn wir hier im Bundestag einmal um 1 Million Euro für einen sozialen oder einen kulturellen Zweck kämpfen, dann dauert es neun Monate, bis wir das ?Nein? hören. Wenn es aber um zig Milliarden Euro geht, dann wird in diesem Bundestag alles innerhalb einer Woche entschieden. Das müssen Sie der Bevölkerung einmal erklären.
In diesen Wochen wurde zwar immer über viel Geld entschieden, aber es wurde nie entschieden, endlich eine Regulierung der Finanzmärkte einzuführen. Die Leerverkäufe, die spekulativen Kreditausfallversicherungen, die Hedgefonds: Alles lief weiter wie vorher auch. Damit haben Sie die Spekulanten und Banker doch animiert, auf erhöhte Staatsschulden zu wetten. Die gegenwärtige Krise ist die logische Konsequenz aus der Finanzkrise vom Oktober 2008 und Ihrer falschen Bewältigung, weil Sie eine riesige Staatsverschuldung organisiert haben, die jetzt von den Spekulanten und den Bankern wieder genutzt wird.
Das erste Opfer in der EU war übrigens gar nicht Griechenland, sondern die ersten Opfer waren Ungarn, Rumänien und Lettland. Sie waren am Ende, und dann gab es Milliarden vom Internationalen Währungsfonds und von der EU.
Lettland hat daraufhin genau den Kurs beschritten, den Sie jetzt auch Griechenland, Spanien und Portugal vorschreiben. Dort wurden die Löhne um 25 Prozent gekürzt - in der Privatwirtschaft sogar um 30 Prozent -, die Mehrwertsteuer erhöht und die Zuschüsse für Krankenhäuser um 43 Prozent gesenkt. Die Folge ist ein Rückgang der Nachfrage im Einzelhandel um 30 Prozent, ein Anstieg der Arbeitslosigkeit auf 22 Prozent - das ist der höchste Stand in der EU - und ein Schrumpfen der Wirtschaftsleistung.
Hier stellt sich die Frage - man muss sie der Bevölkerung einmal beantworten -, warum wir uns hier trotzdem nicht mit Ungarn, Rumänien und Lettland beschäftigt haben. Das geschah aus einem Grund nicht: Sie haben keinen Euro und konnten ihre Währungen uns gegenüber abwerten. - Das funktioniert bei Griechenland, Spanien und Portugal nicht; denn wir haben eine Binnenwährung gemeinsam mit ihnen.
Ich darf Sie noch einmal daran erinnern, dass wir hier Schilder mit der Aufschrift ?Euro - so nicht? hochgehalten haben. Wir haben niemals ?Euro - nein? gesagt. Wir haben ?Euro - so nicht? gesagt, weil wir vorher eine Steuerharmonisierung und eine Harmonisierung der sozialen und ökologischen Standards sowie der Löhne gefordert haben. Sie alle waren aber schlauer und haben gesagt: Das alles brauchen wir nicht. Wir führen den Euro gleich ein. - Jetzt bekommen wir die Quittung dafür. Sagen Sie hier doch einmal ehrlich: Die Linken hatten recht, und wir hatten unrecht. - Das müssten Sie einmal über Ihre Lippen bringen.
Jetzt verlangen Sie von Griechenland, Portugal und Spanien - das habe ich ja schon gesagt -, dass sie den Weg gehen, den Lettland schon falsch gegangen ist. Wissen Sie, wie das Ganze aussieht? - Ein Beispiel: Ein Bäckermeister, der fast pleite ist, bittet um einen Kredit. Sie sagen: Ja, du bekommst den Kredit, aber unter zwei Bedingungen: Erstens musst du deine beiden Verkäuferinnen entlassen, und zweitens musst du von deinen zwei Backöfen einen verkaufen. - Hinterher ist er dann noch mehr pleite als vorher. Das ist die Art von Politik, die Sie betreiben, und das kann nicht gut gehen; denn der Sozialabbau ist nicht nur ungerecht, sondern dadurch wird auch die Wirtschaft gedrosselt.
Was ist denn, wenn sich ein Land immer stärker verschuldet? - Man braucht dann doch Wachstum, um die Schulden zurückbezahlen zu können. Wenn Sie die Wirtschaft aber drosseln, dann heißt das, dass Sie gar nicht in der Lage sind, die Schulden zurückzubezahlen, es sei denn, Sie nehmen neue Schulden auf. Wenn Sie dann neue Schulden aufnehmen, dann wird die Verschuldung immer größer, und die Spekulanten und Banken wetten und zocken dann gegen dieses Land, wie wir es jetzt erleben. Wir kennen das auch aus Mexiko und aus anderen Ländern.
Was passiert dann? - Dann wird der Weg beschritten, die Schulden teilweise zu erlassen. Das ist auch interessant: Darüber sprechen ja nur Josef Ackermann, Thomas Mayer, der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, und wir, die Linken. - Es ist auch interessant, warum das so ist. Ich kann Ihnen den Grund dafür erzählen: Das geschieht, weil schon durch die öffentliche Debatte darüber eine neue Spekulationswelle ausgelöst werden kann und weil Ackermann und andere durchaus daran interessiert sind, dass es eine neue Spekulationswelle gibt.
Warum? Wenn die Staatsverschuldung sozusagen gestrichen wird, dann bekommen sie ihre Verluste voll erstattet, weil sie Kreditausfallversicherungen abgeschlossen haben. Selbst wenn sie keine Kreditausfallversicherung haben, haben sie etwas davon, weil sie zusammen mit anderen bei den Staatsanleihen darauf gewettet haben, dass Griechenland und andere Länder nicht pünktlich zurückzahlen. Auch dann kriegen sie ihre Marge. In beiden Fällen nutzt es ihnen, aber nur ihnen.
Insofern kann ein Schuldenerlass zwar sinnvoll sein, aber nur unter der Bedingung, dass wir vorher eine Regulierung vornehmen, die ausschließt, dass solche Spekulationsgewinne entstehen. Genau das muss passieren, und das fordern wir ein.
Denn alles andere bedeutete, dass die Mittel, die wir heute beschließen, wieder nur zugunsten der Banken und Spekulanten fließen. Genau das können wir nicht zulassen.
Frau Bundeskanzlerin, Sie müssen doch merken, dass Sie am Nasenring durch die Manege geführt werden. Man muss sich das klarmachen: Die EU-Finanzminister müssen bis zu einer bestimmten Uhrzeit eine Entscheidung treffen, weil dann die Tokioter Börse öffnet. Merken Sie denn nicht, dass das die Demokratie beschneidet?
Warum sind wir von einer Börse abhängig? Warum können wir nicht wieder die Herrschaft der Politik über die Finanzwelt begründen?
- Nein, die Linke hätte Regulierungsmaßnahmen beschlossen, die uns längst aus der Situation herausgebracht hätten.
Im Unterschied zur FDP hätten wir darauf geachtet, durch ein Primat der Politik über die Wirtschaft und Finanzwelt die Demokratie wiederherzustellen.
Ich komme aber noch auf die Alternativen zurück.
FDP und Union haben in einem Punkt recht: Die Hedgefonds, die Leerverkäufe und die gesamte Deregulierung des Finanzmarktes sind von SPD und Grünen eingeführt worden.
Die ehemalige Staatssekretärin Hendricks hat uns dafür kritisiert, dass wir das sagen, ohne hinzuzufügen, dass die Hedgefonds in Deutschland besonders reguliert sind, während das in Großbritannien nicht der Fall ist. Liebe Frau Hendricks, dazu muss ich Ihnen sagen, dass Ihr damaliger Parteivorsitzender Müntefering hinsichtlich der deutschen Hedgefonds darauf hingewiesen hat, dass diese wie Heuschrecken wirken. Die Kritik kam gar nicht von uns. So toll war Ihre Regulierung keineswegs.
Sie sind noch einen anderen falschen Weg gegangen. Sie sind nämlich den Weg der Staatsverschuldung durch falsche Steuersenkungen gegangen. Ich darf Sie daran erinnern, dass Sie die Körperschaftsteuer von 45 auf 25 Prozent gesenkt haben. Sie haben den Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer von 53 auf 42 Prozent gesenkt. Sie haben keine Börsenumsatzsteuer eingeführt, und Sie haben auf die Vermögensteuer verzichtet. Das alles hat zu einer gigantischen Verschuldung geführt.
Die Große Koalition von Union und SPD ist diesen Weg weitergegangen. Sie haben die Körperschaftsteuer von 25 auf 15 Prozent gesenkt.
Nun macht Ihre Koalition das Wachstumsbeschleunigungsgesetz und schenkt den Hotels und Unternehmen weitere 2,4 Milliarden Euro. Genau so haben Sie die Staatsverschuldung verursacht.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Gysi, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hendricks?
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Ja, selbstverständlich.
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Das, was Sie gerade zu den Steuersenkungen im Hotelgewerbe gesagt haben, ist völlig richtig. Darin stimme ich Ihnen vollständig zu.
Ich darf Ihnen aber trotzdem einen kleinen Hinweis geben: Die Finanzmarktsituation ist vielfältig und kaum durchschaubar. Deswegen will ich Sie darauf hinweisen, dass sich der Begriff Heuschrecken, der in diesem Zusammenhang von Franz Müntefering geprägt wurde und der sich völlig zu Recht durchgesetzt hat, nicht auf Hedgefonds, sondern auf Private Equity Fonds bezogen hat. Franz Müntefering hat darauf hingewiesen, dass die Private Equity Fonds kommen, die mittelständischen Unternehmen aussaugen, um sie dann fallenzulassen und weiterzuziehen. Das sind nicht die Hedgefonds, sondern die Private Equity Fonds.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Schönen Dank für Ihren Hinweis. Aber die Hedgefonds betreiben genau dasselbe. Auch dass die Situation unübersichtlich ist, verdanken wir übrigens Ihnen. Ihr damaliger Bundesfinanzminister hat mir gegenüber gesagt
- ich bin gleich fertig mit der Antwort -, dass es bei der Zulassung von Hedgefonds und Leerverkäufen nur um die Frage ging, ob wir Kreisklasse bleiben oder Weltklasse werden. Nun sind wir in einer Weltklassekrise.
Ob Rot-Grün, Schwarz-Rot oder Schwarz-Gelb: Deutschland wurde zu einem Niedrigsteuerland und liegt nun am Ende der Europäischen Union beim Steueraufkommen. Hätten wir nur Steuereinnahmen im EU-Durchschnitt, hätten wir 120 Milliarden Euro jährlich mehr. Dann kamen die Milliardenbeschlüsse für Banken und Versicherungen. Diese haben dann eine gigantische Staatsverschuldung ausgelöst, auf die nun Banker und Spekulanten setzen.
Nun gibt es eine neue neoliberale These. Frau Bundeskanzlerin, Frau Bundeskanzlerin! Sie sagen im Ernst, Jahrzehnte hätten wir über unsere Verhältnisse gelebt, und erklären den Satz gar nicht. Was meinen Sie eigentlich? Was glauben Sie, wie ein solcher Satz auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, auf Renterinnen und Rentner, auf Arbeitslose, auf Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfänger wirkt? Wen meinen Sie denn: die Rentnerinnen und Rentner, die in den letzten fünf Jahren real über 8,5 Prozent an Rente verloren haben? Meinen Sie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in den letzten zehn Jahren real 11,3 Prozent an Löhnen verloren haben? Meinen Sie die Beschäftigten in prekären Beschäftigungsverhältnissen, also die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter, die befristet Beschäftigten, die Teilzeitbeschäftigten, die Aufstockerinnen und Aufstocker oder die Minilohnbeschäftigten? Meinen Sie die 1-Euro-Jobberinnen und -Jobber, oder meinen Sie die 7 Millionen Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfänger? Ich finde es einen Skandal, diesen Menschen zu erklären, dass sie über ihre Verhältnisse gelebt hätten.
Was mich wirklich ärgert, Frau Bundeskanzlerin, ist, dass Sie nicht einmal sagen: Die Bestverdienenden, die Vermögenden, die Banker und die Spekulanten haben über ihre Verhältnisse gelebt. Das ist doch unser Problem und nichts anderes.
Wir brauchen bei uns - genauso wie in der gesamten EU - Steuergerechtigkeit. Es gibt heute nicht nur mehr Armut. Auch der Reichtum ist angewachsen. Wer bezahlt das Ganze? Die durchschnittlich Verdienenden tragen die Hauptlast. Das sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das sind die Handwerksbetriebe. Das sind kleine und mittelständische Unternehmen. Ich nenne nur den Steuerbauch als Beispiel. Unsere Einkommensteuerbelastung verläuft nicht geradlinig, sondern sie hat einen Bauch. Die durchschnittlich Verdienenden müssen mehr zahlen, weil Sie den Spitzensteuersatz gesenkt haben. Genau das ist nicht hinnehmbar. Lassen Sie uns den Steuerbauch überwinden! Aber dann müssen wir den Spitzensteuersatz erhöhen, weil es sich anders überhaupt nicht rechnet.
Jetzt haben Sie ungedeckte Leerverkäufe verboten. Dazu habe ich eine Frage. Die ungedeckten Leerverkäufe sind zuerst von Rot-Grün erlaubt worden. Dann waren sie verboten. Dann, lieber Herr Bundesfinanzminister, waren sie ab Januar aus mir unerklärlichen Gründen wieder erlaubt. Jetzt haben Sie sie wieder verboten, aber befristet. Warum denn nicht endgültig? Sagen Sie doch endlich: Schluss, wir wollen diese Art der Spekulation nicht; sie ist für immer verboten.
Nun wird über eine Finanztransaktionsteuer geredet; das ist wirklich spannend. Zuerst haben nur wir sie vorgeschlagen. Inzwischen sind alle für eine Finanztransaktionsteuer.
- Ja, ich weiß, Attac hat einen Teil vorgeschlagen. Ich freue mich für Attac. Aber die SPD stand bei dieser Frage ganz hinten, um das hier ganz offen zu sagen.
Ich möchte aber von der Bundeskanzlerin wissen: Ist das nur Gerede, oder kommt diese Steuer tatsächlich? Wenn sie tatsächlich kommt: Kommt dann die Variante der FDP? Eine reine Gewinnsteuer können Sie doch vergessen. Da wird doch dann geschummelt, was das Zeug hält. Oder erheben wir endlich eine Steuer auf alle nationalen und internationalen Finanzgeschäfte? Dann sind auch die Börsenumsatzsteuer und die Tobin-Steuer einbezogen. Dann haben wir eine sehr vernünftige Finanztransaktionsteuer, die nicht nur hohe Einnahmen bringt, die wir dringend benötigen, sondern auch die Spekulation endlich begrenzt. Das muss unser Ziel sein.
Nun kommt das bekannte Gegenargument, das gehe nur, wenn es weltweit oder zumindest in ganz Europa geschehe. Der österreichische Bundeskanzler Faymann hat dazu Folgendes gesagt - ich darf zitieren, Herr Präsident -:
Aber man soll die internationale Ebene nicht als Ausrede verwenden, nur weil man verschleiern will, dass man nichts aus der Krise gelernt hat und Spekulanten verschonen will.
Recht hat der österreichische Bundeskanzler in dieser Frage! Recht hat er!
Ich werde Ihnen auch begründen, warum. Die Finanzwelt kann weder die Börse in New York noch die in Tokio noch die in London noch die in Frankfurt am Main ignorieren. Bekanntlich verlässt die internationale Finanzwelt auch nicht die Schweiz; darin werden Sie mir sicherlich recht geben. Ich nenne Ihnen zwei Länder, die eine Börsenumsatzsteuer eingeführt haben: Großbritannien und die Schweiz. Das Gerede, dass deshalb die Finanzwelt verschwindet, ist einfach albern; es stimmt nicht.
Es kommt noch etwas hinzu: Wenn eine Bank mit Euro handeln will, dann braucht sie eine Lizenz der Europäischen Zentralbank. Wenn Banken Europa also Richtung Japan und USA verlassen sollten, dann entziehen wir ihnen einfach die Lizenz. Was glauben Sie, wie schnell sie zurück sind! Das ist ganz einfach.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder lässt sich die Bundesregierung weiterhin von den Bankern und Spekulanten treiben, oder sie begründet endlich wieder eine politische Herrschaft über die Finanzwelt, das heißt, die Demokratie wird gestärkt. Entweder Sie haben endlich den Mut, die Banken, die großen Unternehmen, die Bestverdienenden und die Vermögenden gerecht zu besteuern, oder Sie sorgen dafür, dass auch in Deutschland eine Politik des sozialen Kahlschlags betrieben wird, eine Politik, die nicht nur grob ungerecht ist, sondern auch die Nachfrage so zurückgehen lässt, dass die Binnenwirtschaft unermessliche Schäden erleidet.
Die Folgen für die Gesellschaft sind überhaupt nicht absehbar. Nur wenn Sie die Finanzmärkte regulierten und garantierten, weder die Mehrwertsteuer zu erhöhen noch Sozialabbau zu betreiben, könnte man über eine Zustimmung zu Ihren verschiedenen Paketen nachdenken. Solange es aber dabei bleibt, dass nicht Sie, sondern die Banker und Spekulanten regieren, solange Sie sich weder trauen, gerechte Steuern zu erheben, noch, Sozialabbau auszuschließen, kann es von uns nur ein Nein geben.
Wie gesagt: Es geht heute um eine Schicksalsfrage für unsere Gesellschaft und für Europa. Sie entscheiden heute mit darüber, ob es wieder eine Herrschaft der Politik gibt, ob wieder Demokratie herrscht oder ob es bei der Herrschaft der Spekulanten und Banken bleibt, sodass es kaum Demokratie gibt. Das ist die Frage, um die es heute hier geht.
Danke.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Fritz Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen.
Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man Politik - wie wir Grünen - europäisch ausrichtet, dann muss man feststellen, dass dieser Krisenfonds ein wichtiger Schritt zur Abwehr der Spekulationen und zur Verteidigung Europas ist. Dieser Krisenfonds ist ein richtiger Schritt in Richtung eines Europäischen Währungsfonds. Auch wenn dies ein Fonds der nationalen Regierungen ist, gilt: So kann man Spekulationen abwehren. Aus diesem Grund unterstützen wir im Grundsatz, dass dieser Fonds jetzt eingerichtet wird.
Das bisherige Verfahren ist gründlich schiefgelaufen. Wir finden gut - das möchte ich ausdrücklich feststellen -, dass im Haushaltsausschuss die reine Unterrichtungspflicht in eine Einvernehmensbemühung verwandelt worden ist; deswegen haben wir dabei mitgewirkt. Ansonsten hat die Regierung bei der Vorlage dieses Gesetzentwurfs und im parlamentarischen Verfahren grobe Fehler gemacht, die ein Parlament einfach nicht hinnehmen kann:
Erstens. Die Bundeskanzlerin hat einen Verfassungsbruch begangen. Sie hat am vorletzten Wochenende Art. 23 Grundgesetz eindeutig verletzt. Sie hätte dem Bundestag die Gelegenheit zur Stellungnahme geben müssen, ehe sie an einem Rechtssetzungsakt der Europäischen Union mitwirkt. Dies hat sie nicht gemacht.
Zweitens. Sie hat den Fraktionsvorsitzenden am darauffolgenden Montag versprochen, den Vertrag über die Zweckgesellschaft vor der zweiten Lesung vorzulegen.
Herr Altmaier, ich sage Ihnen klar und deutlich - man kann nicht darüber streiten, ob es sich um Formfehler oder um technische Fragen handelt; Sie haben sich entsprechend geäußert -: In einer Demokratie sind das korrekte Verfahren, der korrekte Umgang mit der Verfassung, die Frage, ob man sich auf das Wort der Bundeskanzlerin verlassen kann,
keine technischen Petitessen, sondern elementare Angelegenheiten.
Trotz inhaltlicher Akzeptanz und sogar Zustimmung zu dem Krisenfonds kommen die grünen Parlamentarier zu der Auffassung, dass für sie eine Enthaltung das Beste ist. Das ist keine Drückebergerenthaltung; vielmehr wird dadurch darauf reagiert, dass die Bundesregierung im Verfahren mit diesem Parlament schäbig umgeht. So etwas habe ich eigentlich noch nicht erlebt.
Dazu gehört, wie wenig sich die Bundeskanzlerin in Reden wie ihrer Regierungserklärung tatsächlich um die Zustimmung des Parlaments bemüht hat. Ich meine dieses nicht in dem Sinn: ?Mutti, sei nett zu uns Kindern; dann werden wir schon zustimmen?, sondern in einem politischen Sinn: Wer von diesem Parlament heute eine Ermächtigung für Bürgschaften im Umfang von 148 Milliarden Euro bekommen und mit diesen Risiken die Politik zukünftiger Generationen einschränken will - wir reden ja nicht über kleine Beträge -, der muss in einer anderen Weise, als die Kanzlerin es getan hat, um die Zustimmung des Parlaments werben.
Da die Kanzlerin schon wieder nicht auf der Regierungsbank sitzt, sondern herumrennt, will ich an dieser Stelle sagen: In dieser Debatte, die Herr Altmaier und andere als die wichtigste seit vielen Jahren beschrieben haben, ist ein solcher Umgang mit dem Parlament
wenn ich sehe, wie sie da hinten steht und hektisch telefoniert, habe ich Angst, dass das nächste Krisenpaket heranrollt -, in einem demokratischen Verfahren nicht angemessen. Richten Sie ihr das aus, wenn sie das nächste Mal per Telefon eine Bürgersprechstunde oder eine Abgeordnetensprechstunde durchführt.
Frau Merkel ist die Regierungschefin. Deswegen kann sie sich an einem Tag wie heute der Kritik nicht entziehen. Ich will drei Punkte ansprechen:
Erstens. Sie hat zu lange gezögert, als die Finanzmarktkrise auf uns zu gerollt ist. Sie hat die Probleme verdrängt. Dies kostet die Steuerzahler viele Milliarden Euro.
Zweitens - ein ganz wichtiger Punkt -: Es fehlt ihr die elementare europäische Grundüberzeugung, die Überzeugung von der europäischen Idee.
Wer etwas von Europa will, liebe Kolleginnen und Kollegen, der muss für Europa auch etwas tun. Die Haltung der Bundeskanzlerin ist eher: Deutsche Interessen sind verwirklicht, wenn man Deutschland vor Europa schützt; so hat sie in den letzten Wochen agiert. Wir haben die Haltung: Europa liegt im deutschen Interesse. Das ist ein fundamentaler Unterschied zu der Ängstlichkeit und Zögerlichkeit der Bundeskanzlerin.
Die Bundeskanzlerin lässt sich gerne als Physikerin, als analytisch, vom Ende her denkende Frau darstellen. In diesem Fall muss man klar feststellen: Sie hat die Dinge nicht vom Ende her durchdacht. Zum Beispiel hat sie das Ansinnen, einen Europäischen Währungsfonds einzurichten - die Einrichtung eines solchen Fonds hat der Finanzminister früh vorgeschlagen -, zunächst abgewehrt. Deswegen war sie in der Brüsseler Sitzung unvorbereitet, als es um den Europäischen Währungsfonds ging und dieser, zumindest im Kern, entstanden ist. Die Bundeskanzlerin hat sich auf diese Situation nicht vorbereitet. Das war ein schwerer Fehler, den man ihr an dieser Stelle vorhalten muss.
Drittens. Wer in Europa etwas erreichen will, muss seinen eigenen Laden im Griff haben. Dies richtet sich an die Koalitionsfraktionen: Wer sich getrieben sieht von Koch auf der einen Seite und von Seehofer auf der anderen Seite -
- Doch, von den Grünen auch. -,
wer sich im Umgang mit der FDP vor den Wahlen eingegrenzt sieht, der hat keine Möglichkeit, in Europa vernünftig und richtig zu agieren. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Ihren Umgang mit der Finanzmarkttransaktionsteuer. Wie wollen Sie nach dem Herumgeeiere der Kanzlerin in Europa - ich rede jetzt nicht von der Runde der G 20 - eine Finanzmarkttransaktionsteuer durchsetzen, wenn Ihre Regierung nicht einmal in Deutschland in der Lage ist, eine klare Konzeption zu entwickeln?
Nach der Sitzung des Koalitionsausschusses vom 18. Mai hat Herr Kauder vorgetragen - ich zitiere -:
Wir haben im Koalitionsausschuss vereinbart, die Bundesregierung aufzufordern, sich über die Bankenabgabe hinaus für eine europäische, globale Beteiligung der Finanzmärkte einzusetzen, das heißt, für Finanztransaktionsteuer oder Finance Activities Tax. - Wie wollen Sie, wenn Sie hier einen Katalog ganz unterschiedlicher Steuerarten vorlegen, damit in Europa irgendeine Durchschlagskraft entfalten, Herr Kauder?
Die Botschaft dieses Textes und Ihrer Redeweise in den letzten Wochen ist: Sie wissen nicht, was Sie wollen; aber Sie wollen es in Europa durchsetzen. Damit machen Sie sich lächerlich und schwächen Ihre Glaubwürdigkeit.
Herr Kauder, Sie schütteln den Kopf. Die Leute draußen im Land fragen: Wann kommt der nächste Finanzmarktrettungsschirm? Wie geht es eigentlich weiter? Habt ihr die Dinge noch im Griff? - Sie verlangen zu Recht von der Regierung, dass sie endlich Maßnahmen ergreift, damit dieser Spekulationswahnsinn aufhört und nicht die kleinen Leute die Zeche für den Unsinn, den Sie angerichtet haben, bezahlen.
Da können Sie nicht mit Sätzen wie ?Ich weiß nicht genau, wie meine Steuer heißen soll? kommen. Da wird entschlossene, inhaltlich klare Politik gefragt sein, die Sie in den Tagen, die wir hinter uns haben, nicht geliefert haben.
Eine Bemerkung zum Abschluss: Es geht wirklich um die Frage, ob wir von den Märkten getrieben werden oder ob wir klare Rahmenbedingungen für die Finanzmärkte setzen können, damit diese wiederum ihre Aufgabe, nämlich der wirtschaftlichen Investition zu dienen, wahrnehmen können.
Dazu ist es jetzt notwendig, dass wir uns auf einen langen Weg machen und eine vernünftige, langfristige Politik betreiben. Das heißt auch Sparpolitik, aber wenn ganz Europa jetzt spart - das ist wichtig -, dann gehen wir wirtschaftlich in die Knie. Wir haben die Botschaft: Wir müssen sparen und investieren, und zwar an den richtigen Stellen, sonst machen wir haushaltspolitisch einen Stich, aber wirtschaftspolitisch verlieren wir und vergrößern die Arbeitslosigkeit. Ich finde, dass wir über Konzeptionen und darüber, dass die Politik das Primat über die Märkte bekommt, jetzt hier reden müssen, aber nicht unverbindlich, Herr Kauder, sondern mit dem klaren Willen, der Bevölkerung zu sagen: Die Politik macht sich daran, wieder die Hoheit über die Finanzmärkte zu bekommen. Dazu sind das, was Sie vorgelegt haben, und die Diskussion der letzten Wochen nicht geeignet. Aber wir werden Sie nicht in Ruhe lassen.
Eine allerletzte Bemerkung: Ich habe mir gestern Abend noch einmal Ihren Koalitionsvertrag durchgelesen.
- Freuen Sie sich nicht zu früh. - Ich kann Ihnen nur sagen: Dieses Ding ist acht Monate alt. Aber wenn Sie es auf die heutigen Probleme beziehen, dann kommen Ihnen die Tränen, wenn Sie sehen, welche Ignoranz dieser Vertrag gegenüber den heutigen Problemen offenbart. Sie sollten eine ganz andere Geschäftsgrundlage wählen.
Ich danke Ihnen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Für die Bundesregierung erhält nun der Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble das Wort.
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finanzen:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werbe dafür, dass wir angesichts der Bedeutung, der Tragweite und der Schwierigkeiten dieser Entscheidung nicht den Eindruck erwecken, als seien die taktischen Finessen das eigentlich Dominierende. Herr Kollege Kuhn, wenn Sie so überzeugend sagen, dass dieses Programm und diese Maßnahmen im Grunde richtig sind, dann würde ich doch dafür werben, dass Sie überlegen, ob Sie nicht mehr der Substanz als den taktischen Argumenten, die ich verstehen kann, Rechnung tragen.
Ich will gleichwohl Ihre Hauptargumente, warum Sie trotz Ihrer Zustimmung in der Sache glauben, heute nicht zustimmen zu können, aufgreifen, so gut ich kann. Der erste Punkt ist: Sie sagen, die Bundesregierung habe der Unterrichtungspflicht gegenüber dem Parlament nicht ausreichend Rechnung getragen. Ich will Sie auf Folgendes aufmerksam machen: Sie wissen, wie die Entscheidungsfindung von Freitag bis Sonntagnacht und Montagmorgen abgelaufen ist. Am Freitag haben wir über das Griechenland-Paket diskutiert, anschließend gab es Telefonkonferenzen der G-7-Finanzminister. Wir waren mit einer Situation konfrontiert, dass es beim Treffen der Staats- und Regierungschefs am Freitagabend schon gar nicht mehr in erster Linie um die Finalisierung und die abschließende Inkraftsetzung des Griechenland-Pakets ging, weil es inzwischen äußerst deutliche Signale gab, dass unmittelbar eine weltweite Krise der Finanzmärkte droht. Deswegen war rasches Handeln über das Wochenende unausweichlich.
Die formelle Entscheidung über die Rechtsverordnung des Rates - sie bezieht sich auf die 60 Milliarden Euro, nicht auf die 440 Miliarden Euro; das muss man auch einmal sagen - ist am Dienstag in einem Europäischen Rat getroffen worden. Am Montag sind die Fraktionsvorsitzenden durch die Bundesregierung unterrichtet worden.
- Frau Kollegin Künast, der Kollege Thomas de Maizière, der mich dankenswerterweise in diesen Tagen vertreten hat, hat mir eben noch einmal bestätigt, dass bei der Unterrichtung der Fraktionsvorsitzenden am Montag in keinster Weise irgendeine Einwendung gegen die Prozedur erhoben worden sei.
Ich bin nicht dabei gewesen; Sie können das untereinander ausmachen. Das ist ein nachgeschobenes Argument. Sie müssen das gegen sich gelten lassen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Trittin?
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finanzen:
Bitte, ja.
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Kollege Schäuble, ich will Ihnen zugutehalten, dass Sie an dem Termin ja nicht teilnehmen konnten. Ich will Sie deswegen davon unterrichten - und Sie fragen, ob Ihnen das niemand gesagt hat -, dass auf die Frage, wie wir verfahren, ich die Bundeskanzlerin gefragt habe: Werden wir vor der Beschlussempfehlung das Vertragswerk über die Zweckgesellschaft vorgelegt bekommen? - Die Bundeskanzlerin hat dies in Anwesenheit von mir und den anderen Fraktionsvorsitzenden ausdrücklich zugesagt. Bevor Sie hier unterstellen, dass wir - -
- Vor der zweiten Lesung, Frau Bundeskanzlerin. - Das heißt, das war das Verfahren, und dieses Verfahren ist von dieser Bundesregierung nicht eingehalten worden. Das heißt, die Bundeskanzlerin hat ihre Zusage gegenüber den Fraktionsvorsitzenden nicht eingehalten.
Wollen Sie bitte zweitens zur Kenntnis nehmen, dass nach dem Grundgesetz - Sie waren mal Verfassungsminister - und nach einfachgesetzlichen Regelungen die wichtige und richtige Unterrichtung der Fraktionsvorsitzenden - für die bin ich auch dankbar; das habe ich der Bundeskanzlerin sogar geschrieben - eine Beteiligung des Deutschen Bundestages nicht ersetzt? Das ist die verfassungsrechtliche Realität in diesem Lande.
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finanzen:
Herr Kollege Trittin, Sie machen jetzt wieder den Trick, dass Sie zwei Dinge verwechseln, vermischen.
- Entschuldigung! Ich erkläre es Ihnen. - Der Vorwurf des Verfassungsverstoßes kann sich nur auf die Rechtsverordnung des Europäischen Rates bezüglich der europäischen Fazilität in Höhe von 60 Milliarden Euro beziehen. Sie reden jetzt von den 440 Milliarden Euro Kreditermächtigung bzw. Gewährleistungsermächtigung. Das sind zwei verschiedene Dinge.
Nehmen Sie den Vorwurf des Verfassungsverstoßes zurück,
dann können wir darüber reden, ob die Bundeskanzlerin, ob wir aus welchen Gründen - -
- Nein, er ist nicht zugegeben worden; ich habe ihn gerade widerlegt,
weil ich Ihnen gesagt habe, dass die Unterrichtung vor der Beschlussfassung im Europäischen Rat stattgefunden hat.
Jetzt kommt der zweite Punkt, den ich Ihnen in der Sache sagen wollte. Ich bin wirklich dafür, dass wir die Dinge in der Sache so gut wie möglich klären, damit Klarheit auch bei unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern herrscht.
Sie sagen: Wir wissen nicht wirklich, worüber wir entscheiden. - Das ist doch vorgeschoben, mit Verlaub. Es ist in dem Beschluss doch klar angelegt, dass wir - zunächst einmal - auf der Grundlage von Art. 122 Abs. 2 des europäischen Vertrags 60 Milliarden Euro zur Verfügung stellen, unter den Voraussetzungen, die genau definiert worden sind. Die europarechtliche und verfassungsrechtliche Begründung dieser Maßnahme ist einwandfrei: weil sich durch das Überschwappen der Wirkungen aus der Griechenland-Krise auf andere Länder eine von den einzelnen Mitgliedsländern im Sinne von Art. 122 Abs. 2 des Vertrages nicht verschuldete Situation ergeben hat. Deswegen befinden wir uns bei diesen 60 Milliarden Euro auf einer einwandfreien rechtlichen Grundlage. Das ist der Beschluss des Europäischen Rats. Darüber hinaus haben die Mitgliedsländer der Euro-Gruppe verabredet. Das muss man rechtlich unterscheiden; das ist für die Bevölkerung vielleicht nicht ganz so wichtig, aber wenn Sie so argumentieren, will ich das doch ganz korrekt darlegen, damit klar ist: Im Verfahren ist es so korrekt, wie es in der Sache notwendig ist, was wir heute entscheiden.
Also zu dieser Maßnahme haben sich die Euro-Länder intergouvernemental verabredet: bis zu 440 Milliarden Euro Finanzfazilitäten für notleidende Länder zur Verfügung zu stellen, unter den Voraussetzungen, die in dem Beschluss sehr genau definiert sind und die im Übrigen in unserem Gesetzentwurf, den wir jetzt verabschieden wollen, wofür wir um Ihre Zustimmung bitten, genau enthalten sind, und zwar in § 1.
Voraussetzungen: Es muss erstens festgestellt werden, dass ein Land der Euro-Zone notleidend ist; an diesem Beschluss wirkt dieses Land nicht mit. Es muss zweitens klargestellt sein, dass die Mittel aus der Europäischen Kommission, also die 60 Milliarden Euro, nicht ausreichen. Es müssen drittens Konditionalitäten wie bei Griechenland vereinbart sein. Es müssen viertens EU-Kommission, EZB und IWF genauso beteiligt sein wie bei Griechenland.
Unter diesen Voraussetzungen stellen die Euro-Länder über eine zu gründende Gesellschaft - die hat aber nur den Auftrag der technischen Durchführung und keinen Auftrag der materiellen Gestaltung - Kreditfazilitäten in einer Höhe von bis zu 440 Milliarden Euro zur Verfügung, die pro rata bei den einzelnen Anleihen durch die Mitgliedstaaten garantiert werden. Das ist der Regelungsgehalt. Dafür haben Sie alle genauen Eckpunkte zur Verfügung gestellt bekommen, durch mich persönlich übermittelt. Wir haben auch unmittelbar nach meiner Rückkehr aus Brüssel am Dienstag miteinander telefoniert; ich glaube, sogar schon auf der Fahrt zum Flughafen in Brüssel. Deswegen sollten Sie die Dinge nicht falsch darstellen.
In der Sache ist klar, was zur Entscheidung ansteht. Natürlich ist dieser Gesellschaftsvertrag noch nicht abschließend formuliert. Wir haben die Eckpunkte Montagnacht in der Euro-Gruppe genau vorgegeben. Das muss politisch entschieden werden. Wir haben den Auftrag erteilt. Wir werden heute Mittag am Rande unseres Treffens in der Van-Rompuy-Gruppe sehen, wie weit man dort gekommen ist. Ich habe zugesagt, dass ich zu jedem Standpunkt jede mir zugängliche Information auch allen Fraktionen des Bundestags zur Verfügung stelle. Aber Sie haben keine Ausrede, um in der Sache eine Entscheidung zu verweigern; das haben Sie nicht.
Nun will ich eine dritte Bemerkung machen. Es wird gesagt: Warum machen wir das so schnell? Ja, wir sind dieses Mal das erste Land, das, soweit parlamentarische Entscheidungen notwendig sind - die sind nicht in allen Ländern notwendig; in Deutschland sind sie notwendig -, entscheidet. Aber es ist nun einmal so: Wir haben ja gesehen - bei Griechenland, aber auch nach der Entscheidung des Europäischen Rats -, dass zwar am Montag die Märkte ein wenig reagiert haben; aber seit Dienstag haben wir wieder eine Entwicklung gehabt, dass der Euro rückläufig gewesen ist. Deswegen ist eben entscheidend, dass wir zwei Dinge machen:
Erstens müssen wir wirklich dafür sorgen, dass die Ursachen der Spekulationen bekämpft werden, das heißt die Reduzierung der Defizite durch alle Länder der Euro-Zone.
Dafür haben Spanien, Portugal und andere Länder Maßnahmen beschlossen, und auch wir werden unseren Teil dazu beizutragen haben. Die Debatten darüber, wie sich die Schuldenbremse des Grundgesetzes im Haushalt 2011 und im mittelfristigen Finanzplan auswirkt, stehen uns bevor. Wir müssen unseren Beitrag leisten. Alle sind dazu entschlossen.
Zweitens. Wir müssen das Instrumentarium des Stabilitäts- und Wachstumspakts schärfen. Dazu sind Vorschläge gemacht auf Anstoß der Bundesregierung. Ich habe Vorschläge veröffentlicht. Die Bundeskanzlerin hat im Europäischen Rat am 25. März durchgesetzt, dass die Arbeitsgruppe der Finanzminister unter dem Vorsitz des Ratspräsidenten eingesetzt wird. Das hat den Sinn, dass wir nicht nur innerhalb der europäischen Verträge reden können, sondern dass wir in der Van-Rompuy-Gruppe auch über Vertragsänderungen sprechen können. Darüber haben wir noch keinen Konsens mit allen Mitgliedstaaten; das ist wahr. Aber heute Mittag um 14 Uhr fangen wir an. Wir haben Vorschläge gemacht. Die Kommission hat Vorschläge gemacht - die wir lange eingefordert hatten -, wie man das Instrument des Stabilitäts- und Wachstumspaktes schärft. Das ist der eine Punkt.
Der andere Punkt ist: Wir müssen in Kraft setzen, was wir im Europäischen Rat verabredet haben. Denn die Märkte vertrauen erst, wenn das tatsächlich in Kraft ist. Es ist eine Realität, dass die Märkte stärker auf Deutschland schauen als auf Zypern oder Malta, die auch Mitglied der Euro-Zone sind. Deswegen ist es richtig - um Vertrauen auf den Märkten zu gewinnen, damit die Maßnahmen wirken -, dass wir so schnell entscheiden, wie wir es uns vorgenommen, wie wir es verabredet haben.
Deswegen ist das nicht Taktik oder irgendetwas anderes, sondern es ist in der Sache geboten, wenn wir das erreichen wollen, was Sie ja im Prinzip als richtig erklärt haben, nämlich das Paket zur Stabilisierung der europäischen Währung. Nehmen Sie das also nicht als Argument, um nicht zuzustimmen, sondern stimmen Sie zu.
Übrigens will ich Ihnen in diesem Zusammenhang sagen: Wir hatten gestern im Finanzministerium eine Finanzmarktkonferenz, um einen Beitrag zur Vorbereitung des G-20-Gipfels im kommenden Monat in Kanada zu leisten. Das hat insofern gut gepasst, als wir von allen anwesenden G-20-Staaten gehört haben, dass auch Asien mit großer Besorgnis darauf schaut, dass es gelingt, die Krise um den Euro zu stabilisieren, weil die Gefahr von Folgewirkungen auf das gesamte Weltwährungs- und -finanzsystem bestanden hätte. Deswegen haben wir diese große Verantwortung.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Minister, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wieland zu?
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finanzen:
Bitte, Herr Wieland.
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Bundesminister, da Sie uns ja vorgeworfen haben bzw. an uns appelliert haben, nicht wegen taktischer Mätzchen das Ja zu verweigern, frage ich Sie: Stimmt es, dass Sie in Brüssel dafür geworben haben - sich bei Ihren Kolleginnen und Kollegen aber nicht durchgesetzt haben -, dass der Bundestag vor der Übernahme einer jeden Garantie ein Veto bekommt, und können Sie es mit Ihrem Verständnis des Parlamentes vereinbaren, dass das Parlament sein Budgetrecht so weit auf die Exekutive überträgt, dass nur noch eine Bemühenszusage der Bundesregierung herausgekommen ist?
Ich frage jetzt ganz zugespitzt, gerade weil der Kollege van Essen vorhin den Bundesbankpräsidenten zitiert hat: Sollen die Finanzmärkte dann auch noch die Demokratie bestimmen? Sollen sie auch noch über unser Budgetrecht bestimmen? Ist ein Parlament noch ein Parlament, wenn es sich insoweit seines vornehmsten Rechtes entäußert?
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finanzen:
Herr Kollege Wieland, es ist genau gegenteilig. Ich habe mich in der Sitzung der Euro-Gruppe dafür eingesetzt, dass wir dieses Instrument so gestalten, dass es auf den Finanzmärkten seine Wirkung erzielt. Was dazu erforderlich ist, hat Bundesbankpräsident Weber - Herr van Essen hat es zitiert - in der Anhörung des Finanzausschusses gesagt. Sie könnten Herrn Trichet fragen, Sie könnten Herrn Strauss-Kahn fragen, wen immer Sie wollen. Die werden Ihnen alle das Gleiche sagen.
Die Wahrheit ist umgekehrt. Als ich von Bemühungen, die ich sehr respektiere, gehört habe, jede einzelne Entscheidung von der Zustimmung des Parlaments abhängig zu machen, habe ich sehr darum gebeten, dass wir diesen Weg nicht gehen. Das hat uns ein paar zusätzliche Gespräche eingebracht; das ist immer gut. Jetzt haben wir uns auf eine Regelung verständigt - sie steht in der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses -, der Ihre Fraktion im Haushaltsausschuss zugestimmt hat:
dass wir genau die Regelung übernehmen, die wir in dem Gesetz über die Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung und dem Bundestag in europäischen Fragen am 25. September 2009 festgelegt haben. Besser kann man es gar nicht machen, meine Damen und Herren.
Ich würde gerne noch eine Bemerkung zu dem Thema ?Besteuerung des Finanzsektors? machen. Ich finde, wenn wir ehrlich mit unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern umgehen, dann können wir erstens zugeben, dass es unterschiedliche Meinungen über die Wirkungsweise und Wirkungskraft einer Finanztransaktionsteuer gibt. Die gibt es in der Welt, die gibt es immer.
- Ja, einverstanden.
Wir können zweitens sagen, dass es jedenfalls eine Übereinstimmung gibt. Die Bundeskanzlerin hatte mich im Übrigen beauftragt. Hören Sie sich doch einmal bei Ihren Kollegen in der Euro-Gruppe, im Ecofin, um, wie sie diese Fragen beurteilen. Die Antwort habe ich auch im Haushaltsausschuss sehr präzise gegeben und dort berichtet. Es gibt niemanden, der in Europa national eine Finanztransaktionsteuer einführen will - kein Land.
- Nein, kein Land, kein Staat, kein Mitgliedstaat der Europäischen Union - das ist meine Antwort auf den Unterrichtungsauftrag der Bundeskanzlerin -, weil sie alle sagen: Das macht keinen Sinn. Alle sagen mehr oder minder: Ja, wenn es global geht, ist das gut. Das ist übrigens seit langem die Position der Christlich-Demokratischen Union, insbesondere auch ihrer Vorsitzenden, der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Wenn es global geht: Ja. Die Frage: ?Geht es global??, wird von vielen sehr skeptisch beurteilt; das wissen auch Sie.
- Ja, das wissen wir auch. Ich gehe gerade Schritt für Schritt vor. Seien Sie ganz geduldig! So wie ich im Haushaltausschuss präzise war, will ich es auch hier sein.
Die Staats- und Regierungschefs haben im G-20-Prozess in Pittsburgh verabredet: Bis zum nächsten Gipfel im Juni 2010 - er findet demnächst in Kanada statt - wollen wir geklärt haben: Gibt es eine Chance, die Steuer weltweit einzuführen? Wenn es diese Chance gibt, wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen.
Wenn nach dem G-20-Gipfel in Kanada im Juni feststeht, dass es diese Chance auf absehbare Zeit nicht gibt, dann - und nur dann - besteht eine reale Chance, in Europa eine Antwort von den anderen Staaten zu bekommen: Gibt es eine Chance auf eine europäische Finanzmarkttransaktionsteuer? Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen.
So ist es gesagt, und so ist es geklärt.
Damit Sie nicht hinterher sagen, das hätten wir nicht gesagt, sage ich Ihnen eines vorher. Es wird dann in Europa eine ganz zentrale Frage sein: Geht eine solche Steuer nur unter Einschluss des größten Finanzplatzes, London, oder geht sie notfalls, wenn es europaweit kein Einvernehmen gibt, auch ohne ihn? Die Haltung des Vereinigten Königreichs - es hat eine ganz neue Regierung; dort gab es vor kurzem Wahlen - ist in der Frage nicht völlig klar. Besser wäre eine Regelung für ganz Europa. Aber wenn eine Regelung für ganz Europa nicht möglich ist, werden wir über die Frage zu entscheiden haben: Gibt es eine Chance, das im Euro-Bereich einzuführen? Auch dafür werden wir uns einsetzen;
aber ob wir dafür eine Mehrheit im Euro-Bereich bekommen, kann ich Ihnen heute nicht versprechen. Das ist die Haltung der Bundesregierung; so ist es präzise.
- Entschuldigung! Um diese Frage so klar zu beantworten, hat sie ihren Finanzminister beauftragt, das erst einmal zu klären;
er gibt Ihnen jetzt die Antwort. Das können Sie nicht der Bundeskanzlerin vorwerfen.
Nachdem dies alles geklärt ist, verehrte Kolleginnen und Kollegen, können wir doch jetzt zur Sache zurückkehren.
SPD wie Grüne sagen: Eigentlich ist es richtig; eigentlich ist jede andere Alternative - die gibt es immer - viel schlechter und viel gefährlicher, also müssen wir es machen. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns wieder gemeinsam unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern sagen, warum wir dies tun. Wir tun dies eben nicht aus Großzügigkeit gegenüber anderen, sondern wir tun es in unserem besten, wohlverstandenen nationalen Interesse. Dieses nationale Interesse heißt: eingebunden bleiben in das weiter zusammenwachsende Europa.
Die gemeinsame europäische Währung und die Wirtschaftsgemeinschaft sind für Deutschland von ganz überragendem Vorteil. Man muss sich einmal die Zahlen anschauen: Wenn man Exporte und Importe zusammenrechnet, dann erkennt man, dass der Anteil unserer Verflechtung in den globalisierten Welthandel doppelt so groß wie beim nächsten großen Welthandelsland Japan; so stark sind wir davon abhängig. Fast zwei Drittel unserer Exporte gehen in die Mitgliedsländer der Europäischen Währungsunion. Hätten wir keine gemeinsame Währung, hätten wir eine viel geringere wirtschaftliche Leistungskraft, weniger Wohlstand und weniger soziale Sicherheit. Deswegen ist die Verteidigung des Euro, der Stabilität unserer europäischen Währung, ein Akt unserer eigenen Verantwortung für unser gemeinsames Europa.
Im Übrigen: Wenn wir Defizite reduzieren, dann ist das nicht etwas, was uns Brüssel auferlegt, sondern es ist im Interesse der Nachhaltigkeit unvermeidlich. Deswegen fangen manche Mitgliedstaaten an, darüber nachzudenken, ob die deutsche Schuldenbremse im Grundgesetz nicht auch deswegen klug ist. Natürlich kann man den Stabilitätspakt auch so ausgestalten, dass er eine europäische Schuldenbremse ist. Aber die nationale Verankerung in der nationalen Verfassung hat den Sinn, der Bevölkerung klarzumachen: Wir tun das nicht für andere; wir tun es für uns selbst, im Interesse künftiger Generationen, im Interesse der Nachhaltigkeit unserer Finanzpolitik. Auch dies muss man sehen.
Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Das, was wir entscheiden, ist keine Kleinigkeit. - Im Übrigen geben wir nicht Steuergelder aus, sondern wir ermächtigen für die Garantie von Krediten. Das ist schon ein Unterschied. Die Haushaltsprobleme für den Haushalt 2011, für die Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung und für die Einhaltung der Schuldenbremse bestehen völlig unabhängig von dem, was wir heute zu entscheiden haben, und sie sind groß genug. Das will ich nicht kleinreden. Wir sollten das nicht vergessen. - Es ist keine Kleinigkeit. Aber das ist die Konsequenz einer Entscheidung, mit der wir sagen: Wir setzen auf ein handlungsfähiges, starkes Europa, und wir setzen auf die Stabilität unserer gemeinsamen europäischen Währung. Dafür sind wir bereit, Verantwortung zu übernehmen. Ich hoffe, das gilt nicht nur für die Koalition, sondern auch für alle anderen, die sich in diesem Hause für europäische Politik einsetzen.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Sigmar Gabriel für die SPD-Fraktion.
Sigmar Gabriel (SPD):
Das müssen Sie doch verstehen; die rechte Seite ist ein bisschen angeschlagen. Damit kennen Sie sich doch aus, oder nicht?
Herr Präsident! Frau Bundeskanzlerin! Meine Damen und Herren!
- Herr Westerwelle wünscht mir gute Besserung; politisch wünsche ich Ihnen das auch.
Aber im Ernst, Herr Schäuble: Was sollen wir Ihnen denn nun eigentlich glauben? Sie sagen im März: Es gibt keine Chance zur Einführung einer Finanztransaktionsteuer. Am 18. Mai im Deutschlandfunk machen Sie die Einführung noch völlig davon abhängig, dass sie weltweit erfolgt, weil sonst die Gefahr einer Abwanderung in die USA und nach Asien bestehe, und heute erklären Sie nun, Sie seien - ich habe genau zugehört - sogar bereit, es nur im Euro-Raum zu versuchen.
Meine Frage an Sie ist: Wenn dies ein ernsthafter Meinungswandel bei Ihnen ist, warum, Herr Kollege Schäuble, beschließen wir es dann nicht einfach heute hier im Deutschen Bundestag? Warum?
Sie haben vor zwei Wochen hier im Haus der SPD ein Zitat aus der Bergpredigt entgegengehalten: ?Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein.? Herr Kollege Schäuble, so richtig bekomme ich Ihre 180-Grad-Wendung mit diesem Zitat nicht zur Deckung; das muss ich offen sagen.
So ist das, wenn man die Bergpredigt ins Parlament einführt: Irgendwann schlägt sie zurück.
Also, Herr Kollege Schäuble, mich würde wirklich interessieren: Was ist denn nun eigentlich die Position der Regierung und der Koalitionsfraktionen, und warum beschließen wir die Steuer heute nicht? Ich kann ja verstehen, dass inzwischen selbst in Ihren eigenen Reihen große Zweifel - übrigens auch an Ihrer persönlichen Glaubwürdigkeit, Herr Schäuble - existieren.
- Sie sagen ?Unverschämtheit?. Das müssen Sie Herrn Seehofer sagen. Er sagt das heute in der Süddeutschen Zeitung.
- Das sagen wir doch nicht. Wenn Sie danach rufen, dann zitiere ich ihn. Es ist doch Ihr Ministerpräsident. Er fragt heute in der Süddeutschen Zeitung, warum Finanzminister Schäuble die Finanztransaktionsteuer in Frage stellt, obwohl die Koalition sie doch will. Seehofer:
Wenn der Koalitionsausschuss sagt, die Steuer kommt, und der Finanzminister gleichzeitig sagt, sie kommt nicht, dann fühlt sich doch die Bevölkerung verhöhnt. ? Ich muss mich
- so Seehofer -
schon manchmal sehr zurückhalten, um nicht aus der Haut zu fahren.
Das geht uns auch so, meine Damen und Herren. Das geht uns ganz genauso.
Ein paar von Ihnen haben eben dazwischengerufen: Die Haltung der SPD zum Euro. Jetzt sage ich Ihnen mal eins: Ein Teil Ihrer eigenen Koalition klagt gegen Ihre Gesetze vor dem Verfassungsgericht und ein anderer erklärt, Sie seien führungsschwach und wüssten nicht, wie das Ganze zusammengehen soll. Sie haben ein Problem in der europäischen Debatte, nicht wir!
Aber so geht das ja nun schon seit Monaten. Vor genau zwei Wochen berieten wir im Deutschen Bundestag nach wochenlangen Dementis von Wolfgang Schäuble, Angela Merkel und vielen anderen Koalitionären über 22,4 Milliarden Euro Garantierahmen für Griechenland - und keinen Cent mehr, so der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Herr Fricke.
- Darauf habe ich gewartet, Herr Kollege Fricke. Ich will nicht sagen: dümmere - - Aber es wird Ihrer intellektuellen Fähigkeit nicht gerecht, sich mit der Ausrede zufrieden zu geben.
Wir haben hier im Deutschen Bundestag und in der Öffentlichkeit die Frage diskutiert: Kann das eigentlich Folgewirkungen in anderen Ländern haben? Wann kommen die Nächsten? Da haben Sie gesagt: Keinen Cent mehr, und zwar ohne die Einschränkung zu Griechenland. Das ist Ihre Position, die Sie hier eingenommen haben.
Herr Fricke, Sie sollten sich nicht davon distanzieren. Sie sind, jedenfalls nach Ihrer Auffassung, in guter Gesellschaft; denn Herr Brüderle hat am 5. März auf ntv bereits verkündet: Wir haben nicht die Absicht, Griechenland einen Cent zu geben. - Am gleichen Tag, als wir hier entschieden haben, als Herr Fricke für keinen Cent weitere Zugeständnisse machen wollte, flog Frau Merkel nach Brüssel, um über 123 Milliarden Euro - Herr Fricke, das sind 12,3 Billionen Cent - mehr zu verhandeln.
Jetzt gibt es zwei Rückschlüsse. Entweder die Regierung hat am Freitagmorgen vor 14 Tagen dem Parlament gegenüber nicht die ganze Wahrheit gesagt, oder - und das ist vermutlich die weitaus schlimmere Nachricht und Wahrheit - sie hat wirklich nicht gewusst, was auf sie in Brüssel zukommt. Die Kanzlerin der größten Volkswirtschaft Europas, die Regierungschefin eines der wichtigsten Motoren der Europäischen Union, kommt auf einen EU-Gipfel und wird von Frankreich und allen anderen Mitgliedstaaten
vor vollendete Tatsachen gestellt. Das ist die Realität, die Sie uns heute hier versuchen, zu erklären.
Vorsicht, wenn Sie das bestreiten! Dann bleibt nur die Alternative, dass Sie es wussten, uns es aber nicht gesagt haben.
Das hatte einen anderen Grund - das muss man einmal aussprechen -: Die anderen EU-Staaten hatten die Nase gestrichen voll von Ihrer Taktiererei, Frau Bundeskanzlerin.
Die Staats- und Regierungschefs wollten den Euro nicht ein zweites Mal aufs Spiel setzen, nur um Ihren taktischen Winkelzügen in der Innenpolitik folgen zu müssen. Sie hatten es satt. Das ist der Grund, warum sie Sie vor vollendete Tatsachen gestellt haben.
Frau Bundeskanzlerin, seit Konrad Adenauer ist nie ein deutscher Bundeskanzler in Europa so vorgeführt worden. Seit Konrad Adenauer hat noch niemand die deutsch-französische Achse so grundlegend ruiniert, wie Sie das in den letzten Monaten getan haben.
Nun kommen Sie in den Deutschen Bundestag und fordern all das, was Sie vor der Blamage in Brüssel hier im Parlament und in der Öffentlichkeit noch vehement abgelehnt haben. Ich frage Sie nur mal eins: Wer soll eigentlich der immer schnelleren Folge Ihrer Regierungserklärungen noch Glauben schenken? Das machen doch offensichtlich, siehe Seehofer, nicht einmal Ihre eigenen Leute. Aber ich will ja von Herrn Schäuble und anderen nicht mehr Überzeugungsfähigkeit erwarten, als ihrer eigenen Kanzlerin zur Verfügung steht. Von daher waren meine Erwartungen an die heutige Debatte nicht allzu groß.
Aber was Sie sich am letzten Sonntag, Frau Bundeskanzlerin, beim DGB-Bundeskongress erlaubt haben, ist schon einmalig. Es war Ihnen offensichtlich nicht einmal peinlich, den DGB-Vorsitzenden bei der Debatte, wie man die Kapitalmärkte endlich zur Kasse bittet, damit die Kosten bezahlt werden, die dort angerichtet wurden, aufzufordern, er möge doch dafür sorgen, dass alle 20 Gewerkschaftsbünde der G-20-Industriestaaten ihre Staats- und Regierungschefs dazu bringen, die Forderung nach einer Finanztransaktionsteuer zu unterstützen.
Dann seien auch Sie dafür und würden die Steuer fordern. Frau Dr. Merkel, Sie haben wirklich ein seltsames Rollenverständnis: Sie müssen kämpfen, nicht andere. Sie müssen vorgehen, nicht andere.
Sie sind doch nicht Deutschlands oberste politische Animateurin, die andere auffordert. Sie selber müssen doch führen und handeln. Aber genau hier liegt der Unterschied zwischen Ihnen und anderen Regierungschefs in der Europäischen Union.
Wenn Sie das jetzt kurz nach dem DGB-Kongress wirklich ernst meinen und für die Finanztransaktionsteuer kämpfen wollen, wenn Sie für diese Steuer auf einmal sogar - ich zitiere Sie noch einmal - ?Rabatz machen? wollen, wie Sie vorgestern erklärt haben, dann frage ich Sie: Warum beschließen wir das nicht heute hier im Parlament?
Sie sind ja nicht einmal bereit, dem sehr knapp gefassten Entschließungsantrag der SPD zuzustimmen, der in großen Teilen wörtlich Ihrer Regierungserklärung vom Mittwoch - für den Fall, dass Sie sich daran nicht mehr erinnern - entnommen ist. In ihm wird ohne große Schnörkel gefordert - Herr Schäuble, hören Sie genau zu -: Zuerst soll die Bundesregierung bei G 20 für die Beteiligung der Kapitalmärkte kämpfen und, wenn die nicht mitziehen, es in Europa alleine machen. Das hatten Sie doch eben hier versprochen.
Das ist doch das Versprechen der Bundeskanzlerin.
Warum wehren Sie sich eigentlich so heftig, dass das deutsche Parlament dieses beschließt und Ihnen damit den Rücken stärkt? Warum sind Sie eigentlich dagegen?
Die Antwort ist einfach: weil Sie in Wahrheit nichts als einen faulen Formelkompromiss mit Ihrem Wunschpartner FDP hinbekommen haben, ohne substanziellen Willen der gesamten Bundesregierung, auch wirklich dafür einzutreten. Herr Westerwelle ist als Außenminister auch bei diesem Kampf für eine angemessene Beteiligung der Kapitalmärkte ein Totalausfall für Deutschland und Europa.
Da lobe ich mir wahrhaft standhafte Konservative wie Jean-Claude Juncker aus Luxemburg. Er sagt öffentlich: Ja, er ist bereit, wenn zum Beispiel die Briten nicht mitmachen, es dann alleine in der Euro-Zone zu machen. Der hat Mumm. Der kuscht nicht vor ein paar Drohungen dieser Nieten in Nadelstreifen,
denen immer ein neues Argument einfällt, wenn es darum geht, sich selbst davor zu schützen, dass sie die Kosten tragen, die sie selber zu verantworten haben.
- Es geht nicht um einen Luxemburger, es geht um den Vorsitzenden der Finanzminister des Euro-Rates. Scheinbar scheint Ihnen der nichts wert zu sein.
- Wir sollten die Zwischenrufe, die hier ja aufgezeichnet werden, einmal den Kollegen in Europa zuschicken. Mal sehen, wie die darauf reagieren.
Frau Bundeskanzlerin, ich habe Sie in der Umweltpolitik als mutig erlebt.
Glauben Sie wirklich, dass es den Emissionshandel in Europa gäbe, wenn Deutschland dazu nicht Ja gesagt hätte, wenn wir nicht gegen die Lobbyisten im eigenen Land, gegen die Zauderer und Zögerer während unserer EU-Ratspräsidentschaft Druck gemacht und den Emissionshandel verschärft hätten? Ich sage Ihnen: Nichts anderes erwarten wir auch von Ihnen. Wir müssen mutiger sein und in Europa vorangehen. Aber Sie waren wohl nur so lange eine mutige Kanzlerin, solange Sie von Sozialdemokraten bewacht wurden.
- Man kann sich auf Ihre Zwischenrufe verlassen.
In den letzten zwei Regierungserklärungen, Frau Bundeskanzlerin, haben Sie sich ins Pathos geflüchtet.
Aber wie sieht eigentlich die Realität aus? Was haben Sie eigentlich in den letzten sieben, acht Monaten bei der Finanzmarktregulierung getan?
Vor lauter internem Streit und Taktieren vor der Landtagswahl in NRW hat Ihre schwarz-gelbe Wunschkoalition in den sieben, acht Monaten genau drei Vorhaben auf den Weg gebracht, die sich mit dem Thema Finanzmarktregulierung befassen. Alle drei beschränken sich auf die Umsetzung von EU-Recht, und, übrigens, keines dieser Verfahren ist abgeschlossen. Nur zum Vergleich: Zwischen Ende 2008 und Sommer 2009 hat der sozialdemokratische Finanzminister Peer Steinbrück - übrigens meistens gegen energische Widerstände aus der Union - ein Gesetz zur Regulierung der Vorstandsvergütung, zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung, zur bilanziellen Aufdeckung der Zweckgesellschaften, zur Verschärfung der Haftung der Manager, zur Erhöhung der Transparenz bei Unternehmensbeteiligungen sowie Maßnahmen zur Begrenzung der Vergütung in der Finanzbranche durchgesetzt und dazu zahlreiche Maßnahmen auf EU-Ebene vorangebracht,
übrigens immer gegen den erbitterten Widerstand der FDP. Das, Frau Bundeskanzlerin, ist die Bilanz, wenn man wirklich handelt. Was haben Sie in Ihrer Regierungserklärung gesagt? - ?Es ist Zeit zum Handeln?. Das finden wir auch. Wir haben es getan. Wann tun Sie das endlich, anstatt immer nur Ankündigungen zu verbreiten?
- Ich weiß gar nicht, was die Zwischenrufe sollen. Sie sind doch selber stolz auf die Zeit, als Sie mit uns regiert haben. Sie haben in dieser Woche die Broschüre ?Deutschland gestärkt aus der Krise führen - Jahresbericht der Bundesregierung? an die Abgeordneten verschickt.
Schlagen wir sie auf. Wer ist zu sehen? - Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier.
Frau Merkel sagt gerade, das waren noch schöne Zeiten. Da haben Sie recht, Frau Merkel. Ich verstehe, dass Ihnen der Kollege zur Rechten inzwischen auf den Geist geht, aber dann lösen Sie sich irgendwann von ihm! Das verstehe ich ja alles.
Herr Westerwelle, angesichts des Fotos würde ich mir ernsthafte Sorgen machen.
Im Ernst: Wir haben eine Menge geleistet, und jetzt wird nur angekündigt.
Frau Bundeskanzlerin, einen Tag vor der ersten Lesung des Gesetzentwurfs - ein Schelm, wer Böses dabei denkt - erklären Sie, dass die BaFin angewiesen worden sei, die Leerverkäufe zu verbieten. Ich frage Sie genau wie der Kollege Gysi und andere: Warum haben Sie eigentlich Leerverkäufe, deren Verbot Peer Steinbrück schon durchgesetzt hatte, überhaupt erst wieder erlaubt? Offensichtlich brauchen Sie immer öffentlichen Druck und den Druck der Opposition, damit Sie überhaupt irgendetwas machen. Alleine bringt diese Regierung nichts zustande.
Frau Bundeskanzlerin, bis heute haben Sie von sich aus kein Konzept für die Überwindung der Krise vorgelegt. Stattdessen passen Sie sich immer den neuen Stimmungen in der Koalition an, anstatt klar Stellung zu beziehen und verbindliche Vorstellungen über Ihr beabsichtigtes Engagement im Parlament vorzulegen und beschließen zu lassen. So jedenfalls kann man kein Land regieren, und so führt man auch kein Land aus der Krise heraus, sondern immer tiefer hinein. Stattdessen erleben wir Sie und Ihr Kabinett in Zeitlupe. Seit September letzten Jahres führen Sie Tag für Tag neue Koalitionsverhandlungen. Seit Jahresbeginn eilen Sie der Realität an den Märkten hinterher. Sie sind längst zur Getriebenen geworden, zur Getriebenen der Märkte, der europäischen Partner, Ihres liberalen Wunschpartners, inzwischen sogar Ihrer eigenen Fraktion und am Ende notfalls durch die Medien. Sie haben keine Linie, Sie haben kein Ziel, und Sie wissen nicht, wohin mit diesem Land und mit Europa. Das ist die Bilanz Ihrer Regierung nach sieben bis acht Monaten in diesem Land.
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben vorgestern unzählige Male eine neue Stabilitätskultur in Europa angemahnt, offenbar ein neues Lieblingswort Ihrer Redenschreiber. Wir haben gar nichts gegen eine neue Stabilitätskultur, aber uns würde es schon reichen, wenn Sie diese zunächst in Ihrer eigenen Koalition einführen würden.
Nur am Rande: Sie tun jetzt öffentlich so, als ob das Taktieren, das Abwarten keine Folgen hätte. Sie erklären sogar mokant, Langsamkeit sei eine Tugend. Das liegt natürlich daran, dass Sie die Kosten dieser Langsamkeit nicht zu bezahlen haben. Sie kündigen ja schon ein eisernes Sparprogramm an. Für wie dumm halten Sie die Menschen eigentlich? Erst versprechen Sie monatelang gemeinsam mit der FDP Milliardensteuergeschenke bei gleichzeitiger Entschuldung des Landes, und kaum ist die Landtagswahl in NRW am 9. Mai vorbei, da kassieren Sie alle Steuersenkungsvorhaben und kündigen stattdessen entschiedene Sparprogramme an. Mich würde es übrigens nicht wundern, wenn das Versprechen eines milliardenschweren Steuersenkungsprogramms kurz vor der nächsten Bundestagswahl wieder als Hauptforderung von Union und FDP das Licht der Welt erblickt. Ich sage Ihnen: Zweimal die gleiche Wahllüge, das geht mit Sicherheit schief. Darauf können Sie sich verlassen, Frau Bundeskanzlerin.
Dann versuchen Sie auch noch dreist, die Verantwortung zu verschieben. Auf dem Kirchentag sagten Sie, die Deutschen würden über ihre Verhältnisse leben, man lebe auf Pump. Ich weiß nicht, in welchem Land Sie leben. Meinen Sie mit denen, die laut Ihnen über ihre Verhältnisse leben, die Bevölkerung Ihres Landes? In Deutschland gibt es 5 Millionen Menschen, die für weniger als 8 Euro in der Stunde arbeiten.
1,3 Millionen Menschen gehen nach der Arbeit zum Sozialamt. Wenn Sie über Kredite und Schulden reden, möchte ich Ihnen einmal sagen, wer hier Schulden macht. Das sind zum Beispiel die Studenten, deren Eltern nicht genug Geld haben, die durch Ihre Studiengebühren 20 000 oder 30 000 Euro Schulden machen müssen und nach dem Studium keinen Job bekommen. Das sind die, die in Deutschland auf Pump leben müssen, weil Sie die Politik so gestalten. Das ist der eigentliche Hintergrund dessen, was hier passiert.
Wir in diesem Land sitzen nicht alle in einem Boot. Es gibt einige, denen steht das Wasser bis zum Hals, und ein paar wenige sind mit der Luxusyacht unterwegs. Das ist die Realität, die Sie verdrängen wollen. Hier haben nur ganz wenige über ihre Verhältnisse gelebt. Das sind die, die permanent öffentlich erklären: ?Privat vor Staat? und sich hemmungslos mit Ihrer Hilfe weiter bedienen dürfen. Das sind die, die hier über ihre Verhältnisse gelebt haben.
Wissen Sie, Ihre Forderung, wir müssten den Gürtel enger schnallen, und Ihr Nichtstun gegenüber den Finanzmärkten sind ja nicht nur ungerecht, sondern vor allen Dingen politisch falsch. Denn eine der zentralen Ursachen für die gegenwärtige Krise ist, dass wir die Geburtsfehler der Währungsunion, nämlich das Fehlen einer echten Zusammenarbeit in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, nicht endlich beseitigen.
Man stelle sich einmal vor, die damals existierenden Bundesländer hätten 1948, als in Westdeutschland die Währungsreform durchgeführt wurde, komplett auf eine gemeinsame Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik verzichtet. So verrückt ist damals niemand gewesen. Jetzt haben wir die Chance, diesen Geburtsfehler zu korrigieren. Aber Sie, Frau Kanzlerin, sind die Erste, die wieder einmal ?Madame No? gespielt hat, als der spanische Ministerpräsident Zapatero zu Beginn seiner EU-Ratspräsidentschaft genau diese Koordinierung gefordert hat.
Dafür, dass Sie das nicht wollen, gibt es einen Grund. Denn wenn man über diese Koordinierung reden würde, würde natürlich auch der deutsche Anteil an der Krise deutlich werden. Darüber müssen wir hier offen reden. Der deutsche Anteil besteht darin, dass wir in Deutschland eben nicht über unsere Verhältnisse leben. Das Gegenteil ist der Fall: Wir leben seit Jahren wirtschaftspolitisch unter unseren Verhältnissen.
Seit Jahren hält die Lohnentwicklung in Deutschland nicht Schritt mit der Produktivitätsentwicklung. 10 Prozent der Bevölkerung besitzen weit mehr als 60 Prozent des Vermögens, und 27 Prozent unserer Bevölkerung besitzt gar kein Vermögen. So hat sich Ludwig Erhard die soziale Marktwirtschaft nicht vorgestellt.
Wer wie CDU/CSU und FDP auf Mindestlöhne verzichtet, Leih- und Zeitarbeit zu Armutslöhnen weiter ausbauen möchte und jetzt auch noch bei Bildung, Sozialausgaben und Investitionen sparen will, der, Frau Bundeskanzlerin, bringt einen Treibsatz in diese Entwicklung und übrigens auch einen Sprengsatz in unsere Gesellschaft. Das ist die Wahrheit, die sich hinter Ihrem unsinnigen Satz verbirgt, wir alle müssten sparen, wir lebten auf Pump und über unsere Verhältnisse. Das, was Sie da vorhaben, geht schief.
Das Gegenteil wäre richtig: Wir brauchen endlich wieder eine angemessene Lohnentwicklung orientiert an der Produktivitätsentwicklung unseres Landes. Der Wettbewerb um niedrige Steuern, niedrige Löhne zwingt die anderen Länder geradezu, mitzumachen, wenn sie überhaupt eine Chance haben wollen. Im Ergebnis versuchen sie dann, sich über Verschuldung den Wohlstand zu kaufen, den wir ihnen nicht ermöglichen, weil wir permanent den Druck auf die Löhne in Europa erhöhen. Das müssen wir ändern. Darum geht es in Wahrheit in der Auseinandersetzung.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollege Gabriel, achten Sie bitte auf das Signal.
Sigmar Gabriel (SPD):
Ja. - Wenn wir über die Finanzmarkttransaktionsteuer streiten, dann streiten wir nicht über ein Instrument, sondern über die Frage, in welche Richtung wir Europa führen möchten. Wir wollen ein gemeinsames und soziales Europa, ein Europa, das mehr ist als der Binnenmarkt. Deshalb brauchen wir mehr und nicht weniger Europa. Wir sind nicht gegen das Rettungspaket, schon deshalb nicht, weil es nicht Ihre Idee ist. Es ist ja gegen Sie durchgesetzt worden. Aber weil der Rest Ihrer Politik nicht verlässlich ist, weil sie unklar ist und aus Ankündigungen besteht, weil Ihre ganze Richtung weiterhin falsch ist, können wir Ihnen heute nicht zustimmen. Deshalb, Herr Kollege Schäuble, geht es bei unserer Nichtzustimmung zu Ihrem Gesetzespaket nicht um Taktik und auch nicht um Verfahrensfehler.
- Nein, taktiert haben Sie vor der Nordrhein-Westfalen-Wahl. Das hat Ihnen jeder in Deutschland bestätigt.
Uns geht es darum, dass wir endlich in der Europapolitik und in der deutschen Wirtschaftspolitik eine andere Richtung einschlagen. Dafür streiten wir. Das ist ein langer Weg. Er ist schwierig. Aber wir sind bereit, ihn zu gehen. Wir wollen jedoch nicht den Weg gehen, der an seinem Ende zu sozialen Kürzungsmaßnahmen quer durchs Land führt, weil Sie sich nicht trauen, die wahrlich Schuldigen in Deutschland endlich zur Kasse zu bitten.
Viele Dank.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Auswärtigen:
Frau Präsidentin! Herr Kollege Gabriel, noch einmal in aller Form: Gute Besserung! Das ist an den Menschen adressiert. Da Sie frisch operiert sind, dürfen Sie das kollegial hinnehmen, ohne gleich so zu reagieren, als wäre in diesem Hohen Hause alles politisch gemeint.
Herr Kollege Gabriel, Ihre heutige Rede war für die Motivlage Ihrer Entscheidungsfindung sehr erhellend, und zwar für alle hier im Hause und für alle, die uns zuschauen.
Sie haben hier eine innenpolitische Generalabrechnung mit der Bundesregierung gemacht. Das ist Ihr Recht als Opposition. Das ist auch Ihre Pflicht als Opposition. Aber es geht doch heute nicht darum, ob Sie die Regierung gut finden. Es geht darum: Wie stehen Sie zu Europa? Darüber wird heute entschieden.
Sie haben hier wunderbare Argumente eingeführt, etwa dass im Jahresbericht der Regierung 2009 das Foto von Herrn Steinmeier und nicht meines zu sehen ist. Ich hätte Sie einmal sehen und hören wollen, wenn im Jahresbericht 2009 mein Foto zu sehen gewesen wäre.
Dann hätten Sie uns Steuergeldverschwendung vorgeworfen.
Herrgott noch mal! Ich kann Sie aber trösten: All das sind doch Lappalien.
Dann haben Sie Bilanz gezogen. Sie haben gesagt: Das Land ist in Armut, die Löhne sinken, die Spaltung der Gesellschaft wird immer größer. - Entschuldigen Sie bitte, Herr Kollege Gabriel. Was ist das für eine entsetzliche Bilanz für den Vorsitzenden einer Partei, die Deutschland elf Jahre lang regiert hat!
Ich sitze seit ein paar Monaten auf der Regierungsbank und soll für Ihre elf Jahre Regierungszeit haften. Das geht zu weit.
Ich möchte auf eine Sache eingehen, nämlich auf die Frage des Verfahrens selber. Ich habe die letzten elf Jahre hier als Abgeordneter im Deutschen Bundestag die ehrenwerte Aufgabe der Opposition wahrnehmen dürfen, denn zu jeder Demokratie gehört beides. Beide Aufgaben, Regierung und Opposition, sollte man ernst nehmen.
Ich kann Ihnen aber sagen: Ich habe hier in mehreren Situationen erlebt, dass eine Regierung schnell handeln musste. Ich erinnere mich beispielsweise auch daran - ich bin damals Vorsitzender der FDP-Fraktion in der Opposition gewesen -,
wie im Bundestag am 15. Oktober 2008 über das große Bankenrettungspaket verhandelt worden ist.
- Ja, es ist richtig: Eine Woche ging das Verfahren; Herr Kollege Gysi erinnert sich auch. Es war genauso wie heute. Wir haben gemerkt: Das ist eine unglaublich ernste Situation. Wir haben in der Nacht vom 9. auf den 10. Mai, morgens um halb drei die letzte Telefonkonferenz gemacht, weil wir schnell entscheiden mussten. Wir haben unverzüglich, am nächsten Tag, nachmittags, die Partei- und Fraktionsvorsitzenden eingeladen und sie unterrichtet. Wenn Sie behaupten, Sie seien nicht informiert worden, ist das nichts anderes als eine Täuschung der Öffentlichkeit.
Herr Kollege Trittin, damals ist genau das verteilt worden.
Vier von Ihren Repräsentanten saßen damals da, zwei Parteivorsitzende und zwei Fraktionsvorsitzende. Zu viert sind Sie angefahren. Jeder von Ihnen hat dieses komplette Heft mit den Unterlagen bekommen. Zwei Erklärungen sind abgegeben worden. Staatssekretär Asmussen hat auf die Frage: ?Können Sie sicherstellen, dass die Verträge über die sogenannte Zweckgesellschaft dann schon schriftlich vorliegen?? gesagt: Das kann ich nicht sicherstellen, weil die Verhandlung mit allen Staaten geführt werden muss.
Bezüglich der Richtlinie ist die Frage gestellt worden: Haben Sie das? Daraufhin ist das verteilt worden. Es ist verteilt worden. Wenn Sie sagen, die Verfassung sei verletzt worden, dann ist das nichts anderes als die Suche nach einem innenpolitischen Grund, weil Sie heute keine Verantwortung übernehmen wollen. Das ist in Wahrheit der eigentliche Grund.
Ich möchte einmal das zitieren, was der damalige Finanzminister als Vertreter der Regierung gesagt hat. Ich war damals ebenso wie die Kollegen von den Grünen und von der Linkspartei in der Opposition. CDU/CSU und SPD hatten eine riesige Mehrheit im Deutschen Bundestag. Wir haben das damals verstanden. Wir haben dem Bankenpaket zugestimmt. Wir haben gesagt: Wir wissen, dass das notwendig ist. Auch wir waren damals mit Ihrer Regierungspolitik nicht einverstanden, aber wir haben gewusst: Es geht um Deutschland; jetzt muss man stehen. Enthaltung ist aber kein Stehen. Das ist wankelmütig.
Zu den Abläufen hat der damalige Finanzminister gesagt:
Ich weiß, das ist eine Zumutung; aber in ungewöhnlichen Zeiten, in denen wir sind, und bei dem Problemdruck, unter dem wir stehen, sind ungewöhnliche Verfahren erforderlich.
Ja, wir wissen, das ist auch für das Parlament eine ganz schwere Belastung. Deshalb hat der Haushaltsausschuss gemeinsam entsprechende Regeln verabschiedet. Sie suchen aber nach Ausflüchten, weil Sie in Wahrheit innenpolitisch mit der Regierung abrechnen wollen. Dies ist aber nicht die Stunde, um uns zu sagen: Frau Merkel ist furchtbar, Herr Schäuble ist furchtbar, ich bin furchtbar!
Darum geht es überhaupt nicht. Es geht darum: Finden Sie, dass Europa stehen soll, oder finden Sie, dass es fallen soll? Darum geht es heute.
In welche Gesellschaft haben Sie sich begeben?
In ganz Europa gibt es in allen Parlamenten Gruppen, die das Vorgehen im Augenblick ablehnen, Linkspopulisten und Rechtspopulisten. Das ist Ihre Gesellschaft.
Das ist eine traurige Entwicklung. Sie sind in ganz Europa isoliert, und Sie wissen das auch. Die anderen kämpfen für Europa, während Sie es heute fallen lassen.
In Ihren gestrigen Reden hörte man noch, zum Beispiel zu KFOR, wie wichtig Europa für den Frieden und den Wohlstand ist. Das, worüber wir hier reden, ist kein Altruismus. Es geht nicht darum, dass wir anderen Ländern einen Gefallen tun. Es geht darum, dass wir unsere Währung schützen, dass wir unser Land schützen, dass wir Europa als große Friedens- und auch Wohlstandsregion schützen. Darum geht es.
Es ist so oft die Rede von den Ländern in der Welt, aber wer weiß denn eigentlich, dass der Wirtschaftsaustausch mit den Niederlanden ein größeres Volumen als der mit ganz China hat?
Der Wohlstand in Europa hängt auch von unserer Entscheidung heute ab. Der Wohlstand der Deutschen hängt an einer klaren europäischen Stabilität, und um die gilt es heute zu ringen.
Sie müssen sich entscheiden. Suchen Sie nicht nach Gründen, warum Sie Nein sagen, sondern bekennen Sie sich endlich zu einer Haltung. Wir erwarten von Ihnen nicht, dass Sie die Regierung unterstützen, aber Europa müssen Sie heute beispringen. Das ist das Einzige, worum es geht.
Europa liegt im deutschen Interesse, und es geht auch um die Arbeitsplätze in unserem Land.
Von Herrn Kollegen Schäuble und auch von anderen Rednern ist das, wie ich finde, sehr gut auf den Punkt gebracht worden: Natürlich gibt es Exzesse auf den Märkten, und natürlich müssen wir sie gemeinsam bekämpfen. Wir wollen aber eines nicht vergessen: Die Hauptursache dafür, dass diese Spekulationswelle überhaupt greifen konnte, ist, dass zu viele Staaten in Europa in zu kurzer Zeit zu viele Schulden gemacht haben. Die Spekulationswelle konnte überhaupt nur deshalb verfangen, weil die Fundamente durch zu viel Schulden sandig geworden sind.
Deswegen haben wir zwei Aufgaben, um aus dieser Krise zu lernen:
Aufgabe Nummer 1. Wir müssen in ganz Europa zu einer stabilen Haushaltspolitik zurückkehren.
Aufgabe Nummer 2. Wir müssen die Finanzmärkte regeln und für entsprechende Regeln sorgen.
Ich komme jetzt noch einmal zur Aufgabe Nummer 1. Da Sie damit angefangen haben, will ich das hier noch einmal ganz klar sagen: Wir haben in Europa zu viele Staaten, die zu viel Schulden gemacht haben. Dadurch sind sie zu wackelig geworden. Eines wollen wir hier aber festhalten: Das ist nicht nur das Ergebnis von einigen Ländern, die unsolide gewirtschaftet haben, sondern dafür trägt auch Deutschland eine Verantwortung. Das kann man ganz einfach sagen: Die Aufweichung des Stabilitätspaktes, die unter der rot-grünen Bundesregierung beschlossen worden ist, war ein historischer Fehler. Dass Sie sich heute weigern, die Folgen dieses Fehlers mit zu beheben, wiegt aber doppelt schwer.
Wir haben in Europa - das können wir gar nicht im Alleingang - selbstverständlich auch Maßnahmen ergriffen. Deswegen ist es die richtige Entscheidung der Bundesregierung gewesen, dass wir nicht einfach einen Scheck ausgestellt und gesagt haben, wir lösen die Probleme mit Geld, sondern dass wir gesagt haben: Wer unter den Schutzschirm will, der muss auch bereit sein, seine Hausaufgaben zu erledigen und zu einer soliden Haushaltspolitik zurückzukehren.
Sie waren diejenigen, die uns vor ein paar Wochen gefragt haben, warum wir Griechenland nicht gleich Geld gegeben haben. Das wäre ein Fehler gewesen. Man gibt jemandem, der sich überschuldet hat, kein Geld, wenn man nicht gleichzeitig von ihm verlangt, die Ursachen seiner Misere zu beseitigen.
Bei der Regulierung hat doch diese Regierung Tempo gemacht.
Ich muss dazu einmal festhalten, was gerade auch von Frau Hendricks und auch von anderen noch einmal eingeführt worden ist: Die Hedgefonds, die in Ihren Augen ja kein Problem sind - das wollen wir hier doch bitteschön einmal festhalten -,
sind unter Ihrer Regierungszeit, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, zugelassen worden, und zwar unreguliert.
Wir haben in unserer Regierungszeit dafür gesorgt, dass es jetzt eine europäische Richtlinie gibt.
Innerhalb von wenigen Monaten ist eine Regulierung gelungen, die Ihnen in elf Jahren nicht ein einziges Mal gelungen ist.
Auch über das Verbot der ungedeckten Leerverkäufe muss klar gesprochen werden. Das Verbot, das ausgesprochen worden ist - hier können Sie einmal auf Herrn Gysi hören; Sie hören mittlerweile ja sowieso immer mehr auf ihn -, war ein von Ihnen befristetes Verbot.
Es lief zum 31. Dezember 2009 aus. Wir haben in dieser Regierung - auch der Finanzminister - mit Unterstützung der gesamten Koalition dafür gesorgt, dass dieses Verbot der ungedeckten Leerverkäufe jetzt wieder eingeführt worden ist. Wir haben gehandelt und den Schaden beseitigt, den Sie angerichtet haben.
Ich komme zum Schluss. Herr Kollege Gabriel, das ist heute eine Entscheidung von einer wahrscheinlich historischen Dimension,
und zwar weniger in der Frage des Geldes und der Garantien als vielmehr in der Frage: Was ist uns Europa wert? Und: Ist unsere Generation, die den Krieg nicht mehr erlebt hat, bereit, Europa auch in schweren Zeiten zu verteidigen? Das wird die eigentliche Bewährungsprobe von Europa und für Europa sein.
Wir haben jedes Mal in den letzten zehn Tagen einen Schritt auf Sie zugemacht. Sie sind jedes Mal einen Schritt zurückgegangen.
Das war am Freitag, dem 7. Mai, so. Es war in dieser Woche so, und es ist auch heute noch einmal durch die Rede des Bundesfinanzministers deutlich geworden. Wir gehen jedes Mal einen Schritt auf Sie zu. Sie wollen sich heute nicht entscheiden, weil Sie wissen, dass es zu Hause wegen der verantwortungsvollen Entscheidung Ärger geben könnte.
Aber in solchen Stunden geht es darum, dass man darauf achtet, was für Deutschland und Europa richtig ist, statt darauf, ob man zu Hause ein paar Stimmenvorteile kriegen kann.
Innenpolitik ist Ihr Motiv, aber nicht die Verantwortung für unser Land.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Jürgen Trittin das Wort.
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Lieber Herr Westerwelle, Sie hätten gar nicht so laut sprechen müssen. Es ist aber das erste Mal, dass Sie öffentlich wahrnehmbar etwas zu dieser Krise sagen.
Sie sind der erste Bundesaußenminister, der es fertiggebracht hat, im Angesicht der historischen Bedrohung des Euro - da zitiere ich Ihre Kanzlerin - über Wochen hinweg sprachlos gewesen zu sein.
Sie haben bei den antieuropäischen Ausfällen Ihres Stellvertreters Pinkwart geschwiegen.
Sie haben geschwiegen, als Ihr ehemaliger finanzpolitischer Obmann als Ratschlag zur Behebung der Griechenland-Krise erklärt hat, dann sollten doch die Griechen ihre Inseln verkaufen.
Zu all dem war der bekennende Europäer Guido Westerwelle nicht zu hören, zu keinem Zeitpunkt.
Ich habe mich aber deshalb zu Wort gemeldet, weil Sie mir etwas unterstellen, was ich mir nicht gerne unterstellen lasse.
Ich habe bei der Unterrichtung der Fraktionsvorsitzenden durch die Bundeskanzlerin nicht Herrn Asmussen, sondern die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Dr. Angela Merkel, gefragt: Ist das so, dass wir vor der zweiten Lesung die Verträge bekommen? Sie hat gesagt: Ja.
Das, was Sie mit lautem Getöse zu verstecken versuchen, ist der Wortbruch der Kanzlerin. Das kann man nicht mit Lautstärke überdecken.
Sie müssen aufpassen bei den Vorwürfen, die Sie anderen gegenüber erheben. Ich will das nur an einem Beispiel deutlich machen. Sie haben hier die Opposition bezichtigt, wir würden uns vor Europa verstecken,
weil wir mit dem Argument, es lägen nicht alle Fakten auf dem Tisch, nicht beschließen wollten. Schauen Sie doch einmal auf das Europäische Parlament. Dort haben die Liberalen zusammen mit den Konservativen gerade eine Beschlussfassung genau aus diesem Grund abgesetzt. Sind auch Ihre liberalen Parteifreunde in Europa Antieuropäer?
Letzte Bemerkung. Wer wie Sie von der FDP in einer Situation, in der wir schon im Januar die Maastricht-Kriterien verletzt hatten, eine Steuersenkung mit einem Umfang von 8,6 Milliarden Euro zugunsten von Besserverdienenden durchsetzt, von dem lassen wir uns über Haushaltskonsolidierung und Sparpolitik nicht belehren. Das ist, als ob der Blinde von der Farbe spricht.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollege Westerwelle, Sie haben gleich das Wort. Ich verrate Ihnen aber schon: Es gibt eine weitere Kurzintervention, und zwar der Kollegin Hendricks, nur damit Sie sich darauf einstellen können.
Bitte schön.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Auswärtigen:
Vielen Dank. - Herr Kollege, zuerst zur Tonalität: Sie haben gesagt, ich sei Ihnen in meiner Rede zu laut gewesen. Ich glaube, wir beide haben gerade feststellen können: Wenn wir engagiert sind, sind wir beide möglicherweise etwas lauter, als es vielleicht im normalen Gespräch der Fall ist. Ich ahne, dass Sie mir das nach Ihrer Kurzintervention nie wieder vorwerfen werden.
Meine zweite Bemerkung betrifft die Fachfrage. Sie haben gesagt, ich hätte als Außenminister zur Politik geschwiegen. Es ist Ihr gutes Recht, das zu sagen. Das entspricht aber nicht den Tatsachen. Ich habe in beiden dritten Lesungen hier - am Freitag, dem 7. Mai, und heute - gesprochen. Ich habe in der letzten Woche in der Sendung Was nun? beim ZDF Rede und Antwort gestanden. Genauso werde ich es weitermachen, nämlich dort zu reden, wohin es gehört. Ich glaube, solche Debatten gehören in den Deutschen Bundestag. Deswegen ist es richtig, dass ich hier als Außenminister das Wort ergreife.
Herr Kollege Trittin, ich möchte Sie übrigens gar nicht von mir überzeugen.
Ich möchte Sie davon überzeugen, heute zuzustimmen, nicht weil es um mich, Frau Merkel, Herrn Schäuble oder die Regierungskoalition geht, sondern weil es um die Frage geht: Stehen Sie heute zu Europa? Um nichts anderes geht es.
Letzte Bemerkung zu den Abläufen. An der angesprochenen Sitzung hat der Kollege Schäuble nicht teilgenommen. Aber die Frau Bundeskanzlerin, Herr de Maizière, meine Person und andere haben daran teilgenommen.
- Absolut. - Herr Asmussen hat dort ausdrücklich als Staatssekretär auf Bitten der Bundeskanzlerin die Frage beantwortet - das ist wichtig für alle Abgeordneten im Umgang miteinander; das ist keine Kleinigkeit; für die Bürger draußen ist es vielleicht nur eine Randnotiz; aber für die Abgeordneten und das Parlamentsverständnis ist das eine wichtige Erklärung -: Können wir sicherstellen, dass das in dieser Woche auch schriftlich vorliegt? Er hat gesagt: Es handelt sich hier um einen Vertrag zwischen mehreren nationalen Regierungen; ich kann das nicht sicherstellen.
Genauso ist es geschehen, und genauso ist es dort gesagt worden. Vielleicht haben Sie das Ihren Leuten gesagt,
damit sie sich heute ihrer Stimme enthalten und nicht wie beim letzten Mal mit Ja stimmen. Aber mit der Wahrheit hat das nichts zu tun; darauf lege ich hier Wert.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Zu einer Kurzintervention hat das Wort die Kollegin Barbara Hendricks.
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
In der Tat, Herr Bundesaußenminister, Ihre Rede war nicht nur engagiert, sondern auch laut. Sie hat dadurch aber nicht an Wahrheitsgehalt gewonnen.
Da Sie mich persönlich angesprochen haben, möchte ich auf das, was Sie gesagt haben, eingehen. Selbstverständlich sind im Jahre 2004 in Deutschland Hedgefonds per Gesetz zugelassen worden; das bestreitet niemand. Wären die Hedgefonds in der Welt und in Europa so reguliert, wie sie es in Deutschland von Anfang an waren, dann hätten wir jetzt kein Problem mit Hedgefonds. Das, was die europäischen Finanzminister in dieser Woche zur Regulierung der in Europa ansässigen Hedgefonds auf den Weg gebracht haben, bleibt im Regelungsgehalt hinter dem zurück, was in Deutschland schon immer gegolten hat. Ich weiß, Sie sind kein Finanzpolitiker; Sie müssen das nicht unbedingt wissen. Aber wenn Sie es nicht wissen, behaupten Sie nicht einfach das Gegenteil.
Ich darf im Übrigen daran erinnern, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Gleneagles im Jahre 2005 die Regulierung der Finanzmärkte angemahnt hat und dass unsere angelsächsischen Freunde - damals hatten die Briten den Vorsitz - noch nicht einmal bereit waren, über dieses Thema auch nur zu reden. Da wir im Jahre 2007 den Vorsitz der G 7/G 8 hatten, hat Bundesfinanzminister Steinbrück in den beiden vorbereitenden Treffen mit den Finanzministern in Potsdam und in Essen die Weichen dahin gehend gestellt, dass bei der Zusammenkunft der Staats- und Regierungschefs der G 7/G 8 in Heiligendamm - Frau Bundeskanzlerin Merkel, Sie erinnern sich an den wunderbaren Strandkorb - über die Regulierung der Finanzmärkte zumindest gesprochen wurde; schließlich hatte Deutschland die Hoheit über die Tagesordnung. Aber es wurden gleichwohl noch keine wirklich bindenden Beschlüsse gefasst - unsere angelsächsischen Freunde waren nämlich immer noch nicht so weit -, sondern es wurden Prüfungsaufträge an das Financial Stability Forum, das mittlerweile in ?Financial Stability Board? umbenannt worden ist, erteilt. Dieses Gremium hat mittlerweile in der Tat etwas mehr Einflussmöglichkeiten. Die sind noch dabei bedauerlicherweise, international voranzukommen.
Der Präsident der Bundesbank, Herr Professor Weber, hat noch in dieser Woche öffentlich gesagt, Ende dieses Jahres werde man Vorschläge machen können und er hoffe, das 2012 implementieren zu können. Das beruht in der Tat auf den Vorarbeiten der Großen Koalition und der ihr vorausgegangenen rot-grünen Koalition. So lange dauert es.
Herr Bundesaußenminister in Ihrer Eigenschaft als FDP-Vorsitzender, nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass Ihrer Fraktion in all den Jahren jedes Finanzmarktgesetz nicht liberal genug war. Was Ihre Fraktion stets wollte, war die bloße Deregulierung.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Dr. Gerhard Schick für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig, dass der Bundesaußenminister heute gesprochen hat. Aber was hat er denn zu Europa gesagt?
Was hat er denn dazu gesagt, was die heutige Entscheidung für die Zukunft Europas bedeutet? Schließlich wissen wir, dass es Vertragsänderungen brauchen wird und dass jetzt eine Frist von drei Jahren beginnt, in der Europa das bereitgestellte Zeitfenster nutzen muss, um endlich stabile Strukturen zu schaffen. Was haben wir von Ihnen, Herr Bundesaußenminister, dazu gehört? Nichts haben wir dazu gehört, obwohl es Ihre Aufgabe gewesen wäre, dazu heute Stellung zu nehmen.
Es ist doch müßig, dass Sie jetzt als Parteivorsitzender hier die Schlachten der Vergangenheit schlagen. Wir brauchen jetzt einen Bundesaußenminister, der die Regelsetzung für die Finanzmärkte in Europa vorantreibt. Tun Sie das? Nein, Sie tun es nicht! Wie können Sie angesichts der Beschlusslage Ihrer Partei jetzt für das, was Mehrheitsmeinung in diesem Hause und in der Bevölkerung ist, nämlich für eine Finanztransaktionsteuer, eintreten? Sie treten dafür nicht ein.
Sie tun so, als seien Sie jetzt für eine bessere Regelsetzung in Europa. Die Fakten sprechen gegen diese Bundesregierung und gegen diesen Bundesaußenminister. Nehmen Sie das zur Kenntnis!
Bei der Regulierung von Hedgefonds hat sich der Rat diese Woche verständigt; aber er hat sich - unter Mitwirkung dieser Bundesregierung - auf etwas verständigt, was weiter zulässt, dass Hedgefonds von den Cayman Islands aus hier in Europa ohne Regeln ihre Geschäfte machen können und dass Hedgefonds aus Europa im Ausland in unregulierte Konstrukte investieren können. Sie setzen gerade nicht die Regeln, die wir brauchen. Wenn Sie dies tun wollten, müssten Sie sagen: Die Bundesregierung unterstützt die Position des Europäischen Parlaments. Doch das Gegenteil ist der Fall. Ich fordere Sie auf, im jetzt stattfindenden Trilog in Europa die Position des Europäischen Parlaments zu stützen und sich von der bisherigen Position der Bundesregierung zu verabschieden: Legen Sie die Hedgefonds endlich an die Leine!
Wo ist diese Bundesregierung, wenn es darum geht, die Finanzmärkte, die Hedgefonds an die Kette zu legen, bessere Regeln zu setzen? Wo ist diese Bundesregierung, wenn es darum geht, eine europäische Finanzaufsicht zu schaffen, die in der Lage ist, grenzüberschreitende Institute zu regulieren? Der entscheidende Blockierer in dieser Frage ist diese Bundesregierung. Machen Sie den Menschen nicht vor, Sie seien für eine Regulierung der Finanzmärkte! In Brüssel tun Sie immer das Gegenteil.
Wir diskutieren hier auch über neue Regeln für die Banken; diesen Punkt haben wir sozusagen mit auf der Tagesordnung. Sie reden immer davon, dass wir eine Schuldenbremse für die Staaten brauchen. Genauso brauchen wir eine Schuldenbremse für die Banken. Doch auch im Hinblick auf neue Regeln für die Banken steht die Bundesregierung bei den Verhandlungen in Basel auf der Bremse. Nicht nur die Schulden der Staaten müssen kontrolliert werden, sondern auch die Überschuldung im Bereich der Finanzmärkte, die uns diese Krise eingebrockt hat. Ich fordere Sie auf: Machen Sie endlich den Weg frei für eine klare Schuldenbremse für die Banken!
Ich möchte ein Letztes sagen, zum Verfahren. Wissen Sie, es ist ja nicht so, dass die Finanzmärkte nicht wüssten, was eine stabile Regelung ist und was nicht. Die Frage ist doch: Wann steht die Zweckgesellschaft? Solange die Zweckgesellschaft nicht steht, können Sie uns nicht vorwerfen, wenn wir sagen: Das müssen wir uns erst anschauen. - Es kommt nun einmal darauf an, wie die Regel wirklich aussieht. Solange das nicht klar ist, gibt es keinen Druck für den Bundestag, zu entscheiden. Sie instrumentalisieren die Finanzmärkte, um Ihre Fraktionen zu disziplinieren. Das ist eine ganz schofelige Geschichte.
Eines geht auch nicht - das muss man auch einmal ganz klar sagen -: Sie tun hier so, als sei das mit dem Vertrag eine Petitesse. Darum möchte ich für meine Fraktion deutlich sagen: Es geht nicht an, dass Sie einerseits schimpfen, dass die Banker Produkte gekauft haben, die sie nicht kannten, und Zweckgesellschaften in Irland gegründet haben, die sie nicht im Griff hatten, andererseits aber von uns verlangen, der Errichtung einer Zweckgesellschaft in Luxemburg zuzustimmen, deren Vertragswerk wir nicht kennen. So etwas geht nach unserer Meinung mit diesem Bundestag nicht.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Bartholomäus Kalb für die Unionsfraktion.
Bartholomäus Kalb (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zuallererst möchte ich meine größte Hochachtung für die Leistung zum Ausdruck bringen, die Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble in einer gesundheitlich schwierigen Situation im Dienste unseres Landes erbracht hat.
Wir verbinden damit alle guten Wünsche für die Gesundheit und wünschen viel Kraft für alles, was in nächster Zeit zu bewältigen sein wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist bereits von vielen Rednern gesagt worden: Wir befinden uns wieder in einer Situation, in der wir sehr schnell entscheiden müssen und sehr weit reichende Entscheidungen zu treffen haben, ähnlich wie vor zwei Wochen und ähnlich wie im Jahre 2008, als wir in kürzester Zeit mit intensivsten Beratungen das Finanzmarktstabilisierungsgesetz auf den Weg gebracht haben. Das sind weitreichende Entscheidungen.
Auch die dramatische Entwicklung vor 14 Tagen hat dieses schnelle Handeln erforderlich gemacht. Trotz dieser schwierigen Situation müssen wir gründlich arbeiten. Wir dürfen nicht die Grundpfeiler der europäischen Währungsunion infrage stellen.
Deswegen ist es wichtig, dass es dabei bleibt, dass jedes Mitgliedsland die Verantwortung für seine eigene finanzielle Situation übernimmt. Es ist wichtig, dass wir daran festhalten, dass es zu keiner Transferunion kommt. Es ist auch wichtig, dass der Europäischen Union oder der Europäischen Kommission keine Verschuldungskompetenz eingeräumt wird. Darüber hinaus - darauf legen wir ganz besonderen Wert - darf nicht in geringster Weise an der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank gezweifelt werden.
Ich denke, jedes Mitglied dieses Hauses macht sich diese Entscheidungen nicht leicht, unabhängig davon, welche Entscheidung letztlich getroffen wird. Es ist auch nicht leicht, den Bürgern diese Entscheidung zu erklären. Wir müssen aber deutlich machen, so wie es vorhin auch der Bundesaußenminister getan hat: Es geht um unser Land, es geht um unsere Währung, es geht um die Währung unserer Bürger und damit auch um den Schutz all dessen, was die Menschen in unserem Lande geleistet haben, was sie erarbeitet und gespart haben.
Alle Fachleute haben uns in der Anhörung bestätigt, dass es um nicht mehr und nicht weniger als darum geht - lieber Kollege Barthle, so hat es Professor Weber zum Ausdruck gebracht -, den Bestand und die Stabilität der Währung zu sichern. Alle haben uns geraten, so zu handeln, wie es vorgesehen ist, und schnell zu handeln, also heute zum Abschluss zu kommen.
Es muss noch einmal erklärt werden, dass wir, auch wenn große Summen im Spiel sind, keine Zahlungen aus diesem 480-Milliarden-Programm leisten, sondern dass wir eine Gewährleistung geben, also einen Rettungsschirm aufspannen. Wir hoffen, dass durch die Maßnahmen, die Grundlage für die Inanspruchnahme dieser Gewährleistungen sind, Vorsorge dafür getroffen wird, dass dieser Schirm hält und dass diese Risiken für die Mitgliedstaaten und Gewährleistungsgeber nicht schlagend werden. Deswegen ist es auch so wichtig, dass der Internationale Währungsfonds eingebunden ist, dass die Maßnahmen konditioniert sind und dass die Mitgliedstaaten selber bereit sind, einen Stabilitäts- und Konsolidierungskurs einzuschlagen. Ich freue mich über die Meldung, die ich eben bekommen habe, dass auch Spanien gerade ein sehr strammes Sparpaket im Parlament verabschiedet hat. Natürlich müssen die Maßnahmen streng überwacht werden und weitere Leistungen an die Fortschritte gekoppelt werden. Wir kommen nicht umhin, dass alle europäischen Mitgliedstaaten, aber besonders die von der Krise betroffenen Staaten, wieder zu einem überzeugenden Stabilitäts- und Wachstumskurs zurückkommen. Dann sind wir insgesamt weniger angreifbar. Das ist das Erste.
Das Zweite ist: Es ist nicht zu leugnen, dass es diese Fehlentwicklungen auf den Finanzmärkten gab und dass viele Akteure, die sehr weit weg waren, mit sehr viel Geld unser System infrage gestellt haben. Dem ist Einhalt zu gebieten. Einer der Experten hat in den Anhörungen von einem Angriffskrieg gegen den Euro gesprochen. Diesen Mitteln und Methoden und diesen Akteuren muss Einhalt geboten werden. Die Bundesregierung hat dazu sehr viel auf den Weg gebracht, im Gegensatz zu dem, was Herr Oppermann vorhin gesagt hat, und zwar auf der europäischen Ebene und auf der Ebene der G 20. Wenn Herr Gabriel den Eindruck erweckt, wir hätten seinerzeit das Verbot der Leerverkäufe aufgehoben, so muss ich ihn berichtigen. Die seinerzeitige Allgemeinverfügung, von der BaFin unter dem damaligen Bundesfinanzminister Peer Steinbrück erlassen, war zeitlich befristet.
Ich gebe zu, dass auch er sich an Recht und Gesetz, nämlich das Wertpapierhandelsgesetz, halten musste. Man sollte aber nicht den Eindruck erwecken, diese Bundesregierung hätte das frühere Verbot aufgehoben. Ganz im Gegenteil: Jetzt gab es wieder Anlass, eine neue Allgemeinverfügung zu erlassen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich denke, wir haben heute eine schwierige Entscheidung zu treffen, aber wir haben keine wirklich bessere Alternative, weil nach meiner festen Überzeugung das Scheitern und der Zerfall des Euro und damit in weiten Teilen auch der Zerfall des geeinten Europas keine Alternative ist, die man mit Blick auf die Interessen der Menschen und vor dem Hintergrund der europäischen Geschichte verantworten könnte.
Ich danke Ihnen.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Bernhard Schulte-Drüggelte für die Unionsfraktion.
Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte das Ziel dieses Gesetzes noch einmal deutlich beschreiben. Das Ziel des Gesetzes ist, die Stabilität der Währungsunion zu sichern. Eine wichtige Voraussetzung ist, dass ein betroffener Mitgliedstaat zusammen mit dem IWF, der EU-Kommission und der EZB ein Konsolidierungsprogramm erarbeitet. Das Ziel dieses Programms ist, dass das betroffene Land wieder kapitalmarktfähig wird. Das ist das Ziel, das wir in dieser Zeit haben.
Das ist auch die Chance dieser Krise. Ich will es deutlich sagen: Die Chance dieser Krise ist, dass durch strikte Maßnahmen finanz- und wirtschaftspolitischer Natur die Staaten wieder zu einer soliden Haushaltspolitik zurückkehren können.
Ich will auch noch eine andere Bedingung nennen, die ich wichtig finde. Wichtig ist für mich, dass das Programm zeitlich befristet ist und dass wir nicht gesamtschuldnerisch handeln und haften. Ich weiß nicht, wer von Ihnen das Motto der Musketiere noch in Erinnerung hat. Es gilt nur zur Hälfte. ?Alle für einen oder für zwei oder drei?, das mag noch angehen, aber nicht - das will ich ganz deutlich sagen - ?einer für alle?.
Es geht nicht nur um einzelne Länder, es geht auch nicht nur um Innenpolitik - das hat hier nämlich gerade stattgefunden -, sondern es geht auch um die Zukunft Europas. Die Ursachen sind angesprochen worden. Ich will es noch einmal sagen. Es geht darum, die Staatsverschuldung aller Länder in Europa zu verringern, konsequent Gegenmaßnahmen einzuleiten und konsequent zu konsolidieren.
Aber Europa braucht auch Solidarität, eine Solidarität, die nicht nur auf Rechten, sondern auch auf Pflichten fußt. Man muss es noch einmal sagen: Europa ist keine Schönwettergemeinschaft. Ich will an ein Wort unseres Bundespräsidenten Köhler erinnern: Um den Teufelskreis immer größerer Finanzkrisen zu durchbrechen, braucht man in bestimmten Fragen mehr Europa und nicht weniger.
Ich will bekennen, dass wir uns hier in Deutschland aber auch an unsere eigene Nase fassen müssen. Wenn Vertrauen der Grundstock für die Märkte ist, dann hat allein schon die Vorstellung, die Währungsunion könne zerbrechen, zu Verunsicherung geführt. Deshalb wäre es auch gerade nach der vergangenen Diskussion ein starkes Signal für Europa, wenn das vorliegende Gesetz mit einer großen Mehrheit verabschiedet werden könnte und die Ausreden wegfallen.
Wir müssen auch einmal ganz klar sagen, dass Deutschland vom Euro enorm profitiert hat.
Ich will kurz an die Geschichte erinnern. Vor zehn Jahren waren wir fast das Schlusslicht in Europa, und jetzt stehen wir im Vergleich ganz oben. Ich will auch sagen, welche Leistungen dafür maßgeblich waren: Es waren die Leistungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, aber auch von tüchtigen Unternehmern, weitsichtigen Gewerkschaften und - ich will das überhaupt nicht abstreiten - der Politik. Aus der Mitte des Parlaments heraus hat sich in zehn Jahren Deutschland stark verändert. Die Relationen zwischen den Volkswirtschaften haben sich verändert. Diese Veränderung hat natürlich auch zu Spannungen geführt; das hat Herr Trittin übrigens auch in einem Redebeitrag bei der ersten Lesung deutlich gemacht. Als führendes Land in Europa haben wir, auch im nationalen Interesse, Verantwortung für andere. Aber dann müssen auch Fragen beantwortet werden: Erstens. Gibt es in den Demokratien Europas eine Kultur der Stabilität? Zweitens. Gibt es eine Nachhaltigkeit bei der Finanzierung der Staaten? Drittens. Gibt es - das müssen wir auch für uns beantworten - eine Verantwortung gegenüber nachfolgenden Generationen? - Diese Fragen müssen wir uns stellen.
Vor gut zwei Wochen haben wir in einem ersten Schritt Kreditgarantien ausgesprochen, um das Konsolidierungsprogramm in Griechenland zu unterstützen. Das war dringend geboten. Heute soll in einem zweiten Schritt ein Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen verabschiedet werden. Das hat folgenden Grund: Es soll eine unkontrollierte Eigendynamik verhindert werden, die die Stabilität der Währungsunion insgesamt gefährdet. Das nämlich hätte erhebliche Konsequenzen für die gesamte Weltwirtschaft. So kam es in der Stellungnahme der Bundesbank bei der Anhörung im Haushaltsausschuss am vergangenen Mittwoch zum Ausdruck. Das ist die Lage, in der wir entscheiden müssen. Wir müssen auch respektieren, dass viele Menschen Angst haben, dass sie sich zu Recht Sorgen machen um die Stabilität der Währung, die Stabilität und Solidität der Staatsfinanzen. Aber ich will auch eines sagen, an uns und ebenso an die Opposition gerichtet: Die Parlamente sind dafür verantwortlich; sie haben die Pflicht, die Währung zu schützen.
Allen Unkenrufen zum Trotz sage ich ganz deutlich: Der Euro ist stark, und das soll auch so bleiben. Ein stabiler Euro ist in unserem nationalen Interesse.
Ich will im Rahmen dieser Debatte im Deutschen Bundestag den früheren italienischen Botschafter in Berlin Antonio Puri Purini zitieren, der am 12. Mai dieses Jahres in der Zeit Folgendes geschrieben hat - damit bekommen wir eine andere Sicht auf die Dinge -:
? ich denke, dass Ihr Deutschen noch immer bereit seid, an ein gemeinsames europäisches Ziel zu glauben. Ich denke auch, dass Ihr mehr als andere in der Lage seid, Gefühl und Verstand zu vereinen: Europa braucht beides ?
Ich hoffe, dass das noch für dieses ganze Haus gilt. Jetzt ist die Zeit, gemeinsam verantwortlich zu handeln, entschlossen und - das möchte ich hinzufügen - zuversichtlich.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Gregor Gysi.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Herr Kollege Schulte-Drüggelte, ich habe eine Sache satt, die auch Sie wiederholt haben, obwohl Sie gar nicht dabei waren; deshalb will ich das einmal richtigstellen. Sie werfen der Opposition hier faule Ausreden beim Abstimmungsverhalten vor. Da ich an der Beratung mit der Bundeskanzlerin teilgenommen habe, will ich Ihnen drei Dinge sagen:
Der erste Punkt. Damals wurde uns gesagt, es sei nicht so eilig. Es war nie die Rede davon, dass innerhalb einer Woche alles entschieden wird. Es hieß: die erste Lesung in der Woche, und dann sehen wir einmal weiter, wann die zweite Lesung stattfindet. - So war die Atmosphäre.
Das Zweite war, dass nicht nur der Kollege Trittin, sondern alle Fraktionsvorsitzenden, übrigens auch Sie, Herr Kauder, und auch Frau Homburger, darauf bestanden haben, dass wir den Vertrag zur Gründung der Zweckgesellschaft zu lesen bekommen, bevor in zweiter Lesung entschieden wird.
Damals, Herr Kauder - erinnern Sie sich! -, wollten Sie das auch, und auch Frau Homburger wollte das. Warum Sie sich jetzt haben umstimmen lassen, ist mir völlig schleierhaft; das muss ich hier einmal sagen. Ich finde, wir haben einen Anspruch darauf, zu erfahren, auf welcher vertraglichen Grundlage das Ganze läuft.
Zum dritten Punkt. Mit diesem Gesetz geben wir der Bundesregierung das Recht, ohne Befragung des Parlaments, nur mit nachträglicher Information über 120 Milliarden Euro zu entscheiden - das ist doch keine Kleinigkeit! -,
und wir wissen nicht einmal, auf welcher vertraglichen Grundlage.
Deshalb sind das keine Ausreden, sondern gewichtige Argumente.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Zur Erwiderung Herr Schulte-Drüggelte, bitte.
Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU):
Ich bedanke mich. - Ich freue mich, dass Sie einigermaßen gut zugehört haben. Aber das, was Sie behaupten, habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, dass Sie sich vor einer Sache drücken wollen. Vor einer wichtigen Frage, die ganz Europa betrifft, wollen Sie sich mit formalen Argumenten drücken.
Das machen wir nicht mit, und das werden wir Ihnen immer vorhalten.
Das Zweite. Als Mitglied des Haushaltausschusses sage ich Ihnen: Wir haben intensiv beraten, und es ist dafür gesorgt worden, dass das Parlament bei allen Verfahren eingebunden ist. Dabei werden die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes, wie das Parlament mit der Regierung in europäischen Fragen zusammenzuarbeiten hat, beachtet.
So ist die Lage. Da können Sie nicht erzählen, dass das nicht der Fall ist.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus. Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung, Drucksachen 17/1740 und 17/1741, den Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/1685 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Zunächst kommen wir zur einfachen Abstimmung. Wer dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
und Schlussabstimmung. Es ist beantragt, dass dazu eine namentliche Abstimmung stattfindet. Sind an allen Wahlurnen Schriftführer platziert? - Das scheint der Fall zu sein. Ich eröffne die Abstimmung und bitte Sie, Ihre Stimmkarten in die Wahlurnen zu werfen.
Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimmkarten eingeworfen? - Das ist offenkundig der Fall. Dann schließe ich den Wahlgang und bitte, auszuzählen.
Ich muss nachtragen, dass eine Reihe von persönlichen Erklärungen nach § 31 GO vorliegen, die wir zu Protokoll nehmen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über vier Entschließungsanträge, wobei über drei Entschließungsanträge namentlich abgestimmt werden soll.
Als Erstes kommen wir zur namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/1809. - Ich sehe, die Plätze an den Urnen sind besetzt. Ich eröffne die Abstimmung.
Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimmkarte eingeworfen? - Das scheint der Fall zu sein. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte, auszuzählen.
Haben alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimmkarten eingeworfen? - Das scheint der Fall zu sein. Dann schließe ich den Wahlgang und bitte, auszuzählen. Die Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen werden Ihnen später bekannt gegeben.
Ich kann Ihnen schon das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Gesetzentwurf bekannt geben: abgegebene Stimmen 587. Mit Ja haben gestimmt 319, mit Nein haben gestimmt 73, Enthaltungen 195. Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Tagesordnungspunkt 27 a bis 27 c. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/1756, 17/1720, 17/1803 und 16/13741 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen beschlossen.
Ich rufe die Zusatzpunkte 11 und 12 sowie den Tagesordnungspunkt 28 auf:
ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Axel Troost, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit von Städten, Gemeinden und Landkreisen
- Drucksache 17/1744 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Haushaltsausschuss
ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Britta Haßelmann, Lisa Paus, Dr. Gerhard Schick, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gewerbesteuer stabilisieren - nicht abschaffen
- Drucksache 17/1764 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 44. Sitzung - wird am
Dienstag, den 25. Mai 2010,
auf der Website des Bundestages unter ?Dokumente & Recherche?, ?Protokolle?, ?Endgültige Plenarprotokolle? veröffentlicht.]