Michael Bürsch zum Internationalen Tag des Ehrenamts
Der 5. Dezember ist der Internationale Tag des Ehrenamtes. Aus diesem Anlass äußert sich Dr. Michael Bürsch (SPD), Vorsitzender des Unterausschusses "Bürgerschaftliches Engagement", im Interview über die Aufgaben des Gremiums, den Zusammenhalt in der Gesellschaft und neue Formen des Engagements.
Herr Dr. Bürsch, viele meinen, unsere Gesellschaft sei zunehmend materialistisch und konsumorientiert eingestellt. Teilen Sie diese Einschätzung?
Nein. Dagegen sprechen auch alle Zahlen, die seit 1999 zum bürgerschaftlichen Engagement erhoben werden. Danach engagieren sich 23 Millionen Menschen in Deutschland, das ist jeder Dritte über 14 Jahre. Geändert haben sich allerdings die Formen des bürgerschaftlichen Engagements.
Inwiefern?
Das traditionelle Ehrenamt wie zum Beispiel die Freiwillige Feuerwehr verliert an Zulauf. Umso mehr Menschen engagieren sich aber beispielsweise in Selbsthilfegruppen.
Sie zählen Selbsthilfegruppen zum bürgerschaftlichen Engagement?
Selbstverständlich–- wie jede Tätigkeit, die freiwillig, unentgeltlich und gemeinwohlorientiert ausgeübt wird. Leider verstehen viele bürgerschaftliches Engagement als eine rein karitative Angelegenheit. Dabei ist es völlig legitim, damit auch ein Eigeninteresse zu verfolgen. Wenn ich mich etwa in einer Selbsthilfegruppe organisiere, um eine chronische Krankheit besser zu ertragen oder um meine Interessen gemeinsam mit anderen gegenüber der Politik besser zu vertreten, dann hilft das sowohl mir selbst als auch der Gemeinschaft.
Apropos Politik: Was tut eigentlich der Bundestag, um bürgerschaftliches Engagement zu fördern?
Eine ganze Menge. Von 1999 bis 2002 gab es eine Enquete-Kommission, die eine Bestandsaufnahme des bürgerschaftlichen Engagements unternommen und rund 200 Empfehlungen formuliert hat, wie es zu fördern sei. 2003 wurde dann der Unterausschuss "Bürgerschaftliches Engagement" eingesetzt, dessen Vorsitzender ich bin. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die Empfehlungen auch umgesetzt werden.
Wie weit sind Sie damit?
Wir haben etwa die Hälfte davon abgearbeitet. Wichtig war uns, den versicherungsrechtlichen Schutz der Engagierten zu verbessern. Das ist auch gelungen. Außerdem haben wir 2007 das Gemeinnützigkeitsrecht vereinfacht und die steuerrechtlichen Rahmenbedingungen für Spenden und die Gründung von Stiftungen attraktiver gestaltet. Über den Bereich der direkten Gesetzgebung hinaus haben wir aber noch andere Aufgaben.
Welche sind das?
Zum einen prüfen wir alle laufenden Gesetzesvorgaben daraufhin, ob sie bürgerschaftliches Engagement fördern oder behindern. Zum anderen sind wir eine Art Ombudsmann für Organisationen und Personen, die sich bürgerschaftlich engagieren.
Inwiefern können Sie denen konkret helfen?
Dazu ein Beispiel: Vor ein paar Jahren hat die EU den so genannten Tafeln, die nicht benötigte Lebensmittel einsammeln und an Bedürftige verteilen, einen umfangreichen Berichtskatalog über die Herkunft ihrer Lebensmittel auferlegt. Unter diesem enormen bürokratischen Aufwand wäre wahrscheinlich das ganze Tafelwesen zusammengebrochen. In intensiven Verhandlungen mit Brüssel ist es uns schließlich gelungen, die Berichtspflichten auf ein Minimum zu reduzieren. Damit können die Tafeln, wie ich höre, gut leben.
Und was steht aktuell auf der Agenda des Unterausschusses?
Wir Engagementpolitiker betrachten bürgerschaftliches Engagement als Querschnittsaufgabe, die in viele Politikfelder hineinreicht. Dafür wünschen wir uns eine besondere Form der Politik, und zurzeit befassen wir uns mit der Frage, wie eine solche Engagementpolitik aussehen könnte. Zu diesem Thema wird es übrigens im nächsten Jahr eine Kabinettsvorlage des Bundesfamilienministeriums geben – ein großer Schritt nach vorn, finde ich. Denn die großen gesellschaftlichen Herausforderungen, vor denen wir stehen, werden wir nur lösen können, wenn Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu einer neuen Aufgabenteilung finden.