Interview mit der argentinischen Verteidigungsministerin Nilda Garré
Argentinien will für seine Streitkräfte nach deutschem Vorbild das Amt eines Wehrbeauftragten schaffen. Verteidigungsministerin Nilda Garré nahm aus diesem Grund an einer dreitägigen internationalen Konferenz im Bundestag teil, die der Wehrbeauftragte Reinhold Robbe ausgerichtet hatte. Im Interview mit der Wochenzeitung "Das Parlament" vom 18. Mai 2009 äußert sich Garré zu den Motiven und begründet, warum sie sich wie in Deutschland eine unabhängige Institution wünscht, die dem Parlament unterstellt ist. Sie hofft, dass das Gesetz noch in diesem Jahr verabschiedet werden kann.
Frau Ministerin, Sie haben vergangene Woche in Berlin an einer Konferenz von Ombudsleuten für die Streitkräfte teilgenommen. Warum wollen Sie in Argentinien das Amt eines Wehrbeauftragten einführen?
Die Streitkräfte haben in Argentinien seit 1930 mehrmals die Verfassungsorgane unseres Landes gestürzt. Beim letzten Mal hatten wir acht Jahre lang eine Militärdiktatur, die viele Menschenleben gekostet hat. Wir hatten Staatsterror. Deswegen müssen wir die Streitkräfte wieder in die Gesamtheit der Gesellschaft zurückholen. Wir haben in Argentinien einen Ombudsmann, an den sich alle Bürger wenden können – außer den Sicherheitskräften. Soldaten waren Bürger zweiter Klasse, denn sie hatten auch vor den Gerichten nicht die gleichen Rechte auf einen ordentlichen Prozess wie alle anderen Bürger des Landes.
Deswegen haben Sie bereits die Gerichtsverfahren und das
Strafrecht für das Militär reformiert.
Die Militärgerichte waren nicht mehr zeitgemäß. Es gab noch die Todesstrafe und die Gesetze basierten auf Verordnungen aus der Kolonialzeit. Als ich 2005 Verteidigungsministerin wurde, haben wir diese Themen in Angriff genommen. Vor allem mit Blick auf eine endgültige Versöhnung zwischen Zivilisten und Militärs. Dabei haben wir uns am deutschen Modell des Bürgers in Uniform mit dem Beruf "Soldat" orientiert.
Wie sind Sie auf das deutsche Modell gekommen?
Der deutsche Wehrbeauftragte Reinhold Robbe war 2007 zu Besuch in Argentinien und hat uns von seinem Amt erzählt. Und genau so etwas fehlte uns. Das Strafrecht und das Disziplinarrecht regeln vieles, aber es gibt eine Reihe von Beschwerden über die Verwaltung, über Versetzungen, Einsatzorte, Bezahlung und manchmal auch über Machtmissbrauch, Diskriminierung und sexuelle Belästigung. Im Moment regeln wir solche Beschwerden im Ministerium in der Abteilung für Menschenrechte.
Solange es noch keinen Wehrbeauftragten gibt
...
Ja, nur vorübergehend. Und wir denken, dass es eine richtige Institution geben muss. Deswegen sind wir auch nach Deutschland gekommen, um uns genauer anzusehen, wie es hier funktioniert.
Was hat Ihnen besonders am deutschen System
gefallen?
Es ist eine Person mit sehr klaren Befugnissen, die dem Parlament untersteht. Das schafft Unabhängigkeit. Andere Verfahren sind stärker in das Militär oder das Verteidigungsministerium integriert, aber in Deutschland ist es eine unabhängige Institution, die vom Parlament gewählt wird. Das gibt auch mehr Durchsetzungskraft.
Gibt es bei Ihnen Widerstände?
Nein, bisher nicht. Es kann schon sein, dass es in dem ein oder anderen Bereich Leute gibt, die denken, da kommt bald ein Fremder und kontrolliert interne Entscheidungen, aber im Großen und Ganzen gibt es ein Einverständnis darüber, dass eine Reihe von Problemen gelöst werden muss – so transparent und unabhängig wie möglich.
Werden die Militärs einen Zivilisten als Kontrolleur
und Anwalt annehmen?
Das argentinische Gesetz ist sehr deutlich: Die zivile Macht kontrolliert die Streitkräfte. Das ist auch allgemein akzeptiert. Und eine Organisation, die vom Parlament eingesetzt wird, garantiert Objektivität, weil dort die verschiedenen Interessensgruppen vertreten sind.
Wann wird es einen Wehrbeauftragten in Argentinien
geben?
Ich hoffe, dass wir das Gesetz dieses Jahr verabschieden können. Aber es wird in diesem Jahr ein Teil der Abgeordneten und der Senatoren neu gewählt. Da kann es zu Verzögerungen kommen.
Welche Beschwerden erwarten Sie von den Soldaten, wenn das
Amt des Wehrbeauftragten eingerichtet ist?
Derzeit bekommen wir im Ministerium vor allem Beschwerden über Versetzungen, manchmal über Machtmissbrauch. Einige Soldaten bitten darum, nicht versetzt zu werden, weil sie ältere Familienangehörige pflegen. Außerdem gibt es Probleme mit der Bezahlung und den Zulagen. Und bei den Veteranen des Falkland-Krieges haben wir auch viele medizinische Themen. Da geht es zum Beispiel um die Anerkennung von Behinderungen.
Und die Auslandseinsätze?
Da haben wir noch kein Beschwerdesystem. Wir haben fast 800 Soldaten im Ausland, vor allem in den UN-Missionen in Zypern und Haiti. Diese Soldaten sind derzeit ein wenig isoliert. Solange es noch keinen Wehrbeauftragten gibt, der diese Soldaten auch besuchen kann, wollen wir im Ministerium regelmäßige Besuche organisieren.
Während der Militärdiktatur haben Sie als
Anwältin für die Menschenrechte gekämpft. Wie ist
ihr persönliches Verhältnis zum Militär
heute?
Das Verhältnis ist gut. Als ich Ministerin wurde, haben mache gesagt, das sei zuviel Neues auf einmal: jemand, der sich für die Menschenrechte eingesetzt hat und dann auch noch eine Frau. Aber wir stehen in einem aufrichtigen und direkten Dialog. Ich glaube, dass die Streitkräfte sich wieder vollständig in die Gesellschaft eingliedern möchten.
Kann es in Argentinien noch mal zu einer
Machtübernahme des Militärs kommen?
Das glaube ich nicht. Das Militär hat akzeptiert, dass es sich dem Oberkommandierenden der Streitkräfte unterordnen muss. Und das ist die Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner. Sie müssen die zivile Kontrolle durch das Ministerium akzeptieren. Das Gesetz ist sehr klar. Es wurde 1988 einstimmig verabschiedet, seitdem ist nicht einmal darüber diskutiert worden, es zu ändern.
Wie hat sich das Militär denn seit der Diktatur
verändert?
Wir sind gerade dabei, den Verantwortlichen dieser schrecklichen Epoche in Argentinien den Prozess zu machen. Wir stehen noch an der Schwelle zur Normalität. Die meisten der Soldaten aus der Zeit der Diktatur sind nicht mehr im Dienst – vor allem wegen ihres Alters. Aber es gibt auch einen Korpsgeist in den Streitkräften, das kann dann schon zu einer negativen Stimmung führen. Doch der Großteil der Streitkräfte schämt sich dafür, dass das Militär damals die Institutionen gefährdet hat. Und vor allem die jungen Generationen wollen mit diesem Erbe nichts mehr zu tun haben.
Und wie sieht die Zivilgesellschaft das
Militär?
Die zivile Führung hat sich jahrelang nicht um die Verteidigungspolitik gekümmert. Die Probleme der Verteidigung waren Sache des Militärs, und die Sicherheit war das Problem der Polizei. Lange hieß es, Soldaten sind etwas anderes als Zivilisten. Das stimmt nicht. Wir sind alle Bürger. Wir haben alle die gleichen Rechte und Pflichten. Die Verteidigung ist ein Teil der staatlichen Politik. Daran müssen alle Bürger interessiert sein.
Der deutsche Wehrbeauftragte Reinhold Robbe hat der
deutschen Gesellschaft "freundliches Desinteresse" am Militär
attestiert.
Wir versuchen auch durch kulturelle Veranstaltungen in einen Dialog zu kommen. Außerdem organisieren wir Konferenzen mit den Universitäten. Uns fehlen Menschen, die Verteidigungspolitik studieren, deswegen haben wir einen Studiengang im Verteidigungsministerium eingerichtet, der nur für Zivilisten ist. Und wir waren überrascht, wie viele junge Menschen sich dafür eingeschrieben haben. Wenn die Vergangenheit in Ordnung gebracht ist, dann ist in den jungen Generationen, glaube ich, der Boden bereitet, damit ein normales Verhältnis von Soldaten und Zivilisten gedeiht. Aber diese Pflanze muss man hüten und täglich gießen.