"Sie sind nicht zu geistiger Leistung fähig", befand der Soziologe Werner Sombart vor 100 Jahren. Als "niedrige und korrupte Wesen" bezeichnete sie Thomas Mann in seinen Betrachtungen eines Unpolitischen von 1918. Die Rede ist von Politikern. Mit dem Selbst- und Fremdbild der Parlamentarier in Deutschland hat sich am 18. Juni 2009 ein Kolloquium im Berliner Marie-Elisabeth-Lüders-Haus befasst.
87 Prozent aller Bundesbürger haben nach Ansicht des Parlamentarismusforschers Prof. Dr. Werner Patzelt wenig oder kein Vertrauen in ihre Abgeordnete. Warum das so ist, beantwortete Patzelt während der Podiumsdiskussion über "Parlamentarier in der Bundesrepublik" selbst. Er sagte auf provozierende Art: "Der politische Bildungsstand der Deutschen reicht nicht aus, um das komplexe System zu verstehen, in dem im Bundestag Politik gemacht wird. Nicht nur die Parlamentarier, die ihre Arbeitsalltag nicht richtig vermitteln, sind die Schwachstellen des Systems, sondern auch die Bürger, die Wissenslücken haben und in ihren Vorurteilen gefestigt sind."
Die schlechte öffentliche Meinung sei kaum zu ändern. Denn, so Patzelt: "Ein großer Teil der Bevölkerung hat die Oppositionsparteien gewählt, oder gar nicht, die sind per se unzufrieden mit der deutschen Politik. Und Streit und das Ringen um Kompromisse sind nun mal die Aufgabe eines Parlaments. Deshalb macht der Bundestag für uninformierte Personen auch den Eindruck eines verstrittenen Haufens."
Müssen Politiker also noch mehr in die Öffentlichkeit gehen? "Nein", meinte der CDU-Bundestagsabgeordnete Joachim Hörster, "wir müssen anders in die Öffentlichkeit gehen. Der Interessenausgleich ist unsere Aufgabe, den müssen wir vermitteln", sagte er und fügte hinzu: "Wer in Talkshows geht, steigert zwar seinen Bekanntheitsgrad, aber nicht seine Kompetenz."
Majid Sattar von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erklärte, warum auch die Medien zum schlechten Bild der Politiker beitragen: "Wir wollen große Namen und tiefgreifende Äußerungen, wollen lieber den Parteichef als den innenpolitischen Sprecher. Also wird die große Vielfalt des arbeitenden Parlaments von den Medien kaum aufgegriffen."
Das habe zur Folge, dass schnell das Bild des faulen, nicht informierten Abgeordneten entstehen könne. Außerdem würden die Parteien zunehmend darauf achten, medienwirksame Politiker zu präsentieren. "Das muss zwar nicht zulasten der Fachkompetenz gehen, aber es kann", gab Sattar zu bedenken.
Doch Parlamentarier müssen nicht nur Fachkompetenz zeigen, sondern in kürzester Zeit eine Unmenge an Informationen verarbeiten. Das gehe nur gut, wenn man sich auf seine Mitarbeiter, den wissenschaftlichen Dienst des Bundestages, das Wissen von Kollegen und seine eigene Selbstdisziplin verlassen könne, meinte die FDP-Bundestagsabgeordnete Birgit Homburger.
"Ich muss Generalist sein und Spezialist", so fasste sie es zusammen. "Ich muss mich in allen Bereichen der Politik ein wenig auskennen, und in meinem Fachgebiet immer alles sofort parat haben. Ich muss lesen lassen und selbst lesen. So funktioniert Politik, so macht Politik Spaß, und das müssen wir den Leuten zeigen."
Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert (CDU) hatte schon in seiner Begrüßung auf das "bescheidene" Bild der Abgeordneten in der Öffentlichkeit hingewiesen. "Die Deutschen misstrauen Parteien und Politikern", sagte Lammert. Er schränkte aber ein: "In der Krise vertrauen sie dennoch auf den Staat und ihr demokratisch gewähltes Parlament. Also sollte man diese Befunde weder verniedlichen noch dramatisieren." Ein schlechtes Image der Politiker bedeute schließlich nicht, dass ihre Arbeit keine Relevanz besitzt.
Die Historiker und Parlamentarismusforscher Prof. Dr. Dieter Langewiesche und Prof. Dr. Horst Möller blickten in ihren Vorträgen auf Bild und Selbstbild der deutschen Parlamentarier in den vergangenen 150 Jahren. Dabei wurde klar: Schon in der Weimarer Republik hatte die Bevölkerung keine gute Meinung von der Politik, und die Bezeichnung "Professorenparlament" für die Frankfurter Nationalversammlung von 1848 war mitnichten ein Kompliment.
Das Kolloquium "Parlamentarier in Deutschland – Bild und Selbstbild" wurde organisiert vom Deutschen Bundestag und der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien.
Abgerundet wurde die Veranstaltung durch vier wissenschaftliche Vorträge über "Parlamentarier in Deutschland und Europa". Die Themen: Parlamentarier und Parlament in der britischen Geschichte (Paul Seaward, Direktor der Buchreihe History of Parliament); Das Idealbild böhmischer Abgeordneter im 19. Jahrhundert (Lubos Velek, Karls-Universität Prag); Selbstbilder holländischer Parlamentarier (Erie Tanja, Universität Nijmegen) und das Bild des Europa-Abgeordneten (Jürgen Mittag, Universität Bochum).