Ein Tag im Wahlkampf mit Dr. Kurt Lehner (FDP)
Eine Familie kommt mit ihrem sechsjährigen Sohn vorbei und ist auf dem Weg zur Einschulung. Jetzt gibt es zur Schultüte noch einen gelben Luftballon dazu. Auch wenn die Stimmung an diesem verregneten Samstag eher einem kleinen Volksfest gleicht, es ist Straßenwahlkampfzeit in Berlin. Immer im Gespräch mit den Bürgern ist Dr. Kurt Lehner, der FDP-Direktkandidat für den rund 320.000 Einwohner zählenden Wahlkreis Berlin-Mitte. Er verteilt sein Programm und verwickelt die Schaulustigen freundlich in Gespräche über Hartz IV, Finanzkrise und die Steuerpolitik.
„Wahlkampf macht großen Spaß, ist aber super anstrengend“, sagt der 42-jährige promovierte Politikwissenschaftler. Sein wöchentlicher Lauf durch den Berliner Tiergarten wird in den kommenden Wochen genauso ausfallen wie alle anderen Freizeitaktivitäten. „Zeitmanagement ist das Wichtigste“, sagt Lehner, der dafür zu vielen Wahlkampfterminen mit dem Fahrrad fährt.
Eine Wahlkampfhelferin hat dem Bundestagskandidaten gerade einen heißen Kaffee mitgebracht, eine Stärkung für ein langes Wahlkampfwochenende. Eine Windböe erfasst den gelben Wahlkampfstand und droht, ihn umzureißen. Das windige Wetter meint es nicht gut mit den Straßenwahlkämpfern. „Sonnenschein wäre besser“, sagt Lehner. Dann seien die Menschen auch eher bereit, sich auf ein Gespräch einzulassen. Aus der U-Bahn kommt gerade eine Menschenmenge die Treppen hoch. Lehner und seine Mitstreiter eilen hin und bieten Informationsmaterial an.
“Politik ist immer lokal. Die Menschen wollen, dass sich ihr Lebensumfeld vor Ort verbessert“, sagt Lehner. So ist die Themenpalette denn auch breit gefächert, mit der der Kandidat konfrontiert wird: Schließung von Postfilialen, die bevorstehende Schulreform in der Hauptstadt, fehlende Fahrradwege, das befürchtete Aus für soziale Projekte und vieles mehr. Er selbst wohnt seit etwa zehn Jahren im Kiez und kennt die Probleme dort.
Auch mit dem Stigma der FDP als „Partei der Besserverdienenden“ muss Lehner in Wedding und Moabit, die mit zu den ärmsten Stadtteilen von Berlin gehören, aufräumen. Vom Glanz des nur rund einen Kilometer entfernten Regierungsviertels ist hier nichts zu spüren. Die Arbeitslosigkeit liegt über dem Berliner Durchschnitt von ohnehin schon 16 Prozent. Und rund 44,5 Prozent der Bewohner haben ihre familiären Wurzeln außerhalb Deutschlands. Umso wichtiger ist Lehner das Thema Integration im Wahlkampf. Regelmäßige Gespräche mit der Türkischen Gemeinde und Besuche bei türkischen Geschäftsleuten sind deshalb fester Bestandteil seines Wahlkampfes.
Bei fast allen Begegnungen im Wahlkreis wird der Kandidat auf die Sozialpolitik seiner Partei und Hartz IV angesprochen. Dann erklärt Lehner, dass seine Partei ein „neues Konzept der sozialen Sicherung“ wolle, das Bürgergeld. Dabei gehe es nicht um eine Kürzung der Gelder, sondern um mehr Effizienz, stellt er klar, um gleich von vornherein Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Egal ob im Gespräch mit dem türkischen Einzelhändler in Berlin-Wedding oder Grafikdesignernin Berlin-Mitte – Klagen über ausufernde Bürokratiekosten werden von allen Seiten an den FDP-Bundestagskandidaten herangetragen.
„Allein in der Kreativbranche gibt es mehr als 100.000 Arbeitsplätze in Berlin“, sagt Lehner. „Da passiert sehr viel.“ Viele der oft kleinen Firmen haben sich am Hackeschen Markt, der so genannten Neuen Mitte von Berlin, angesiedelt. An der Einstellung von zusätzlichem Personal verzweifelt jedoch so mancher selbstständige Designer, Grafiker oder PR-Experte. Das sei einfach viel zu kompliziert, klagen sie verärgert.
Ortswechsel Sprengelkiez: Auch wenn das trendige Berlin-Mitte und der Sprengelkiez in Wedding nur ein paar Kilometer trennen, liegen doch Welten zwischen den beiden Stadtteilen. In der Begegnungsstätte am Sprengelplatz hat das Quartiersmanagement alle lokalen Bundestagskandidaten zu einer Podiumsdiskussion geladen. Der eher triste Raum ist mit rund 60 Besuchern rappelvoll.
Viele Gäste haben schon vorher ihre Fragen eingereicht und warten jetzt auf die Antworten der fünf Kandidaten. Mit der Stoppuhr in der Hand gibt die Moderatorin die Zeit vor, die jeder Kandidat hat, um seine wichtigsten politischen Anliegen zu präsentieren. Nach drei Minuten wird gnadenlos unterbrochen oder das Mikrofon ausgeschaltet. Kurz und knapp - das kommt bei den politikinteressierten Besuchern gut an.
Lehner will sich für eine Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs und einen Ausbau der Radwege einsetzen. Manche Radwege seien in einem lebensgefährlichen Zustand, moniert er. Zusammen mit dem CDU-Kandidaten Dr. Christian Burholt ist Lehner der einzige in der Runde, der kein Mandat innehat. Er arbeitet für einen Abgeordneten im Bundestag und kennt deshalb den Parlamentsbetrieb auch aus einer anderen Perspektive.
Gleich zu Beginn der Diskussion meldet sich eine junge Frau mit einem Blindenhund. Sie wolle arbeiten, erklärt sie. Doch die Eingliederungshilfe für Behinderte bekomme sie erst, wenn sie einen Arbeitsplatz nachweisen könne und nicht dafür, einen Job zu bekommen. Das sei doch eine verkehrte Welt, meint sie entnervt. Dieser Meinung sind auch die fünf Bundestagkandidaten und versprechen, sich um den konkreten Fall zu kümmern.
„Natürlich sind wir Konkurrenten“, sagt Lehner danach. Aber das Verhältnis untereinander sei gut. Außerdem komme es ja immer darauf an, etwas für die Menschen hier und gegen die Politikverdrossenheit zu tun. So ist zum Beispiel abgesprochen, Diskussionen mit Jungwählern an Schulen gemeinsam zu besuchen und dort auch gemeinsam dafür zu werben, wählen zu gehen.