Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) hat in ihrer ersten Regierungserklärung am Dienstag, 10. November 2009, die Pläne der Regierungskoalition für diese Legislaturperiode vorgestellt. Wichtigster Punkt dabei: der Kampf gegen die Wirtschaftskrise. Union und FDP wollten „Deutschland zu neuer Stärke führen“, sagte die Kanzlerin. Oppositionsführer Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) warf Merkel dagegen vor, mit ihrer Politik das Land zu spalten. Auch Die Linke und Bündnis90/Die Grünen kritisierten den Kurs der Koalition scharf.
Angela Merkel kündigte zu Beginn ihrer Rede vor dem Deutschen Bundestag eine „schonungslose Analyse“ an. „Wir dürfen uns keinen Sand in die Augen streuen“, so Merkel. Deutschland stehe vor einer Bewährungsprobe wie seit der deutschen Einheit nicht mehr. Nun sei „Entschlossenheit“ gefragt.
Die Aufgaben müssten beim Namen genannt werden. Die Politikerin hob fünf Ziele ihrer Regierungsarbeit besonders hervor, mit denen sie die „Weichen für das 21. Jahrhundert“ stellen wolle.
Wichtig vor allem: die Bewältigung der Folgen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise. Erste leichte Aufwärtsbewegungen seien auszumachen, aber große Teile der Wirtschaft befänden sich noch immer in der Krise, sagte Merkel. Ihre volle Wirkung werde sie wohl erst im nächsten Jahr entfalten. „Die Probleme werden erst noch größer, bevor es besser werden kann“, so die Bundeskanzlerin.
Sie kündigte daher an, das Kurzarbeitergeld zu verlängern. Außerdem stellte sie eine Initiative für den Mittelstand in Aussicht. Die Banken forderte sie zudem zu einer stärkeren Kreditvergabe auf. „Die Unternehmen dürfen nicht in eine Kreditklemme geraten“, warnte Merkel.
Zudem kündigte sie an, das Verhältnis zwischen Bürger und ihrem Staat unter anderem durch Steuersenkungen und ein Abbau von Bürokratie zu verbessern. Weitere Aufgaben für die schwarz-gelbe Regierung, so Merkel sei es, Antworten auf den demografischen Wandel zu finden, einen globalen Ordnungsrahmen für den Umgang mit den natürlichen Ressourcen zu stecken sowie das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit angesichts globaler Bedrohungen „weiter zu festigen“.
Der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier warf der der schwarz-gelben Koalition dagegen einen „katastrophalen Fehlstart“ vor: Der Koalitionsvertrag sei ein „Dokument der Verunsicherung und der Vertagung“. Doch auch die Regierungserklärung bringe nicht mehr Klarheit: „Das war keine Regierungserklärung, das war ein Regierungsrätsel“, monierte der frühere Außenminister und Vizekanzler in seiner ersten Bundestagsrede als Oppositionsführer.
„Täuschen, Tricksen und Vernebeln als Strategie, das hat Methode in dieser Koalition.“ Wer allerdings „zwischen den Zeilen des Koalitionsvertrags“ lese, der merke, dass dort „ Weichen für eine andere Republik“ gestellt würden. „Dieses Land wird gespalten“, sagte Steinmeier.
Das werde besonders deutlich bei den Gesundheitsplänen von Union und FDP. Die Lasten sollten einseitig auf die Versicherten abgewälzt werden. „Die Arbeitgeber machen sich vom Acker der Solidarität“, kritisierte Steinmeier und auch bei der Familien- und der Energiepolitik werde ein „Salto rückwärts“ vorbereitet.
Diese Kritik wies Birgit Homburger, die neue Fraktionsvorsitzende der FDP, zurück: Dass sich Steinmeier als früherer Außenminister überhaupt nicht zur Außenpolitik geäußert habe werfe doch die Frage auf, wer sich wirklich vom Acker machen wolle. Die Liberale betonte die Kontinuität ihrer Partei in diesem Politikbereich, kündigte jedoch auch neue Akzente, etwa in der Abrüstungspolitik, an.
In der Finanz- und Wirtschaftspolitik bekannte sich Homburger zu den Werten der sozialen Markwirtschaft: „Wir vertrauen auf Fleiß, Leistung und vor allem Kreativität- die wollen wir freisetzen und nutzen!“ Wo erforderlich setzten sich die Liberale jedoch auch für Reformen ein, so die FDP-Politikerin: „Indem wir die Bankenaufsicht bei der Bundesbank zentrieren, bekommen wir endlich eine schlagkräftige Aufsicht!“
Außerdem betonte Homburger das „Bürgerrecht auf Bildung“. Bildung sei der Schlüssel für einen sozialen Aufstieg. Nicht umsonst betrachte die schwarz-gelben Koalition Wachstum, Bildung und Zusammenhalt der Gesellschaft als ihre Maxime: „Wir haben den Mut und die Entschlossenheit, das durchzusetzen.“
Oskar Lafontaine, Fraktionsvorsitzender der Linken, warf der Bundesregierung dagegen vor, die wichtigsten Probleme überhaupt nicht zu erkennen - und daher auch keine passenden Lösungen parat zu haben. Dass die Bundeskanzlerin, die Folgen der Krise bekämpfen wollen anstatt die Ursache zu beseitigen,"„entwerte“ ihre Regierungserklärung.
Um eine Krise wie die gegenwärtige künftig zu verhindern, brauche man eine neue Leitwährung, die Spekulationen und Schwankungen ausschließe, so Lafontaine. Der Linkspolitiker forderte Regeln für den internationalen Kapitalverkehr, das "Austrocknen von Steueroasen“ und ein Verbot von Hedgefonds und "Schrottpapieren“.
Lafontaine kritisierte auch die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung scharf - insbesondere deren Weigerung, Mindestlöhne einzuführen, die Leiharbeit und befristete Arbeitsverhältnisse zu reduzieren. "Sie wollen das Verhältnis der Bürger zu ihrem Staat verbessern? Sie wissen doch gar nicht, was im Volk los ist“, empörte sich der Abgeordnete.
Die Deregulierung der Arbeitsmärkte zerstöre die Familien im Land, so Lafontaine. Wer nicht wisse, ob er im nächsten Monat noch Arbeit habe oder davon kaum leben könne, der gründe keine Familie. Es sei eine "Schande“, so Lafontaine, dass der Bundestag, trotz "formaler Mehrheit“, Mindestlöhne nicht beschließe.
Jürgen Trittin, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, warf der schwarz-gelben Bundesregierung "mehrfachen Wortbruch“ vor: Gerade das Motto "Mehr Netto vom Brutto“ könne nur für Besserverdiener gelten. Normalverdiener, die mit einer Kopfpauschale in der Gesundheitsvorsorge rechnen und durch "Mehrwertsteuerspielereien“ höhere Müll- und Abwassergebühren tragen müssten, hätten künftig sogar weniger in der Tasche als vorher, kritisierte der Grünen-Abgeordnete.
Durch "Steuersenkungen auf Pump“ würden künftig 3,6 Milliarden Euro in den Haushalten von Kreisen und Kommunen fehlen. Auch das ein Wortbruch, so Trittin, und noch dazu eine wirkungslose Maßnahme: "Solche Streuersenkungen haben noch nie zu mehr Wachstum geführt!“
Die Koalition wage keinen Neuanfang, resümierte der Politiker, sondern regiere mit alten Rezepten. Ihre Sozialpolitik verkomme zur bloßen "Symbolpolitik“: Die Erhöhung der Kinderfreibeträge etwa werde nur Spitzenverdiener zugute kommen, monierte Trittin. Die, die aber dringend eine Entlastung bräuchten, gingen leer aus. "Das ist keine christliche Politik, sondern einfach nur gemein und kaltherzig.“
Unionsfraktionschef Volker Kauder betonte die vorrangige Aufgabe der Koalition, "Arbeit durch Wachstum“ zu schaffen. Wachstum bedeute dabei in erster Linie eine besondere Unterstützung des Mittelstandes durch Steuererleichterungen und Bürokratieabbau. "Wir brauchen weniger Staat, weniger Bürokratie, weniger Bevormundung“, sagte der CDU-Politiker.
Gegen die Angriffe der Opposition verteidigte er zugleich den geplanten Umbau der Sozialversicherungssysteme zugunsten von mehr privater Vorsorge. "Wenn sich eine Gesellschaft radikal verändert, kann die Antwort nicht heißen: Es muss alles so bleiben, wie es ist“, sagte Kauder mit Blick auf den demografischen Wandel in der Gesellschaft.
Er verwahrte sich auch gegen den Vorwurf der sozialen Kälte: Es gehöre zur sozialen Marktwirtschaft, dass diejenigen, die auf staatliche Unterstützung angewiesen seien, diese auch bekämen. Dabei gelte es aber, Aufstiegschancen zu schaffen und nicht "einen Sozialhilfestatus zu zementieren“.