Der Bundestag hat das ISAF-Mandat der Bundeswehr verlängert. Mit 445 zu 105 Gegenstimmen und 43 Enthaltungen nahmen die Abgeordneten am Donnerstag, 3. Dezember 2009, nach namentlicher Abstimmung den Antrag der Bundesregierung an, mit dem Einsatz deutscher Soldaten am Hindukusch bis zum 13. Dezember 2010 weitergeführt werden soll ( 17/39, 17/111 neu). Während die SPD-Fraktion mehrheitlich die Vorlage unterstützte, übten Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen in der teilweise emotionalen Debatte deutliche Kritik: Die Linke lehnte den Einsatz in Afghanistan grundsätzlich ab und forderte einen sofortige Rückzug der Truppen.
Die Grünen monierten, die Bundesregierung lasse das Parlament über Zukunft und Ausstattung des Einsatzes im Unklaren. Der Antrag sei ein „Blankoscheck“, den die Fraktion nicht ausstellen werde. Drei Entschließungsanträge, die die Opposition in den Bundestag eingebracht hatten, wurden nach der Debatte zur weiteren Beratung in die Ausschüsse überwiesen ( 17/127, 17/128, 17/133).
Bundesaußenminister Dr. Guido Westerwelle (FDP) nahm zunächst auf die Rede des US-Präsidenten Barack Obama Bezug, der sich am Dienstag vor Kadetten der Militärakademie West Point zur Zukunft des ISAF-Einsatzes in Afghanistan geäußert hatte. Westerwelle begrüßte insbesondere die dort aufgezeigte Abzugsperspektive für die Truppen: „Da deckt sich unsere Haltung mit Obama“.
Auch Deutschland sei daran interessiert eine Abzugsperspektive zu erarbeiten: „Keiner will einen Einsatz für die Ewigkeit.“ Ziel des Einsatzes sei aber, eine „selbsttragende Sicherheit“ am Hindukusch herzustellen. Ein Selbstzweck hingege, sei er nicht. Der Außenminister betonte, bei einer Afghanistan-Konferenz, die „mutmaßlich“ am 28. Januar 2010 in London stattfinden werde, wollten sich die Bündnispartner über die zukünftige Strategie des Einsatzes verständigen.
Die von Obama in seiner West Point-Rede an die NATO-Verbündeten gerichtete Aufforderung, die Truppen in Afghanistan aufzustocken, werde dort keine Rolle spiele. „Das ist keine Truppenstellerkonferenz“, unterstrich der FDP-Politiker. Und auch bei der am 4. Dezember in Brüssel beginnenden NATO-Außenministerkonferenz werde die Bundesregierung keine Festelegungen bezüglich neuer Kontingente treffen, versprach Westerwelle.
SPD: Ja zum Einsatz
Hans-Ulrich Klose (SPD), stellvertretender Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, erklärte, seine Fraktion stehe zur Verantwortung, die sie vorher als Regierungspartei für den Einsatz übernommen habe. Daher werde sie der Verlängerung auch dieses Mal zustimmen. Dennoch müsse man „Besonderheiten“ beachten: Präsident Hamid Karsai sei im Land umstritten, Afghanistan zudem „meilenweit“ von guter Regierungsführung entfernt.
Die Bombardements von Tanklastern am 4. September hätten darüber hinaus auch das Bild der Bundeswehr verändert. „War es ein Fehler? War es notwendig? Ein Untersuchungsausschuss muss diesen Fragen nachgehen“, sagte Klose. Das Parlament müsse wissen, „wie die Parlamentsarmee in Afghanistan“ agiere.
„Nicht glücklich“ zeigte sich Klose über die neue Afghanistan-Strategie Obamas: Zu sehr setze der amerikanische Präsident auf weitere Truppenverstärkungen, zu wenig klar seien aber seine Bestrebungen in der zivilen Hilfe. Außerdem kritisierte Klose, Obama hätte seine Strategie mit den NATO-Bündnispartner absprechen müssen. „Ich bin für Leadership, aber es wäre hilfreich gewesen, wenn die Verbündeten miteinbezogen worden wären.“
CDU/CSU: Einsatz muss ein Erfolg werden
Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU) zeigte in seiner Rede Verständnis für alle „diejenigen, denen die Verlängerung des ISAF-Einsatzes Kopfschmerzen bereite und die ihn gern beenden wollten“. Dennoch habe man mit dem Mandat eine Verantwortung übernommen, und derzeit gebe es keine vernünftige Alternative, als es fortzusetzen, bekräftigte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union.
„Wer soll denn die Aufbauhelfer schützen, die Brücken wieder aufbauen und die Weiterentwicklung des Landes ermöglichen?“ Wenn die Mission nach „fast einem Jahrzehnt“ der Anstrengungen kein Erfolg werde, stehe nicht nur die NATO vor einem „Scherbenhaufen“, auch die UNO könne sich von ihrer „Glaubwürdigkeit verabschieden“, warnte Schockenhoff.
Linke: Terror ist nicht durch Krieg zu bekämpfen
Jan van Aken (Die Linke) ging Union, FDP und SPD hingegen scharf an: „Sie stimmen gleich darüber ab, ob sie 4.500 deutsche Soldaten weiterhin in den Krieg schicken, aber sie reden darüber, als wenn es eine Feuerübung in Castrop-Rauxel wäre." Van Aken verlangte, es müsse Schluss sein mit beschönigenden Bezeichnungen für das, was in Afghanistan passiere: „Hören Sie endlich auf, den Krieg als Aufbauaktion darzustellen.“
Warum er überhaupt fortgesetzt werde, sei nicht zu verstehen: „Terror ist nicht durch Krieg zu bekämpfen“, erklärte van Aken, zudem wachse mit jeder Bombe der Widerstand im Land. Der Abgeordnete forderte, den Krieg - frei nach Kant - als Meisterstück der Unvernunft zu beenden, die „Truppensteller-Konferenz in London zu einer Friedenskonferenz“ zu machen und dann mit einem wirklichen Aufbau des Landes zu beginnen.
Grüne: Kein Blankoscheck für ein Jahr
Jürgen Trittin, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, bezeichnete die Entscheidung, die der Bundestag über die Verlängerung des ISAF-Mandats zu treffen habe, als „Dilemma“: Wie auch immer der einzelne Abgeordnete abstimme, es gebe keine Entscheidung, „die das bewirken kann, was wir uns wünschen“.
Trittin sagte, der Einsatz sei ein „Stabilisierungseinsatz“, bei dem man ein Zusammenwirken von militärischen Mitteln und ziviler Hilfe benötige - allerdings „unter dem Primat der zivilen Hilfe“, betonte der Grünen-Politiker. Dass seine Fraktion sich bei der Abstimmung nun dennoch mehrheitlich enthalten werde, begründete er mit dem Inhalt des vorgelegten Antrags. „Ein ‚Weiter so’ kann es nicht geben. Wir brauchen eine Abzugsperspektive“, forderte Trittin.
Dass der Antrag dazu schweige und zudem keine klaren Aussagen für die Zukunft, auch in Bezug auf die Truppenstärke, treffe, sei nicht zu unterstützen. Der Antrag wirke wie ein „Blankoscheck“, monierte Trittin: „Aber ohne konkrete Zusagen werden wir ihn nicht für ein ganzes Jahr ausstellen.“ Ein halbjähriges Mandat wäre angemessener gewesen.
Zu Guttenberg: Luftangriffe objektiv nicht angemessen
Kurz vor der Abstimmung trat dann Bundesverteidigungsminister Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg (CDU/CSU) für eine Neubewertung der Luftangriffe bei Kundus ans Rednerpult. Das Parlament hatte ihn in der vergangenen Woche dazu aufgefordert, weil öffentlich bekannt geworden war, dass es bei dem von der Bundeswehr angeordneten Bombardement auch zu zivilen Opfern gekommen war. Dies hatte der frühere Bundesverteidigungsminister und inzwischen als Arbeitsminister zurückgetretene Franz Josef Jung (CDU/CSU) stets bestritten und den Angriff als „angemessen“ bezeichnet.
Dieser Beurteilung hatte sich zunächst auch zu Guttenberg angeschlossen. Nun äußerte sich der Bundesverteidigungsminister anders: Angesichts der ihm nun bekannten Berichte seien die Luftangriffe aus „objektiver Sicht nicht angemessen“ gewesen. Seine Einschätzung gegenüber Oberst Georg Klein werde er jedoch nicht korrigieren, betonte zu Guttenberg.
Er sein noch immer der Überzeugung, dieser habe nach „bestem Wissen und Gewissen“ gehandelt, als er die Bombardements anforderte, um seine Soldaten zu schützen. „Aus subjektiver“ Sicht seien sie daher auch angemessen gewesen.