Lobbyismus - ein Begriff mit negativem Beigeschmack, vor allem wenn er in Verbindung mit Parlament und Abgeordneten genannt wird. Das Parlamentsfernsehen ist in einer 45-minütigen Sendung mit ausgewiesenen Experten der Frage nachgegangen, was der Lobbyismus kann, darf und soll. Die Diskussionsrunde wird am Mittwoch, 9. Dezember, ab 9 Uhr und am Freitag, 11. Dezember, ab 9.30 Uhr im Parlamentsfernsehen gesendet.
Moderiert von Manuela Tischler äußern sich in der Diskussionsrunde zum Thema:
Ulrike Mascher, Präsidentin des Sozialverbandes VdK Deutschland, der mit 1,4 Millionen Mitgliedern der größte Sozialverband in Deutschland ist. Er vertritt die Interessen von Menschen mit Behinderungen, chronisch Kranken, Seniorinnen und Senioren, Patientinnen und Patienten gegenüber der Politik und an den Sozialgerichten. Ulrike Mascher war viele Jahre lang SPD-Bundestagsabgeordnete und auch Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Soziales.
Dieter Schweer, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), der Spitzenorganisation der deutschen Industrie und der industrienahen Dienstleister. Der BDI spricht spricht für 36 Branchenverbände, 15 Landesvertretungen und mehr als 100.000 Unternehmen mit rund acht Millionen Beschäftigten.
Dr. Rudolf Speth, Privatdozent am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin mit Lehrveranstaltungen im Bereich Interessenpolitik, Lobbying und Public Affairs. Er lehrt darüber hinaus am Zentrum für Nonprofit-Management der Universität Münster und an der Universität Kassel. Vor Jahren war er wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Enquete-Kommission "Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements" des Deutschen Bundestages. Der Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen und publizistischen Tätigkeit liegt in den Bereichen Lobbying, Campaigning, politische Kommunikation und bürgerschaftliches Engagement.
Ulrike Mascher unterschied zwischen Verbänden, die vor allem in den Bereichen Wirtschaft, Finanzen, Verkehr und Bau ausschließlich die wirtschaftlichen Interessen derjenigen vertreten, "die sie bezahlen", und den Verbänden im Sozialbereich, die "soziale Aufgaben wahrnehmen". Wirtschaftliche Interessen beeinflussten die Gesetzgebung massiv, sagte Mascher. Dem stünden "ein paar Zwerge" gegenüber, die versuchten, die Interessen von Rentnern oder chronisch Kranken zu artikulieren.
Mascher bezeichnete die Entwicklung hin zu immer mehr reinen Politikerbiografien unter den Abgeordneten als "problematisch". "Jemand, der Gesetze macht, sollte ein gewisses Maß an alltäglicher Lebenserfahrung haben", betonte sie. Diese Lebenserfahrung fehle der Politik ein bisschen. Schwierig werde es für die Demokratie, wenn oben "abgehoben" entschieden werde. Die Politik dürfe nicht den Eindruck erwecken, es werde nur "in gut gekühlten Räumen unter uns" entschieden.
Für den BDI-Vertreter Dieter Schweer ist wichtig, dass Lobbyismus ein offener Prozess ist, der für jeden nachvollziehbar ist. Als "Stimme der deutschen Wirtschaft" versuche der BDI, zu einer einheitlichen Meinungsbildung von 36 Branchenverbänden zu kommen. "Für die Politik ist es hilfreich, wenn sie große Interessen kanalisiert bekommt", unterstrich Schweer. Eine Lobbyliste, wie es sie etwa bei der EU in Brüssel gebe, würde Schweer für Deutschland ausdrücklich begrüßen, um Transparenz darüber herzustellen, wer als Interessenvertreter tätig ist.
"Die Politik erwartet, dass der BDI mit einer Stimme spricht", betonte Schweer. Neben dem BDI hätten große Unternehmen, Fachverbände und Spitzenverbände ihre eigenen Vertretungen in der Hauptstadt. Lobbyismus ist für ihn ein Bestandteil des demokratischen Prozesses. In 60 Jahren bundesdeutscher Geschichte habe er sich im Sinne der Konsensfindung positiv entwickelt.
Den Politikwissenschaftler Speth interessieren nach eigenen Worten die Konsequenzen des Lobbyismus für die Demokratie. So gebe es eine neue Form des Lobbyismus wie den Sozialverband, Greenpeace oder die Deutsche Umwelthilfe, die im politischen Prozess "stark mitmischen". Zu fragen sei, ob die Mitglieder in den demokratischen Prozess einbezogen werden oder ob es zu einer "Verselbstständigung von Polit-Unternehmen" kommt.
Ulrike Maschers Darstellung, der Sozialverband sei ein schwacher, die Wirtschaftsverbände dagegen starke Verbände, widersprach Speth ausdrücklich. Er hielt es nicht für sinnvoll, dass ehemalige Minister oder Abgeordnete später auf den gleichen Gebieten als Lobbyisten tätig sind, für die sie vorher politische Verantwortung trugen.
"Interessenpolitik findet in der Mediengesellschaft statt", betonte Speth weiter. Die Parteien hätten nicht mehr die Definitionshoheit über Themen. Kleine, schlagkräftige Interessengruppen kämen in eine privilegierte Position, weil die Parteien Schwächen zeigten. Aus der Gesamtsperpektive sei dies ein "desaströses Ergebnis".