Angesichts der mangelnden Gleichstellung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt hat Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) für ein Umdenken in den Unternehmen plädiert und eine Frauenquote in Aufsichtsräten als "ultima ratio“ in Aussicht gestellt. Die Opposition kritisierte das als "überflüssig und verlogen“ und verlangte stattdessen gesetzliche Vorgaben. In einem waren sich in der Debatte zur Gleichstellungspolitik am Donnerstag, 4. März 2010, alle einig: Frauen sind in Deutschland den Männern noch immer nicht gleichgestellt. Bei der fast anderthalbstündigen Debatte aus Anlass des Internationalen Frauentages am 8. März die fünf Fraktionen übereinstimmend fest, dass Frauen derzeit 23 Prozent pro Arbeitsstunde weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen und sie in den Führungsebenen deutlich unterrepräsentiert sind.
Die Meinungen über die Konsequenzen aus dieser Erkenntnis gingen jedoch weit auseinander: Die Regierungsfraktionen setzen auf freiwillige Änderungen in der Wirtschaft und wollen auch Männer und Jungen in Zukunft stärker fördern. Die Opposition verlangt dagegen verbindliche gesetzliche Regelungen wie Mindestlöhne und eine Frauenquote in den Aufsichtsräten.
Nach Einschätzung der Ministerin liegen die Ursachen von Lohnunterschieden und den schlechteren Aufstiegschancen von Frauen nicht mehr "in bewusster Diskriminierung“, sondern in den "strukturellen und kulturellen Bedingungen“, unter denen in Deutschland gearbeitet werde. "Meine These ist, dass die Kulturen in der Arbeitswelt nicht nur Frauen benachteiligen, sondern alle Menschen, wenn sie Fürsorgeaufgaben in der Familie übernehmen.“
Solange Frauen kinderlos blieben und sich für den "klassischen, kompromisslosen männlichen Lebenslauf“ entschieden, sei das Arbeitsleben für sie "kein Problem“, sagte Schröder. Sobald aber Frauen Mütter würden, bezahlten sie dafür mit Gehaltseinbußen und ihren beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten. "Von fairen Chancen kann keine Rede sein, solange Familienaufgaben als Handicap gelten“, ergänzte sie. Dies gelte aber auch für Männer. Die Einführung einer Quote sei Politik mit der Brechstange. "Wir brauchen Veränderungen, die wir mit der Unterstützung von Unternehmen und nicht im Kampf gegen die Unternehmen erreichen.“ Nur wenn dies nichts bewirke, schließe sie eine Quote für die Besetzung von Aufsichtsräten als Ultima ratio nicht aus.
Die SPD-Abgeordnete Christel Humme warf Schröder vor, sie habe "keine konkreten Lösungen. "Sie führen die Frauen an der Nase herum. Die Wahrheit ist: An den Verhältnissen ändert sich überhaupt nichts." Alle Appelle, die in den vergangenen Jahren an die Wirtschaft gingen, seien verpufft: "Freiwilligkeit hat überhaupt nichts gebracht.“ Deutschland brauche ein Entgeltgleichheitsgesetz, eine Frauenquote von 40 Prozent in Aufsichtsräten und einen gesetzlichen Mindestlohn, da im Niedriglohnsektor überwiegend Frauen beschäftigt seien ( 17/821).
Ähnlich argumentierte Cornelia Möhring (Die Linke). Die Regierung führe eine "überflüssige und verlogene Debatte“. Für die Koalition sei Gleichstellung von Mann und Frau nur wichtig, "wenn sie der Wirtschaft nützt und nichts kostet“. Obwohl Chancengleichheit ein Grundrecht sei und "allen Förderprogrammen zum Trotz“ seien Frauen im Arbeitsleben noch immer nicht gleichberechtigt.
"Die Gründe sind vielfältig, aber sie wären alle politisch beeinflussbar, wenn ein Wille dazu vorhanden wäre“, sagte Möhring. Stattdessen verschärfe die Regierung die Diskriminierung durch die Ausweitung des Niedriglohnsektors, in welchem überwiegend Frauen beschäftigt sind. Die Linke fordere stattdessen ein Gleichstellungsgesetz und außerdem, bis 2013 einen Mindestlohn von zehn Euro pro Stunde einzuführen ( 17/891).
Die Unionsabgeordnete Dorothee Bär betonte, dass die Regierung durch den Ausbau der Kinderbetreuung und die Einführung des Elterngeldes bereits "einen ganz wichtigen Beitrag für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ leiste. Dennoch seien gut ausgebildete und hoch qualifizierte Frauen noch immer zu selten in Führungspositionen anzutreffen. Die Privatwirtschaft dürfe Frauen nicht erst dann auf diese Posten berufen, "wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt“ und es an Fachkräften mangele.
Union und FDP hätten sich deshalb auf einen Stufenplan zur Erhöhung des Frauenanteils in Vorständen und Aufsichtsräten geeinigt, sagte Bär weiter. In einer ersten Stufe sollen dabei Berichtspflichten für Unternehmen eingeführt und "transparente Selbstverpflichtungen“ vereinbart werden. Erst wenn dies folgenlos bleibe, werde die Koalition "konkrete Maßnahmen beschließen müssen“.
Die FDP-Frauenpolitikerin Miriam Gruß kündigte an, dass die Koalition die Gleichstellungspolitik auch auf Jungen und Männer erweitern wolle. Darüber solle zwar nicht die Bedeutung der Mädchen- und Frauenförderung vergessen werden. Doch seien Jungen inzwischen "die Bildungsverliere. Zudem hätten sie häufig die schlechteren Startchancen ins Berufsleben. Ziel sei es, "den Jungs die gleichen Startchancen“ zu geben.
Ihre Fraktionskollegin Nicole Bracht-Bendt ergänzte, die mangelnde Gleichstellung von Frauen liege unter anderem auch an der Berufswahl von jungen Mädchen, die sich für traditionell weibliche Berufe entschieden. "Frauen fehlt es an Selbstbewusstsein." Für Männer sei es beispielsweise viel selbstverständlicher, Netzwerke aufzubauen. Frauen seien in der Pflicht, eigenverantwortlich für ihre Rechte einzutreten.
Ekin Deligöz (Bündnis 90/Die Grünen) warf Ministerin Schröder vor, Gleichstellungspolitik zu einer "Prüfaufgabe“ zu machen. Es werde viel geprüft und evaluiert, aber das reiche nicht. Spitze sei Deutschland im europäischen Vergleich nur in der Eheförderung. Mit dem Ehegattensplitting halte Deutschland "an einer Ideologie fest, und die lautet: Frauen sollen zu Hause bleiben und dem Arbeitsmarkt fernbleiben“.
Ihre Fraktionskollegin Monika Lazar betonte, die freiwillige Vereinbarung zwischen Regierung und Wirtschaft aus dem Jahr 2001 sei de facto gescheitert: "Daraus lernen wir: Es ist Zeit für verbindliche Regelungen.“ Der vorgesehene Stufenplan für mehr Frauen in den Führungsetagen sei lediglich "Säbelrasseln“. Er sei unverbindlich, benenne keine Fristen und enthalte keine Sanktionen. Bündnis 90/Die Grünen forderten dagegen eine Änderung des Aktiengesetzes und die Einführung einer Frauenquote von mindestens 40 Prozent in den Aufsichtsräten ( 17/797).
Am Ende der Debatte nahm der Bundestag den Antrag von CDU/CSU und FDP ( 17/901) an. Die Anträge der Oppositionsfraktionen und ein Regierungsbericht zur "dritten Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft" ( 16/10500) überwies der Bundestag zur weiteren Beratung an die Ausschüsse.