Im Streit um die Veränderung der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments sind die Koalitionsfraktionen zu einem Kompromiss bereit. SPD und Grüne wollen hingegen hart bleiben. Nach Ansicht der Linksfraktion ist die ganze Diskussion unnötig. Das ist das Ergebnis der 45-minütigen Debatte am Donnerstag, 6. Mai 2010, an deren Ende ein Antrag von CDU/CSU und FDP ( 17/1179) angenommen sowie Anträge der SPD-Fraktion ( 17/235, 17/1460), der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ( 17/1417) und der Linksfraktion ( 17/1568) abgelehnt wurden.
Dass es künftig mehr Abgeordnete im Europaparlament geben wird, liegt in der Tatsache begründet, dass bei der letzten Wahl im Juni 2009 noch der Vertrag von Nizza in Kraft war. Danach gehörten dem Europaparlament 736 Abgeordnete an.
Seit Dezember 2009 gilt jedoch der Vertrag von Lissabon, wonach im Parlament 751 Abgeordnete sitzen. Da zudem während der laufenden Legislaturperiode demokratisch gewählte Abgeordnete nicht "zurückgeschickt“ werden können, gibt es bis zum Sommer 2014 im Europaparlament noch drei "Überhangmandate“. Statt der im Lissabon-Vertrag festgelegten Obergrenze von 751 Sitzen soll es 754 Sitze haben.
Ein Vorschlag der spanischen Ratspräsidentschaft, der auch von Frankreich unterstützt wird, sieht nun vor, dass die zusätzlichen Mitglieder des Europäischen Parlaments aus der Mitte der nationalen Parlamente heraus benannt werden sollen. Das wiederum - und in dieser Einschätzung herrschte Einigkeit unter den Fraktionen- widerspräche dem Geist des Vertrages von Lissabon. Richtig, so die Fraktionen, wäre es, die neuen Abgeordneten entsprechend den Wahlergebnissen der Europawahl 2009 nachrücken zu lassen.
"Der spanische Vorschlag widerspricht der demokratischen Legitimation des Parlaments durch direkte Wahlen“, sagte der FDP-Abgeordnete Heinz Golombek. Die Direktwahlen zum Europaparlament seien "mühsam erkämpft worden“, sagte er. Die Koalitionsfraktionen forderten daher die Bundesregierung dazu auf deutlich zu machen, dass die Variante der Nachbenennung aus der Mitte der nationalen Parlamente dem Geist der Direktwahl seit 1976 widerspreche.
Es gebe jedoch "zwei Seiten der Medaille“, sagte Golombek. Seine Fraktion wisse, "wie wichtig gegenseitige Rücksichtnahme und der Respekt auf nationale Besonderheiten innerhalb Europas ist“. Nur so könne Europa funktionieren. "Dem Vernehmen nach“ solle besonders Frankreich die genannte Variante wichtig sein. "Wenn es gewichtige Gründe dafür gibt, wollen wir die Übergangslösung in diesem Einzelfall letztlich nicht blockieren“, sagte Golombek und verwies auf die "lange demokratische Tradition der Assemblée nationale“.
Auch der Unionsabgeordnete Thomas Dörflinger sagte, man dürfe stolz darauf sein, dass seit 1976 direkt gewählt werde. Gleichwohl müsse zur Kenntnis genommen werden, dass die im gesamten Bundestag vorherrschende Ablehnung der Benennungspraxis in anderen nationalen Parlamenten nicht geteilt werde. "Meine Begeisterung darüber hält sich in Grenzen“, machte Dörflinger deutlich.
Wolle man jedoch "mit dem Kopf durch die Wand“, tue man sich keinen Gefallen, warnte er. Daher mache die Koalition in ihrem Antrag deutlich, dass eine Benennungspraxis "nicht den Vorstellungen des Deutschen Bundestages entspricht“, gleichwohl die Bundesregierung jedoch ermächtigt werde, im Europäischen Rat auch einen Vorschlag mit zu erarbeiten, "der unserer Rechtsauffassung nicht zur Gänze entspricht“.
Dass es gerade auf europäischer Ebene immer wieder Kompromisse geben müsse, sei "notwendig und richtig“, sagte der SPD-Parlamentarier Axel Schäfer. "In dieser Frage kann aber nicht so oder so entschieden werden“, sagte er und machte deutlich: "Hier gibt es keine Ausnahme!“
Seine Fraktion habe sich klar positioniert. "Wir erwarten, dass eine Regelung gefunden wird, wodurch die Nachrücker in das Europaparlament durch die Europawahl 2009 legitimiert sind.“ Es dürfe keinen"„taktischen Veränderungen“ geben, denn: "Bei Verfassungsfragen taktiert man nicht“, sagte Schäfer.
Er hätte sich gewünscht, dass die Koalition standhaft geblieben wäre, sagte Manuel Sarrazin (Bündnis 90/Die Grünen). Wenn es zur Benennung von Abgeordneten komme, werde das Parlament geschwächt. Es sei gerade die direkte Wahl, die für die besondere Legitimation des Europäischen Parlamentes als Vertretungsorgan der Bürger Europas sorge. Die Benennungspraxis werde von der Grünen-Fraktion im Bundestag aber auch im Europaparlament abgelehnt, machte Sarrazin deutlich.
"Die Debatte ist komplett unnötig“ sagte Thomas Nord von der Linksfraktion. Das Europaparlament sei in seiner jetzigen Zusammensetzung "nach demokratischen Regeln“ gewählt worden. Durch den Lissabon-Vertrag neu geltende Regeln seien kein Grund, in der laufenden Legislaturperiode Änderungen vorzunehmen, sagte er. Die Einberufung einer Regierungskonferenz zu diesem Thema sei "völlig deplatziert“.
"Wir haben in diesen Tagen wirklich wichtigeres zu tun“, so Nord mit Verweis auf die Lage in Griechenland. Den von der Koalition vorgelegten Antrag bezeichnete er als "Einladung, einem undemokratischen Selbstbenennungsverfahren durch nationale Parlamente zuzustimmen“ und kritisierte: "Um Frankreich einen Freundschaftsdienst zu erweisen, wird das Vertrauen in europäisches Recht beschädigt.“