Berlin: (hib/HAU) Unterschiedlich bewerten Experten den von den Koalitionsfraktionen vorgelegten Gesetzentwurf zur Umsetzung des Europäischen Haftbefehls ( 16/544). Das wurde anlässlich einer öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss am Mittwochnachmittag deutlich. Die Initiative soll die Auslieferung deutscher Staatsbürger zum Zwecke der Strafverfolgung genauer regeln. Nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die bisherige Regelung zur Umsetzung der EU-Richtline für nichtig erklärt hatte, solle nun die Auslieferung eines Deutschen unter anderem nur dann zulässig sein, wenn grundsätzlich die spätere Rücküberstellung in die Bundesrepublik zur Vollstreckung einer verhängten Freiheitsstrafe gesichert sei. Ferner dürfe die Tat keinen "maßgeblichen" Bezug zu Deutschland aufweisen.
Aus verfassungsrechtlicher Sicht keinerlei Bedenken hat Professor Michael Brenner von der Universität Jena. Alle drei grundsätzlichen Einwendungen des BVerfG seien in dem vorliegenden Entwurf berücksichtigt worden, so dass man ihn durchaus als "verfassungskonform" bezeichnen könne. Ebenfalls positiv äußerte sich Klaus Böhm, Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe. Dem Europäischen Haftbefehlsgesetz komme eine hohe Bedeutung zu. Mit ihm sei der Spagat zwischen der Beschleunigung des Auslieferungsverkehrs und der Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze gelungen. Der vorliegende Gesetzentwurf werde den Vorgaben des BVerfG-Urteils weitgehend gerecht, wenn auch einzelne Vorschriften "zu schwammig" und daher zu überdenken seien. Als eine "umständliche und wenig überzeugende Konstruktion" bezeichnete hingegen Professor Martin Böse von der Universität Bonn den Entwurf. Einige Regelungen seien mit dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl nicht vereinbar, wie etwa die Einschränkung der Gleichstellung von Ausländern mit deutschen Staatsangehörigen. Außerdem bleibe das Problem der Rücküberstellung zur Strafvollstreckung in Deutschland bei fehlender beiderseitiger Strafbarkeit ungelöst.
Sein Bonner Kollege, Professor Matthias Herdegen, kritisierte, der Gesetzgeber habe sich in der Neuauflage der Regelung auf Änderungen und Ergänzungen beschränkt, die sich aus dem Urteil konkret ergeben hätten. Seiner Ansicht nach begegne der Entwurf jedoch auch jenseits der berücksichtigten verfassungsrechtlichen Vorgaben weiteren grundrechtlichen Bedenken. Für eine wirkliche Neuregelung plädierte Rechtsanwalt Michael Rosenthal aus Karlsruhe. Die Aufgabenstellung des BVerfG, den europäischen Rahmenbeschluss grundrechtschonend in nationales Recht zu übertragen, sei eher als "Abschreibeaufgabe" denn als "Denkaufgabe" begriffen worden. Man habe nur geflickt, wo man besser neu geregelt hätte, kritisierte er. Auch nach Ansicht von Heiko Ahlbrecht, Rechtsanwalt aus Düsseldorf, ist der Gesetzgeber durch die Änderung lediglich dreier Vorschriften dem umfassenden Prüfungs- und Änderungsauftrag des BVerfG nicht gerecht geworden. Die geforderte besondere Schutzverpflichtung gegenüber deutschen Staatsangehörigen sei nach wie vor nicht in ausreichendem Maße gewährleistet. Mit dem Gesetzentwurf, so Professor Thomas Weigend von der Universität Köln, sei eine komplizierte Regelung entstanden, die möglicherweise den Forderungen des BVerfG genüge, aber eine Reihe von Interpretationsproblemen aufwerfe und daher nicht leicht anzuwenden sei.
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