Berlin: (hib/KOS) Trotz beachtlicher Fortschritte bei der Aids-Bekämpfung in den Entwicklungsländern stehen die reichen Staaten des Nordens in der Pflicht, sich politisch und finanziell auf diesem Feld stärker zu engagieren. Zu diesen Herausforderungen zählt auch eine Ausgestaltung des Medikamenten-Patentschutzes, der die Herstellung und den Vertrieb von preisgünstigen Aids-Generika für die Bevölkerung in armen Staaten ermöglicht. Diese Forderungen richteten am Mittwoch die Experten bei einer Anhörung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung an die internationale Gemeinschaft und an die Bundesregierung. Im Vorfeld der UN-Vollversammlung Anfang Juni, die sich mit dem Problem Aids befassen wird, sollten bei diesem Hearing die Erfahrungen mit dem bei einer UN-Sonderkonferenz vor fünf Jahren beschlossenen Programm zu einem konsequenteren Vorgehen gegen die tödliche Immunschwäche-Krankheit bewertet werden.
Eine gemischte Bilanz zog Christoph Benn vom Global Fund, der für die Einsammlung und Verteilung von Geldern für die Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria zuständig ist. Laut Benn haben sich die finanziellen Mittel dieses Fonds zwischen 2001 und 2005 auf mehr als acht Milliarden Dollar vervierfacht. Bislang unterstütze diese Einrichtung 390 Programme in 130 Ländern. Sowohl bei der Prävention wie auch bei der heutzutage prinzipiell möglichen medizinischen Behandlung von Aids-Erkrankungen seien erhebliche Verbesserungen erzielt worden.
Wie Benn erläuterte, sind die Infektionsraten in einigen Staaten wie Uganda, Kenia, Sambia oder Kambodscha inzwischen zurückgegangen. Allerdings bestehe weiterhin ein erheblicher Aufklärungsbedarf. So sei es bestürzend, dass im globalen Maßstab nur knapp ein Drittel der unter 25jährigen korrekt Vorbeugungsmethoden wie die Benutzung von Kondomen beim Sex benennen könne. In Osteuropa und Asien, wo Drogenkonsumenten das größte Gefährdungspotenzial darstellten, werde der Zugang von Heroinabhängigen zu sauberem Injektionsbesteck politisch noch vielfach abgelehnt. Nach Benns Angaben kommen weltweit mittlerweile 1,3 Millionen Aids-Kranke in den Genuss einer medikamentösen Therapie, wobei das für 2005 avisierte Ziel von drei Millionen verfehlt worden sei. Freilich gebe es insgesamt rund 40 Millionen Infizierte. Die finanziellen Mittel reichten bei weitem noch nicht aus, weswegen es gerade in den Entwicklungsländern an personellen Kapazitäten zur Umsetzung von vorhandenen wirksamen Präventions- und Behandlungsstrategien mangele.
Auf die Bedeutung preisgünstiger Aids-Medikamente für ärmere Nationen wies Tido von Schön-Angerer von "Ärzte ohne Grenzen" hin. Erfreulich sei, dass die Preise für Arzneien zur Therapie in den ersten Jahren nach einer Ansteckung von einst 12.000 Dollar auf inzwischen 150 Dollar pro Patient und Jahr gefallen seien. Die Mitarbeiter der Programme seiner Organisation griffen zu über 80 Prozent auf billige Generika aus Indien zurück. Schön-Angerer sieht jedoch eine für Entwicklungsländer bedrohliche neue Kostenlawine anrollen, weil die nach der ersten Behandlungsphase erforderliche andere Arznei-Kombination auf bis zu 6.000 Euro jährlich je Patient komme. Eine große Gefahr für die Aids-Therapie in ärmeren Staaten ortet Schön-Angerer in den Regeln der Welthandelsorganisation zur Patentgesetzgebung: Weil jetzt die Patentierung wichtiger Aids-Medikamente in Indien als bedeutsamstem Herstellerland für Generika drohe, zeichne sich eine massive Verteuerung der Aids-Behandlung ab. Die Bundesregierung sei gefordert, auf internationaler Ebene diesen Tendenzen entgegenzutreten.
Sonja Weinreich vom "Aktionsbündnis gegen Aids" appellierte an die deutsche Regierung, die auf diesem Feld bereits viel getan habe, noch mehr Geld für das Vorgehen gegen Aids in ärmeren Weltregionen bereitzustellen. Weinreich rief Kanzlerin Angela Merkel auf, sich auch persönlich zu engagieren, um mit ihrer Prominenz der Bekämpfung dieser Krankheit politisch einen größeren Nachdruck zu verleihen. Ziel müsse sein, allen Aids-Infizierten im globalen Rahmen eine medizinische Behandlung zu ermöglichen und die Anstrengungen für eine bessere Prävention zu verstärken. Weinreich wies darauf hin, dass 95 Prozent der Erkrankten in den Entwicklungsländern leben. In der Altersgruppe der 15- bis 49jährigen sei Aids weltweit zur Todesursache Nummer eins geworden.
Schön-Angerer hob hervor, dass es besonders um die medizinische Versorgung von Kindern schlecht stehe, die während der Schwangerschaft infiziert wurden. Bis zum Alter von 18 Monaten sei mit den herkömmlichen Tests Aids nicht feststellbar. In solchen Fällen seien für den Virus-Nachweis teure High-Tech-Laborgeräte notwendig, die in Entwicklungsländern nur in wenigen Spezialeinrichtungen zur Verfügung stünden. "Ärzte ohne Grenzen" unterstützt deshalb Forscher an der Universität Cambridge finanziell, die an einem einfacheren Test für Kleinkinder arbeiten. Schön-Angerer kritisierte zudem, dass es bislang keine kindgerechten Aids-Präparate gebe, deren Herstellung für die Pharma-Branche wirtschaftlich offenbar nicht lohnend sei.
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