Berlin: (hib/SAS) Scharfe Kritik an der Variante eines integrierten Börsengangs der Deutschen Bahn AG und Zweifel an der grundsätzlichen Notwendigkeit einer Privatisierung haben die zehn zu einer öffentlichen Anhörung des Verkehrsausschusses geladenen Sachverständigen am Mittwochmittag geäußert. In der seit Monaten geführten Debatte darum, wie mehr Wettbewerb auf die Schiene gebracht und der Haushalt spürbar entlastet werden kann, hatten jüngst Teile der Politik, des Bahn-Vorstandes sowie der Gewerkschaft Transnet befürwortet, den Bahnkonzern zusammen mit dem rund 34 000 Kilometer umfassende deutschen Gleisnetz an die Börse zu bringen. Zur Diskussion im Verkehrsausschuss stand ein vom Bundestag initiiertes und von der Regierung in Auftrag gegebenes Gutachten zu "Privatisierungsvarianten der Deutschen Bahn AG (DB AG) mit und ohne Netz".
Für die Experten ging es um die grundsätzliche Frage, ob ein Börsengang aus wettbewerbs- und haushaltsrechtlicher Sicht überhaupt ratsam ist und inwieweit er verfassungs- und EU-konform wäre. In allen vier Punkten fiel das Modell eines integrierten Börsengangs bei den Gutachtern durch. So erklärte der Rechtswissenschaftler Professor Georg Hermes, das integrierte Modell sei mit der Verfassung nicht vereinbar. Es sei grundgesetzlich festgelegt, dass der Bund seine Mehrheit am Netz mit 51 Prozent behalten sollte, damit er seiner Gemeinwohlverpflichtung nachkommen könne: "Der Bund muss einen maßgeblichen Einfluss auf das Netz behalten, damit er dieses rückholen kann, wenn sich das System als nicht funktionsfähig erweist. Mit dem integrierten Modell ist dies nicht vereinbar." Der Vorsitzende der Monopolkommission, Professor Jürgen Basedow, bezweifelte, ob das Verbundmodell einer EU-rechtlichen Prüfung standhalten werde. Bisher habe die EU-Kommission nur die Trennung von Schiene und Betrieb als mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar gebilligt. Es bestehe aber keine hinreichende Sicherheit, dass die EU das integrierte Modell akzeptiere, sekundierte Norbert Hauser, Vizepräsident des Bundesrechnungshofes. Hauser warnte vor den Risiken, die mit dem so genannten integrierten Modell verbunden sind: "Die Entscheidung liegt beim Parlament, entweder sie geben beides ab und verlieren ihren Einfluss oder sie tun es nicht, dann können sie nur noch trennen."
Für Berlins Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) stand außer Frage, dass der Steuerzahler mit dem getrennten Modell besser fahren würde. Dieses werde dem Staat rund 22 Milliarden Euro in die Kasse spülen, beim integrierten Modell wären es nur 2 Milliarden Euro. Aber nicht nur aus finanzpolitischer Sicht auch aus wettbewerbsrechtlicher Sicht stellte sich Sarrazin gegen das integrierte Modell. Dieses biete Möglichkeiten zur Verzerrung des Wettbewerbs durch die DB AG. Demgegenüber diene das getrennte Modell am besten dem Ziel, möglichst viel Verkehr auf die Schiene zu bringen. Er bezog sich dabei auf Prognosen der Gutachter, denen zufolge beim integrierten Modell die Gesamtleistung des Schienengüterverkehrs von heute 15,8 Prozent auf 14,8 Prozent im Jahr 2020 sinken soll. Das getrennte Modell sei am besten geeignet, mehr Verkehr auf der Schiene zu erzeugen. So sähen die Gutachter einen steigenden Marktanteil von 17,1 Prozent voraus. Sarrazin erinnerte daran, dass die Verkehrspolitik sich zum Ziel gesetzt hat, die Schiene zu stärken und nicht der DB AG. Aus seiner Sicht sollten die positiven Auswirkungen wachsenden Wettbewerbs mit dem getrennten Modell eher höher eingeschätzt werden als im Gutachten unterstellt. Werde der Konzern dennoch mit dem Gleisnetz an die Börse gebracht, müsse sich der Bund der damit verbundenen Risiken bewusst sein: dass das Netz "durch das kurzfristige private Gewinninteresse runtergewirtschaftet" werde und der Bund dann finanziell nachlegen müsse.
Eindringlich warnte Christoph Schaaffkamp, KCW GmbH, vor einem Verlust der Gestaltungsmöglichkeiten der Politik auf die Entwicklung des Netzes. Wie sich das Schienennetz nach einem Börsengang mit Netz entwickle sei auch mit den von der Bundesregierung angekündigten Leistungs- und Finanzierungsvereinbarungen über etwa 2,5 Milliarden Euro mit der DB AG nicht beherrschbar. Vielmehr verfügt die Bahn laut Schaaffkamp über ein "erhebliches Erpressungspotenzial", wenn sie die Pflichten die der Bund im Zuge der Daseinsvorsorge bei der Instandhaltung und Erweiterung des Netzes zu erfüllen habe, nicht mit den vom Bund zugesicherten Mitteln realisieren könne. Demgegenüber empfahlen die Experten, die mit dem Netz und der Trassenvergabe an Wettbewerber sowie mit der Festlegung von Entgelten verbundenen Entscheidungen beim Bund zu belassen und einzelne Transportunternehmen der DB AG zu privatisieren.
Deutscher Bundestag, PuK 2 - Parlamentskorrespondenz
Verantwortlich: Uta Martensen
Redaktion: Dr. Bernard Bode, Dr. Susanne Kailitz, Michael Klein,
Dr. Volker Müller, Monika Pilath, Siegfried F. Wolf