Berlin: (hib/SAS) Kontrovers haben die zur öffentlichen Anhörung des Bundestages und Bundesrates geladenen Sachverständigen am zweiten Tag die im Gesetzentwurf ( 16/813) geplante Abschaffung der Rahmengesetzgebungskompetenz durch den Bund für den Bereich Verkehr und Bau bewertet. So befürchteten einige Experten, dass eszu einer Art Ping-Pong-Spiel kommen könne, wenn den Ländern einerseits ermöglicht werde, eigene Gesetze auf den Weg zu bringen, diese aber durch ein Rückholrecht des Bundes wieder gekippt werden könnten. Besonders umstritten waren in der Diskussion, ob die bislang garantierte kommunale Selbstverwaltung mit der Föderalismusreform fortbestehe und ob landeseigene Regelungen beim landwirtschaftlichen Bodenrecht zu Wettbewerbsverzerrungen für die Landwirte führen könnten.
Keine Vereinfachung und auch keine Entlastung bringt nach den Worten von Willy Boß, Berliner Vorstand des Bundesverbandes der gemeinnützigen Landgesellschaften, die geplante Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz auf die Länder beim landwirtschaftlichen Bodenrecht. Er hält dem vom Gesetzgeber geplanten Vorschlag einer Trennung beim landwirtschaftlichen und städtebaulichen Grundstücksverkehr und Bodenrecht für nicht nachvollziehbar, denn dies würde bedeuten: "Auf der zum Dorf zugewandten Seite des Gartenzaunes eines Grundstückes am Dorfrand ist die Gesetzgebungskompetenz für das Instrument Vorkaufsrecht anders geregelt als für die zum Feld gewandte Seite." Er erinnerte daran, dass bereits zu einem früheren Zeitpunkt schon einmal erörtert wurde, ob das städtebauliche Bodenrecht nicht auf die Länder übertragen werden sollte. Dem sei damals entgegengehalten worden, dies sei mit der Wahrung der Wirtschafts- und Rechtseinheit hierzulande unvereinbar. Boß plädierte nachdrücklich dafür, die Rechtseinheit beim Bodenrecht zu erhalten und den Artikel 74 Absatz 1 unverändert zu lassen.
Nicht ausreichend klargestellt sieht Professor Ulrich Battis von der Berliner Humboldt-Universität die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung. Ihre Sorge, dass Gemeinden in Zukunft nicht mehr Träger der Bauleitplanung sein könnten, drückte auch die Bundesvereinigung kommunaler Spitzenverbände aus. Sie forderte eine Ergänzung zu Artikel 84 und gab zu bedenken, dass den Ländern Kompetenzen zuwachsen, per Gesetz eine Dienststelle für die Bauleitplanung zu benennen. Damit würde dann zwischen Bauleitplanung und Flächennutzungsplanung unterschieden und die kommunale Selbstverwaltung beschnitten. Dem widersprach Professor Hans-Günter Henneke von der Universität Osnabrück: "Für die Planungshoheit der Gemeinden, wie sie nach Artikel 28 garantiert ist, besteht nicht ein Hauch von Bedrohung." Er warnte davor, den Artikel 84 zu durchlöchern, indem man "für jedes Detail eine Ausnahmeregelung" schafft. Seiner Auffassung nach ist es für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse erlaubt, den Ländern Behördenzuständigkeiten zuzugestehen, dies aktiviere die Länder. Professor Ulrich Battis machte sich für eine Klarstellung durch Ergänzung in der Begründung zu Artikel 84 Absatz 1 stark, die verhindern soll, dass Gemeinden, wenn sie Aufgaben übertragen bekommen, hohe finanzielle Kosten entstehen. Es gelte zu verhindern, dass Gemeinden und Gemeindeverbände zur Erbringung von Geldleistungen oder geldwerten Sachleistungen gegenüber Dritten verpflichtet werden, etwa zur Vorhaltung von Kindergartenplätzen.
Auch Professor Willy Spannowsky von der Technischen Universität Kaiserslautern sieht Korrekturbedarf. Zwar stimmte er einer generellen Reform des Föderalismus zu, lehnte aber den kompetenzrechtlichen Weg zur Erreichung der Ziele durch eine den Ländern eingeräumte "Totalabweichungsbefugnis" oder ein "totales Rückholrecht" ab. Nach Meinung Spannowskys schießt die vorgesehene uneingeschränkte Länderabweichungsklausel über die Ziele der Föderalismusreform hinaus, soweit sie nicht nur Verfahrensfragen verändere, sondern auch materielle Kernelemente der Raumordnung.
Für ihn stellt die anvisierte Grundgesetzänderung das "Risiko eines schädliches Wettbewerbs der Länder" dar, mit Nachteilen im Bereich der Raumverträglichkeit, wenn also die Länder ihre Steuerungsverantwortung bei raumbedeutsamen Projekten der Nachfrage von Investoren überließen. Dadurch könnten bei Großprojekten wie Abfalldeponien, Flugplätzen, der Errichtung von Feriendörfern, die aus Sicht Spannowskys einer Überprüfung ihrer Raumverträglichkeit bedürfen, erst Jahre später Fehlentwicklungen sichtbar werden. Darüber hinaus befürchtet der Experte, dass die Systeme der Raumordnungsplanung der Bundesländer nicht mehr identisch sind, was sich bei grenzüberschreitenden Projekten als nachteilig für die Kooperation erweisen könne. Zudem könne es zu Rechts- und Planungsunsicherheit führen, wenn die Länder eine abweichende Aufgabenbeschreibung und Begriffsbestimmung für den Bereich der Raumordnung wählten oder aber wenn sie sich nur der räumlichen Entwicklungsaufgabe, nicht auch der Ordnungs- und Sicherungsaufgabe stellten. Nach Meinung Spannowskys müssen die Grundsätze und Instrumente der Raumordnung einheitlich geregelt werden.
Klaus Mittelbach vom Bundesverband der Deutschen Industrie begrüßte ausdrücklich den Kompetenzzuwachs der Länder und die Abschaffung der Rahmengesetzgebung. Dies könne zwar in einigen Rechtsbereichen zu einer Zersplitterung führen, insgesamt gehe die Reform aber in die richtige Richtung.
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