Berlin: (hib/SAS) Erwartungsgemäß uneins sind sich die sieben Experten einer öffentlichen Anhörung zum Verbraucherinformationsgesetz (VIG), wie weitgehend dem Wunsch der Verbraucher nach Information bei Behörden und Unternehmen einerseits entsprochen werden solle und wie stark die Interessen von Betrieben der Lebensmittelbranche zu schützen sind. Auslöser für ein solches Gesetz sind dabei die Lebensmittelskandale in der Fleischindustrie des vergangenen Jahres. Bei der um 14 Uhr beginnenden Anhörung des Ernährungsausschusses stehen der Gesetzentwurf zur Neuregelung des Rechts der Verbraucherinformation der Koalitionsfraktionen ( 16/1408) sowie der Entwurf eines Verbraucherinformationsgesetzes von Bündnis 90/Die Grünen ( 16/199) zur Debatte. Während die Vorlage der Grünen einen Informationsanspruch des Einzelnen gegen Behörden und einen eigenständigen Informationsauftrag der Verwaltung festschreiben möchte, planen die Regierungsfraktionen einen Informationsanspruch des Einzelnen nur auf Auftrag hin zuzulassen. Darüber hinaus sollen die Strafverfolgungsbehörden andere Behörden über Verstöße informieren können.
In seiner schriftlichen Stellungnahme unterstreicht Professor Christoph Gusy von der Universität Bielefeld, dass das Bundesverfassungsgericht der Aufklärung der Bevölkerung und Verhaltensempfehlung durch den Staat in seinem Beschluss aus dem Jahre 2002 einen wichtigen Stellenwert eingeräumt habe. Aus seiner Sicht wird der vom höchsten deutschen Gericht umschriebene Informationsauftrag in dem Gesetzentwurf der Grünen umfassend eingelöst. Dahinter bleibe der Entwurf der Koalitionsfraktionen deutlich zurück. Hier könne ein Informationsanspruch erst dann wirksam werden, wenn der Betroffene sich durch konkrete Anhaltspunkte dazu veranlasst sehe, bei Behörden Informationen einzuholen. Auch bemängelt Gusy, dass Unternehmen nicht als Adressaten genannt werden, gegenüber denen Bürger ebenfalls einen Auskunftsanspruch geltend machen können. Gusys Fazit: dadurch könnten die Ziele des Gesetzes nachhaltig beeinträchtigt werden, schließlich seien Unternehmen mit den betroffenen Produkten wesentlich vertrauter als Behörden.
In das gleiche Horn stößt auch die Verbraucherzentrale Bundesverbandes e.V. Ihre Forderung: das geplante Verbraucherinformationsgesetz müsse um einen individuellen Auskunftsanspruch gegenüber Unternehmen ergänzt werden. Zu kurz greift der Koalitionsentwurf ihrer Einschätzung nach auch beim Anwendungsbereich: Sie fordern eine Ausweitung des geplanten Gesetzes auf alle dem Geräte- und Produktsicherheitsgesetz unterstehenden Produkte, da für die Verbraucher Verstöße gegen das Eichgesetz etwa bei Heizöllieferungen, Taxametern oder ähnlichen Messungen wirtschaftlich weit gravierender seien als Lebensmittelverstöße.
Kritisch äußert sich auch die Deutsche Umwelthilfe: Transparenz und eine Stärkung der Verbraucherrechte sei mit dem vorliegenden VIG nicht zu erreichen. Ihr dränge sich der Eindruck auf, dass nicht Verbraucherinteressen im Vordergrund stünden, sondern die Ausweitung von Ausnahmen zugunsten der Wirtschaft "weit über das nach der Verfassung gebotene Maß hinaus". Bemängelt wird, dass aktive Informationspflichten der Behörden sowie Auskunftsansprüche gegen private Unternehmen im VIG erst gar nicht vorgesehen seien. Nur mit diesen Instrumenten sind aus Sicht der Deutschen Umwelthilfe aber Lebensmittelskandale effektiv zu bewältigen.
Demgegenüber appelliert der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE) an den Gesetzgeber, die Auskunftspflichten während laufender Verwaltungsverfahren "sachgerecht" zu begrenzen, damit Unternehmen oder Produkte nicht vorschnell an den Pranger gestellt würden. Auch dürften die "Schäferhunde" des Gesetzgebers zwar gezielt auf die "schwarzen Schafe" der Branche angesetzt werden, "nicht aber ständig die ganze Herde in Unruhe halten". Ferner sollte aus Sicht des HDE das Gesetz nur auf Lebensmittel, Lebensmittelbedarfsgegenstände und Futtermittel angewandt werden, da zwischen dem Lebensmittelsektor und anderen Branchen "erhebliche Unterschiede" bestünden. Zudem warnt der HDE davor, den Verbraucher durch zu frühe und nicht gesicherte Warnungen unnötig zu verunsichern und fordert eine Regelung, die ein rasches Eingreifen bei tatsächlicher Gefährdungslage ermöglicht. Es sei für den Einzelhandel das zentrale Postulat, dass weder Unternehmen noch Marken oder Produkte "in ungerechtfertigter oder leichtfertiger Weise an einen öffentlichen Pranger" gestellt würden, da dies im schlimmsten Fall die Existenz eines Betriebes vernichten könne.
Ähnliche Befürchtungen äußert auch der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e.V. (BLL) und warnt vor Panikmeldungen durch frühzeitige, ungesicherte Informationsoffenlegung. Grundsätzlich sieht er keinen "tatsächlichen" Handlungsbedarf für ein Verbraucherinformationsgesetz. Stehe den Behörden doch mit dem im September vergangenen Jahres in Kraft getretenen neuen Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) ein "umfassendes Instrumentarium" zur Verfügung, um die Öffentlichkeit bei der Vermarktung ekelerregender Lebensmittel unter Nennung von Produkt- und Herstellernamen zu informieren. Auch müsse man die bestehende aktive Informationspolitik der Behörden erst in der Praxis für längere Zeit erproben, bevor sie erneut geändert werde.
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