Berlin: (hib/SAS) Überwiegend
kritisch geäußert haben sich in einer öffentlichen
Anhörung des Familienausschusses über
"Zwangsverheiratungen" am Montagvormittag die Sachverständigen
zu einem Gesetzesvorstoß des Landes Baden-Württemberg,
"Zwangsehen" als einen eigenständigen Straftatbestand im
Strafgesetzbuch aufzunehmen. Im Kern geht es dabei um die Frage,
wie Opfer von Zwangsverheiratungen insbesondere strafrechtlich
besser geschützt werden können. Während
Befürworter eines solchen Straftatbestandes wie Christian
Storr, Stabstellenleiter des Ausländerbeauftragten
Baden-Württemberg, sich davon ein Schließen rechtlicher
Lücken versprach, etwa, dass Fälle von so genannten
"Ferienverheiratungen" geahndet werden könnten, hielt Dagmar
Freudenberg vom Deutschen Juristinnenbund die Einführung eines
solchen Straftatbestandes für "nicht erforderlich". Sie
zweifelte daran, dass ein eigener Straftatbestand für sich
genommen etwas verändern würde und forderte, die im
vergangen Jahr in Kraft getretenen Regelungen erst einmal wirken zu
lassen, wonach die Zwangsehe im Strafgesetzbuch als Teil der
Nötigung geahndet werden kann. Grundlage der Diskussion im
Ausschuss bildeten drei Anträge der Opposition (
16/1156,
16/1564,
16/61), deren Ziel eine Stärkung der
materiellen sowie aufenthaltsrechtlichen Stellung der Opfer von
Zwangsehen, Heiratsverschleppung und Heiratshandel ist. Dabei geht
es um den Sachverhalt, dass bei muslimischen oder türkischen
Frauen zumeist die Familien die Auswahl des Ehepartners, den
Zeitpunkt der Eheschließung und den Ort festlegen und dies in
einer großen Zahl der Fälle gegen den Willen der
Eheleute geschieht. Die in der Türkei geborene Autorin Necla
Kelek machte sich gleichermaßen für die Einführung
eines Straftatbestandes "Zwangsehe" und für die Heraufsetzung
des Nachzugsalters für Ehepartnerinnen auf das 21. Lebensjahr
stark. Anders als das Gros der Experten unterschied sie nicht
zwischen einer arrangierten Ehe, bei der die künftige Gattin
einen von den Eltern vorgeschlagenen Ehepartner ablehnen kann und
zwischen Zwangsehe, bei der keiner der Ehepartner eine
Entscheidungsmöglichkeit hat: "Die Zwangsverheiratung beginnt
mit einer arrangierten Ehe" und sei keine unabhängige
Entscheidung einer mündigen Bürgerin, erklärte sie.
Nach Auffassung von Kelek sollte vor Einreise des Ehepartners
sichergestellt sein, dass er ein für den Familienunterhalt
ausreichendes Einkommen durch Arbeit bezieht und einen eigenen
Haushalt führt. Damit könnte einer "üblichen Praxis"
bei türkischen Migranten ein Riegel vorgeschoben werden, die
"Importbräute" als kostenlose Haushaltshilfen im
Familienhaushalt einzusetzen. Für Kelek sind Zwangs- und
arrangierte Ehen der türkisch-muslimischen Gemeinschaft das
größte Hindernis für die Integration von
Türken und anderer muslimischen Gemeinschaften in Deutschland.
In scharfen Worten wandte sich Sidar Demidögen vom
Bundesverband der Migrantinnen in Deutschland e.V. gegen den
Eindruck, der Großteil der Migrantinnen hierzulande lebe in
einer Zwangsehe. Man dürfe nicht den Blick auf die
Integrationserfolge verlieren; die Debatte der vergangenen Wochen
habe zu einer "unnötigen Stigmatisierung" eines
Großteils der muslimischen Community geführt. Sie zeigte
sich erfreut darüber, dass die Sachverständigen sich
mehrheitlich gegen die Erhöhung des von Kelek geforderten
Nachzugsalters aussprachen. Demirdögen selbst hielt einen
entsprechenden Vorschlag für "absurd". Storr warnte davor,
dass die Heraufsetzung des Nachzugsalters für Ehepartner aus
dem Ausland für die immer zahlreicher werdenden binationalen
Ehen eine Wartezeit bedeuten würde. Damit würde man "weit
über das Ziel hinausschießen". Er plädierte
dafür, das Nachzugsalter auf das 18. Lebensjahr festzulegen.
Freudenberg hielt die Heraufsetzung des Nachzugsalters auf das 21.
Lebensjahr für verfassungsrechtlich bedenklich.
Überwiegend Einigkeit herrschte unter den Experten bei Fragen
zu Änderungen des Aufenthaltsrechts: So hielt die
Rechtsanwältin Marina Walz-Hildenbrand eine Verlängerung
des bestehenden Aufenthaltsrechts von sechs Monaten auf drei Jahre
für notwendig, um Heiratsverschleppungen entgegenzuwirken. Die
Opfer von Heiratsverschleppungen hätten in vielen Fällen
nicht die Möglichkeit innerhalb eines halben Jahres nach
Deutschland zurückzukehren, um ihren Aufenthaltstitel zu
verlängern und seien anschließend von Abschiebung in das
Land bedroht, in dem sie zwangsverheiratet wurden. Auch forderte
sie ein Recht auf Wiederkehr im Aufenthaltsrecht für junge
Menschen, die in ihren Herkunftsländern nicht zurechtkommen -
unabhängig von der Sicherung des Lebensunterhalts. Kritik
übte die Rechtsanwältin an der Härtefallregelung im
Aufenthaltsrecht. Möchte sich eine türkische Ehefrau
innerhalb von zwei Jahren nach Eheschließung von ihrem Mann
scheiden lassen, so liegt es im Ermessen der
Ausländerbehörde, ob sie in ihr Herkunftsland
zurückkehren muss, wo sie Diskriminierungen ausgesetzt seit
oder ob sie eine besondere Härte geltend machen. Storr trat
für einen Hinweis in den Verwaltungsvorschriften ein, der als
einheitliche Entscheidungsgrundlage für die
Ausländerbehörde gelten könne. Für eine
materielle Besserstellung machte sich Heiner Bielefeld vom
Deutschen Institut für Menschenrechte stark. Er berief sich
auf die Kriseneinrichtung "Papatya" in Berlin, die den Zugang zu
materiellen Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB
VIII für die Betroffenen von Zwangsverheiratungen für am
wichtigsten halten. Dabei sollten nicht nur Minderjährige,
sondern auch junge Volljährige Anspruch auf solche Leistungen
erhalten.