KONJUNKTUR
Die Krise hat auch Osteuropas Wirtschaft voll erfasst. Die alten EU-Mitgliedstaaten sind in einem Dilemma. Sie möchten Solidarität zeigen, sind aber selbst schwer gebeutelt
Beim kommenden Frühjahrsgipfel am 19. und 20. März will die EU Nägel mit Köpfen machen. Dann sollen Leitlinien für den Umgang mit wertlosen Schuldverschreibungen, für die Bankenkontrolle und die Ankurbelung der Konjunktur beschlossen werden. Doch bislang sind die Mitgliedstaaten bei der konkreten Umsetzung noch gespalten. Es gilt als äußerst schwierige Aufgabe, die auf mehreren Sondergipfeln bekräftigten Erklärungen auch in die Tat umzusetzen. Doch genau das wird auch das Europaparlament verlangen, wenn es am 4. März seine Forderungen an den Gipfel formuliert.
Kommissionspräsident Manuel Barroso hatte letzte Woche erklärt, die von einer Expertengruppe geforderte engere Verzahnung der Bankenaufsicht in Europa müsse schon 2010 eingeführt werden. Eine zentrale europäische Finanzaufsicht, wie sie die Kommission ursprünglich gefordert hatte, sei politisch derzeit nicht durchsetzbar. Auch gemeinsamen europäischen Anleihen erteilte er eine Absage: "Es gibt in dieser Richtung keinen Konsens", sagte der EU-Kommissionspräsident. Im April will die Kommission Vorschläge machen, wie der Anlegerschutz bei schwer durchschaubaren Fonds verbessert werden kann. Im Herbst will sie ein Modell vorschlagen, das die Vergütung von Managern stärker an langfristigen nachhaltigen Erfolgen orientiert als an schnelllebigen Börsenhypes.
Allen EU-Staaten ist klar, dass der europäische Wirtschaftsraum in der derzeitigen Krisensituation Einigkeit demonstrieren muss. Doch hinter den Kulissen wird der Ton immer schärfer. Frankreichs Staatschef hat klar gemacht, dass französische Beihilfen möglichst nur Citroen- und Renault-Mitarbeitern in Frankreich zugute kommen sollen. Damit hat er die Osteuropäer gegen sich aufgebracht. Denn in Tschechien und der Slowakei stehen die modernsten Fertigungsanlagen für französische Kleinwagen. Ungarn wiederum hatte für die mittel- und osteuropäischen Staaten ein Hilfspaket von 160 bis 190 Milliarden Euro gefordert. Das lehnen allerdings nicht nur die alten Mitgliedstaaten ab.
Währungskommissar Joaqium Almunia versuchte vergangene Woche bei einer Konferenz in Prag anlässlich des fünften Geburtstags der Osterweiterung die Wogen zu glätten. "Man muss daran erinnern, dass die EU als Ganzes enorm von der Erweiterung profitiert hat, nicht nur die neuen Mitgliedstaaten. Neue Märkte für Investitionen und Exporte haben eine Fülle neuer Möglichkeiten für europäische Unternehmen geschaffen", erinnerte der Spanier.
Auch bei der Süderweiterung, als 1986 Spanien und Portugal in die EU aufgenommen wurden, habe es zunächst viel Skepsis gegeben. Doch am Ende sei eine Erfolgsgeschichte daraus geworden.
In den neuen Mitgliedsländern sei das Bruttoinlandsprodukt in den vergangenen fünf Jahren um 5,5 Prozent gewachsen - verglichen mit 3,5 Prozent vor dem Beitritt. Die Wirtschaft sei enorm modernisiert worden. Hightech-Produkte machten 14 Prozent der Exporte aus - genauso viel wie in den alten EU-Ländern. Das Pro-Kopf-Einkommen, das 1999 erst 40 Prozent des Durchschnittsniveaus der alten Mitgliedsländer erreicht hatte, sei inzwischen auf 52 Prozent gestiegen. Die alten Mitgliedstaaten hätten ihre Exportmöglichkeiten im gleichen Zeitraum enorm ausweiten können. Deutsche Exporte in die Region hätten sich zum Beispiel verdreifacht. Doch angesichts der Wirtschaftslage werden solche Wahrheiten weder in Ost- noch in Westeuropa gern gehört.
Die alten EU-Länder, selbst schwer von der Krise gebeutelt, wollen mit Steuergeld lieber die eigene Industrie retten. Und die neuen EU-Länder fühlen sich jetzt, wo es ernst wird, allein gelassen.
Da nützt es wenig, wenn Almunia in Prag daran erinnert, wie sehr sich die EU bereits für die zwölf Neulinge eingesetzt hat. Sieben Milliarden Euro werden sie 2009 allein aus Struktur- und Kohäsionsfonds erhalten. Die Europäische Investitionsbank wird in diesem Jahr Kredite im Umfang von 11,5 Milliarden Euro gewähren - das sind 3,3 Milliarden mehr als letztes Jahr. Der Fond, aus dem Nicht-Euro-Länder unterstützt werden, die ihre Schuldzinsen nicht mehr zahlen können, wurde zunächst mit 12 Milliarden Euro ausgestattet. Inzwischen sind 25 Milliarden in diesem Topf, aus dem Lettland und Ungarn bereits Unterstützung erhalten haben.
Doch die finanziellen Zuwendungen, so mahnte Almunia, seien mit Auflagen verbunden. Die Länder müssten ihre Staatsfinanzen rasch wieder in Ordnung bringen. Dass sie dazu in der Lage seien, hätten sie in den vergangenen fünf Jahren bewiesen. Die Botschaft aus Brüssel an die schwer gebeutelten Neumitglieder lautet: Wir lassen keinen hängen, aber wir entscheiden jeden Einzelfall neu. Die ständig wiederkehrende Frage von Journalisten aus Osteuropa, ob nicht die vorgeschriebene Wartezeit in der Währungsschlange verkürzt werden könne, um Polen oder Bulgarien schneller in die Eurozone aufzunehmen, beantwortet Almunias Sprecherin mit stoischer Gleichförmigkeit: "Kein Land hat beantragt, zum 1. Januar 2010 in die Eurozone aufgenommen zu werden. Deshalb stellt sich die Frage gar nicht." Außerdem seien die vorgeschriebenen zwei Jahre Wartezeit, in denen die Landeswährung sich als stabil gegenüber dem Euro erweisen muss, nicht das einzige Kriterium. Der Kandidat müsse auch ausgeglichene Staatsfinanzen und stabile langfristige Zinssätze vorweisen können.