Medienpolitik
Der Siegeszug des Internets darf nicht zu einer »digitalen Spaltung« der Gesellschaft führen
Zehn Jahre ist es her, dass die Bundesregierung ihren letzten großen Medienbericht vorgelegt hat. Im Internet- und Computer-Zeitalter, wo ein am Anfang des Jahres gekaufter Rechner am Ende desselben Jahres schon wieder veraltet ist, vollziehen sich innerhalb von zehn Jahren also gleich mehrere Revolutionen. Sowohl, was die technischen und inhaltlichen Angebote als auch deren Nutzung angeht. In Zahlen sieht das so aus: 1998 besaßen 23,7 Prozent der Deutschen einen Computer zu Hause, im Jahr 2007 waren es 60,9 Prozent. Das ist zwar ein enormer Sprung, bedeutet aber gleichzeitig, dass 40 Prozent der Bevölkerung über diesen Zugang nicht verfügen. Die Zahlen der Internet-Nutzer lesen sich ähnlich: Fast 63 Prozent der Bevölkerung, also rund 40 Millionen Menschen über 14 Jahren, waren 2007 regelmäßig online - gegenüber 10 Prozent im Jahr 1998.
Kein Wunder also, dass der aktuelle, von der Bundesregierung vorgelegte Medien- und Kommunikationsbericht 2008 ( 16/11570) ganz im Zeichen der Digitalisierung steht. Denn auch folgende Zahlen sind dem Bericht zu entnehmen: Fast die Hälfte der Haushalte (46 Prozent) hat heute Zugang zu digitalem Fernsehen in immer größeren Variationen. Innerhalb der vergangenen fünf Jahre stieg die Zahl bundesweiter privater und deutschsprachiger Fernsehangebote um 100 Prozent auf 119 Programme. Insgesamt sind bei den Landesmedienanstalten derzeit 352 private Fernsehprogramme registriert. Hinzu kommt eine immer stärkere Verzahnung der "klassischen" mit den neuen Online-Medienangeboten. Innerhalb von zehn Jahren ist die Zahl der Internet-Angebote von Zeitungen von 103 auf 630 (zum Jahresende 2007) gestiegen.
Von einem "revolutionären Veränderungsprozess" sprach dann auch Kulturstaatsminister Bernd Neumann zu Beginn der Bundestagsdebatte am 5. März. Die bedeutsamste Folge dieser Digitalisierung sei die Konvergenz, also das Zusammenwachsen von technischen Kommunikationsstrukturen, Medieninhalten, Endgeräten und der Telekommunikations- und Medienbranche, betonte Neumann. "Dabei entstehen neue Kommunikations- und Angebotsformen, die das klassische ,Sender-Empfänger-Schema' der analogen Welt überwinden." Nutzer würden selbst zu Programmgestaltern und dadurch in Konkurrenz zu etablierten Medienunternehmen treten, so der Staatsminister. Gleichzeitig stellte er fest: "Internet und Konvergenz werden die klassischen Medien nicht verdrängen. Medienpolitik hat mit den traditionellen Medien weiter zu rechnen." Allerdings erfordern diese Entwicklungen neue Antworten der Politik. In dem 700 Seiten starken Medienbericht heißt es dazu, nötig sei ein "integriertes, sektorübergreifendes Handeln. Die klassische Trennung von Presse-, Rundfunk- und Filmpolitik ist weitgehend obsolet." Dieser Forderung schloss sich auch Monika Griefahn (SPD) an: "Wir brauchen eine Politik, die der crossmedialen Mediennutzung gerecht wird."
Die Überwindung von Trennungen sollte aber, so schreibt es die Bundesregierung und so betonten es die Redner quer durch alle Fraktionen, noch auf einem anderen Feld zentrales Anliegen der Medienpolitik sein: der Förderung von Medienkompetenz. "Es gilt, die digitale Spaltung der Gesellschaft zu vermeiden", sagte Neumann. Gemeint ist damit nicht mehr nur, wie in den Anfangsjahren des Internets, die Frage des Zugangs zu entsprechender Technik. Bei digitaler Spaltung, so hebt es auch der Fraktionsvorsitzende der Grünen Fritz Kuhn hervor, "geht es darum, wer die entsprechenden Kompetenzen hat, aus der Informationsflut Wissen zu machen". Kuhn forderte deshalb einen "Durchbruch" in den Schulsystemen der Länder. Medien und Computer müssten einen anderen Stellenwert im Unterricht bekommen. Für Lothar Bisky, medienpolitischer Sprecher der Linksfraktion, "berührt der Zugang zu Information und Kommunikation Grundfragen demokratischer Mitbestimmung". Es sei entscheidend, von wem und wie der Umgang mit den Medien beherrscht werde. Hans-Joachim Otto (FDP) forderte einen "diskriminierungsfreien Zugang" und mahnte vor allem einen "fairen Wettbewerb" bei der Versorgung des Landes mit Breitbandkabel an. Es könne nicht sein, dass der Telekom hier eine Monopolstellung zukomme.
Während hinsichtlich der Vermeidung einer digitalen Spaltung Einigkeit im Plenum herrschte, wurde die Debatte an einem Punkt lebendig, der gar nichts mit dem Medienbericht zu tun hatte. "Beenden Sie dieses unwürdige Spiel", appellierte FDP-Medienexperte Otto an den Kulturstaatsminister. Gemeint war der Streit um die Verlängerung des im März 2010 auslaufenden Vertrages von ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender. Die unionsnahe Mehrheit im ZDF-Verwaltungsrat will den Vertrag nicht verlängern. Otto sprach deshalb von einer "parteipolitischen Kiste" gegen einen erfahrenen Journalisten und nutzte die Gelegenheit für eine weitere Forderung: "Es ist höchste Zeit, das Aufsichtssystem der öffentlich rechtlichen Sender zu ändern. Wir brauchen endlich eine effektive und externe Aufsicht." Fritz Kuhn bezeichnete die Diskussion um Brender als einen "illegitimen Eingriff" und schlussfolgerte: "Wir haben die Staatsferne des Rundfunks noch nicht erreicht." Lothar Bisky sprach von "unappetitlichen Vorgängen im ZDF". Seine Partei werde ihre Vertreter aus den öffentlich-rechtlichen Gremien zurückziehen, wenn die anderen Parteien mitmachten. Unterstützung erhielt die Opposition von SPD-Expertin Griefahn, die die Vorgänge ebenfalls kritisierte.