DESERTEC
Die Wirtschaft will Milliarden Euro in Solarstrom aus der Sahara investieren. Doch das ambitionierte Projekt wirft nicht nur technische Fragen auf
Es klingt wie der Mix aus einem Romanplot von Jules Vernes und einer Vision John F. Kennedys: Die am 13. Juli in München gegründete Industrie-Initiative Desertec (DII) zur Erzeugung von Solarstrom in Afrikas Wüsten wird tatsächlich mit der Mann-auf-den-Mond-Mission Kennedys verglichen. Als Jahrhundertprojekt und weltgrößtes Solarvorhaben wurde sie bejubelt und als größtes privates Ökostromprojekt aller Zeiten. Selbst Greenpeace lobt den Modellcharakter und fordert allenfalls mehr Tempo.
Doch Kritiker wie der grüne Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer sprechen von einer "Fata Morgana", einem teuren Hirngespinst, das von nahe liegenden Lösungen der Energiekrise ablenken, benötigte Mittel verschlingen und die Monopole der Energiewirtschaft festschreiben werde. Der ehemalige Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) warnt davor, den Wüstenstrom als Alibi für Untätigkeit vor der eigenen Haustür zu missbrauchen. Töpfer kritisiert die energieintensiven Konsumansprüche der Industrie- und Schwellenländer. Die wichtigste Frage der Energiepolitik sei längst: "Wofür verschwenden wir sie?", sagt Töpfer. Es ist ein Glaubenskrieg, der da entbrannt ist. Seine Hintergründe sind umso schwerer zu verstehen, da alle Ritter in diesem Kreuzzug zur Eroberung grünen Stroms die Sonne als Futtermittel für den bohrenden Energiehunger Europas ansehen.
Als der Versicherungskonzern Münchner Rück im Juni der Süddeutschen Zeitung seine Solar-Träume steckte, war noch von 20 Unternehmen die Rede. Inzwischen sind an dem Gründungsprojekt nur noch zwölf Unternehmen beteiligt, darunter Firmen wie der Energieversorger Eon, die Deutsche Bank oder das Energieunternehmen ABB. Ab 2019 könnte der Import von Solarstrom aus nicht genannten Ländern Nordafrikas beginnen, teilte die Münchner Rück damals mit. Der angepeilte Realisierungszeitraum reicht jedoch trotz des Zeitdrucks bis 2050. Erst dann sollen 400 Milliarden Euro in Afrikas Wüsten investiert sein, um am Ende rund 15 Prozent des europäischen Strombedarfs aus dezentralen, solarthermischen Kraftwerken von Spanien über den Maghreb bis Ägypten zu gewinnen. Davon sind allein 40 bis 50 Milliarden Euro für transkontinentale Leitungskapazitäten erforderlich, schätzt der Siemens-Experte Dietmar Retzmann, Leiter der Abteilung Power Transmission Solutions des Technologieriesen.
Notwendig ist der Münchner Rück zufolge relative politische Stabilität auf der vorgesehenen Fläche von 130 mal 130 Kilometern; die Strategen dieses dereinst europäisch-afrikanischen Joint-Ventures setzen auf einen Mix aus Solar- und Windkraft, wobei der Solarthermie eine Schlüsselrolle zukommt.
Funktionieren soll das ganze so: Parabolspiegel reflektieren die Sonneneinstrahlung auf Glasröhren, die mit einem Spezialöl gefüllt sind. Das Öl erhitzt sich, erzeugt Wasserdampf, der wiederum Turbinen antreibt sowie Wärmespeicher füttert, die auch nachts Strom erzeugen können; Generatoren nehmen die Leistung ab, und über die bereits hinlänglich in den Weiten Chinas über tausende Kilometer erprobte Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungstechnik (HGÜ) wird die Energie bei einem Leitungsverlust von bis zu drei Prozent über Strecken von bis zu 3.000 Kilometer nach Europa transportiert - für aus heutiger Sicht keineswegs besonders günstige 20 Cent pro Kilowattstunde.
Durch dezentrale Anlagen, die zusammen etwa so viel Strom erzeugen sollen wie 250 mittelgroße Kohlekraftwerke, sowie durch großzügig angelegte Verteilernetze, soll das Terrorrisiko minimiert werden. Anschläge, wie sie in Ägypten, Algerien und Marokko durch Al-Qaida-Anhänger drohen, könnten kaum Wirkung entfalten, wenn es keine zentralen Standorte gebe; gesprengte Leitungen seien durch Umleitungen zu ersetzen. Im Übrigen bestehe ja schon heute auch in Europa eine Gefahr durch Terroranschläge auf Strom erzeugende und Strom leitende Anlagen, sagt Siemens-Experte Dietmar Retzmann.
Terrorgefahr und mangelnde Stabilität der Erzeugerländer sind also kein Grund, den Desertec-Initiatoren vorzuwerfen, sie würden Europas Energieversorgung von unsicheren Kantonisten abhängig machen. Doch Retzmann räumt ein, dass die gigantischen Kabelstränge von Afrika nach Europa, etwa über die Meerenge von Gibraltar, sowohl technisch als auch sicherheitspolitisch Schwachstellen sein könnten.
Die Idee, mit afrikanischer Hilfe die europäischen Energieprobleme zu lösen, gibt es seit mehr als 30 Jahren. Die technische Realisierung sei heute gar kein Problem mehr, sagen die Experten, zumal in Spanien und den USA vergleichbare Großkraftwerke teils seit Jahrzehnten im Dienst sind. Woran also hakt es, dass der Traum vom Wüstenstrom nur so schleppend Gestalt annimmt?
Europa und die Mittelmeeranrainer sprechen trotz der Mittelmeerunion politisch nicht mit einer Stimme. Marokko oder Algerien als geplante Desertec-Standorte sehen sich obendrein hofiert von französischen Atomkraftexporteuren.
Über den franzöischen Präsident Nicholas Sarkozy kursiert in Afrika das böse Wort, er lasse ohne Rücksicht auf Risiken wo er gehe und stehe ein paar Atomkraftwerke fallen. Je nachdem, mit welchen Vergünstigungen solche Exporte für die Nehmerländer verbunden sind, haben die französischen Atomkraftwerke im Zweifel eine größere Akzeptanz als moderne Sonnentechnologie. Hier fehlt die gemeinsame europäische Perspektive, auch wenn Deutschlands Außenstaatssekretär Günter Gloser (SPD) nicht müde wird, die Vorteile der Solarpläne im Mittelmeer zu beteuern. Doch sowohl das Auswärtige Amt als auch Sigmar Gabriels Bundesumweltministerium distanzieren sich von finanziellen Begehrlichkeiten der Desertec-Freunde. "Wir haben keine Möglichkeiten, Strom aus Algerien zu vergüten", wies daher auch Sprecher des Bundesumweltministerium die Idee möglicher Einspeisungsvergütungen zurück.
Auch Staatsminister Gloser betonte inzwischen mehrfach, das Projekt Desertec müsse von privaten Unternehmen organisiert werden. Weder der deutsche Staat noch die Europäische Union könnten "all diese Finanzen aufbringen", sagte Gloser. Das Projekt Desertec wird also, wenn es kein Blendwerk bleiben will, in Zukunft weiterhin tatkräftige Investoren brauchen. Und einen langen Atem.
Der Autor ist freier Journalist in Frankfurt/Main.