Die Geschichte der Grenzöffnung zwischen Ungarn und Österreich begann mit einem Missverständnis: Am 27. Juni 1989 zeigte das westdeutsche Fernsehen Bilder, die den ungarischen Außenminister Gyula Horn und seinen österreichischen Amtskollegen Alois Mock mit gewaltigen Metallscheren zeigten. Mit diesen zerschnitten sie die Drähte der Grenzanlage, die vierzig Jahre lang als "Eiserner Vorhang" bekannt war. Viele DDR-Bürger dachten, dass man aus Ungarn jetzt ungehindert in den Westen reisen könne. Ein folgenschwerer Irrtum: Obwohl an der ungarischen Westgrenze weiterhin kontrolliert wurde, kamen im Sommer 1989 Tausende von DDR-Bürgern ins Land. Mit ihrer Anwesenheit brachten sie jedoch einen Stein ins Rollen, der nicht mehr aufzuhalten war: Am Ende des Jahres war die Berliner Mauer gefallen.
20 Jahre danach zeichnet eine Fotoausstellung im Paul-Löbe-Haus den dramatischen Sommer 1989 nach. Ungarische und deutsche Fotografen haben ihre Aufnahmen für die Bilderschau, die noch bis zum 30. Oktober zu sehen ist, zur Verfügung gestellt. Zur Eröffnung begrüßte Bundestagspräsident Norbert Lammert die langjährige ehemalige Präsidentin des ungarischen Parlamentes Katalin Szili. Lammert erinnerte an den Ausspruch Helmut Kohls, "der erste Stein aus der Berliner Mauer wurde in Ungarn herausgebrochen". Im August 1989 kampierten Tausende DDR-Flüchtlinge in der westdeutschen Botschaft und in Lagern des Roten Kreuzes, ihre Situation verlangte nach einer schnellen Lösung. Auf den Bildern der Ausstellung sieht man Momentaufnahmen aus diesen Wochen: Ostdeutsche Familien stehen Schlange bei der Essensausgabe in den Flüchtlingscamps, verfolgen die Nachrichten in ausgehängten Zeitungen. Eine erste Linderung brachte die kurze Grenzöffnung, die als "Paneuropäisches Picknick" in die Geschichte des Jahres 1989 einging: Unter der Schirmherrschaft von Otto Habsburg, dem Sohn des letzten österreichisch-ungarischen Königs, und des Reformkommunisten Imre Pozsgay trafen sich Menschen am 19. August an der ehemaligen Grenzanlage. Auf Befehl von oben ließen die Grenzwächter Flüchtlinge mit DDR-Ausweisen ungehindert passieren. Etwa 600 Menschen nutzten diesen Tag zur Flucht. Die Bilder der über Felder und Weinberge laufenden und auf österreichischer Seite jubelnd begrüßten Menschen sind inzwischen Teil des historischen Gedächtnisses geworden. Es sind "Momente, die bereits jetzt Teil der Geschichte sind", wie die frühere ungarische Parlamentspräsidentin Szili sagte.
Ebenso die Bilder vom 11. September 1989, als die ungarische Regierung die Westgrenze tatsächlich öffnen ließ. Fotograf Barnabás Szabó hielt den Moment kurz nach Mittenacht fest, als zwei junge Männer unter dem Schlagbaum in den Westen schlüpften (Bild oben). "Was Ungarn in diesen Tagen für uns geleistet hat, werden wir nie vergessen", schrieb Kohl am nächsten Tag gerührt an den damaligen ungarischen Ministerpräsidenten Miklós Németh.
Die Ausstellung präsentiert auch weniger bekannte Bilder des Jahres 1989: Beispielsweise vom Abbau der Grenzanlagen an der ungarischen Westgrenze. Die Bilder des Fotografen Károly Matusz zeigten schon im Mai 1989 ungarische Grenzschützer, die fröhlich die ehemals martialischen Anlagen demontieren und aufgerollte Stacheldrahtballen abtransportieren. Imre Pozsgay hatte bereits im Oktober 1988 festgestellt, dass der Eiserne Vorhang "sowohl geschichtlich und politisch, als auch technisch obsolet", und damit "für den Abbau reif" ist. Was er nicht sagte: Für den überschuldeten ungarischen Staat war der Betrieb des elektronischen Warnsystems längst zu teuer geworden. Als die Außenminister der beiden Nachbarstaaten deshalb im Juni 1989 öffentlichkeitswirksam ein Stück des Zaunes durchtrennen wollten, sahen sie sich vor einem ungewöhnlichen Problem: Von der ehemals 246 Kilometer langen Anlage war zu diesem Zeitpunkt kaum noch ein Abschnitt intakt.