Am Haupteingang wehen die Flaggen Namibias und der Afrikanischen Union, von hier reicht der Blick über die ausladende Grünanlage hinweg bis ins Stadtzentrum Windhoeks. Das Parlamentsgebäude, das die Einheimischen noch immer liebevoll "Tintenpalast" nennen, weil hier einst literweise Tinte für neue Verordnungen verbraucht wurde, steht auf einem Hügel mitten in der namibischen Hauptstadt.
Unter den Palmen im Innenhof plätschern zwei Springbrunnen, ein Abgeordneter läuft mit dem Handy am Ohr auf und ab, auf einem Poster an der Tür zur Gäste-Toilette wirbt der Gesundheitsminister für den Gebrauch von Kondomen: Mit 17 Prozent hat Namibia noch immer die fünfthöchste HIV-Infektionsrate der Welt. Ein paar Schritte weiter: der Eingang zum Parlamentssaal. Die rot gepolsterten Holzbänke sind mit moderner Mikrofontechnik ausgestattet, an der Decke hängen neun riesige Stahlringe bestückt mit je 24 Lampen - einziges Originalüberbleibsel aus der deutschen Kolonialzeit, als der imposante Quaderbau vor rund 100 Jahren von Architekt Gottlieb Redecker erbaut wurde. Damals hieß Namibia noch Deutsch-Südwestafrika und unterstand den kaiserlichen Schutztruppen. Im Ersten Weltkrieg gelang es den unter der britischen Krone kämpfenden südafrikanischen Truppen, das Land zu erobern. Das namibische Gebiet wurde im Anschluss an den Versailler Vertrag Südafrika unterstellt, wo später, wie im Nachbarland selbst, die rassistische Apartheid-Politik eingeführt wurde. Erst 1990 wurde Namibia unabhägig. Ende November wird in der jungen Republik zum vierten Mal frei gewählt. An einer weiteren Legislaturperiode des amtierenden Staatsoberhauptes Hifikepunye Pohamba besteht kaum Zweifel, er steht der Mehrheitspartei South West African People's Organisation (SWAPO) vor, der ehemaligen Befreiungsbewegung Namibias. Auch den Parlamentspräsidenten Theo-Ben Gurirab, der nach 1990 erster namibischer Außenminister und zwischen 2002 und 2005 Staatspräsident war, stellt die SWAPO.
Das parlamentarische System Namibias orientiert sich am britischen Modell. Jedes Gesetz muss zwei Kammern passieren, um in Kraft treten zu können. Die eine davon ist eine Art Länderkammer, Nationalrat genannt, die mit je zwei Repräsentanten der 13 namibischen Regionen besetzt ist - unabhängig von deren Größe oder Bevölkerungszahl.
In der anderen Kammer, der dem Bundestag vergleichbaren Nationalversammlung, sitzen die Parlamentarier entsprechend des Wählervotums, 72 an der Zahl. Seit Bestehen der Republik hält die SWAPO eine satte Mehrheit, seit 1995 sogar mehr als zwei Drittel der Sitze. Damit ist sie imstande, die Verfassung nach Belieben zu ändern. Befürchtungen, dass die einst marxistische Partei dies willkürlich nutzen könnte, sind jedoch nie eingetroffen. Im Vergleich zu den meisten anderen afrikanischen Staaten macht Namibia politisch eine hervorragende Figur, auch wenn eine ernstzunehmende Opposition weit und breit nicht in Sicht scheint. Doch dafür kann auch die Mehrheitspartei nichts.
Neonröhren erleuchten die Gänge des Tintenpalasts, die vorbildlich angebrachten Feuerlöscher sind allerdings seit einem Jahr mit der Wartung überfällig, irgendwo klingelt unablässig das Telefon, niemand hebt ab. Im Foyer hängen sechs große Drucke der deutsch beschrifteten Original-Architektenzeichnungen des Gebäudes. Dort entdeckt man neben dem "Büro des Militär-Buchhalters" auch einen "Lichtpausenraum" sowie zahlreiche "Pferdeställe". Von den Fenstern der Südseite konnte man bis vor Kurzem immerhin noch ein Pferd sehen: das wenige hundert Meter entfernte Reiterdenkmal. Die Statue des berittenen deutschen Schutztruppensoldaten wird derzeit versetzt. An seiner Stelle soll bald ein modernes Nationalmuseum errichtet werden - in Erinnerung an den namibischen Freiheitskampf und die vielen Hindernisse auf dem Weg zur Demokratie.