AFRIKAS SÜDEN
Trotz großer Probleme erstarken die jungen Demokratien
Ke Nako. Celebrate Africa's Humanity" lautet das Motto der in einem guten halben Jahr startenden Fußballweltmeisterschaft in Südafrika. Aus Sotho und Englisch übersetzt heißt das in etwa: Es ist Zeit, Afrikas Menschlichkeit zu feiern. Wenn sich die Augen der Welt auf den Kontinent richten, dann sollen sie in den Wochen des Turniers auf die positiven Seiten Afrikas gerichtet sein.
Das ist alles andere als selbstverständlich. Afrika ist der Kontinent der vier K's - Krisen, Kriege, Katastrophen und Klischees. Der Journalist und Medienwissenschaftler Lutz Mükke spricht von einer "Dramatisierungsfalle". Die Schwelle für Berichte aus Afrika liegt in den meisten Redaktionen derart hoch, dass sie meist nur von besonders dramatischen Nachrichten überschritten werden. Ein Teufelskreis: Je mehr Negatives verbreitet wird, desto mehr steigt die Afrika-Müdigkeit, wächst das Bild vom hoffnungslosen Kontinent.
Nun gibt es keinen Grund, etwa die Entwicklungen in Simbabwe unter Präsident Robert Mugabe oder die massive Korruption in Angola zu beschönigen. Doch gerade aus dem südlichen Afrika, der wirtschaftlich stärksten und touristisch am besten besuchten Region Afrikas, gibt es auch Hoffnungsvolles zu berichten. So legte der britisch-sudanesische Unternehmer Mo Ibrahim jüngst seinen jährlichen Index zu Demokratie und Regierungsführung in Afrika vor. Fünf der zehn am besten regierten Länder des Kontinents liegen demnach im südlichen Afrika - auf Platz Eins Mauritius, Platz Vier Botsuana, Platz Fünf Südafrika, Platz Sechs Namibia und Platz Neun Lesotho. Der Index misst dabei Werte wie Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit, demokratische Teilhabe und Einhaltung der Menschenrechte, nachhaltige Wirtschaftsentwicklung und menschliche Entwicklung.
"Die Demokratie hat hier gewisse Beharrungskräfte entwickelt", sagt Gero Erdmann vom Hamburger GIGA-Institut für Afrika-Studien: Je länger sie sich halte, desto unwahrscheinlicher sei es, dass sie wieder aus den Angeln gehoben wird. Südafrika, Namibia, Botsuana, Malawi, Mosambik - überall gab und gibt es in diesem Jahr in diesen Staaaten des südlichen Afrika demokratische Wahlen, von denen mit Ausnahme Südafrikas in Deutschland kaum etwas zu hören ist. Doch wer die friedlichen Wahltage und die teils hohe Beteiligung der Bevölkerung lobt, der muss auch mit Kritik rechnen: Denn mit Ausnahme Botsuanas, das seit 1966 friedliche demokratische Wahlen abhält, sind die teils sehr jungen Demokratien noch nicht, wie auch Erdmann einräumt, gefestigt. So sind etwa die ehemaligen Befreiungsbewegungen, die wie der ANC in Südafrika und die SWAPO in Namibia heute vielerorts die Regierung stellen, so stark, dass von einer sie kontrollierenden Opposition kaum die Rede sein kann.
"Bitte gebt uns eine Chance", hält der südafrikanische Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu für seine Heimat dagegen. "Wir sind erst seit 15 Jahren ein freies Land - und wir hatten keinen Marshall-Plan." In der Tat werden für afrikanische Länder oft hohe Maßstäbe angelegt, was den Grad der Demokratisierung betrifft - auch von Afrikanern selbst. Nur 48 Prozent der Südafrikaner etwa sind davon überzeugt, bereits in einer vollen Demokratie zu leben. Kritik ist gut und ein Zeichen der gestärkten Meinungsfreiheit, wenn dabei Fortschritte nicht komplett übersehen werden. Im Kapstaat zum Beispiel gab es 2009 durch die Wahl des umstrittenen Präsidenten Jacob Zuma reichlich Bewegung - und für viele unerwartet nicht nur zum Schlechteren. Zwar konnte die ANC-Abspaltung COPE die Hoffnungen auf eine aussichtsreiche Oppositionspartei nicht erfüllen. Die oft als zu "weiß" gebrandmarkte liberale "Demokratische Allianz" unter Chefin Helen Zille hingegen gewann mehr als 16 Prozent der Stimmen und mausert sich, gemessen an der Aufregung, die sie beim ANC auslöst, zu einer respektablen Oppositionspartei. Zuma selbst tat sich bisher durch eine erstaunlich pragmatische Politik hervor und ließ so viele Kritiker erstaunt verstummen. Wie immer haben die Erfolge jedoch auch Schattenseiten: So wachsen jetzt Sorgen, dass Zuma liberale Regelungen des Kapstaates wie das Abtreibungsrecht oder die gleichgeschlechtliche Ehe wieder rückgängig machen könnte - womit er freilich der in solchen Belangen höchst konservativen Bevölkerungsmehrheit entgegenkäme.
Nun bewegt sich die Debatte über die Stärke der Demokratie in Ländern wie Südafrika auf einem Niveau, von dem manche Nachbarn nur träumen können: Simbabwe geriert sich als Polizei- und Militärstaat, dessen Führung das Volk herzlich egal ist. In Afrikas letzter absoluter Monarchie Swasiland sind politische Parteien sogar komplett verboten. Demokraten werden verfolgt. Immerhin: Die Stimmen der Dissidenten in Swasiland werden, gestützt etwa vom südafrikanischen Gewerkschafts-Dachverband Cosatu, immer lauter. Damit ist das kleine Land ein gutes Beispiel dafür, wo die Stärken und Hoffnungen für eine Demokratisierung des südlichen Afrika liegen können: bei der Bevölkerung. Denn der Wille zur Demokratie ist auf dem Kontinent weit höher, als viele regierende Eliten wahrhaben wollen.
Das zeigt das regelmäßig erscheinende "Afrobarometer", eine Umfrage in 18 afrikanischen Ländern und ausdrücklich unter der "einfachen" Bevölkerung. Demnach wollen 70 Prozent die Demokratie, noch mehr lehnen Militärregierungen oder den Einparteienstaat ab. "Weder haben Afrikaner keine Ahnung von Demokratie noch wird sie als westliches Exportmodell empfunden", sagt Erdmann. Stattdessen werde Demokratie überwiegend über den Grad der persönlichen Freiheit und als "Regierung durch das Volk" definiert. "Interessant wäre, die Zustimmung zur Demokratie einmal mit der in den Industrieländern zu vergleichen", rät der Afrikanist. Von den "grassroots", den Bewegungen "von unten", gehen bisher die stärksten und interessantesten Impulse in der Region gegen Unrechtsstaaten und Unterdrückung aus. Das war 2008 eindrücklich zu erleben. Im April des Jahres versuchte ein chinesisches Schiff, beladen mit Waffen für Simbabwes Armee, seine Fracht im südafrikanischen Hafen von Durban loszuwerden. Von dort sollte sie auf dem Landweg ins Nachbarland verbracht werden - zum Entsetzen vieler mit Erlaubnis Südafrikas.
Die südafrikanische Zivilgesellschaft fürchtete nicht zu Unrecht, die Waffen könnten zur Unterdrückung der Opposition genutzt werden. Die örtliche Transportgewerkschaft weigerte sich, die Fracht auszuladen. Kirchenvertreter und Anwälte brachten den Fall vor Gericht, die "An Yue Yang" nahm derweil Kurs auf Mosambik. Auch hier weigerte sich die Gewerkschaft, die Waffen auszuladen, auch hier drohten Bürgerinitiativen mit der Justiz. Ähnlich alarmiert reagierten Organisationen in Namibia und Angola. Zwar ankerte das Schiff schließlich in Luanda, drehte am Ende aber wieder gen China ab. Simbabwe hält zwar daran fest, die Lieferung noch erhalten zu haben. Das ist jedoch unwahrscheinlich und macht letztlich kaum einen Unterschied: Zeigt der Fall doch, wie Bürger der ganzen Region sich zusammenschließen können - gegen die Regierenden, die einen Unrechtsstaat wie Simbabwe seit Jahren stillschweigend dulden und teils sogar fördern. Lediglich Sambias damaliger Präsident Levy Mwanawasa schloss sich damals dem Aufruf an und forderte die Region auf, das Schiff nicht ankern zu lassen. Ein Triumph der Öffentlichkeit gegen politischen Zynismus: "Ke Nako. Celebrate Africa's Humanity" - das Beispiel zeigt, dass die Menschen im südlichen Afrika dem WM-Motto alle Ehre machen können.
Die Autorin hat unter anderem als
Korrespondentin des "Evangelischen
Presse-Dienstes" in Südafrika gearbeitet.