50. Sitzung
Berlin, Freitag, den 18. Juni 2010
Beginn: 9.01 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, den Tagesordnungspunkt 33 zur Deutschen Bahn und den Tagesordnungspunkt 34 zum privaten Waffenbesitz zu tauschen, also die Reihenfolge umzukehren. Darüber ist gestern im Ältestenrat gesprochen und Einvernehmen erzielt worden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann können wir so verfahren.
Ich rufe unsere Tagesordnungspunkte 30 a bis 30 d auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines Dreiundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (23. BAföGÄndG)
- Drucksache 17/1551 -
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dreiundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (23. BAföGÄndG)
- Drucksache 17/1941 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)
- Drucksache 17/2196 (neu) -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Stefan Kaufmann
Swen Schulz (Spandau)
Dr. Martin Neumann (Lausitz)
Nicole Gohlke
Kai Gehring
- Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/2210 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Eckhardt Rehberg
Klaus Hagemann
Ulrike Flach
Michael Leutert
Priska Hinz (Herborn)
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)
- zu dem Antrag der Abgeordneten Swen Schulz (Spandau), Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
BAföG ausbauen und Chancengleichheit stärken
- zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Agnes Alpers, Dr. Rosemarie Hein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
BAföG ausbauen - Gute Bildung für alle
- zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn), Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sozial gerechtes Zwei-Säulen-Modell statt elitärer Studienfinanzierung
- Drucksachen 17/884, 17/1558, 17/899, 17/2196 (neu) -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Stefan Kaufmann
Swen Schulz (Spandau)
Dr. Martin Neumann (Lausitz)
Nicole Gohlke
Kai Gehring
c) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Schaffung eines nationalen Stipendienprogramms (Stipendienprogramm-Gesetz - StipG)
- Drucksache 17/1552 -
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Schaffung eines nationalen Stipendienprogramms (Stipendienprogramm-Gesetz - StipG)
- Drucksache 17/1942 -
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)
- Drucksache 17/2194 (neu) -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Stefan Kaufmann
Marianne Schieder (Schwandorf)
Dr. Martin Neumann (Lausitz)
Nicole Gohlke
Kai Gehring
- Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 17/2195 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Eckhardt Rehberg
Klaus Hagemann
Ulrike Flach
Michael Leutert
Priska Hinz (Herborn)
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn), Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Nein zum nationalen Stipendienprogramm
- Drucksachen 17/1570, 17/2194 (neu) -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Stefan Kaufmann
Marianne Schieder (Schwandorf)
Dr. Martin Neumann (Lausitz)
Nicole Gohlke
Kai Gehring
Dazu liegen ein Änderungsantrag und zwei Entschließungsanträge der Fraktion der SPD sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Bundesministerin Frau Dr. Annette Schavan.
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Heute Nachmittag lädt die Bundeskanzlerin Vertreter der Wissenschaft, der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft zu einem Zukunftsgipfel ein, an dem auch eine Reihe von Mitgliedern des Bundeskabinetts teilnehmen wird. Eines der zentralen Themen bei diesem Zukunftsgipfel wird die demografische Entwicklung in Deutschland sein, also die Frage: Wo stehen wir 2020 mit Blick auf den Altersaufbau unserer Gesellschaft, mit Blick auf Rückgang und Zunahme der Zahl der Menschen in bestimmten Altersgruppen? Zu den zentralen Daten, die uns beschäftigen werden, gehört die Tatsache, dass im Jahre 2020 rund 3,1 Millionen unter 25-Jährige weniger leben werden als heute. Das ist ein Rückgang um 15 Prozent bei einem sonstigen Rückgang der Bevölkerung um 2 Prozent.
Warum sage ich das? Weil sich aus solchen Fragen und Diskussionen über die Zukunftsfähigkeit in Deutschland und die besondere Situation, dass wir wie kaum ein anderes europäisches Land von der demografischen Entwicklung, von einer älter werdenden Gesellschaft betroffen sind, eine besondere Verantwortung für alle Fragen, die mit Bildung, Ausbildung, Wissenschaft und Forschung zu tun haben, ergibt. Deshalb ist mit der Priorität für Bildung und Wissenschaft in dieser Bundesregierung auch verbunden, dass wir alles tun wollen, um in der ganzen Bandbreite unseres Bildungs- und Wissenschaftssystems junge Leute zu ermutigen.
Das, worüber wir heute Morgen sprechen, gehört zu den Maßnahmen, mit denen wir ein deutliches Signal an diejenigen senden wollen, die sich für ein Studium entscheiden: Es ist dafür gesorgt, dass es eine breitere Vielfalt an Möglichkeiten der Studienfinanzierung gibt. Dazu sagen wir: Wir wollen beides: die Weiterentwicklung des BAföG und den Aufbau eines nationalen Stipendiensystems. Wir wollen das klare Signal setzen: Wir kümmern uns um eine bessere Studienfinanzierung in Deutschland.
Der Rückblick zeigt, dass es über einen langen Zeitraum hinweg - übrigens auch in all den Zeiten, in denen es überhaupt noch keine Studiengebühren, aber auch überhaupt keine Stipendien gab - nicht gelungen ist, den Zugang zum Studium für wirklich alle Gruppen in der Bevölkerung, auch für jene aus einkommensschwachen Familien, gut zu gestalten. Der Anteil der Studierenden aus einkommensschwachen Familien ist zu gering. Deshalb gehen wir bei der Studienfinanzierung neue Wege. Das ist für uns auch mit dem Ziel verbunden, mehr jungen Leuten aus einkommensschwachen Familien die Möglichkeit zu einem Studium zu geben.
Deshalb bringen wir das 23. BAföG-Änderungsgesetz ein. Wir heben die Bedarfssätze an und erhöhen die Freibeträge. Künftig wird der Förderhöchstsatz für Studierende bei 670 Euro monatlich liegen. Wir können davon ausgehen, dass die jährliche Zahl derer, die gefördert werden, um 50 000 bis 60 000 erhöht werden wird.
Das ist ein erstes wichtiges Ziel: Wir wollen, dass künftig mehr Studierende die Möglichkeit haben, nach BAföG gefördert zu werden.
Zweitens. Wir passen die Regelungen an neue Studienstrukturen an, Stichwort: Masterstruktur. Wir erhöhen für das Masterstudium die Altersgrenze auf 35 Jahre. Wir modernisieren - auch das ist ein wichtiges Thema -, indem wir bei der Anerkennung von Kinderbetreuungszeiten im Hinblick auf die Altersgrenze flexibler werden. Das heißt, wir entwickeln das BAföG so weiter, dass sich einerseits neue Studienstrukturen besser abbilden und andererseits weitere Verbesserungen bei der Vereinbarkeit von Familie und Studium erreicht werden. Auch das halte ich mit Blick auf die Entwicklungen in den nächsten zehn Jahren für einen ganz wichtigen Punkt: Wir geben jungen Familien, bei denen Vater, Mutter oder beide im Studium sind, bessere Möglichkeiten, das Studium mit der Familie, mit den Kindern und den Kinderbetreuungszeiten, zu verbinden.
Schließlich greifen wir auf, was bei der Begutachtung bisheriger Verwaltungspraxis immer wieder angesprochen worden ist. Wir vereinfachen die Verwaltung, pauschalieren die Wohnkosten, vereinfachen das Verfahren zur Anerkennung von Leistungen, verzichten auf den Nachweis von Sprachkenntnissen bei Auslandsaufenthalten. Das, was sich in vielen Bereichen anbietet, soll also auch hier geschehen: einfachere Verfahren bei der Bearbeitung, Vereinfachung der Verwaltung.
- Genau, Herr Gehring, das ist Bürokratieabbau; da haben Sie völlig recht.
Man kann ihn weiter vorantreiben.
Ich glaube, dass wir damit einen wichtigen Schritt machen; denn BAföG ist in dem Maße wirksam, in dem es gelingt, eine vernünftige Verbindung zwischen der Steigerung der Lebenshaltungskosten und den Frei- und Förderbeträgen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes herzustellen. Deshalb ist das ein klares Signal. Wir halten Wort: Vor zwei Jahren, 2008, haben wir das BAföG um 10 Prozent erhöht; jetzt erhöhen wir weiter. Das muss ein kontinuierlicher Prozess sein.
Es muss ein bildungspolitisches Ziel sein - ich habe es eben gesagt -, das wirklich für alle gilt: Der Geldbeutel der Eltern ist nicht ausschlaggebend für die Aufnahme eines Studiums. Das ist nicht nur ein bildungspolitisches Ziel, sondern auch eine Frage der Gerechtigkeit und des klugen Umgangs mit Talenten.
Wir wollen auch deshalb ein zweites, neues Instrument schaffen. Ein Förderhöchstsatz von 670 Euro monatlich ist gut; aber künftig soll es möglich sein, zusätzlich zu den 670 Euro weitere 300 Euro elterneinkommensunabhängig zu bekommen, und zwar über ein Stipendium, das sich aus Investitionen der öffentlichen Hand und der Zivilgesellschaft zusammensetzt.
Das ist heftig diskutiert worden, und wir werden es gleich wieder heftig diskutieren. Einige stehen schon in den Startlöchern, um loszulegen. Ich sage Ihnen: Das ist ein überfälliges Signal. Seit zehn Jahren diskutieren wir in Deutschland über Stipendien. Wir bewundern die großen Wissenschaftsnationen,
bei denen sich deutsche Studenten um Stipendien bewerben. Es wird Zeit, dass es in Deutschland endlich Stipendien gibt. Deshalb wollen wir sie einführen.
Mit unserem Vorhaben ist noch etwas anderes als Geld verbunden. Es wird Zeit, dass in Deutschland eine größere Solidarität mit unserem Wissenschaftssystem, mit den Hochschulen möglich wird. Ein Wissenschaftssystem verdient es, dass die Zivilgesellschaft, dass diejenigen, die studiert haben und heute gut verdienen, mit ihren Hochschulen solidarisch sind.
Das ist in anderen Ländern in den Ehemaligenvereinen selbstverständlich. Deshalb müssen wir ein anderes System schaffen. Wir müssen einen Impuls setzen, der sich nicht nur an die öffentliche Hand und ihre Investitionen wendet, sondern der endlich die Verbindungen zwischen den Ehemaligen und ihren Hochschulen verbessert. Eine gemeinschaftliche Aktion von Zivilgesellschaft und öffentlicher Hand ist nötig, um Studierenden die Möglichkeit zu geben, in Deutschland ein Stipendium zu erhalten.
Wir erweitern das Spektrum. Auch das ist ein starkes Signal.
Der Präsident meldet sich bei mir. Also sage ich als letzten Satz: Das, was unentwegt diskutiert wird - -
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich hatte gehofft, Sie wollten mir etwas Nettes sagen, aber - -
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung:
Ich habe Sie doch schon angestrahlt, als ich zum Rednerpult ging.
Die ganze Debatte über das Matthäus-Prinzip - was ist mit den Starken, wo bleiben die Schwachen - ist nichts weiter als die Fortsetzung einer alten, unergiebigen Debatte. Mit dieser Art von Debatte haben Sie nichts erreicht. Sie haben niemanden aus einkommensschwachen Familien an die Hochschulen gebracht. Die ersten Erfahrungen in NRW zeigen: Erst dort, wo Stipendien zur Verfügung stehen, erreichen wir mehr Durchlässigkeit,
erreichen wir, dass mehr Menschen aus einkommensschwachen Familien an Hochschulen studieren. Das ist das Ziel dieser Regierung. Diese Maßnahme ist wichtig. Deshalb bitte ich um Zustimmung für diesen neuen Impuls.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält der Kollege Swen Schulz für die SPD-Fraktion.
Um dieses Problem zu beheben, muss das BAföG, wie gesagt, modernisiert werden. Wir haben deswegen ein entsprechendes Konzept vorgelegt. Ich möchte kurz auf einige Punkte eingehen: Wir wollen, dass die Bedarfssätze um 3 Prozent erhöht werden, damit diejenigen, die eine Ausbildung machen, mehr Geld erhalten. Wir wollen aber vor allem - das ist der Schwerpunkt, den wir setzen - die Freibeträge um 10 Prozent erhöhen, damit der Kreis derjenigen, die in den Genuss einer Förderung kommen können, auch entsprechend ausgeweitet wird.
Darüber hinaus wollen wir etwas Neues einführen, nämlich eine zweite Einkommensgrenze. Wir wollen damit das Mittelstandsloch, das wir sehen, schließen. Diejenigen, die kein BAföG bekommen können, aber trotzdem Schwierigkeiten bei der Finanzierung der Ausbildung haben, sollen zumindest ein zinsloses Darlehen erhalten. Wir wollen die Förderhöchstdauer ausweiten, weil wir sehen, dass viele ihr Studium in der geforderten Zeit nicht abschließen können. Diese Studierenden sollen weiterhin BAföG erhalten können. Wir wollen die Förderlücke zwischen dem Abschluss des Bachelorstudiums und der Aufnahme des Masterstudiums, in der kein BAföG gezahlt wird - sie kann bis zu vier Monate betragen -, schließen. Wir wollen die Teilzeitausbildung förderfähig machen, die Altersgrenzen deutlich anheben und eine automatische Anpassung einführen. Es gibt weitere Punkte in unserem Antrag, die ich aus Zeitgründen leider nicht ansprechen kann.
Nachdem wir diesen Antrag eingebracht haben, haben wir gehofft, mit der Regierungskoalition in einen Dialog darüber eintreten zu können. Aber diese Hoffnung war leider trügerisch. Die Regierungskoalition hat einen Gesetzentwurf eingebracht. Im Ausschuss haben wir dann eine Sachverständigenanhörung durchgeführt. Die Sachverständigen haben einhellig Folgendes gesagt:
Erstens. Die BAföG-Novelle der Regierungskoalition geht in die richtige Richtung.
- Es ist schön, auch von Ihnen einmal Applaus zu bekommen.
Zweitens vertraten die Sachverständigen genauso einhellig die Meinung, dass mit diesem Gesetzentwurf zu wenig Modernisierungen und Verbesserungen vorgeschlagen werden. Das reicht nicht aus. Das ist zu kurz gesprungen.
Es gab eine Fülle von Hinweisen, Anregungen und Kritik. Wir haben daraufhin ein ganzes Paket von Änderungsanträgen im Ausschuss zur Debatte gestellt. Die Grünen und die Linken übrigens auch. Aber was hat die Regierungskoalition in der Ausschusssitzung am vergangenen Mittwoch damit gemacht? Sie hat einfach alles vom Tisch gewischt. Es gab eine Handvoll kleiner Änderungen - denen haben wir zugestimmt; so konstruktiv können Ausschussberatungen sein, wenn man gutwillig ist -, doch alle anderen Anträge wurden abgelehnt. Die Hinweise der Sachverständigen, auch die Hinweise der Sachverständigen, die von Ihnen eingeladen wurden, haben Sie ignoriert. So kann man das nicht machen.
Nun erwarte ich gar nicht, dass Sie unsere Anträge 1 : 1 übernehmen.
Natürlich kann man an verschiedenen Stellen unterschiedlicher Meinung sein - das ist völlig in Ordnung -, aber man muss doch wenigstens diskutieren. Die Ignoranz, die Sie am Mittwoch an den Tag gelegt haben, verdient einfach nur die Note ?mangelhaft?.
Ich habe mich gefragt: Warum ist das so? Warum verhalten Sie sich so starrsinnig? Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder haben die Parlamentarier von CDU/CSU und FDP nicht den Mut und die Kraft, der Bundesregierung auch einmal entscheidende Änderungen abzutrotzen, oder - das ist die zweite Möglichkeit - es interessiert sie nicht wirklich. Es geht Ihnen bei der BAföG-Novelle nur darum, ein soziales Feigenblatt auf Ihr völlig verkorkstes und falsches Nationales Stipendienprogramm zu legen.
Wenn Sie die Energie und die Mittel, die Sie in das Nationale Stipendienprogramm investieren, für das BAföG aufgebracht hätten, dann hätte daraus eine wirklich runde, vernünftige Sache werden können.
So kommt es zwar zu kleinen Verbesserungen, aber es ist unter dem Strich letztlich enttäuschend.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Dr. Martin Neumann ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion.
Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist ein wichtiger Tag in der Geschichte deutscher Bildungspolitik. Denn trotz wirtschaftlich schwieriger Zeiten und angesichts eines hohen Konsolidierungsdrucks für die öffentlichen Haushalte setzt diese Koalition genau das um, was sie vor der Wahl versprochen und vor acht Monaten im Koalitionsvertrag zwischen Union und FDP vereinbart hat.
Damals haben wir uns zu unserem gemeinsamen Ziel ?Bildungsrepublik Deutschland? bekannt und vereinbart, dieses Ziel im Bereich der Förderung der Studierenden durch einen Dreiklang aus BAföG, Stipendien und Bildungsdarlehen zu erreichen, damit der Bildungsaufstieg in unserem Land nicht an finanziellen Hürden scheitert.
Meine Fraktion ist der festen Überzeugung, dass wir mit den vorliegenden Änderungen im Bereich des BAföG spürbare Verbesserungen bei der individuellen Bildungsfinanzierung auf dem Weg zu einer Bürger- und Verantwortungsgesellschaft erzielen und dabei vor allem die soziale Komponente angemessen würdigen, da wir BAföG auch weiterhin nur denjenigen zugutekommen lassen, die auch tatsächlich bedürftig sind. Die Vorwürfe der Opposition, Herr Schulz, man hätte eine stärkere Anhebung der Freibeträge und Bedarfssätze anstreben müssen, halte ich angesichts der aktuellen finanzpolitischen Situation für ungerechtfertigt.
Vor allem aber ist der Hinweis, man könnte das Geld für das nationale Stipendienprogramm in das BAföG stecken - das haben Sie eben so gesagt -, vollkommen unangebracht.
Denn bei diesem Hinweis wird vergessen, dass durch die Kofinanzierung der Stipendien mit Mitteln Privater mehr Geld in das Bildungssystem fließen wird, als wir es in gleichem Maße nur über das BAföG erreichen würden.
Herr Präsident, Sie gestatten ein Zitat:
Natürlich wünscht sich die Opposition mehr, und das sofort. Das ist ihr gutes Recht. Unsere Pflicht als Regierungskoalition ist aber, aus dem Wünschenswerten das Machbare zu machen und dies in den finanziellen Kontext einzubetten.
Dies sagte Renate Schmidt hier am 16. November 2007.
Mit dem 23. BAföG-Änderungsgesetz, welches bereits zum Schuljahresbeginn bzw. zum Wintersemester 20 10/2011 in Kraft tritt, werden drei Ziele verfolgt und umgesetzt: erstens eine moderate, aber auch über dem rechnerisch Erforderlichen liegende Anhebung der Bedarfssätze um 2 Prozent und der Freibeträge um 3 Prozent, zweitens wichtige strukturelle Verbesserungen im Zeichen einer Entbürokratisierung - das wurde schon angesprochen -, zum Beispiel die Pauschalierung der Wohnkosten, Leistungsnachweis mittels ECTS-Leistungspunkten, Streichung spezieller Teilerlasse, und drittens eine Ausgestaltung gemäß dem Bologna-Prozess, nämlich die Anhebung der Altersgrenze beim Master auf 35 Jahre. Das zeigt, dass dieser Weg richtig ist.
Ab dem Jahr 2011 werden dem Bund dadurch jährliche Mehrausgaben in Höhe von etwa 200 Millionen Euro entstehen. Es ist wichtig, an dieser Stelle hervorzuheben, dass wir das BAföG durch das nationale Stipendienprogramm für besondere Leistungen ergänzen und dadurch sowohl eine Förderung in der Breite als auch in der Spitze erreichen.
Heute fordert die Opposition, noch stärker an der Stellschraube Freibeträge und Bedarfssätze zu drehen, obwohl die Erfahrung aus der 22. Novelle gezeigt hat, dass es keinen direkten Einfluss und keinen direkten Effekt auf die Zahl der Geförderten gegeben hat. Jedem müsste einleuchten: Wir brauchen nicht höhere Freibeträge, sondern deutlich unterschiedliche Förderinstrumente. Diesen Weg geht die Koalition.
Ihr plakativer Vorwurf, Herr Schulz, wir hätten die Anregungen und Vorschläge des Bundesrates und der Sachverständigen in der Anhörung in der vergangen Woche nicht aufgenommen, geht vollkommen ins Leere.
Nach sorgfältiger Abwägung aller Vor- und Nachteile haben wir sehr wohl - das haben wir auch im Ausschuss besprochen - die aus unserer Sicht sinnvollen und finanzierbaren Vorschläge aufgegriffen.
Wir machen das BAföG heute - das ist ganz wichtig; deswegen will ich das hervorheben - fairer, transparenter, unbürokratischer und moderner. Vor allem setzen wir zu diesem sozialpolitischen Instrument mit unserem nationalen Stipendienprogramm - beide Vorhaben bilden ein ausgewogenes Paket - eine leistungsbezogene Komponente hinzu, um einen Beitrag zur Entwicklung einer starken Verantwortungsgesellschaft in unserem Land zu leisten.
Ich appelliere an Sie, meine Damen und Herren von der SPD und den Grünen: Setzen Sie heute ein Zeichen für Ihr Interesse an den jungen Menschen im Land, die unsere Zukunft sind, und enthalten Sie sich nicht, sondern stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu!
Ich hoffe - das sage ich zum Schluss -, dass der Bundesrat am 9. Juli 2010 unser Studienfinanzierungspaket aus BAföG und nationalem Stipendienprogramm auf den Weg bringt. Nur durch diese gemeinsame Kraftanstrengung werden wir unserer politischen und moralischen Verantwortung für die junge Generation gerecht.
Ich bedanke mich.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nicole Gohlke ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke.
Nicole Gohlke (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Regierung will ein Nationales Stipendienprogramm, das den vermeintlich besten Studierenden monatlich 300 Euro spendiert, begründet dies aber damit, die Studierneigung insgesamt fördern zu wollen. Frau Schavan hat, wie ich glaube, gerade in diesem Zusammenhang die Formulierung ?junge Leute ermutigen? gebraucht.
Zu Recht hagelt es von allen Seiten Kritik an diesem Gesetz, auch aus dem Kreis der Stipendiatinnen und Stipendiaten selbst, die übrigens in diesen Minuten vor dem Bundestag demonstrieren. Sie kritisieren, dass durch dieses Programm wieder vor allem Jugendliche aus bessergestellten Elternhäusern gefördert werden. Sie verlangen von einem Sozialstaat, dass öffentliche Gelder endlich zur Studienförderung nach sozialen Gesichtspunkten eingesetzt werden und nicht nach Noten. Dafür haben sie die Unterstützung der Linken.
Die wenigen Fürsprecher dieses Gesetzes - ihre Zahl ist wirklich sehr überschaubar - finden sich bei den Unternehmern. Diese allerdings versprechen sich davon offenbar etwas ganz anderes und bewerten diese Stipendien auch ganz anders, als es die Regierung tut. Am 19. März erklärte die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände in ihrer Stellungnahme zum Stipendiengesetz:
Zentrales Instrument zur sozial motivierten Studienförderung ist und bleibt das BAföG.
Die Liberale Hochschulgruppe stellte fest:
Ein Studium nach Neigung zu ermöglichen, ist alleine Aufgabe des BAföG.
Das heißt im Klartext: Das Nationale Stipendienprogramm fördert offenbar nicht die allgemeine Studierneigung. Das haben die BDA und die Liberale Hochschulgruppe erkannt.
Jetzt frage ich Sie: Wenn viele Stipendiatinnen und Stipendiaten das Gesetz nicht wollen, und wenn es gar nicht, wie angegeben, dazu dient, die allgemeine Studierneigung zu fördern, was soll dieses Gesetz dann? Die Arbeitgeber lassen die Katze aus dem Sack. Die Industrie- und Handelskammer formuliert sehr deutlich ihre Korrekturwünsche an dem Gesetz. Sie fordert, dass die privaten Geldgeber stärker am Prozess der Auswahl der Geförderten beteiligt werden, und will eine - Zitat - ?Gegenleistung? von den Stipendiaten.
Den wunderbaren Begriff des ?Mäzenatentums? haben ja Sie, Frau Schavan, hier in die Debatte eingeführt: reiche Gönner zur Finanzierung Ihres Stipendienprojekts. Mäzene sind aber meines Wissens Menschen, die Geld geben, ohne eine direkte Gegenleistung zu verlangen. Unter ?Mäzenatentum? stelle ich mir also auf gar keinen Fall die Schaffung neuer Abhängigkeiten vor.
Dieses Gesetz ermöglicht Dritten de facto einen Zugriff auf öffentliche Gelder. Von einer je hälftigen Finanzierung durch private und öffentliche Gelder, wie es im Gesetzentwurf heißt, kann nicht die Rede sein. Die private Seite, die Unternehmen, übernehmen nur rund ein Drittel der Kosten - den Rest ihrer Spende bekommen sie über Steuerabschreibungen zurück -, und die immensen Verwaltungskosten für dieses Programm liegen einzig bei den Hochschulen.
Fakt ist aber, dass die privaten Mittelgeber bei zwei Dritteln der Stipendien bei Studieninhalt und Studienfach mitentscheiden und insgesamt bei der Auswahl der Bewerberinnen und Bewerber mitberaten.
Frau Schavan, das ist aus unserer Sicht nicht nur unsozial, sondern das ist auch völlig undemokratisch. So etwas ist mit uns nicht zu machen.
Die Ministerin redet bei dem Programm - das hat sie auch gerade wieder getan - gerne von einem Projekt der Zivilgesellschaft und erklärt die Zivilgesellschaft zum Stipendienstifter. Aber es ist doch wohl klar, wer es sich leisten kann, Stipendien zu stiften. Eine kleine Initiative für Ökostrom hat doch nicht die gleichen finanziellen Möglichkeiten wie der Energieriese RWE.
Das Stadttheater in Jena hat doch nicht annähernd so viel Geld für Stipendien übrig wie der Axel-Springer-Verlag. Tun Sie doch nicht so, als ob Sie das nicht wüssten!
Kolleginnen und Kollegen, aus Sicht der Linken muss das dritte Kind einer alleinerziehenden Hartz-IV-Bezieherin die gleichen Chancen haben wie der Sohn eines Rechtsanwaltes.
Wer wirklich die Studierneigung fördern will, der muss in erster Linie soziale Hürden zum Studium beseitigen, der muss das BAföG deutlich ausbauen.
In den letzten Tagen wurde deutlich, dass die Zustimmung zur Mini-BAföG-Erhöhung der Regierung im Bundesrat keineswegs gesichert ist. Die Unionsministerpräsidenten Koch und Seehofer haben angekündigt, das Gesetz zu blockieren. Sie wollen damit die Finanznot der Länder auf dem Rücken der sozial Schwachen, der Schülerinnen und Schüler und der Studierenden austragen. Wenn die Bundesregierung diese skandalösen Angriffe auf das BAföG zurückweisen will und wenn sie wirklich möchte, dass die Länder mehr Geld für Bildung ausgeben, muss sie die Länderfinanzen stärken, anstatt sie weiter zu ruinieren.
Ein Anfang wäre, wenn Sie es uns und den Ländern ersparen würden, auch nur einen Cent für dieses unsoziale und undemokratische Stipendienprogramm zu verschwenden. Wir brauchen stattdessen eine BAföG-Reform, die mehr ist als nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun der Kollege Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen.
Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schwarz-Gelb will heute ein Studienfinanzierungspaket durch den Bundestag peitschen, obwohl es an den Bedürfnissen der allermeisten Studierenden ganz klar vorbeigeht.
Ihr Paket ist unausgewogen, es setzt falsche Prioritäten, und es zementiert Bildungsblockaden, statt sie aufzubrechen. Mit dem Nationalen Stipendienprogramm begibt sich Schwarz-Gelb auf einen bildungspolitischen Irrweg. Wir sagen ganz klar: Statt Elitestipendien für wenige brauchen wir Bildungsaufstieg durch ein besseres BAföG für viele, meine Damen und Herren.
Ich frage mich immer wieder: Welches Gerechtigkeitsverständnis hat eigentlich diese schwarz-gelbe Koalition? Es ist ungerechte Klientelpolitik, wenn Sie das Büchergeld für gutbetuchte Stipendiaten um überzogene 275 Prozent erhöhen, während Sie zugleich im Sparpaket das Elterngeld für Langzeitarbeitslose streichen. Das ist schlichtweg ungerecht.
Sie setzen völlig falsche Prioritäten, wenn Sie 160 Millionen Euro Steuergelder ins Stipendienprogramm pumpen wollen, anstatt das BAföG viel deutlicher zu erhöhen und somit mehr zu tun für Bildungsgerechtigkeit. Und es ist auch ein starkes Stück, dass Sie die einhellig vernichtende Kritik der Fachwelt in der Anhörung des Bildungsausschusses einfach ignorieren. Ihr Stipendienmurks ist bei den Sachverständigen durchgefallen. Studierende, Stipendiaten, Hochschulen und die Wirtschaft lehnen es ab.
Deshalb lautet die Lehre: den nationalen Stipendienmurks zurückziehen statt durchziehen. Das sollten Sie jetzt tun, meine Damen und Herren.
Drei Kritikpunkte will ich hervorheben. Erstens. Ihr Stipendienprogramm bringt den Studierenden keinen Gewinn, sondern ist unsicher, ungerecht und unattraktiv. Die Stifter müssen sich nur für zwei Semester verpflichten, ein Stipendium zu finanzieren. Was will man eigentlich mit solchen Kurzzeitstipendien anfangen? Das hat nichts zu tun mit Verlässlichkeit, mit sicherer Finanzierung und mit klaren Rechtsansprüchen wie beim BAföG. Es ist übrigens auch völlig verrückt, dass man bei einem Studienortwechsel dieses Stipendium verliert. Das ist schlicht mobilitätsfeindlich und zeigt, dass Sie aus der Bologna-Debatte nichts gelernt haben.
Die schwarz-gelben Stipendien kommen vor allem chancenreichen Akademikerkindern zugute
- das zeigen alle Studien -, anstatt gezielt in die Bildungspotenziale von Nichtakademikerkindern zu investieren und diese Begabungsreserven zu heben. Fakt ist doch, dass Habitus, Herkunft und Geldbeutel der Eltern bei der Stipendienvergabe mit entscheiden. Damit verhindert Ihr Programm die soziale Öffnung der Hochschulen und überwindet eben nicht die soziale Schieflage beim Campuszugang. Deshalb geht es in die falsche Richtung.
Zweiter Punkt. Die Hochschulen werden überlastet. Die komplette Organisation des Programms wird ihnen übergestülpt. Den Aufwand von Akquise bis Auswahl müssen Universitäten und Fachhochschulen komplett alleine schultern. Die Verwaltungs- und Bürokratiekosten werden 25 bis 30 Prozent der Mittel auffressen; das haben wir in der Anhörung erfahren. Deshalb kann man nur sagen: Ihr Ziel, 8 Prozent der Studierenden zu Stipendiaten machen zu wollen, werden Sie nicht erreichen. Das ist illusionär, das ist überdimensioniert, das ist reines Wunschdenken von Schwarz-Gelb.
Selbst die Befürworter, die ja wirklich sehr spärlich gesät sind, sagen: Maximal 1 bis 2 Prozent sind machbar und realistisch. Insofern können Sie das 8-Prozent-Ziel wirklich streichen.
Im Übrigen frage ich mich auch: Welches Verständnis von Hochschulautonomie haben Sie eigentlich, wenn die Bundesregierung hehre Ziele vorgibt, die vor Ort praktisch unerreichbar sind? Das ist nicht unser Verständnis von Hochschulautonomie.
Dritter Punkt. Studienort und Studienfach entscheiden künftig maßgeblich über die Chance auf ein Stipendium. Bei Eliteunis wird es sicherlich leichtfallen, solche Stipendien zu akquirieren, in wirtschaftlich schwachen Regionen und an kleinen Fachhochschulen und Universitäten wird es sich als schwierig bis aussichtslos erweisen.
Insofern vertiefen Sie damit regionale Unterschiede, und auch deshalb ist das der falsche Weg.
Hinzu kommt, dass geistes- und sozialwissenschaftliche Studiengänge hierdurch strukturell benachteiligt werden.
Übrigens: Diese Fehlentwicklungen, die ich Ihnen genannt habe, lassen sich bereits in Nordrhein-Westfalen beobachten, obwohl nur 0,4 Prozent der Studierenden dort ein Pinkwart-Stipendium erhalten. Was in Nordrhein-Westfalen schon nicht funktioniert, das sollte nicht bundesweit eingeführt werden. Beim Stipendienprogramm muss also gelten: Zurückziehen statt Durchziehen!
Durch Ihr Stipendienprogramm werden wertvolle Steuermittel gebunden, die Bund und Länder für einen ambitionierten Ausbau des BAföGs fehlen. Schon durch die letzte Novelle ist der Kreis der Geförderten leider kaum ausgeweitet worden, und auch das Mittelschichtsloch wurde nicht geschlossen. Ähnliches wird Ihnen bei der 23. BAföG-Novelle jetzt auch passieren. Sie weist zwar ein paar gute Ansätze auf - wir finden die höhere Altersgrenze gut, und wir finden es gut, dass es überhaupt zu einer Erhöhung kommt -, insgesamt kann man aber nur sagen: halbherzig, mager, mutlos. - Hier hätte mehr passieren müssen.
Wir als Grüne haben deshalb zahlreiche Änderungsanträge gestellt, die Schwarz-Gelb natürlich abgelehnt hat, obwohl sie gut sind.
- Natürlich sind unsere Änderungsanträge gut; Sie sind eine grottenschlechte Koalition. Darin sind die Bürgerinnen und Bürger mit uns ja einig.
Wir wollen eine kraftvolle Erhöhung der Freibeträge und Fördersätze um 5 Prozent. Damit würden deutlich mehr Studienberechtigte für ein Studium gewonnen, und der Gefördertenkreis würde vergrößert. Wir wollen auch, dass die Verschuldungsgrenze abgesenkt wird, weil durch die Verschuldungsrisiken beim BAföG viel zu viele Studierende aus bildungsfernen und finanzschwachen Familien vom Studium abschreckt werden. Die Verschuldungsgrenze muss also gesenkt werden. Das, was Sie jetzt als bundeseinheitliche Mietkostenpauschale vorsehen, haben wir kritisiert, da die Wohnkosten für Studierende regional sehr unterschiedlich sind. Daher wollen wir die im Wohngeldgesetz festgelegten Mietstufen gerne übernehmen. Das wäre deutlich gerechter und auch bürokratieärmer als zurzeit.
Wir wollen darüber hinaus, dass das BAföG endlich familienfreundlicher gestaltet wird. Jedes Kind studierender Eltern muss uns als Gesetzgeber gleich viel wert sein, damit Studium und Familie besser miteinander vereinbart werden können. Im Übrigen kann ich es nach wie vor nicht nachvollziehen, dass Sie es auch mit dieser BAföG-Novelle nicht schaffen, eine völlige Gleichberechtigung von Ehepartnern und eingetragenen Lebenspartnern zu erreichen. Auch das müsste im Jahre 2010 ein Akt der Selbstverständlichkeit sein, weil jede Ungleichbehandlung Diskriminierung ist.
Wir wollen das BAföG Bologna-tauglicher machen und es für ein Studium im gesamten Bologna-Raum gestalten. Auch eine ununterbrochene Förderung bei einem unmittelbaren Übergang vom Bachelor- zum Masterstudiengang ist längst überfällig. Dafür, dass Sie als Koalition noch nicht einmal den Mut hatten, die Empfehlung des Bundesrates in dem Gesetzentwurf zu berücksichtigen, haben wir wirklich überhaupt kein Verständnis. Mit einem kleinen Spiegelstrich hätte man hier richtig viel bewirken können. Auch hier haben Sie versagt.
Wenn man sich ein so verbessertes BAföG anguckt, dann sieht man, dass das nur der Auftakt für eine mutige Reform der Studienfinanzierung hin zu einem grünen Zweisäulenmodell sein kann. Wir sagen: Wir wollen eine erste Säule aus einem einheitlichen Sockelbetrag, der allen Studierenden elternunabhängig zugute kommt, und wir wollen eine zweite Säule, mit der eine starke soziale Komponente für Studierende aus einkommensarmen Elternhäusern garantiert wird.
Mit diesem grünen Zweisäulenmodell erreichen wir zielgenau alle Studierenden mit Finanzierungssorgen und bringen eine überfällige soziale Öffnung der Hochschulen in Gang. Deshalb ist das das bessere Modell.
- Nein, das ist kein Ladenhüter, sondern das ist machbar, gerechter und gut. Wenn Sie sich noch einmal an die Anhörung erinnern, dann wissen Sie: Das bringt tatsächlich deutlich mehr.
Nach dem gescheiterten Bildungsgipfel III ist festzustellen, dass nach einem Dreivierteljahr Schwarz-Gelb offensichtlich nicht einmal mehr Selbstverständlichkeiten wie eine gemeinsam getragene Studienfinanzierung bei den Ländern mehrheitsfähig ist.
Das ist eine Katastrophe.
Die eigenen Ministerpräsidenten lassen Schavan und Merkel im Bundesrat im Regen stehen. Daher kann ich Sie nur auffordern, Frau Schavan: Motten Sie Ihren nationalen Stipendienmurks ein, um wenigstens eine echte BAföG-Erhöhung auf den Weg und durch den Bundesrat zu bringen! Damit käme auch deutlich mehr Bewegung in die festgefahrenen Bund-Länder-Streitigkeiten zur Bildungsfinanzierung.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege.
Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Dann wäre der Anspruch der politischen Kunst, den Sie, Frau Schavan, in der letzten Debatte für sich reklamiert haben, tatsächlich erfüllt. Den Nachweis, dass es sich bei Ihrem Studienfinanzierungspaket um politische Kunst handelt, haben Sie bisher definitiv nicht erbracht.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Stefan Kaufmann, CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir beraten und beschließen heute mit der 23. Änderung des BAföG einen beachtlichen Wurf. Mit den vorgesehenen Verbesserungen sendet dieses Haus ein deutliches Signal an die Studierenden in unserem Land. Uns ist es ernst mit dem Thema Aufstieg durch Bildung als Kernbotschaft dieser christlich-liberalen Koalition und der Bildungspolitik der Union.
Warum ist das Gesetz ein beachtlicher Wurf? Bereits zwei Jahre nach der letzten Erhöhung in 2008 passen wir das BAföG erneut den geänderten Rahmenbedingungen an. Wir machen das BAföG fit für die Herausforderungen des Bologna-Prozesses. Die Bedarfssätze und Freibeträge werden entgegen der Behauptung der Grünen in ihrem Antrag zum Stipendienprogramm mit 2 bzw. 3 Prozent deutlich stärker steigen als die Verbraucherpreise seit der letzten Anpassung.
Weitere Verbesserungen zum BAföG hat Frau Ministerin Schavan bereits ausgeführt. Aber es könnte immer und überall noch ein wenig mehr sein, wie die Kolleginnen und Kollegen von der Opposition unisono fordern, vom Vollzuschuss bis zur Senkung des Kostendeckels.
- Klar ist, Herr Schulz: Das BAföG ist und bleibt das wesentliche breitenwirksame Instrument der individuellen Bildungsfinanzierung.
Es ist und bleibt aber auch eine Sozialleistung. Wir haben die Pflicht, die Ausgewogenheit sozialer Leistungen sicherzustellen. Dies sind wir dem Steuerzahler schuldig, der die Kosten von knapp 2,5 Milliarden Euro jährlich für das BAföG trägt.
Lassen Sie mich daher an dieser Stelle mit einigen falschen Grundannahmen der Oppositionsparteien aufräumen. In ihrem Antrag zum Nationalen Stipendienprogramm schreiben die Grünen:
Finanzielle Gründe führen immer häufiger zu Studienverzicht und Studienabbruch.
Mit Verlaub, das ist ein Ammenmärchen.
Gerne wird in diesem Zusammenhang auf die oft, aber leider genauso oft falsch zitierte HIS-Studie ?Studienberechtigte 2008? verwiesen. Diese besagt angeblich, dass 73 Prozent der Studienberechtigten, die ihre Studienoption nicht einlösen, dies aus Angst vor Schulden aufgrund eines Studienkredits oder des BAföG-Rückzahlungsanteils tun. Doch hat der Anteil eines Jahrgangs, der nicht studiert, schon nach der HIS-Studie viele - genauer: 13 - andere Gründe angegeben, die ihn von einem Studium abhalten. So finden circa 75 Prozent der Befragten eine berufliche Ausbildung attraktiver. Anderen ist das Studium nach bisherigem Schema schlicht zu lang.
- Schauen wir uns also besser an, Herr Schulz, wie sich die Realität jenseits dieser 73-Prozent-Marke, welche die Opposition gerne wie eine Monstranz vor sich herträgt, darstellt. Demnach haben in 2008 so viele junge Menschen ein Studium begonnen wie noch nie: 330 000.
Das sind knapp 8 Prozent mehr als im Jahr 2006. Diesen 330 000 jungen Menschen ist klar, dass sich Investition in Bildung lohnt.
Noch ein bemerkenswerter Befund: Dort, wo Studiengebühren erhoben werden, sind die Studienanfängerzahlen zuletzt sogar überproportional gestiegen. Ich nenne nur die Länder Bayern und Baden-Württemberg.
Das angebliche Verschuldensrisiko taugt also nicht wirklich zur Abschreckung und damit auch nur sehr eingeschränkt als Argument in einem ehrlichen politischen Diskurs. Das sollten Sie bitte zur Kenntnis nehmen.
Damit komme ich zu einer weiteren Grundprämisse, die das Handeln und Argumentieren der Opposition bestimmt: Das System sei hochselektiv, und es studierten deutlich mehr Akademikerkinder als Arbeiterkinder. Letzteres ist zwar richtig, aber das hat nichts mit der Studienfinanzierung zu tun, sondern schlicht damit, dass die Zahl der Akademikerkinder mit Hochschulzugangsberechtigung fast doppelt so hoch ist wie die Zahl der Arbeiterkinder mit Abitur.
Lassen Sie uns also diese Fragen dort diskutieren, wo sie hingehören: zum Thema Schulkarrieren und Bildungsbeteiligung. Das ist im Übrigen eine originäre Aufgabe der Länder.
Ich komme zurück zum BAföG und zu den konkreten Änderungsanträgen der Opposition. Um den Kreis der Berechtigten zu verbreitern, fordern Sie eine drastische Erhöhung der Freibeträge um 5 Prozent bzw. 10 Prozent. Das mag populär sein. Dabei unterschlagen Sie jedoch, dass die Förderberechtigung mit der vorliegenden BAföG-Novelle bis zu einem Bruttofamilieneinkommen von 7 180 Euro bei zwei Kindern reichen wird. Ich meine, man wird angesichts dieser Zahlen nicht mehr von sozialer Selektivität sprechen können.
Meine Damen und Herren, wer stehen bleibt, wird überholt. Dies gilt auch im Bereich der Studienfinanzierung. Wir bleiben jedenfalls nicht stehen und werden daher auch in Zukunft weitere Verbesserungen am BAföG vornehmen. Ich nenne nur die Möglichkeit, den Förderantrag bundesweit online zu stellen, und neue Wege bei der Internationalisierung der Förderung.
Als neuer Weg der Studienfinanzierung ist auch unser Entwurf für ein neues Nationales Stipendienprogramm zu sehen. Es ist der Einstieg in eine dritte Säule der Bildungsfinanzierung. Es ist der Einstieg in die Mobilisierung neuer Begabungsreserven und die Erschließung bisher unterrepräsentierter Studierendengruppen. Kurzum: Es ist der Einstieg in ein international konkurrenzfähiges System privater Bildungsfinanzierung.
Meine Damen und Herren, dies schlechtzureden, ist kleinmütig. Wir sollten keine Chance auslassen, zusätzliche Mittel für Bildung zu akquirieren. Nur so wird es uns am Ende gelingen, unseren Bildungsnachwuchs in der Breite wie in der Spitze zu sichern.
Dieser duale Ansatz verdient unser aller Zustimmung.
Besten Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Kollegin Marianne Schieder erhält nun das Wort.
Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dinge, die die Welt nicht braucht. So könnte man die Liste der Vorhaben überschreiben, die bislang von der schwarz-gelben Regierungskoalition auf den Weg gebracht wurden.
Eines davon, ein absolut unbrauchbares, ist das nationale Stipendienprogramm. In der dazu anberaumten Anhörung unseres Ausschusses bestätigten die Experten nahezu einhellig und vollumfänglich unsere Kritik an diesem völlig unausgegorenen Gesetzentwurf.
- Nein, Sie müssen bei einer anderen Veranstaltung gewesen sein. Das habe ich Ihnen gestern schon gesagt.
Die angestrebte Förderquote von 8 Prozent der Studierenden wurde als völlig überzogen und unerreichbar eingeschätzt. Mehr als fraglich ist nämlich, ob die angestrebte Summe privater Gelder - immerhin 300 Millionen Euro jährlich - je erreicht werden kann. Die Mittel, die die Hochschulen einwerben können, stagnieren nämlich schon seit Jahren bei circa 400 Millionen Euro. Für dieses Stipendienprogramm bräuchte man also noch einmal Dreiviertel dieser Summe.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin Schieder, gestatten Sie Zwischenfragen?
Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD):
Ja, bitte.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Bitte sehr.
Dr. Peter Röhlinger (FDP):
Wir hatten schon gestern - -
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Einen Augenblick noch, da offenkundig Spekulationen entstehen.
Es ist eine ständige Praxis, dass nach Ablauf der zugemessenen Redezeit natürlich keine zusätzlichen Zwischenfragen mehr zugelassen werden, weil wir auf diese Weise den vereinbarten Zeitplan außer Kraft setzen würden. Wenn dies innerhalb der Redezeit erfolgt, haben wir eine andere Lage.
Bitte schön.
Dr. Peter Röhlinger (FDP):
Vielen Dank, Herr Präsident.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nein. Es geht nach der Feststellung der Meldungen bei mir. Sie müssen sich darauf verlassen können, dass ich das nach sorgfältiger Beurteilung der tatsächlichen Sachverhalte vornehme.
Dr. Peter Röhlinger (FDP):
Frau Schieder, meine Frage richtet sich nicht nur an Sie, sondern auch an die Vorredner der Opposition. Kann es sein, dass wir eine unterschiedliche Wahrnehmung von der gleichen Veranstaltung haben?
Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD):
Ich weiß nicht, was Sie wahrnehmen. Ich habe jedenfalls wahrgenommen, dass - -
Dr. Peter Röhlinger (FDP):
Ich möchte meine Frage noch begründen.
Die Tatsache, dass man mit unterschiedlicher Wahrnehmung aus einer Veranstaltung herausgeht, hat Antoine de Saint-Exupéry sehr schön in seinem Werk ?Der kleine Prinz? beschrieben. Dieser hat gesagt: Du siehst nur, was du kennst.
Vor diesem Hintergrund geht man natürlich auch mit einer gewissen Erwartungshaltung in eine Ausschusssitzung.
In der Ausschusssitzung habe ich in der letzten Runde an drei der anwesenden Experten die Frage gestellt: Wenn Sie von der Richtung her einverstanden sind, welche Hinweise könnten Sie denn geben, um dieses nationale Stipendienprogramm auf den Weg zu bringen?
Das Ergebnis will ich hier nicht vortragen. Eines ist mir in Erinnerung - -
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nein, nein! Sie können jetzt ohnehin keine Ansprache halten, sondern nur, wenn überhaupt, eine kurze, gezielte Zwischenfrage stellen.
Dr. Peter Röhlinger (FDP):
Dann komme ich auf die erste Frage zurück: Kann es sein, dass wir eine unterschiedliche Wahrnehmung haben?
Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD):
Wenn sich Ihre Wahrnehmung so darstellt wie die Art, Fragen zu stellen,
um nach einem minutenlangen Vortrag wieder zum Anfang zurückzukommen, dann ja.
Sie waren dabei. Ich war dabei. Eine ganze Menge der hier anwesenden Kolleginnen und Kollegen war dabei. Alle haben festgestellt, dass es ganz genau zwei Vertreter gab, nämlich den Vertreter der BDA und den Vertreter des Stifterverbandes, die dem Ganzen etwas Positives abgewinnen konnten. Alle anderen haben die Kritik vorgetragen, die zu schildern ich begonnen habe.
Selbst bei der Frage ?Werden wir 8 Prozent erreichen?? haben BDA und Stifterverband nichts anderes gesagt, als dass die Förderquote viel zu hoch angesetzt ist. So war das.
Die Hochschulen und Universitäten sehen in dem für die Umsetzung des Gesetzes notwendigen Verwaltungsaufwand eine ganz enorme Belastung. Laut Anhörung sollen dafür immerhin schon 30 Prozent der Mittel aufgefressen werden. Zum Einwerben, Verwalten und Verteilen der Stipendien kommt noch die Betreuung der Stipendiaten; Lehre und Forschung natürlich sowieso. Die im Gesetzentwurf dafür veranschlagten 30 Millionen Euro jährlich werden niemals reichen - das sagt alle Welt -, und es ist kein Wunder, dass die Länder sich auf diese Milchmädchenrechnung nicht einlassen wollten und deutlich ihre Kritik zum Ausdruck gebracht haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, selbst der RCDS - er steht Ihnen doch näher als mir - kritisiert diesen enormen Verwaltungsaufwand. Er stellt fest: Das ambitionierte Programm ist damit ernsthaft infrage gestellt.
In der Begründung des Gesetzentwurfs schreibt die Bundesregierung, mit dem Vorhaben wolle man für gleichwertige Lebensverhältnisse überall im Land sorgen. Ich bezweifle entschieden, dass das gelingt. Wie der überwiegende Teil der Experten glaube auch ich, dass die Hochschulen in den strukturschwachen Regionen wesentlich größere Probleme haben werden als die Hochschulen und Universitäten in wirtschaftlich starken Regionen, die Gelder überhaupt aufzutreiben, die nötigen Finanzmittel einzuwerben.
So entstehen unnötige und absolut kontraproduktive Wettbewerbsverzerrungen. Universitäten und Hochschulen in ländlichen und strukturell benachteiligten Gebieten unseres Landes werden die großen Verlierer sein. Das wird ein Stipendienprogramm für Hamburg, Stuttgart und München, aber nicht für Nordostbayern oder Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen, Brandenburg und Thüringen.
Ihre Erfahrungen aus NRW zeigen doch, dass Studiengänge, die keinen unmittelbaren Nutzen für die Wirtschaft bringen, über dieses Programm kaum gefördert werden. Es gibt eine ganz eindeutige Bevorzugung der Naturwissenschaften, der Ingenieurwissenschaften und der Medizin
und wenig Interesse beispielsweise an den Geistes- und Sozialwissenschaften. Auch das stellt der RCDS fest und nicht nur ich.
Die Vorstellung, dass dieses Stipendienprogramm junge Menschen, die bislang aus finanziellen Erwägungen sich nicht getraut haben, ein Studium aufzunehmen, dazu bringen könnte, zu studieren, wurde von allen Experten klar als unrealistisch eingeschätzt, allen voran von Frau Professor Dr. Wintermantel, die es eigentlich wissen muss.
Die Aussicht auf ein Stipendium - das wissen doch auch Sie - bietet nämlich viel zu wenig Verlässlichkeit, um finanzielle Sorgen wirklich zerstreuen zu können. Es werden also die sozialen Disparitäten noch verstärkt und nicht, wie Sie behaupten, auch nur irgendwie abgemildert.
- Das glaube nicht nur ich; das haben die Experten gesagt, die bei der Anhörung anwesend waren, und es ist so.
Sie wissen ganz genau, liebe Kolleginnen und Kollegen, die von Ihnen für das Stipendienprogramm vorgesehenen Gelder wären beim BAföG wesentlich besser und sinnvoller angelegt. Es ist mir unerklärlich, warum Sie aus der Anhörung nichts gelernt haben. Man muss sich das einmal vorstellen: Es wurde ein einziger Satz übernommen. Es war der Wunsch der BDA, mitreden zu dürfen. Wenn man schon Geld gibt, dann will man auch wissen, an wen es verteilt wird. - Das war die ganze Ausbeute. Das war das, was Sie aus der Anhörung gelernt haben.
Sie präsentieren uns hier einen Gesetzentwurf, der nicht mehr ist als Stückwerk und dessen Scheitern so sicher ist wie das Amen in der Kirche.
Die Zahl der Befürworter - das wissen Sie genauso gut wie ich - packt nicht einmal die 5-Prozent-Hürde. So erbärmlich sieht es damit aus.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der schwarz-gelben Koalition, ich lade Sie ein: Beenden Sie Ihren Blindflug in der Bildungspolitik! Diskutieren Sie mit uns tragfähige Konzepte, die für mehr Chancengerechtigkeit sorgen und nicht von Lobbyisten diktiert werden! Ziehen Sie Ihren Gesetzentwurf zurück, und folgen Sie der Aufforderung, die wir in unserem Entschließungsantrag klar formuliert haben! Stärken Sie mit uns das BAföG,
damit sich tatsächlich mehr junge Menschen trauen, ein Studium aufzunehmen, und damit unser Land wieder sozial gerechter wird!
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Patrick Meinhardt ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion.
Patrick Meinhardt (FDP):
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich darauf, dass Tausende von jungen Menschen künftig zusätzlich ein Stipendium bekommen.
- Schön, das gebe ich gerne zurück. - Die Beschlüsse des heutigen Tages zur BAföG-Modernisierung und zur Schaffung eines Nationalen Stipendienprogramms mit einer starken Förderung in der Breite und einer starken Spitzenförderung bedeuten einen Fortschritt für die Bundesrepublik Deutschland. In diesem Land schlummern so viele unentdeckte Talente, dass es eine der zentralen Aufgaben der Bildungspolitik sein muss, diese zu heben,
und zwar vom ersten Tag an. Wir brauchen in Deutschland, nachdem wir viel Zeit verschlafen haben, eine Trendwende in der Begabtenförderung. Diese leitet die Bundesregierung heute ein.
Es gibt junge Menschen in diesem Land, die innovativ, tüchtig, fleißig und talentiert sind und einen ganz besonderen Weg zurückgelegt haben, bis sie ihr Studium aufgenommen haben. Sie sind engagiert. Sie übernehmen Verantwortung in Vereinen, Verbänden und Kirchen, also ehrenamtliche Führungspositionen schon in jungen Jahren. All diesen jungen Menschen wollen wir die Möglichkeit geben, ein Stipendium zu erhalten und somit eine zusätzliche Bildungsfinanzierung zu bekommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es eine bildungspolitische Initiative gibt, die ein Zeichen für mehr Bildungsgerechtigkeit setzt, dann ist das das vorliegende Stipendienprogramm.
Vergessen wir bitte nicht die Zielrichtung, die wir mit diesem Stipendienprogramm verfolgen. Wir brauchen es, weil wir die Denke in Deutschland ändern wollen. Begabtenförderung muss raus aus dem Elfenbeinturm und ganz selbstverständlich vom ersten Tag an mitten in das Zentrum der bildungspolitischen Fragestellungen und Herausforderungen. Das ist das bildungspolitische Thema, mit dem wir uns hier auseinandersetzen müssen.
Die Zahl der Studierenden, die ein Stipendium bekommen, liegt in Deutschland bei unterirdischen 2 Prozent. Viel zu wenige junge Menschen, die aus sozialen, kulturellen und finanziellen Risikogruppen, wie es im Bildungsbericht heißt, kommen, nehmen ein Studium auf. Die Stipendienkultur in diesem Land ist absolut unterentwickelt. Davor kann man doch nicht die Augen verschließen! Vor allem diejenigen dürfen die Augen nicht davor verschließen, in deren Regierungszeit sich das Ganze so entwickelt hat. Hier muss jetzt endlich gehandelt werden.
Mit seinen Begabtenförderungswerken hat Deutschland bislang einen einzigartigen Weg eingeschlagen, indem Begabung anhand des Dreiklangs aus Leistung, Persönlichkeit und gesellschaftlichem Engagement gemessen wird. Diese Begabten stärken wir mit der Anhebung des Büchergeldes auf 300 Euro. Dies ist eine richtige Entscheidung. Hier wurde ja immer wieder auf die Petition hingewiesen, dass das Büchergeld bei 80 Euro bleiben soll. Diese erhielt in drei Wochen 2 500 Unterschriften, während die Gegenpetition, die das höhere Büchergeld von 300 Euro befürwortet, in nicht einmal zwei Tagen die 2 000er-Marke überschritten hat. Wir sollten in dieser Diskussion nicht einseitige Darstellungen in den Vordergrund rücken. Wenn es so weit ist und es zum Schwur kommt, wird man sehen, ob die Studierenden sich weiterhin mit 80 Euro zufrieden geben werden, sodass das dadurch übrig gebliebene Geld dazu genutzt werden kann, weiteren Studierenden ein Stipendium zukommen zu lassen. Wenn die jungen Menschen so handelten, würden sie meinen Respekt verdienen und ein gutes Zeichen in der bildungspolitischen Debatte setzen.
Frau Gohlke, Sie haben gerade eine Presseerklärung des Bundesverbandes Liberaler Hochschulgruppen zitiert. Es ist natürlich nicht schön, wenn man nur einen bestimmten Teil aus einer Presseerklärung zitiert.
Ich darf den zweiten Teil dieser Presseerklärung ergänzen:
Es ist absolut richtig, in Zeiten des Bolognaprozesses im Sinne der Hochschulautonomie ein klares Zeichen zu Gunsten von regionalen Strukturen zu setzen. Nur so ist ein funktionierendes, vielfältiges und tragendes Stipendiensystem möglich und nur so können Hochschulen in einen belebenden Wettbewerb um die besten Studenten treten!
Auch das hätten Sie noch dazusagen sollen.
Wir brauchen die zusätzlichen Anreize. Wir brauchen Rahmenbedingungen, dass Netzwerke mit der Wirtschaft geschaffen werden.
Daran ist überhaupt nichts Schlechtes. Professor Radtke von der Universität Duisburg-Essen hat in der Anhörung klar gesagt, es mache ihm Freude, hinauszugehen und für seine Studierenden Geld einzuwerben. Dann lassen wir das doch auch zu und hören auf mit der Debatte über eine angebliche soziale Ungerechtigkeit. Wer einen BAföG-Höchstsatz von 670 Euro hat, also aus einer finanzschwachen Familie kommt, der bekommt die 300 Euro obendrauf. Er erhält also eine doppelte Förderung. Das ist sozial gerecht und nichts anderes.
Es ist richtig, wenn wir endlich ein Stipendienprogramm haben, bei dem die Fachhochschulen stärker in den Fokus kommen. Nach den aktuellen Zahlen werden bisher nur 9 Prozent der Studierenden an Fachhochschulen gefördert. Wir brauchen eine stärkere Förderung auch für Studenten an Fachhochschulen auf der Basis einer Stipendienkultur.
Alles in allem wünsche ich mir, dass wir heute in einem breiten Konsens das Nationale Stipendienprogramm und die BAföG-Modernisierung auf den Weg bringen. Das Nationale Stipendienprogramm bietet die Chance, einen neuen akademischen Generationenvertrag in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen. Damit besteht die Chance, mehr Gerechtigkeit in der Bildungsfinanzierung sicherzustellen.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Kollegin Yvonne Ploetz für die Fraktion Die Linke.
Yvonne Ploetz (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Schavan, eine Bildungsrepublik sieht anders aus!
Als Studentin und ehemalige BAföG-Empfängerin kann ich dies aus eigener Erfahrung sagen. Wenn man teilweise bis zu zwei Jobs parallel zum Studium annehmen muss, um Essen, Miete, Bücher, Semesterbeitrag usw. bezahlen zu können, geht das nicht selten zulasten der Konzentrationsfähigkeit in Vorlesungen und Seminaren.
Die Studienbedingungen haben sich seit Ablauf meiner Förderung verschlechtert. In fünf Bundesländern werden Studiengebühren fällig. Ich hätte also 80 Euro im Monat mehr verdienen müssen. Da stellt sich nur die Frage, wie das heute in einem starren System von Bachelor und Master möglich sein soll.
Gerade einmal 17 Prozent aller Studierenden erhalten BAföG. Die durchschnittliche Förderhöhe liegt bei 398 Euro. Mehr als das Doppelte wird benötigt. Das zeigt nicht zuletzt die jüngste Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks. Vor diesem gesamten Hintergrund ist die von Ihnen angestrebte Minierhöhung um 2 Prozent nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein.
Ganz kurz zur HIS-Studie. Über die Fakten kann man nicht einfach hinweggehen, nur weil es mehrere Items in dieser Befragung gab. 77 Prozent der Studienberechtigten ohne Studienabsicht gaben das Fehlen finanzieller Voraussetzungen als Grund für ihren Studienverzicht an. 73 Prozent wollen sich nicht verschulden. Solche Zahlen lassen doch hellhörig werden, nicht zuletzt angesichts des aufziehenden Akademikermangels. Für die Bundesregierung gilt das offensichtlich nicht!
Frau Schavan, Sie müssen gerade jetzt, in der Zeit eines sozial unausgewogenen Sparpakets, das Vertrauen der Schüler und Schülerinnen und der Studierenden in die Ausbildungsförderung stärken und positive Signale senden. Zeigen Sie, dass Sie soziale Hürden zum Bildungszugang ernsthaft beseitigen wollen!
Des Weiteren müssen Sie bei der Finanzierung einen Kompromiss mit den Bundesländern finden. Sie gehen derzeit bewusst das Risiko ein, dass die Länder Ihnen die Zustimmung zum Gesetz verweigern, nur weil Sie deren Finanznöte einfach nicht ernst nehmen wollen. Dabei senkt diese Regierung die Einnahmen der Länder und fordert mehr Ausgaben für Bildung, und gleichzeitig sollen die Länder - siehe Schuldenbremse - auch noch ausgewogene Haushalte abliefern.
Insgesamt weist Ihr Gesetzentwurf in die richtige Richtung. Sie haben anscheinend den Handlungsbedarf erkannt. Leider bleiben Sie aber hinter dem Notwendigen zurück:
Erstens. Es ist ein Holzweg, auf dem sich die schwarz-gelbe Regierung befindet, mit Elitestipendien für wenige die eigene Klientel zu beglücken, anstatt Bildungsaufstieg für viele zu organisieren.
Ziehen Sie Ihr Gesetz zur Schaffung eines nationalen Stipendiensystems zurück! Nutzen Sie die frei werdenden Haushaltsmittel, um die Bedarfssätze und Freibeträge um 10 Prozent anzuheben, und passen Sie das BAföG jährlich an die Preisentwicklung an!
Zweitens. Mittelfristig soll eine elternunabhängige Förderung dafür sorgen, dass wirklich niemand in seinem Bildungsweg von Dritten abhängig ist.
Drittens. Erarbeiten Sie einen Vorschlag, wie die Ausbildungsförderung wieder auf ein Vollzuschusssystem umgestellt werden kann, wie es 1971 ursprünglich konzipiert war. Nur so ist dafür gesorgt, dass junge Menschen nicht mit einem Schuldenberg ins Berufsleben starten müssen. Nur so ist dafür gesorgt, dass ihre gesellschaftlich notwendige und wertvolle Leistung entsprechend gewürdigt wird.
Viertens. Verzichten Sie auf Höchstaltersgrenzen, damit das BAföG bolognatauglich und dem festgeschriebenen Ziel des lebenslangen Lernens Rechnung getragen wird.
Fünftens. Gewährleisten Sie, dass das Studium wieder in allen Bundesländern gebührenfrei wird; denn Studiengebühren sind und bleiben Bildungskiller.
Nehmen Sie die Forderung der Linken für ein schlagkräftiges BAföG auf. So bieten Sie Anreize zur Studienaufnahme und verbessern die Lebensbedingungen der Empfängerinnen und Empfänger entscheidend.
Ich danke Ihnen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Liebe Frau Ploetz, zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag gratuliere ich Ihnen herzlich im Namen des ganzen Hauses,
verbunden mit allen guten Wünschen für die weitere parlamentarische Arbeit.
Das Wort hat nun die Kollegin Monika Grütters für die CDU/CSU-Fraktion.
Monika Grütters (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir können mit Genugtuung feststellen, dass das Thema Bildung nicht nur das Parlament, sondern auch die Republik bewegt. Wenn es dabei auch um Geldfragen geht, wird es noch spannender. Wir kommen in dieser Woche - das sage ich auch für unsere Gäste auf der Tribüne - auf drei große Bildungsdebatten an zwei Plenartagen. Ich finde das ziemlich beachtlich und auch gut; denn es geht uns vor allen Dingen um die Verbesserung der Situation der Studierenden. Das sollte man erst einmal beklatschen.
Ich finde es verwunderlich, dass die Opposition, die selbst nichts tut, geradezu reflexartig reagiert und sagt: Was ihr tut, ist zu wenig. - Ein weiterer Punkt ist: Wenn wir den Hochschulen mit Ideen wie BAföG-Erhöhung, Nationales Stipendienprogramm und Förderung der Lehre in einer dritten Säule kommen, weichen diese erst einmal zurück und sagen: Hilfe, damit haben wir am Ende noch mehr Arbeit. Jetzt sollen wir leistungsstarke Studierende identifizieren und mehr Geld einwerben. Das alles können wir nicht leisten.
Ich gebe zu, dass an dem Nationalen Stipendienprogramm einige Punkte verbesserungsbedürftig sind, zum Beispiel der Punkt Mobilitätshemmnisse.
Das habe ich nie bestritten. In dieser Hinsicht muss man nacharbeiten.
Aber all die kleinliche Kritik reicht doch wohl nicht aus, um das Geld für die Studierenden gleich wieder abzuschaffen.
Hier in Deutschland ist die Stipendienkultur, weil das Studium für den Einzelnen wesentlich günstiger ist als sonst wo auf der Welt, noch verdammt unterentwickelt. Gerade einmal 1 Prozent der Studierenden bekommt Geld von den Begabtenförderungswerken, die vom BMBF finanziert werden.
Ein weiteres Prozent bekommt Stipendien aus privater Hand. Wir zumindest wollen - ich weiß nicht, wie Sie darüber denken; nach Ihrem heutigen Verhalten zu urteilen, muss ich in Zweifel ziehen, das auch Sie das wollen - mittelfristig auf 10 Prozent Stipendiaten kommen. Auch dafür ist dieses Programm geeignet. Ministerin Schavan hat in der letzten Legislaturperiode die Zuschüsse des BMBF an die zwölf Begabtenförderungswerke von 80 Millionen Euro auf 132 Millionen Euro erhöht. Wir hatten damals 13 000, jetzt haben wir 21 000 Geförderte. Ebenso wichtig ist, finde ich, dass der Anteil privater Finanzierung für die Hochschulen erhöht wird. Deutschland liegt im OECD-Duchschnitt - da sind es 27 Prozent - mit 15 Prozent weit zurück. Das meiste Geld davon geht in die Forschung. Wir müssen also etwas tun, damit sich die Wirtschaft mehr für die Studierenden und die Unis interessiert.
Auch in dieser Hinsicht wäre ich mit Kritik an Ihrer Stelle, Frau Gohlke, sehr vorsichtig; denn Sie verlieren mit Ihrer Detailkritik den Zusammenhang aus den Augen.
Was die Angst der Hochschulen angeht, sie könnten die Auswahlarbeit nicht leisten, kann ich nur sagen: So viel Betreuungsaufwand kann ein Student verdammt noch mal von seinen Professoren erwarten. Sie müssen als Erste wissen, wer von den Studierenden leistungsstark ist und wer weniger leistungsstark ist. Das wäre ein Weg, um der viel beklagten Anonymität an den Hochschulen entgegenzuwirken.
Dass es für die Unis nicht einfach ist, zusätzliches Geld einzuwerben, und dass das mit Mehraufwand verbunden ist, verstehe ich. Andererseits ist auch die Fundraising-Kultur hier unterentwickelt. Wo, wenn nicht bei solch einem kleinen, überschaubaren, sehr konkreten Programm sollen wir anfangen, solche Defizite aufzuarbeiten?
Es ist noch viel zu tun an den Unis, auch in diesem Punkt, Frau Schieder. Ich finde, das sollten wir alle gemeinsam anpacken.
Last, but not least: Aus meiner Sicht ist die schlimmste Kritik an diesem Programm die von einigen geäußerte Klage, es gehe in erster Linie um Leistungsstipendien. Auch der Mut zur Betonung der Leistung, und zwar unabhängig vom Elterneinkommen, ist in Deutschland verdammt unterentwickelt,
genauso unterentwickelt wie die Stipendienkultur und das professionelle Fundraising. Übrigens, keiner von uns bestreitet den Zusammenhang zwischen Bildung und Herkunft. Natürlich muss man im frühkindlichen Alter ansetzen. Man darf aber nicht 22-Jährige dafür bestrafen, dass sie aus einem bildungsnahen Elternhaus kommen.
Herr Gehring, Sie haben eben von Ungerechtigkeit gesprochen. Ungerecht ist es, wenn sich ein begabter Student dafür entschuldigen muss, dass seine Mutter Apothekerin oder Lehrerin ist.
Eine echte Benachteiligung wäre es, Herr Gehring, wenn dieser Student nur wegen des Berufes seiner Mutter für seine Leistung nicht belohnt würde.
Das können wir uns hier jedenfalls nicht leisten.
Ich finde es entzückend, dass inzwischen auch die Grünen der Hochschulautonomie das Wort reden; daran haben wir lange gearbeitet. Schauen Sie einmal zur Uni Duisburg: Sie hat sich - ganz autonom - dafür entschieden, Leistungsstipendien an leistungsstarke Studierende mit Migrationshintergrund zu vergeben. Genau in diesem Punkt ist genug Spielraum für autonomes Handeln.
Ein allerletztes Wort. Wir haben zwar kein Oxford, kein Princeton, kein Cambridge, keine ENA, kein MIT und kein Harvard. So etwas einzurichten, trauen wir uns nicht. Aber ein klitzekleines, ein bescheidenes Stipendienprogramm für besonders leistungsstarke Studierende, die sich weder in der einen noch in der anderen Hinsicht für ihr Elternhaus entschuldigen müssen,
das müssen wir uns leisten können.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nun hat der Kollege Dr. Ernst Dieter Rossmann das Wort für die SPD-Fraktion.
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte an den ersten Beitrag der heutigen Debatte anknüpfen, also an den der Ministerin. Frau Ministerin, mir ist aufgefallen: Als Sie über das BAföG sprachen, waren Sie sehr konkret, und als es um das Stipendium ging, waren Sie wie so oft ?Schavan-wolkig?.
Wir erkennen positiv an, dass sich auch bei Ihnen offensichtlich die Vorstellung herausgebildet hat, dass das BAföG das Fundament der Studienförderung ist. Tatsächlich wissen wir alle, was sich in der sogenannten bürgerlich-rechtsliberalen Koalition hier abgespielt hat.
Denn auch in dieser Debatte merkt man, dass die FDP die eigentlichen Initiatoren des Nationalen Stipendienprogramms sind. Nur befinden Sie sich, Frau Ministerin Schavan, nun in dem Dilemma, sich als Ministerin auch damit identifizieren zu müssen, demnächst hier 160 000 Stipendien vorzeigen zu können. Außerdem müssen Sie sich als Ministerin daran messen lassen, ob tatsächlich das alles eintritt, was Sie hier immer wieder insinuieren, nämlich dass die Schaffung des Nationalen Stipendienprogramms zu mehr sozialer Gerechtigkeit und mehr sozialer Zugänglichkeit führen werde. Und da wird es schwierig. Man merkt in Übrigen auch, dass Sie sich bei der Argumentation sehr verrenken müssen, um die Balance zu halten. Teilweise müssen Sie sogar einen Perspektivwechsel vornehmen, der dem eigentlichen Problem nicht gerecht wird.
Der Kollege Kaufmann von der CDU hat gesagt, auch wenn das Haushaltseinkommen der Eltern bei circa 7 200 Euro brutto liege, sei man BAföG-berechtigt. Herr Kollege, Sie wissen, dass man dann Anspruch auf 1 Euro BAföG hat. Wenn es aber darum geht, BAföG in Höhe von maximal 670 Euro zu erhalten, dann ist der Richtwert 2 500 Euro brutto. Das ist es, worum es eigentlich geht.
In diese Debatte die Zahl 7 200 Euro einzuführen, ist nicht in Ordnung.
Damit fallen Sie hinter das zurück, was Sie eigentlich begriffen haben sollten: Wir wollen, dass mehr Menschen eine auskömmliche und motivierende Förderung erhalten. Auch über die Erhöhung der Freibeträge sollen die unteren Mittelschichten - deren Angehörige sollten eigentlich auch Ihnen am Herzen liegen; Sie isolieren sie; Sie lassen sie allein - ebenfalls gefördert werden. Frau Ministerin, da hilft es nichts, zu sagen, über das geplante Nationale Stipendienprogramm würden diejenigen zu einem Studium motiviert, die sich davon jetzt noch fernhielten.
Sie werden darüber natürlich nicht motiviert, weil sie vor der Studienentscheidung bzw. am Anfang des Studiums gar nicht wissen, ob sie überhaupt in die Stipendienlotterie hineinkommen oder nicht.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege.
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Das motiviert doch nicht. Aber zu wissen, dass man, wenn das Familieneinkommen 3 000 Euro brutto pro Monat beträgt, den klaren, vorher ablesbaren Rechtsanspruch hat, sozial, finanziell und materiell unterstützt zu werden, bewirkt zusätzliche Studienbereitschaft, Studiensicherheit und Studienperspektive. Die Argumente derart zu verdrehen, ist nicht in Ordnung!
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Rossmann, darf ich den vorsichtigen Versuch unternehmen, Sie leise zu fragen, ob Sie sich vorstellen könnten, eine Zwischenfrage des Kollegen Rupprecht zu beantworten?
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Herr Präsident, manchmal bin ich in Fahrt; aber es ist immer gut, einen Tempowechsel zu machen. Herzlich gern.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Sehr gut.
Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU):
Herr Kollege Rossmann, wir sind der Ansicht, dass das Leitmotiv für die Gewährung von BAföG Bedürftigkeit und nicht die Beschaffung eines allgemeinen Studenteneinkommens ist. In diesem Zusammenhang ist die Aussage des Kollegen Kaufmann, dass einer Familie mit zwei Kindern bis zu einem Einkommen in Höhe von 7 200 Euro BAföG gezahlt wird, richtig.
Ihr Vorschlag ist, die Bemessungsgrundlage substanziell zu erweitern. Das heißt, Ihr Ansatz, wenn ich Sie richtig verstehe, ist, dass auch bei einem Familieneinkommen von über 8 000 Euro BAföG bezogen werden kann. Das heißt, Bedürftigkeit ist Ihrer Meinung nach auch bei einem Einkommen von über 8 000 Euro gegeben. Ich stelle Ihnen die Frage, ob das Ihr Verständnis von Sozialpolitik und Bedürftigkeit ist.
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Unser Verständnis ist, dass diejenigen, die zwischen 3 000 und 3 500 Euro brutto verdienen und sich die Frage stellen, ob sie ihrem Kind ein Studium garantieren können, wissen sollen, dass ein auskömmlicher BAföG-Satz eine stabile, berechenbare Studienförderung garantiert. Es geht uns nicht um das abstrakte Problem, ob auch bei einem Einkommen von 7 000 oder 8 000 Euro ein BAföG-Euro gezahlt wird. Das bewegt die Menschen nicht. Die prekäre Schicht, die untere Mittelschicht bewegt vielmehr, ob sie für ein Studium finanziell in Vorlage gehen können oder nicht. Da haben Sie einen blinden Fleck. Diesen blinden Fleck hätten Sie ausräumen können.
Den sind wir in der letzten Legislaturperiode doch nicht aus Daffke zusammen mit Ihnen angegangen, indem wir die Freibeträge um 10 Prozent erhöht haben. Weshalb verlassen Sie jetzt diesen Pfad der Einsicht? Weshalb machen Sie jetzt eine krumme Lösung über ein Stipendienprogramm
und legen etwas nahe, was so gar nicht eintreten wird?
Hinzu kommen merkwürdige Argumente. Es wird unter anderem das Argument angeführt, dass man endlich soziale Gerechtigkeit darüber schaffen könne, dass Stipendienempfänger, wenn sie BAföG beziehen, das Stipendium obendrauf bekommen können. Damit erreichen Sie doch nicht die Hauptzielgruppe. Sie bedienen damit doch sozusagen die Apothekerfamilien und andere.
Denn Sie hatten immer die Sorge, dass diese nicht ausreichend an der Förderung beteiligt werden. Für sie wollen Sie zusätzlich 300 Millionen Euro mobilisieren, wobei 200 Millionen Euro aus öffentlichen Geldern kommen. Das ist Ihr Interesse. Aber das sollte nicht das Interesse der CDU/CSU sein, wenn es darum geht, die Studienberechtigung und die Studienfähigkeit zu erhöhen und dies sozial gerecht auszugestalten. Dieser sozialen Spannung, diesem Junktim, dieser Verquickung einer guten BAföG-Reform
und eines schlechten Stipendienprogramms, sind Sie in Ihrer Koalition ausgeliefert, und die Ministerin muss dies gegen bessere Einsicht leider mitexekutieren, weil das Ihre FDP-Bedingung im Bildungsbereich im Rahmen des Koalitionsvertrages war.
Ich komme zu einem nächsten Punkt. Dabei geht es um die Frage, ob die Sozialdemokratie grundsätzlich gegen Stipendien ist. Nein! Deshalb haben wir, Frau Ministerin, in der letzten Legislaturperiode auf Ihre Initiative hin zusammen die Mittel für die zwölf Träger im Rahmen des Begabtenförderwerkes erhöht. Mittlerweile werden etwa 22 000 Menschen gefördert; Frau Grütters hat dies positiv hervorgehoben. Es gibt Steuerentlastungen. Es sollten in knappen finanziellen Zeiten aber keine falschen Prioritäten gesetzt werden.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf das zu sprechen kommen, worum es jetzt eigentlich geht: Die Ministerin hat ihre Rede mit dem Datum 2020 begonnen. Wir sind ja sehr für Langfristigkeit; aber dafür müssen als Erstes doch auch die nächsten Hürden übersprungen werden. Frau Grütters, es reicht nicht, dass wir beide im Bundestag über Bildung reden. Es muss auch etwas herauskommen, es muss für die Familien und die Studierenden etwas bewirkt werden.
Denn heute geht es nur um den ersten Teil. Der zweite, wichtigere Teil findet dann im Bundesrat und gegebenenfalls im Vermittlungsausschuss statt. Da jetzt noch zwei Redner - einer von der CDU und einer von der CSU - sprechen, fragen wir: Können Sie garantieren, dass Herr Seehofer nicht querschießt, sondern dass Bayern die Beschlüsse stützt, obwohl Bayern etwas anderes angedeutet hat? Können Sie garantieren, dass der ungute Geist von Herrn Koch nicht auch noch diese bescheidene BAföG-Reform kaputtmacht? Können Sie das in Bezug auf Schleswig-Holstein bzw. Herrn Carstensen garantieren, der schon Einrede erhoben und gesagt hat: ?Wir tragen die BAföG-Reform nicht mit, weil wir das Geld dafür nicht einsetzen wollen??
Es wird entscheidend sein, ob die Vertreter von CDU und CSU das im Bundesrat absichern und unterstützen. Deshalb machen Sie es sich an der Stelle so schwer.
- Nein, gehen Sie die Ministerpräsidenten von der SPD durch! Sie werden am Ende im Bundesrat nicht erleben, dass es bei der BAföG-Erhöhung - dem Schritt, den die Regierung hier vorsieht - zu Einrede und Gegenrede vonseiten der SPD kommt. In Bezug auf das Stipendiensystem kommt es zu Gegenrede, aber nicht in Bezug auf die BAföG-Erhöhung. Da haben Sie Ihre Probleme. Bringen Sie da Ordnung in Ihre Reihen, damit es am Ende im Juli ein Ergebnis gibt!
Wenn es nämlich bis dahin kein Ergebnis gibt, dann haben Sie Ihr erstes Versprechen schon gebrochen, nämlich dass dieses Gesetz im August in Kraft tritt, damit die Studierenden im Wintersemester dieses Jahres davon profitieren.
Frau Grütters, so wird Bildungsbewusstsein, eine Bildungsrepublik geschaffen: konkrete Verbesserungen, die so eintreten, dass man mit ihnen rechnen kann. Wir können am heutigen Tag noch nicht mit ihnen rechnen. Deshalb täten Sie gut daran, im Gesetzentwurf BAföG und Stipendiensystem zu entkoppeln; das macht es im Bundesrat viel leichter. Sie täten gut daran, festzuhalten, dass das BAföG finanziell immer noch eine Gemeinschaftsleistung ist. Am Ende sind hier schließlich die Vertreter aller Parteien gefordert; denn im Bundesrat sitzen die Vertreter aller Landesregierungen, aller Farben.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege.
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Das Problem ist, dass Schwarz-Gelb in Bezug auf das BAföG noch nicht die Konsistenz zeigt, noch nicht die Unterstützung gibt, die wir brauchen, damit die Roten, die Sozialdemokraten, und die Grünen ihren Beitrag dazu leisten können, dass diese Verbesserung des Zugangs zum Bildungswesen, zur Hochschule endlich vollzogen wird, damit es bei der Herstellung von Chancengleichheit in Deutschland endlich einen Schritt vorangeht.
Es ist nur ein Schritt. Deshalb enthalten wir uns.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege, Sie müssen nun wirklich zum Schluss kommen.
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Wir sagen Nein zum Stipendiensystem, aber werben dafür, dass Sie in Zukunft die größeren Schritte mit uns gemeinsam tun: Erhöhung der Freibeträge, Schaffung einer besseren Zugänglichkeit, Gewährleistung sozialer Gerechtigkeit in Bezug auf die Unter- und Mittelschicht.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege, Sie müssen nun wirklich zum Schluss kommen!
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Das sind unsere Anliegen. Dafür bitten wir um Ihre Unterstützung.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Dr. Reinhard Brandl ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU):
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In diesen Wochen werden entscheidende Weichen für die Zukunft unseres Landes gestellt.
Die übergeordnete Aufgabe ist die Konsolidierung unserer Staatsfinanzen. Wir stehen hier gegenüber der nächsten Generation in einer besonderen Verantwortung. Aber genauso verantwortungslos, wie unseren Kindern nur Schulden zu hinterlassen, wäre es, wenn wir an ihrer Bildung und im Bereich der Forschung sparen.
Denn Bildung und Forschung sind die Grundlage für langfristiges Wachstum und Wohlstand in unserem Land.
Dass wir heute, in einer Phase, in der sich alles ums Sparen dreht, das BAföG erhöhen und den Kreis der Bezugsberechtigten ausweiten, zeigt doch, wie ernst es uns mit diesem Thema ist.
Man kann sich natürlich immer hinstellen und nach jeder Erhöhung eine noch stärkere Erhöhung fordern. Aber dabei dürfen wir eines nicht übersehen: Das BAföG ist eine Sozialleistung; es besteht nur Anspruch darauf, wenn die für den Lebensunterhalt und die Ausbildung notwendigen Mittel nicht anderweitig zur Verfügung stehen.
Hinzu kommt beim BAföG die Sondersituation, dass die Finanzierung eines Studiums für jeden Einzelnen eine Investition darstellt, die sich im Durchschnitt durch ein deutlich niedrigeres Risiko, arbeitslos zu werden, und ein deutlich höheres Einkommen mehr als bezahlt macht. Im Sinne einer Gleichbehandlung mit Empfängern anderer Sozialleistungen sind wir auch beim BAföG angehalten, regelmäßig zu überprüfen, wie sich Einkommen und Verbrauchspreise entwickeln, und auf dieser sachlichen Basis die Bedarfssätze und Freibeträge anzupassen. Das sind wir im Übrigen auch denjenigen schuldig, die durch ihre Steuern diese Leistung finanzieren, obwohl sie selbst oder ihre Kinder sie nie in Anspruch nehmen.
Das BAföG ist - das ist heute mehrfach angesprochen worden - die wichtigste Säule der staatlichen Ausbildungsförderung. Daneben haben wir bereits die weitere Säule der Studienkredite. Heute bauen wir eine dritte Säule, die der leistungsabhängigen Stipendien, auf. Leistungsstipendien führen im Moment in unserem Land ein Schattendasein: Nur etwa 2 Prozent der Studentinnen und Studenten werden mit Stipendien gefördert.
Für die Zukunft unseres Landes brauchen wir aber auch junge Menschen, die bereit sind, mehr zu leisten als der Durchschnitt. Mit mehr Leistung meine ich nicht nur bessere Noten, sondern auch den ehrenamtlichen und sozialen Bereich. Diese Leistungen müssen wir in unserer Gesellschaft besonders honorieren.
Mit dem Nationalen Stipendienprogramm wollen wir ein Zeichen der Anerkennung und Wertschätzung besonderer Leistungen setzen, und zwar unabhängig vom Einkommen der Eltern.
Das Stipendienprogramm bietet außerdem zusätzlich zu der staatlichen Förderung die Chance, den Anteil von privaten Geldern an der Ausbildungsfinanzierung weiter zu erhöhen, um mehr Geld ins System zu bringen. Warum sollen Alumni nicht im Sinne eines Generationenvertrages die Chance erhalten, ihrer Hochschule freiwillig etwas zurückzugeben oder einen Studenten finanziell zu unterstützen? Für die soziale Ausgewogenheit ist es wichtig, dass wir das Stipendiensystem zusätzlich zum BAföG einführen. Zusätzlich bedeutet explizit, dass ein BAföG-Bezieher das neue Stipendium zusätzlich zum BAföG bekommt.
Mit diesen zentralen Weichenstellungen - der Konsolidierung der Staatshaushalte auf der einen Seite und den Investitionen in Bildung und Forschung auf der anderen Seite - legen wir als christlich-liberale Koalition in diesen Wochen den Grundstein für langfristiges Wachstum und Wohlstand in unserem Land.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Michael Kretschmer, CDU/CSU-Fraktion.
Michael Kretschmer (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Liste der Projekte unserer christlich-liberalen Koalition im Bereich Bildung ist gewaltig:
BAföG-Erhöhung, Stipendienprogramm, Bildungslotsen und Ausbau der Krippenplätze. All diese Dinge tun wir bewusst, um in Bildung und Chancengerechtigkeit zu investieren.
Wir werden in dieser Legislaturperiode 12 Milliarden Euro zusätzlich für Bildung und Forschung ausgeben. Ich glaube, das ist ein tolles Signal für unser Land.
Die Diskussion über mehr Bildung und Prioritäten für die Bildung wird natürlich auch mit den Ländern geführt. Gestern hatten wir dazu eine Aktuelle Stunde. Mehr Geld für Bildung ist richtig. Wir brauchen diese Priorität; aber Bildung darf nicht mit Schulden finanziert werden, sondern muss durch Einsparungen an anderer Stelle möglich gemacht werden.
Denn wir tun der jungen Generation keinen Gefallen, wenn wir ihnen einen Trümmerhaufen aus Staatsschulden hinterlassen. Nein, dieses Land muss raus aus der Schuldenfalle. Deswegen sind Konsolidierung und Investition in Bildung die zwei Seiten einer Medaille, wenn es um die Zukunftsfähigkeit geht.
Das BAföG wird in diesem Jahr 40 Jahre alt. Wir beraten heute die 23. BAföG-Novelle. Es ist vermutlich immer so gewesen, dass die Regierenden stolz auf das waren, was sie an BAföG-Reformen auf den Weg gebracht haben. Der Opposition hingegen hat es meistens nicht gereicht. Nur dieses Mal ist es besonders bitter, wenn man sich die Bilanz anschaut: In der Zeit von Rot-Grün ist das BAföG um 33 Euro gestiegen, in der Zeit von Bundesministerin Annette Schavan innerhalb von fünf Jahren um 108 Euro.
Wir haben heute einen BAföG-Höchstsatz von 670 Euro.
Das ist ein großer Erfolg und Ergebnis einer kontinuierlichen Prioritätensetzung für Bildung und Forschung.
Bei der heutigen Diskussion über das BAföG ist festzustellen, dass konkrete Änderungen vorgenommen wurden: Die Altersgrenze wird auf 35 Jahre angehoben. Bei den Sprachnachweisen bauen wir Bürokratie ab. Wir kommen den Vorschlägen des Normenkontrollrats nach. Bei den Wohnkostennachweisen gehen wir in die richtige Richtung. Bei der Anrechnung der Kindererziehungszeiten sind wir ein ganzes Stück weitergekommen.
Im BAföG-Bericht wird eine Anhebung der Sätze um 0,5 Prozent vorgeschlagen. Wir sagen klar: Nein, wir heben die Sätze deutlich höher an, und zwar um 2 Prozent. Bei den Freibeträgen wird vorgeschlagen, dass eine Erhöhung um 1 Prozent angemessen wäre. Wir erhöhen um 3 Prozent.
Wenn Sie das addieren, kommen Sie auf eine Gesamtsumme von 600 Millionen Euro für den Bund und auf noch einmal 500 Millionen Euro für die Länder bis 2013. Das ist eine große und keine kleine BAföG-Reform.
In Zeiten, in denen an jeder Ecke über Einsparungen in Höhe von 100 000 Euro gesprochen wird, geben wir an dieser Stelle zusätzlich 1 Milliarde Euro aus.
Am Ende werden zwischen 50 000 und 60 000 Studierende zusätzlich in den Genuss von BAföG-Leistungen kommen. Ich glaube, das ist das richtige Signal. Darüber sollten wir uns gemeinsam freuen. Darauf sollten wir gemeinsam stolz sein.
Wir wollen jetzt ein Nationales Stipendienprogramm auf den Weg bringen; denn der internationale Vergleich hat gezeigt, dass wir in diesem Land keine Stipendienkultur haben. Das haben wir in den letzten Jahren - ich bin seit acht Jahren Mitglied des Deutschen Bundestages - immer wieder beklagt und analysiert. Es gab verschiedene Anläufe, das zu ändern. Die deutsche Wirtschaft hat, was sehr verdienstvoll ist, einen Fonds eingerichtet, in den zum Teil auch größere Beträge eingezahlt wurden.
Trotzdem gab es keine große Bewegung.
Die Zahl der Stipendiaten, die von der freien Wirtschaft finanziert werden, ist viel zu gering. Deswegen ist es richtig, dass man sich Gedanken darüber macht, was man anders machen kann. Der Vorschlag, den wir heute zur Abstimmung stellen, wird an vielen Punkten der Realität in diesem Land gerecht.
Wenn man weiß, dass man keine Stipendientradition hat, muss man sich überlegen, wie man das richtig machen kann.
Wir haben gesagt: Wenn die Wirtschaft oder eine Privatperson 150 Euro in eine Stiftung einzahlt, dann soll sich der Staat ebenfalls mit 150 Euro engagieren - 75 Euro vom Land und 75 Euro vom Bund -, damit wir am Ende auf 300 Euro kommen.
Wir sind auf die Argumente eingegangen. Da wurde gefragt: Ist das denn eigentlich sozial gerecht? - Dazu muss man zunächst einmal sagen: Das BAföG ist eine Sozialleistung. Beim Nationalen Stipendienprogramm geht es um Studienleistungen.
Es ist aber richtig, dass man auch für Migranten und diejenigen, die sich sozial engagieren, etwas tun soll. Aus diesem Grund ist die Frage, ob man sich sozial engagiert, ein Auswahlkriterium für das Nationale Stipendienprogramm geworden.
Ich halte das für richtig.
Ein weiteres Argument war die regionale Verteilung, die heute häufig angesprochen wurde. Ich komme aus einer Gegend, die wirtschaftlich wirklich schlecht dran ist, aus Görlitz. Deswegen halte ich die Lösung, die wir gefunden haben, für richtig: Wir beziehen den Wert von 8 Prozent der Studierenden auf die jeweilige Hochschule. Das heißt, wenn man in München beispielsweise schnell vorankommt, sind dort diese 8 Prozent schnell erreicht. Aber auch für andere Teile des Landes, etwa Cottbus, Bochum oder wo auch immer, wo man etwas länger dafür braucht, ist gewährleistet, dass es an diesen Standorten eine Chance auf Förderung gibt. Wir haben mit den Ländern vereinbart, dass nach vier Jahren geschaut wird, was wir erreicht haben und wie das funktioniert, damit gegebenenfalls nachgesteuert werden kann.
Ich glaube, dass wir mit dem Nationalen Stipendienprogramm einen richtigen Schritt unternehmen. Deswegen kann ich nur um Zustimmung bitten.
Die billigen Klassenkampfparolen, die wir in den letzten anderthalb Stunden in diesem Raum von der linken Seite des Hauses gehört haben, machen keinen Mut, vor allen Dingen nicht den jungen Leuten.
Ich habe in meiner Studienzeit viele junge Leute aus schwierigen Verhältnissen getroffen. Die haben mit mir studiert und sich durchgekämpft. Unsere Aufgabe im Deutschen Bundestag muss es sein, diese Menschen zu ermutigen, ein Studium zu beginnen.
Wir dürfen ihnen nicht immer nur sagen, dass alles furchtbar ist.
Nein, wir haben in den vergangenen Jahren viel erreicht. Wir setzen die richtigen Akzente. Deswegen kann man den jungen Leuten Mut machen und ihnen sagen: Nehmt ein Studium auf, nehmt eure Zukunft in die Hand!
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 17/2196 (neu), den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf der Drucksache 17/1551 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der SPD-Fraktion vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag auf der Drucksache 17/2216? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition mehrheitlich abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition und der Fraktion Die Linke bei Stimmenthaltung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Wir kommen jetzt zu zwei Entschließungsanträgen.
Zunächst zum Entschließungsantrag der SPD-Fraktion auf Drucksache 17/2217. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mehrheitlich abgelehnt.
Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/2198. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch für diesen Entschließungsantrag gibt es keine Mehrheit.
Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung auf Drucksache 17/2196 (neu) fort.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung, den Entwurf eines Gesetzes der Bundesregierung auf Drucksache 17/1941 zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Es gibt eine überwältigende Zustimmung zu der Einschätzung, diesen Gesetzentwurf für erledigt zu erklären.
Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der SPD-Fraktion auf Drucksache 17/884 mit dem Titel ?BAföG ausbauen und Chancengleichheit stärken?. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung mehrheitlich angenommen.
Unter Nr. 4 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1558 mit dem Titel ?BAföG ausbauen - Gute Bildung für alle?. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist auch diese Beschlussempfehlung mehrheitlich angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 5 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/899 mit dem Titel ?Sozial gerechtes Zwei-Säulen-Modell statt elitärer Studienfinanzierung?. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 c. Wir stimmen ab über den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Schaffung eines nationalen Stipendienprogramms. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2194 (neu), den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/1552 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in dieser Fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit der Mehrheit der Koalition angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen zu erheben. - Diejenigen, die dagegen stimmen wollen, bitte ich ebenfalls, sich von ihren Plätzen zu erheben. - Enthaltungen gibt es offenkundig nicht. Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition angenommen.
Wir stimmen nun über einen Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/2199 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mehrheitlich abgelehnt.
Wir setzen die Abstimmungen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung fort. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, den Entwurf eines Gesetzes der Bundesregierung auf Drucksache 17/1942 zur Schaffung eines nationalen Stipendienprogramms für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Großes Einvernehmen im Hause. Diese Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 30 d. Hier geht es um die Beschlussempfehlung des Ausschusses zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel ?Nein zum Nationalen Stipendienprogramm?. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung auf der mehrfach zitierten Drucksache, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf deren Drucksache 17/1570 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Mit Mehrheit ist die Beschlussempfehlung angenommen.
Damit sind wir mit den Abstimmungen zu diesem Tagesordnungspunkt durch.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 50. Sitzung - wird am
Montag, den 21. Juni 2010,
auf der Website des Bundestages unter ?Dokumente & Recherche?, ?Protokolle?, ?Endgültige Plenarprotokolle? veröffentlicht.]