Die Kommunen pochen auf mehr Mitwirkungsrechte bei Gesetzen mit finanziellen Auswirkungen auf Städte und Gemeinden. In der Wochenzeitung "Das Parlament" (Erscheinungstag 29.März) forderte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, "dass man ins Grundgesetz schreibt, dass bei Gesetzen mit Auswirkungen auf die Kommunen die Kommunalen Spitzenverbände beteiligt werden müssen". Dabei könne man sich an Österreich orientieren, wo eine ähnliche Regelung bereits existiert.
Die Kommunen hätten das Gefühl, dass Bundes- und Landespolitiker den Bürgern "gerne immer mehr Wohltaten versprechen, die wir am Ende bezahlen müssen", sagte Landsberg mit Blick auf die von der Bundesregierung am 4. März ins Leben gerufene Kommission zur Neuordnung der Gemeindefinanzen. Die Kassenlage der Kommunen sei aber inzwischen "nicht dramatisch, sie ist katastrophal". So seien die Sozialausgaben in den vergangenen zehn Jahren um mehr als 50 Prozent gestiegen, klagte der Hauptgeschäftsführer: "In diesem Jahr werden es schon 42 Milliarden Euro sein".
Insbesondere die Eingliederungshilfe für Behinderte steige stark an, erläuterte der Kommunalvertreter, dessen Verband 12.500 Städte und Gemeinden mit insgesamt mehr als 47 Millionen Einwohnern repräsentiert. Warum die Kommunen dafür "in diesem Jahr über 13 Milliarden Euro aufbringen sollen, weiß ich nicht - das ist doch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe", fügte er hinzu und forderte eine "echte Diskussion, was der Staat noch realistischerweise leisten kann und soll. Nur dann werden wir aus dem Schuldensumpf herauskommen". Für Steuersenkungen sieht Landsberg keinen Spielraum: "Es wird mittelfristig zu Steuererhöhungen kommen müssen".
Das Interview im Wortlaut:
Das Dorf Niederzimmern verkauft seine Schlaglöcher für 50 Euro pro Stück, die Kleinstadt Quickborn pumpt ihre Einwohner an, Mühlheim an der Ruhr spart bei Todesanzeigen für Ehrenbürger. Sind die Kommunen wirklich so knapp bei Kasse?
In jeder Lokalzeitung können Sie lesen, dass Kämmerer Schwimmbäder oder Theater schließen müssen. Viele Kommunen wissen schlicht nicht mehr, wie sie ihre Haushalte aufstellen sollen. Die Kassenlage ist nicht dramatisch, sie ist katastrophal. Im vergangenen Jahr haben die Kommunen 7 Milliarden Euro Minus gemacht, dieses Jahr fehlen voraussichtlich 12 Milliarden.
Was ist die Ursache?
Zum einen liegt das an der Wirtschaftskrise, weil den Kommunen die Einnahmen wegbrechen, insbesondere die Gewerbesteuer. Im Schnitt gingen die Einnahmen in 2009 um rund 20 Prozent zurück. Gleichzeitig müssen wir immer mehr Aufgaben finanzieren, vor allem im Sozialbereich. Da hatten wir schon in 2009 über 40 Milliarden Euro Ausgaben, in diesem Jahr werden es schon 42 Milliarden sein, unter anderem weil die Arbeitslosigkeit zunimmt. Die Sozialausgaben sind in den vergangenen zehn Jahren um über 50 Prozent angestiegen - und das Schlimme daran ist, dass wir darauf keinen Einfluss haben.
Was sind die größten Ausgabenposten?
Das ist die stark steigende Eingliederungshilfe für Behinderte. Warum die Kommunen in diesem Jahr über 13 Milliarden Euro aufbringen sollen, weiß ich nicht - das ist doch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ein großer Posten ist auch die Grundsicherung im Alter für über 65-Jährige, die zuvor Hartz IV bekommen haben. Dafür mussten die Kommunen 2009 über 3,8 Milliarden Euro aufwenden, im Jahr 2003 waren es nur 1,5 Milliarden. Dann schultern wir den Kita-Ausbau für die unter Dreijährigen. Da haben zwar Bund und Länder Geld beigesteuert, aber das reicht längst nicht. Und ich befürchte, dass auch die geplanten 750.000 Plätze nicht ausreichen werden, weil die Nachfrage größer sein wird.
Sind nicht einige Kommunen auch selbst Schuld an der Misere, da sie in guten Jahren nicht gespart haben oder auch schlicht über ihre Verhältnisse lebten?
Fehler gibt es im Einzelfall immer. Die Kommunen haben flächendeckend nicht über ihre Verhältnisse gelebt: Wir haben in zehn Jahren über 360.000 Stellen abgebaut, gleichzeitig ist der Service besser geworden. In guten Jahren wurden sogar Schulden getilgt. Die Kassenkredite, die eigentlich nur für kurzfristige Engpässe gedacht sind, steigen rasant an. Inzwischen werden damit immer öfter laufende Ausgaben finanziert. Die Kommunen zusammen haben solche Kredite von über 35 Milliarden Euro. Noch im Jahr 2000 waren es nur 7 Milliarden.
Wo sind denn die Mittel aus dem Konjunkturpaket II geblieben?
Mit diesen rund 13 Milliarden Euro wurden bislang zirka 29.000 Projekte finanziert. Das Handwerk hat profitiert und daher kaum Leute entlassen müssen. Aber zum Vergleich: Das Deutsche Institut für Urbanistik beziffert unseren Investitionsbedarf bis 2020 auf über 700 Milliarden Euro, um die Infrastruktur auf Vordermann zu bringen.
Was muss passieren?
Wir brauchen eine grundlegende Reform der Sozialsysteme, eine echte Diskussion, was der Staat noch realistischerweise leisten kann und soll, nur dann werden wir aus dem Schuldensumpf herauskommen. Die Kommunen haben das Gefühl, dass die Politiker von Bund und Ländern den Bürgern gerne immer mehr Wohltaten versprechen, die wir am Ende bezahlen müssen.
Meinen Sie die aktuelle Diskussion um die Hartz-IV-Regelsätze?
Das ist ein gutes Beispiel. Man kann ja, wie die Wohlfahrtsverbände, sehr wohl dafür sein, dass die Regelsätze auf 420 Euro steigen sollen, aber man muss wissen, dass wir dann statt 6,7 Millionen 8,7 Millionen Leistungsempfänger haben, weil es dann mehr Aufstocker gibt. Zusätzlich würden bei den Kommunen mehr Ausgaben bei den Kosten für die Unterkunft der Hartz-IV-Empfänger entstehen. Das Spiel kann so nicht weitergehen, das ist unfair.
Wie sähen faire Regeln aus?
Die Kommunen brauchen mehr Mitwirkungsrechte, und zwar dringender denn je: Denn heute, wo Bundespolitiker permanent über Bildung, Familie oder Integration sprechen, gewinnen die Kommunen an Bedeutung, denn die meisten Dinge werden ja vor Ort konkret umgesetzt. Daher fordern wir, dass man ins Grundgesetz schreibt, dass bei Gesetzen mit Auswirkungen auf die Kommunen die Kommunalen Spitzenverbände beteiligt werden müssen. Wir könnten uns an Österreich orientieren, dort gibt es einen in der Verfassung verankerten Konsultationsmechanismus: Bei Gesetzen, die die Kommunen belasten, muss in einem Gremium aus Bund, Ländern und Kommunen eine Einigung über die Finanzierung erzielt werden.
Glauben Sie, dass in der von der Bundesregierung gerade ins Leben gerufenen Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen solche Vorschläge durchkommen?
Ich bin optimistisch, weil der Druck hoch ist. Wir haben das jüngst beim Kompromiss zum Erhalt der Jobcenter gesehen, das ging plötzlich auch. Die Bürger spüren zunehmend, dass die Kommunalfinanzen in einer Schieflage sind. Und sie wissen: Ohne Stadt ist kein Staat zu machen. Es ist auch wichtig, dass wir in der Gemeindefinanzkommission nicht nur über die Gewerbesteuer und andere Steuerarten sprechen, also die Einnahmenseite, sondern auch über die für uns so belastenden Ausgaben reden. Langfristig müssen wir die Einnahmen erhöhen und die Ausgaben kürzen, damit die Städte und Gemeinden dauerhaft ihre Aufgaben ohne Schulden finanzieren können. Es wird mittelfristig zu Steuererhöhungen kommen müssen, auch der Bundespräsident hat dies zu Recht thematisiert.
Wieso halten die Kommunen unverändert an der konjunkturanfälligen Gewerbesteuer als Haupteinnahmequelle fest?
Ich kenne keine bessere Idee. Wir haben in der Gemeindefinanzkommission 2003 Modelle und Alternativen geprüft. Damals wurde diskutiert, dass die Kommunen einen Hebesatz auf die Körperschaftssteuer bekommen sollten. Wenn wir uns darauf eingelassen hätten, sähe es jetzt noch schlechter aus - die Körperschaftsteuer ist im vergangenen Jahr um 55 Prozent eingebrochen. Oder es wird gesagt: Schafft doch die Gewerbesteuer ab und die Kommunen bekommen einen Hebesatz auf die Einkommensteuer. Das funktioniert meiner Meinung nach auch nicht: Soll denn der normale Steuerzahler Lasten übernehmen, die bisher die Wirtschaft getragen hat? Wir reden hier - in guten Jahren - von 38 bis 39 Milliarden Euro.
Und was halten Sie von einem höheren Anteil an der Umsatzsteuer, die ja weniger konjunkturanfällig ist?
Das ist doch unrealistisch, die müsste dann um mehr als vier Prozentpunkte steigen. Wir schlagen vor, die Gewerbesteuer umzubauen. Die freien Berufe, zum Beispiel Rechtsanwälte, Architekten und Zahnärzte sollten ebenfalls zahlen...
... wie es auch die SPD in der Bundestagsdebatte zu Kommunalfinanzen am 25. März gefordert hat...
... es ist doch formal kein Unterschied, ob der Zahnarzt zehn Beschäftigte hat, die Parkplätze und Infrastruktur nutzen, oder der kleine Handwerker. Die Betroffenen sollen das ja auch mit der Einkommensteuer verrechnen können, so wäre die Belastung für den Einzelnen nicht besonders groß, aber für die Kommunen wäre das ein erhebliches Einnahme-Plus und es würde die Gewerbesteuer stabilisieren. Denn zum Zahnarzt muss man schließlich auch, wenn die wirtschaftliche Lage schlecht ist.
Gerd Landsberg ist Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, dessen Mitgliedsverbände über 12.500 Städte und Gemeinden mit mehr als 47 Millionen Einwohnern repräsentieren.