Deutschland gratuliert Israel zum 60. Geburtstag!
Dieser schlichte Satz ist bei weitem nicht so banal wie er sich
anhört. Dass die Deutsch-Israelische Gesellschaft, der
Koordinierungsrat der Gesellschaften für
christlich-jüdische Zusammenarbeit und der Zentralrat der
Juden in Deutschland gemeinsam einen Festakt zum israelischen
Staatsjubiläum ausrichten, gehört zu den scheinbaren
Selbstverständlichkeiten, an die wir uns zu gewöhnen
begonnen haben.
Tatsächlich erscheinen die heutigen Beziehungen zwischen
Deutschland und Israel beinahe wie ein Wunder der Geschichte,
gemessen an der entsetzlichen Vergangenheit, die Deutsche und Juden
immer in beispielloser Weise verbinden wird.
In den gut sechs Jahrzehnten nach der Befreiung der
Konzentrationslager hat sich eine Freundschaft entwickelt, auf die
niemand ernsthaft hoffen konnte. Schließlich waren unter den
Staatsgründern Israels die Überlebenden der Todeslager
und die Vertriebenen aus den zerstörten Ghettos.
Der heutige Staatspräsident Simon Peres hat daran erinnert,
dass im jungen israelischen Staat "die Auffassung überwog,
dass der Bruch mit Deutschland endgültig und ewig sein
müsse".
Dies zeigt einmal mehr: Wer über die Zukunft der
deutsch-israelischen Beziehungen reden will, der muss auch
über die Vergangenheit reden.
Schon vor über 80 Jahren wurde das "Deutsche Komitee Pro
Palästina" gegründet, 1926 in Berlin.
Gründungsmitglieder waren unter anderem
Reichstagspräsident Paul Löbe, der Kölner
Oberbürgermeister Konrad Adenauer, Albert Einstein, Thomas
Mann, Eduard Bernstein und Leo Baeck.
Im Programm des Komitees hieß es, man werde "in der
Überzeugung, dass der Aufbau der im Palästinamandat
vorgesehenen Heimstätte für das jüdische Volk als
ein Werk menschlicher Wohlfahrt und Gesittung Anspruch auf die
deutschen Sympathien und die tätige Anteilnahme der deutschen
Juden hat, bemüht sein, die deutsche Öffentlichkeit
über das jüdische Kolonisationswerk in Palästina
aufzuklären, die Beziehungen zwischen Deutschland und
Palästina und die Versöhnung der Völker zu
pflegen".
Leider hat sich die Geschichte völlig anders entwickelt
In genau einem Jahr wird die Bundesrepublik Deutschland 60 Jahre
alt, gegründet auf der Verabschiedung eines Grundgesetzes, das
"in Verantwortung vor Gott und den Menschen" gleich im ersten
Artikel sein grundlegendes Selbstverständnis formuliert hat:
"Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu
schützen ist Aufgabe aller staatlichen Gewalt".
Zwischen den beiden Staatsgründungen, den Daten und
Ereignissen, gibt es einen inneren Zusammenhang. Der israelische
Staat ist auf der Asche des Holocaust gegründet, die zweite
deutsche Demokratie auf den Trümmern eines totalitären
Regimes, das die Würde des Menschen in einer beispiellosen
Weise angetastet und in einer monströsen Verbindung von
Menschenverachtung und Größenwahn am Ende das eigene
Land politisch, ökonomisch und moralisch ruiniert und
Millionen Opfer zurückgelassen hat.
Es war ein doppelter Glücksfall, dass mit Konrad Adenauer und
David Ben Gurion in beiden Ländern unmittelbar nach der
Staatsgründung die jeweiligen ersten Regierungschefs die
Einsicht und die Größe zu einem völligen Neuanfang
hatten.
Zwischen Adenauer und Ben Gurion ist damals das Vertrauen neu
entstanden, das Grundlage einer neuen, immer engeren Zusammenarbeit
und schließlich der Freundschaft zwischen unseren
Ländern geworden ist.
Das heutige Jubiläum ist deshalb auch und vor allem ein Anlass
zur Dankbarkeit; Dankbarkeit für die Arbeit und den Einsatz
all der Frauen und Männer in Israel, die neue Brücken
gebaut und alte Wege wieder gangbar gemacht haben: Politiker,
Wissenschaftler, Unternehmer und Künstler.
60 Jahre Israel ist Anlass zur Freude. Unter
außergewöhnlich schwierigen Bedingungen ist in Israel,
gestützt auf eine Entscheidung der Vereinten Nationen, nicht
nur eine Heimstatt der Juden aus aller Welt entstanden, sondern
eine offene, freie Gesellschaft und ein starker demokratischer
Staat: Bis heute die einzige funktionierende Demokratie im Nahen
Osten. Und noch beachtlicher als ihr Entstehen erscheint ihre
Stabilität auch unter den existenziellen Herausforderungen
aller zurückliegenden Jahrzehnte.
Schließlich sind 60 Jahre Israel Anlass für großen
Respekt. Respekt für eine herausragende Leistung des
politischen und wirtschaftlichen Aufbaus und einer
außerordentlichen sozialen Integration.
Von damals kaum mehr als 600.000 Einwohnern ist Israel in 60 Jahren
auf eine Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen
gewachsen. Jahr für Jahr werden viele Tausende Zuwanderer aus
beinahe allen Ländern der Welt integriert. Heute lebt etwa die
Hälfte der jüdischen Weltbevölkerung in Israel,
einem Staat, an dessen Gründung nur ein Bruchteil der damals
über den Globus verstreuten Juden aktiv beteiligt war.
Ungetrübt ist dieses Jubiläum gleichwohl nicht, weder mit
Blick auf die innere Verfassung noch die äußeren
Bedingungen:
"Dass wir es nicht geschafft haben, Frieden mit unseren Nachbarn,
den Palästinensern, zu schließen" hat der neue
israelische Botschafter in Deutschland, Yoram Ben-Zeev, vor einigen
Tagen in einem Interview als "größten Fehler in den 60
Jahren" bezeichnet (Badisches Tageblatt vom 6. Mai 2008).
Wer jemals das Elend der Palästinenser insbesondere im
Gazastreifen gesehen hat, der muss in der Tat auch nach der
israelischen Verantwortung für die aktuellen Verhältnisse
fragen. Und natürlich ist die Frage erlaubt, ob manche
Sicherheitsvorkehrungen - zum Beispiel im Westjordanland mit rund
600 Kontrollposten - nicht eher den Islamismus fördern als die
Friedensbereitschaft auf beiden Seiten.
Und diese Debatte findet statt, nicht nur in der internationalen
Öffentlichkeit, sondern insbesondere unter den Israelis
selbst. "Die Neigung der Mehrheit der Israelis, ein Fortdauern des
Konflikts als Teil des Alltags zu akzeptieren, ist Beleg
dafür, wie weit sie sich vom Idealismus und von den Hoffnungen
der ersten Israelis entfernt haben", schreibt Tom Segev, ein
prominenter israelischer Historiker und Publizist in seinem Artikel
"Heiliges verrücktes Land" zum Staatsjubiläum
(Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. Mai 2008).
Der israelische Botschafter in Deutschland hat in seinem bereits
zitierten Interview keine Zweifel daran gelassen, dass auch die
israelische Politik Veränderungen braucht: "Israel kann nicht
für alle Zeit als Besatzer wahrgenommen werden. Das verhindert
sonst wahren Frieden. Es ist besser für uns und unsere Kinder,
nicht dauerhaft Besatzer zu sein (…) Israel wird sich aus
dem Westjordanland zurückziehen müssen. Die Regierung hat
beschlossen, keine weiteren Sperranlagen an der Grenze zu
errichten. Diese haben den Palästinensern schon viel Leid
zugefügt. Auch darf Israel keine weiteren Siedlungen in
Ostjerusalem bauen. Wichtig ist nur, dass Israels Sicherheit
gewährleistet ist".
Das eine muss in der Tat so klar und eindeutig sein wie das andere:
Israel muss mit demselben Recht wie seine Nachbarn in international
anerkannten Grenzen leben können, frei von Angst, Terror und
Gewalt.
Manches ist verhandelbar, das Existenzrecht Israels nicht.
Ein atomar bewaffneter Staat in seiner Nachbarschaft, geführt
von einem offen antisemitisch orientierten Regime, ist nicht nur
für Israel unerträglich. Die Weltgemeinschaft darf eine
solche Bedrohung nicht dulden.
Deutschland ist nicht irgendein Mitglied dieser Weltgemeinschaft.
Wir haben für die Existenz und die Sicherheit Israels eine
historisch begründete besondere Verantwortung.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat dies in ihrer denkwürdigen
Rede vor der Knesset vor wenigen Wochen eindrucksvoll
unterstrichen.
"Normal" sind die Beziehungen zwischen unseren Ländern nie
gewesen, "normal" dürfen sie nie werden, sie werden immer ganz
besondere sein und bleiben müssen.
Im sechzigsten Jahr des Staates Israel - und ein Jahr vor dem 60.
Geburtstag der Bundesrepublik Deutschland - gibt es dafür
neben bewährten Strukturen neue Signale.
Zusätzlich wird es in Zukunft regelmäßige,
jährliche Regierungskonsultationen geben, die Deutschland
bislang nur mit sechs Ländern unterhält, und Israel ab
sofort nur mit einem einzigen: Deutschland. Ausgerechnet
Deutschland.
In ihrem Beitrag für die Wochenzeitung des Bundestages "Das
Parlament", hat die Präsidentin des israelischen Parlaments,
der Knesset, Dalia Itzik, unter der mehrdeutigen Überschrift
"Am Anfang war Wüste" einen Satz geschrieben, der
unauffällig daherkommt, aber nichts weniger ist als
spektakulär. "Deutschland ist heute der größte
Freund Israels in Europa. Es ist neben den USA das einzige Land der
Welt, das Israel auf sicherheitspolitischer, militärischer und
wirtschaftlicher Ebene hilft."
Freundschaften kann man sich nicht verdienen. Freundschaften sind
ein Geschenk, auf das es keinen Anspruch gibt. Zwischen Deutschland
und Israel schon gar nicht.
Dass unsere beiden Länder heute, nach sechzig Jahren, nicht
nur durch eine beispiellose Vergangenheit miteinander verbunden
sind, sondern auch durch beispielhafte gemeinsame Werte und
Orientierungen, dass sie gemeinsame Interessen für eine
gemeinsame Zukunft haben, das ist das schönste denkbare
Geschenk, das wir uns wechselseitig zum Jubiläum machen
können.
Deutschland gratuliert Israel. Dass diese Freundschaft bestehen
bleibt, sich weiter festigt und entwickelt, das ist unser aller
Wunsch zum 60. Geburtstag.