Mindestlohn
Ab 2008 bekommen alle Briefträger wenigstens 8,40 Euro pro Stunde. Wenn sie noch einen Job haben. Die Debatte um Lohnuntergrenzen ist damit nicht beendet - im Gegenteil.
Wenn der FDP-Fraktionschef Karl Marx bemüht und sein Amtskollege von der Linksfraktion den Urvater der liberalen Ökonomie, Adam Smith, dann muss es um etwas Grundsätzliches gehen. In diesem Fall um das Thema Gerechtigkeit: Guido Westerwelle wehrte sich in der abschließenden Bundestagsdebatte zum Post-Mindestlohn am 14. Dezember mit einem Marx-Zitat gegen "gleiche Löhne für alle" und Oskar Lafontaine verlangte unter Berufung auf Smith Löhne, von denen man leben kann. Im Kern drehte sich die Diskussion um die Frage, ob es in Deutschland noch sozial gerecht zugeht. Das Thema, so kündigten es mehrere Redner an, wird das Parlament im nächsten Jahr noch oft beschäftigen.
Erst einmal stimmte das Parlament nach monatelangem Streit in der Großen Koalition jetzt der Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf die Briefdienstleister zum 1. Januar zu. An diesem Tag fällt das Monopol der Deutsche Post AG auf Briefe unter 50 Gramm. In namentlicher Abstimmung votierten 466 Abgeordnete für den Gesetzentwurf der Bundesregierung ( 16/6735 , 16/7512 ), 70 stimmten dagegen, darunter auch 19 Unions-Abgeordnete. 16 Parlamentarier enthielten sich. Die erforderliche absolute Mehrheit von 307 Stimmen wurde damit erreicht. Allerdings muss der Bundesrat dem Gesetz noch zustimmen. Die Länderkammer tagt am 20. Dezember. Auf Grundlage des Gesetzes kann Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) dann per Rechtsverordnung den Post-Mindestlohn, den die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und der von der Deutsche Post AG dominierte Arbeitgeberverband Post ausgehandelt hatten, für allgemeinverbindlich erklären. Im Einzelnen werden Postsortierer in Ostdeutschland acht Euro Stundenlohn erhalten, im Westen neun Euro. Zusteller werden im Osten 8,40 Euro und im Westen 9,80 Euro pro Stunde bekommen.
Ob die Mitarbeiter des Post-Konkurrenten PIN Group AG in den Genuss dieses Lohnsprungs kommen, ist allerdings ungewiss. Unmittelbar nach der Parlamentsentscheidung kündigte der Haupteigner des Unternehmens, der Axel-Springer-Verlag, an, keine weiteren Finanzmittel für PIN bereitzustellen. Bereits Anfang vergangener Woche hatte Springer mit dem Ende für den privaten Postdienstleister gedroht. Nun erklärte sich das Unternehmen bereit, die Mehrheit an der PIN Group AG abzugeben, "wenn Minderheitsgesellschafter und neue Investoren ausreichend Mittel zur Verfügung stellen". Was aus den rund 9.000 Arbeitsplätzen bei dem Postdienstleister wird, blieb bis zum Redaktionschluss unklar.
Arbeitsminister Scholz wies im Bundestag das Argument, Mindestlöhne kosteten Arbeitsplätze, als "professoralen Unsinn" zurück. Mit dem Fall des Post-Monopols werde der Wettbewerb zunehmen. Es gehe um einen Wettbewerb um das beste Management und die beste Dienstleistungsstruktur und nicht darum, wer den geringsten Lohn zahle. Im kommenden Jahr, so Scholz, könnten weitere Branchen ins Entsendegesetz aufgenommen werden. Außerdem werde das Mindestarbeitsbedingungsgesetz von 1952 so modernisiert, dass sich "sehr, sehr schlechte Löhne" nicht weiter ausbreiteten.
Westerwelle warf der Koalition vor, mit dem Mindestlohn nur die Monopolstellung der Post zu schützen. Mindestlohn habe mit Marktwirtschaft nichts zu tun. "Das ist eine DDR, nur ohne Mauer", sagte er. Der CDU-Sozialexperte Ralf Brauksiepe wies den Vorwurf der Wettbewerbsfeindlichkeit scharf zurück. Für die Grünen fügte Brigitte Pothmer hinzu, Westerwelles Äußerung sei "an Peinlichkeit nicht mehr zu überbieten".
Abschließend fanden weder Anträge von FDP und Grünen zum Wegfall der Umsatzsteuerbefreiung der Post AG ( 16/6432 , 16/6631 ), noch Entschließungsanträge von Die Linke und den Liberalen ( 16/7556 , 16/7555 ) eine Mehrheit.