ENQUETEKOMMISSION
Nach vier Jahren liegt der Schlussbericht vor. Jetzt beginnt die Arbeit.
Neun Uhr morgens ist keine normale Zeit für eine Bundestagsdebatte über Kultur. Neun Uhr morgens ist die Zeit für harte Themen - Arbeitsplatzmangel oder Afghanistan-Einsatz zum Beispiel. Kulturthemen werden in der Regel in den Abend geschoben, so dass die Reden oft zu Protokoll gegeben werden. Nicht so am 13. Dezember. Da nahmen sich die Abgeordneten zu Beginn des Sitzungstages gleich zwei Stunden Zeit, um über Theater, Bibliotheken und Schulchöre zu reden.
Diese Ausnahme hatte einen Grund: Einen Tag vorher hatte die Enquetekommission "Kultur in Deutschland" ( 16/7000 ) ihren über 500 Seiten langen Schlussbericht nach vierjähriger Arbeit vorgestellt. Von Änderungen im Urheberrechtsgesetz bis zur Verankerung eines Staatsziels Kultur im Grundgesetz reichen die 465 Handlungsempfehlungen. Besonders hoben die Redner in der Debatte die Empfehlungen zur kulturellen Bildung hervor. Mehr Schulchöre, nationale Bildungsstandards für kulturelle Schulfächer und eine Bundeszentrale für kulturelle Bildung waren nur drei der Forderungen, mit denen die 22 Kommissionsmitglieder die Grundlangen für Zugang zur Kultur für alle Menschen schaffen wollen. Die Umsetzung dieser Ziele hängt aber auch von Ländern und Kommunen ab, da der Bund für einen Großteil der Kulturpolitik nicht zuständig ist.
"Kulturelle Bildung ist eine der besten Investitionen dieses Landes", hob Gitta Connemann (CDU), Vorsitzende der Enquetekommission, zu Beginn der Debatte hervor (siehe auch Interview S. 2). Sie warb dafür, neben einer Spitzenkultur auch die Breitenförderung ernst zu nehmen. Das sichere soziale Teilhabe von Menschen aller Gesellschaftsschichten.
In die gleiche Richtung argumentierte Undine Kurth (Die Grünen). Die Politik müsse die Rahmenbedingungen für eine "Teilhabe an der Kultur für alle" schaffen. Insbesondere in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus werde deutlich, "Kultur befähigt, Demokratie zu leben".
Alle Redner sprachen sich außerdem prinzipiell dafür aus, Kultur als Staatsziel in das Grundgesetz aufzunehmen. Hans-Joachim Otto (FDP) und Lukrezia Jochimsen (Die Linke) warben entschieden dafür, das Grundgesetz entsprechend zu ändern. "Ein Staatsziel ist nicht alles, aber ohne Staatsziel ist alles entschieden schwieriger", schätzte Otto diese Forderung als grundlegend für alle weiteren Maßnahmen ein. Ausgaben der öffentlichen Hand für Kultur seien immer noch freiwillig und würden als erste gestrichen, wenn der Haushalt knapp sei. Doch dann zögen sich auch private Spender zurück. Das jedoch sei fatal, denn "der größte Kulturfinanzierer ist immer noch der Bürger". Dass derzeit über mehrere neue Staatsziele diskutiert werde, darunter Sport, erschwere den Prozess jedoch. "Es darf keine Inflation geben", so Otto.
"Das Staatsziel Kultur muss ins Grundgesetz", forderte auch Jochimsen. Die Linke befürworte darüber hinaus ein Bibliotheksgesetz, mit dem Mindeststandards für öffentliche Bibliotheken festgelegt werden sollten, sowie einen Bundeskulturminister, um die Belange der Kultur auf Bundesebene zu stärken. Für eine Stärkung der Bibliotheken sprach sich ebenfalls Siegmund Ehrmann (SPD) aus. Sie seien "eine Schnittstelle zur Bildungsarbeit", seien vor allem für die Integration von Migranten wichtig. Das Problem sei das Geld. Die Bibliotheken seien chronisch unterfinanziert. Statt eines Bundesgesetzes, wie von den Linken angedacht, forderte er die Länder auf, selbst entsprechende Gesetze zu erlassen.
Die Reaktionen auf den Bericht der Enquetekommission waren durchweg positiv. Die Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände nannte ihn "wegweisend für die Weiterentwicklung und Verbesserung kultureller Rahmenbedingungen". Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und einer der Sachverständigen, lobte die Bandbreite der Themen. "Dieses Konglomerat an Informationen wird die kulturpolitische Debatte nach vorne bringen." Der Vorsitzende der "Kommission für Wissenschaft und Kultur" der Deutschen Bischofskonferenz, Heinrich Mussinghoff, warnte allerdings davor, Kultur nur nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu beurteilen. Der umfangreiche Bericht der Enquetekommission zeige deutlich, dass Kultur kein weicher Standortfaktor sei. Kultur sei für die Entfaltung der Person und für das zivilisierte Zusammenleben in Deutschland unabdingbar, so Mussinghof.
In den nächsten anderthalb Jahren, also bis zur Bundestagswahl 2009, wollen die Abgeordneten so viele Empfehlungen wie möglich umsetzen. In der Bundestagsdebatte betonten sie noch, sich in fast allen Entscheidungen einig gewesen zu sein. Wie es weitergeht, wird sich zeigen.