GITTA CONNEMANN
Die Künstler sollten ihre Forderungen bündeln, sagt die Vorsitzende der Kultur-Enquete-Kommission
Sie bedauern ausdrücklich, dass seit dem Zwischenbericht vor zwei Jahren vor allem über die Forderung der Enquetekommission diskutiert wurde, Kultur als Staatsziel ins Grundgesetz aufzunehmen. Warum?
Nicht vor allem, sondern ausschließlich. Ich würde bedauern, wenn die Arbeit der Kommission infolge dieser eingeschränkten öffentlichen Diskussion nur auf diese Empfehlung reduziert würde. Um nicht missverstanden zu werden: ich bin eine Verfechterin der Verankerung eines Staatszieles Kultur im Grundgesetz. Aber darüber dürfen unsere anderen Handlungsempfehllungen nicht übersehen werden. Denn bei diesen sehe ich - anders als bei der Staatszielforderung - große Chancen einer derzeitigen Umsetzung.
Wo sehen Sie die Schwierigkeiten?
Für eine Änderung des Grundgesetzes bedarf es nicht nur einer Zweidrittelmehrheit aller Abgeordneten des Deutschen Bundestages sondern auch der Länder. Diese haben also ein gewichtiges Wort mitzureden und zeigen derzeit wenig Bereitschaft. Außerdem gibt es auch Bedenken bei den Mitgliedern des Bundestages. Denn aktuell gibt es eine wahre Inflation von Staatszielwünschen - angefangen vom Sport bis hin zur Generationengerechtigkeit. Um die erforderlichen Mehrheiten zu beschaffen, müsste man sich wahrscheinlich darauf einlassen, ein anderes Staatsziel zu unterstützen. Das will nicht jeder.
Für Kultur sind in der Regel die Länder zuständig. Was sind denn Handlungsempfehlungen, die der Bund alleine umsetzen könnte?
Die Abgeordneten müssen filtern, was sich in den nächsten anderthalb Jahren auf Bundesebene regeln lassen kann. Da wären zum Beispiel unsere Vorschläge zum Urheberwahrnehmungsrecht, für das wir als Bundesgesetzgeber allein verantwortlich zeichnen. Wir haben hier sehr konkrete Empfehlungen ausgesprochen. Diese müssten jetzt nur noch in Antragsform gegossen werden. Auch andere Änderungen im Urheberrecht könnten schnell angegangen werden wie zum Beispiel die Forderung, dass zukünftig auch für die Abbildung von Kunstwerken im öffentlichen Raum eine Vergütung an die Künstler zu zahlen ist.
Die Kommission schreibt auch, Kulturschaffende müssten mehr Netzwerke schaffen, Kräfte bündeln. Läuft das auf eine Hightech-Strategie für die Kultur heraus?
Nein. Die Hightech-Strategie, die beim Bundesforschungsministerium angesiedelt ist, ist ja staatlich initiiert worden. Hier geht es aber um den eigenen Beitrag von Kulturschaffenden, den wir als Politik nicht ersetzen können. Im Bereich der Kultur müssen die Beteiligten sich stärker bewusst machen, welches Potential in einer intensiveren Vernetzung liegt. Dann ließe sich die eine oder andere Forderung auch gegenüber der Politik leichter durchsetzen. Für den Bereich Kulturwirtschaft könnte insoweit Großbritannien Vorbild sein. Da haben sich Kulturtreibende jeglicher Couleur und Sparte zusammengeschlossen, um ihre Forderungen gemeinsam einzubringen. Allerdings ist dafür gegenseitiger Respekt und Anerkennung erforderlich. Die Trennung in gute und schlechte Kunst oder Kultur hilft da nicht. So gelingt es in Großbritannien, dass bildende Künstler mit Brauern an einem Tisch sitzen.
Sie schreiben ebenfalls, Kulturschaffende müssten unter anderem stärker auf Aktivitäten der EU-Kommission achten. Warum?
Der Einfluss gerade auch des EU-Rechts auf unsere nationale Rechtslage ist in der Vergangenheit oft übersehen worden. Dass es wichtig ist, hier eigene Positionen zu beziehen, sehen wir zum Beispiel bei der Diskussion um unsere Verwertungsgesellschaften wie die GEMA. Die EU-Kommission hat eine Liberalisierung vorgeschlagen. Damit wären Verwertungsgesellschaften in Zukunft nur noch reine Inkassounternehmen oder Rechtemakler. Das Sondersystem der kollektiven Rechtewahrnehmung, das in Deutschland geschaffen worden ist, basiert aber auf der Zielsetzung, dass Verwertungsgesellschaften kulturnahe Einrichtungen sind, die an der Seite der Künstler stehen sollen. Bei einer Nichtbefassung mit EU-Recht begibt man sich der Chance, auf die Kommission entsprechend einzuwirken.
Ebenfalls in die Zuständigkeit der Länder fallen die Vorschläge zum Schulunterricht, zum Beispiel die OECD aufzufordern, für kulturelle Bildung Standards zu entwickeln.
Was könnte an einheitlichen Standards von Kindern verlangt werden?
Wir haben hier keine konkreten Empfehlungen gemacht, sondern auf den PISA-Prozess verwiesen. Eine Evaluierung analog dieses Prozesse könnte zum Beispiel im Kunstunterricht bei den Kenntnissen an Kunsttheorie und der Beurteilung eines künstlerischen Werkes ansetzen.
Bestünde so nicht die Gefahr, Kunst in vorgefertigte Schablonen zu packen?
Nein. Die Länder sollen Maßstäbe an die Hand bekommen, um im Vergleich einen Handlungsbedarf zu erkennen. Dabei dürfte es nicht um die Interpretation des Bildes eines Kindes, sondern ob dieses z.B. in der Lage ist, einen Pinsel zu führen. Nach PISA haben wir zu sehr auf kognitive Fähigkeiten gesetzt. Wir müssen aber die Kreativität ebenso fördern.
Sie empfehlen den Ländern ebenfalls, den Neuaufbau von Schulchören zu fördern. Das sind aber oft Elemente, für die Lehrer keine Zeit haben, weil sie mit dem regulären Unterricht schon ausgelastet sind. Wie kann sich das ändern?
Wir haben tatsächlich zu wenig Kunst- und Musiklehrer. Dies ist auch das Ergebnis der derzeitigen Hochschulausbildung. Viele junge Menschen studieren Musik, um Musiker zu werden. Eine parallele Ausbildung als Lehrer oder Chorleiter wird bisher kaum angeboten bzw. wahrgenommen. Hier wären auch die Hochschulen gefragt, sich stärker auf die berufliche Praxis auszurichten.
Die Kommission beschäftigte sich auch mit der Situation von Kultur auf dem Land. Dort gibt es weder große Theater noch Opernhäuser. Waren sich die Mitglieder am Anfang bewusst, dass auch dort etwas getan werden muss?
Die Beschäftigung mit diesem Thema stand zunächst nicht im Mittelpunkt. Denn viele der Mitglieder der Kommission kamen aus städtischen Gebieten, aus Ballungszentren. Als Ostfriesin war ich eine der wenigen Vertreterinnen des ländlichen Raums. Da brauchte es Zeit, die besondere Situation der Kultur in ländlichen Regionen deutlich zu machen.
Wie wollen Sie Kultur auf dem Land fördern?
Für ländliche Räume ist typisch, dass Kultur durch ehrenamtliches Engagement von Bürgern getragen wird. Denn es fehlt an einer öffentlich finanzierten kulturellen Infrastruktur. So ist das nächste Staatstheater von meinem Heimatort 65 Kilometer entfernt. Aber es gibt hervorragende klassische Konzerte - von Freiwilligen organisiert. Deshalb haben wir uns zum Beispiel intensiv mit der Situation von Vereinen auseinandergesetzt. Wir glauben, dass wir durch entsprechende Empfehlungen für eine Einschränkung der Haftung von Vereinsvorständen, der Erleichterung von Steuererklärungen oder der Meldung bei der Künstlersozialversicherung und weiterem unmittelbar etwas für diejenigen tun können, die sich in Dörfern und Kleinstädten engagieren.
Gibt es außerdem noch Empfehlungen für zum Beispiel eine stärkere Förderung von Theatern oder Musikschulen gerade in ländlichen Regionen?
Nein, die Kommission hat bei der Förderung von Musikschulen und Theatern keinen Unterschied zwischen ländlichen Regionen oder Ballungszentren gemacht. Als ehrenamtliche Präsidentin der öffentlichen Musikschulen in Niedersachsen weiß ich darum, dass die Finanznot jede Musikschule begleitet. Nur die Anforderungen unterscheiden sich. So braucht es auf dem Land mehr Dependancen, in den Städten anders geschultes pädagogisches Personal.