Wer das Berliner Büro des SPD-Abgeordneten Johannes Kahrs betritt, den überkommt Erfurcht - weniger vor demjenigen, der dort arbeitet, als vor den historischen Größen, die da an den Wände prangen: Kurt Schumacher, Willy Brandt und Helmut Schmidt. Die Ahnengalerie der deutschen Sozialdemokratie. "Ich bin ein Traditions-Sozi", gesteht Kahrs. "Schon zu Schulzeiten habe ich mich für die Geschichte der SPD interessiert und habe Ebert, den ersten Reichspräsidenten, bewundert."
Man gönnt Kahrs diesen behaglichen Ort, gerade wenn es draußen im Lande etwas stürmisch wird und nicht nur die Temperaturen sinken, sondern auch die Umfragewerte seiner Partei. Aber ein Träumer, der verflossene Zeiten in seinem Büro beschwört, ist Kahrs nicht. Dass Politik neben besinnlichen Stunden auch mühselige birgt, das weiß der gebürtige Bremer schon seit Kindertagen. Damals, Ende der 1960er, half er seinem Vater, dem späteren SPD-Justizsenator, in der Hansestadt beim Wahlkampf, verteilte Flugblätter, klebte Plakate. "Ich habe am Beispiel meines Vaters schon früh gesehen, dass in der Politik nichts dauerhaft ist", erinnert sich Kahrs. Eine Wahl jage die andere, mal außerhalb der Partei, mal parteiintern. "Man muss sich vor den anderen immer wieder neu beweisen."
Das hat Kahrs nicht abschrecken können, in die Politik zu gehen. Bei dieser "genetischen Vorbelastung", wie er selber sagt, war ohnehin nicht die Frage entscheidend, ob er geht, sondern nur wann er geht. Sehr früh, könnte man nun antworten. 1982, kaum volljährig und damit zu einer Parteimitgliedschaft berechtigt, tat Kahrs es seinen Eltern gleich und trat der SPD bei.
Wollte hier jemand lediglich die Familientradition fortführen oder stand hinter diesem Schritt doch aus eigener Anschauung gewonnene Überzeugung? "Mein Eintritt", sagt Kahrs rückblickend, "war vielmehr eine Unterstützung des abgewählten Kanzlers Schmidt und ein Protest gegen die so genannte geistig-moralische Wende, die Helmut Kohl in seiner Regierungserklärung angekündigt hatte." Eine andere Partei sei für ihn gar nicht in Frage gekommen. CDU und FDP hätten keine Alternative dargestellt, und die Grünen habe es damals noch nicht gegeben. "Und auch wenn es sie gegeben hätte", fügt Kahrs schmunzelnd an, "ich wäre auch denen nicht beigetreten."
Doch große Politik hatte der heute 44-Jährige damals noch nicht im Sinn. Kahrs verpflichtete sich zwei Jahre bei der Bundeswehr, studierte anschließend in Hamburg und wurde Jurist. Sein gesellschaftliches und politisches Engagement gab Kahrs, der 1991 Bezirksabgeordneter in Hamburg-Mitte wurde, deshalb nicht auf. "Politik und Beruf", sagt er, "können gut parallel laufen."
Das änderte sich 1998. Als die SPD nach sechzehn Jahren der Opposition wieder in die Regierungsverantwortung kam, zog Kahrs mit in den neu gewählten Bundestag ein. Nicht über eine Landesliste, sondern nach harter Arbeit im Wahlkreis, wie er sie schon als Kind bei seinem Vater beobachten konnte. "Ich wollte als Wahlkreisabgeordneter gewählt werden", so Kahrs, "diese kleinteilige Arbeit direkt an der Basis ist die Grundlage, mit der man Bundespolitik machen kann." Das Ergebnis von 50,9 Prozent, das er in seinem Wahlkreis Hamburg-Mitte erreichte, konnte sich als Grundlage durchaus sehen lassen.
Im Bundestag knüpfte Kahrs schnell Kontakt zum Seeheimer Kreis, einer sich selbst als undogmatisch bezeichnenden Strömung innerhalb der SPD. "Ich habe wenig Verständnis für nie endende Parteidiskussionen", erklärt Kahrs. "Die Bürger müssen wissen, was die Partei will, sie wollen eine klare Aussage." Dem Haushaltsauschuss, in dem Kahrs sich engagiert, kann dieser Pragmatismus nur zum Vorteil gereichen. Wenn das Volk 2009 erneut zur Urne schreitet, wird Kahrs schon elf Jahre im Bundestag sitzen. Denkt er schon übers Aufhören nach? "In der Politik ist man nur dann gut", sagt der "Traditions-Sozi", "solange man Freude an der Arbeit hat, und die ist bei mir noch lange nicht versiegt." Was sind schon elf Jahre Parlamentsarbeit? Bei seinem großen Vorbild Willy Brandt, der von der Zimmerwand auf Kahrs herabblickt, waren es schließlich 31 Jahre.