REligion
Zwei Bestseller predigen über Glaube und Unglaube. Gläubig oder ungläubig machen sie beide nicht.
Mutig" ist eine oft und gerne gebrauchte Charakterisierung für Publikationen, deren Autoren gegen den Zeitgeist anschreiben, heiße Eisen anpacken, gegen die "political correctness" verstoßen oder sich anderweitig unbeliebt machen. Auch der "Gotteswahn" aus der Feder des Evolutionsbiologen Richard Dawkins ist in den vergangenen Wochen in den Feuilletons immer wieder als mutig eingestuft worden. Wie der Titel bereits erahnen lässt, handelt es sich bei seinem Buch um eine vernichtende Generalabrechnung mit der Religion.
Nun darf man schon einmal die Frage stellen, wieviel Mut ein bekennender und praktizierender Atheist in der westlichen Welt aufbringen muss, um auf über 500 Seiten darzulegen, dass Religion "irrational, fortschrittsfeindlich und zerstörerisch" ist, dass "der Glaube an Gott einer vernünftigen Betrachtung nicht standhalten kann" und ein wie auch immer geartetes oder bezeichnetes höchstes Wesen auch gar nicht existiert? Seinen Lehrstuhl für "Public Understanding of Science" an der Universität von Oxford, der 1995 eigens für ihn eingerichtet wurde, wird Dawkins deswegen nicht verlieren. Es droht ihm auch nicht jene Fatwa, mit der Salman Rushdie 1989 von den Mullahs in Teheran für seine "Satanischen Verse" zum Tod verurteilt wurde. Und wütende Protestnoten von Seiten der christlichen Kirchen werden nur die Verkaufszahlen in die Höhe treiben.
Vielleicht meinen die Rezensenten mit mutig auch weniger seine wahrlich nicht neuen Thesen, sondern die Vehemenz - um nicht zu sagen religiöser Eifer -, mit der Dawkins sie vorträgt. Denn das mit Abstand Positivste, was er der Religion noch zugesteht, ist, dass sie nicht die Wurzel alles Bösen ist. Aber auch nur deshalb, weil Dawkins weiß: "Nichts ist die Wurzel von allem, ganz gleich was es ist." Ansonsten rangieren die Religionen und ihre Anhänger ganz oben auf der Liste der Verdächtigen, wenn es um die Schandtaten der Menschheit geht. Die Terrorattentate des 11. September, die Kreuzzüge, die Hexenverbrennungen, die Verfolgung der Juden als "Christusmörder", der Nahost-Konflikt, die Bürgerkriege in Nordirland und im ehemaligen Jugoslawien, die öffentliche Enthauptung von Ketzern, die Unterdrückung der Frauen und - aufgepasst - die Zerstörung antiker Statuen in Afghanistan durch die Taliban - all das hätte es ohne Religion nicht gegeben. Stimmt! Vor allem hätten die Taliban jene zwei Buddha-Statuen, die Dawkins so treffend als antik bezeichnet, nicht zerstören können, weil diese als religiöses Bekenntnis auch nie aus dem Stein gemeißelt worden wären. Aber mit den Buddhismus will sich Dawkins auch nicht befassen. Kein Wunder, der kennt eben auch keinen Gott.
Nun ist es völlig richtig, das Treiben eifernder Fundamentalisten zu kritisieren. Doch Dawkins arbeitet sich auffällig stark an jenen amerikanischen Fundamental-Christen ab, die auch von ihren eigenen Glaubensbrüdern in und außerhalb der USA meist nur mit ungläubigem Kopfschütteln bedacht werden, und überträgt dies dann mehr als großzügig auf den Rest der Christenheit. Mit den Verhältnissen etwa in Europa hat das zwar wenig bis nichts zu tun, aber dies stört Dawkins nicht.
Sein Hauptanliegen ist es ja auch nicht, mit Fundamentalisten und selbsternannten Gotteskriegern jeglicher Couleur abzurechnen, sondern die Existenz Gottes widerlegen zu wollen - und zwar streng wissenschaftlich. Und man kann dem Autor auch bescheinigen, dass seine spitzzüngig vorgetragenen Beweisführungen recht flott und eingängig zu lesen sind. Aber Gott mit naturwissenschaftlichen Argumenten widerlegen zu wollen, war und ist genau so unsinnig, wie die Naturwissenschaften theologisch widerlegen zu wollen. Letzteres haben Kirchen und Religionsgemeinschaften immer wieder - und auf Dauer "Gott sei Dank" erfolglos - probiert. Jene Kapitel gehören nicht zu den ruhmreichen in der Geschichte der Religionen. Warum nun ausgerechnet ein gestandener Vertreter der naturwissenschaftlichen Zunft meint, den gleichen Irrweg in umgekehrter Richtung beschreiten zu müssen, ist schleierhaft. Und der Gegensatz von religiösen und wissenschaftlichen Wahrheiten - wenn es ihn überhaupt gibt - ist auch nie so groß gewesen wie Dawkins suggerieren möchte.
Absurd wirkt aber vor allem Dawkins Streben als glühender Missionar: "Wenn dieses Buch die von mir beabsichtigte Wirkung hat, werden Leser, die es als religiöse Menschen zur Hand genommen haben, es als Atheisten wieder zuschlagen", lautet seine Hoffnung. Eine Hoffnung, die allerdings schnell an ihre Grenzen stößt. Denn Dawkins glaubt zu wissen, dass "eingefleischte Gläubige (...) natürlich keinem Argument zugänglich" sind, schließlich sei "ihr Widerstand (...) in jahrelanger kindlicher Indoktrination aufgebaut" worden. Solche wissenschaftlichen Erkenntnisse prangen dem Leser bereits auf Seite 18 entgegen und der "eingefleischte Gläubige" könnte die Lektüre an dieser Stelle eigentlich einstellen.
Provokationen und Polemik können ein probates Mittel sein, um eine Diskussion in Gang zu setzen. Doch wer diese Schraube überdreht, der riskiert die völlige Funkstille. Aber vielleicht sucht Dawkins ja auch gar nicht den Dialog. Vielleicht dient sein Buch ja nur der Selbstvergewisserung und als Erbauungsliteratur für seine Schwestern und Brüder im Unglauben. Dann wäre Dawkins laut eigener Definition letztlich doch nur das, was er um keinen Preis sein will - ein Fundamentalist. Im Grunde ist er das auch: Er weiß, dass er Recht hat; die Welt lässt sich nur aus dem Blickwinkel der Wissenschaft erklären - der Rest ist Hokuspokus.
Eines kann man Richard Dawkins sicherlich nicht vorwerfen: Er ist kein Vertreter des "schlampigen Atheismus". Die hat nämlich sein publizistischer Konkurrent Manfred Lütz in seinem neuen Buch "Gott. Eine kleine Geschichte des Größten" im Visier. Es gäbe Atheisten, so weiß der Psychotherapeut und Theologe zu berichten, "die verplempern kostbare Zeit für irrationale Bedenken und leben manchmal so, als gäbe es Gott vielleicht ein bisschen doch". Dies sei "fatal", sie verschwendeten "unwiederbringliche Lebenszeit für einen Gott, den es gar nicht gibt". Gleiches gelte für jene Gläubigen, die oft so lebten, als gäbe es Gott nicht. Nun ist es eine Sache, von einem Gläubigen ein konsequent gläubiges Leben einzufordern. Aber dem Atheisten den Zweifel an seinem Unglauben vorzuhalten, mutet merkwürdig an. Eigentlich dürfte man von einem bekennenden Katholiken wie Lütz erwarten, dass er sich über diesen Sachverhalt höchst erfreut zeigt.
Bei der weiteren Lektüre wird dann aber klar, warum Lütz diesen vermeintlich "schlampigen Atheismus" anprangert. Bei seinem unterhaltsam zu lesenden Streifzug - er führt vom Gott der Psychologen, über den Gott der Kinder, der Lehrer, der Wissenschaftler, der Philosophen und gar der Atheisten bis hin zum Gott von Abraham, Issak und Jacob - will er zeigen, dass es mit den Argumenten für den Atheismus prinzipiell nicht zum Besten bestellt ist. Respekt zollt Lütz allenfalls noch Nietzsche, dessen Atheismus sei - weil konsequent - eine "wirkliche Alternative".
Lütz bedient sich einer leicht verständlichen Sprache. Ein Gespräch über Gott "mit einem gescheiten, aber nicht überkandidelten Zeitgenossen" will er auf den 300 Seiten führen. Bei all der theorielastigen und mit theologischem Wissen überfrachteten religiösen Literatur, die sich sonst so in den Bücherregalen stapelt, ein lobenswerter Ansatz. Lütz generiert sich auch nicht wie Dawkins als eifernder Haudrauf. Aber seine Ausführungen, durchsetzt mit allerlei überflüssigen Anekdoten, kommen dann doch oft zu flapsig daher. Und seine stellenweise feine Ironie erschließt sich auch nur jenen Lesern, die eben doch ein gerüttelt Maß an Vorkenntnissen mitbringen.
Eines bleibt nach der Lektüre von Lütz und Dawkins: Erfahren hat man viel darüber, was Wissenschaftler, Politiker, Theologen, Denker und Dichter über Gott gedacht und geschrieben haben - eine Antwort auf die Kernfrage, die Gottesfrage, findet man nicht. Alle Wahrheiten lassen sich eben nicht in Büchern finden. In diesem Sinne - frohe Weihnachten.
Der Gotteswahn.
Ullstein Verlag, Berlin 2007;
575 S., 22,90 ¤