51. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 1. Juli 2010
Beginn: 9.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich in einem Plenarsaal, dessen Möblierung noch nicht ganz dem Üblichen entspricht, aber in dem die Zahl der Stühle über Nacht auf die tatsächliche Zahl der Mitglieder des Bundestages zurückgeführt worden ist; damit werden wir vermutlich bei der Abwicklung der heutigen Tagesordnung gut auskommen.
Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich dem Kollegen Rainer Arnold zu seinem 60. Geburtstag gratulieren.
Der Kollege Rainer Brüderle hat seinen 65. Geburtstag gefeiert, wozu ich besonders herzlich gratuliere.
Alle guten Wünsche für die nächsten Jahre!
Der zunächst vorgesehene Tagesordnungspunkt 1 mit Anträgen zur Religionsfreiheit wird für heute abgesetzt. Wir beginnen gleich mit einer Regierungserklärung des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie.
Darüber hinaus ist beabsichtigt, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie
Aufschwung für Deutschland
ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
Ergänzung zu TOP 23
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Den Deutschen Bundestag bei der Reform der Umsatzsteuer beteiligen
- Drucksache 17/2333 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Agnes Krumwiede, Katrin Göring-Eckardt, Bettina Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Das ?Parlament der Bäume gegen Krieg und Gewalt? muss dauerhaft geschützt werden
- Drucksache 17/1580 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
ZP 3 Befragung der Bundesregierung
Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Ich mache auf eine nachträgliche Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 43. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden.
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Endenergieeffizienz und Energiedienstleistungen
- Drucksachen 17/1719, 17/2280 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Ausschuss für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Sind Sie damit einverstanden?
- Das ist gut so; das erspart uns weitere Verzögerungen.
Ich rufe Zusatzpunkt 1 auf:
ZP 1 Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie
Aufschwung für Deutschland
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung 90 Minuten vorgesehen. - Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich erteile das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung dem Bundesminister für Wirtschaft und Technologie Rainer Brüderle.
Rainer Brüderle, Bundesminister für Wirtschaft und Technologie:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland ist wieder da, nicht nur sportlich, sondern auch wirtschaftlich und politisch.
Die Bundesbank sieht das Wachstum für dieses Jahr bei 1,9 Prozent, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag sogar bei 2,3 Prozent. Auch 2011 wird sich die Erholung allen Prognosen zufolge fortsetzen. Das alles geschieht bei historisch niedrigen Zinsen und hoher Geldwertstabilität.
Die Auftragsbücher der Industrie haben sich im Frühjahr deutlich gefüllt. Die Produktionstätigkeit hat sich kräftig belebt. Die Auslastung der Kapazitäten nimmt wieder zu. Die Perspektiven für den Welthandel, die Weltwirtschaft haben sich deutlich aufgehellt. Der Internationale Währungsfonds rechnet mit einer Zunahme des Welthandelsvolumens um 7 Prozent in diesem Jahr und 6 Prozent im nächsten Jahr. Wir müssen dabei sein, und wir werden dabei sein.
Das sind ermutigende Signale. Das ist genau die Entwicklung, die wir mit unserer wachstums- und arbeitsplatzfreundlichen Politik erreichen wollen. Die Wachstumsbeschleunigung findet statt, so wie wir sie im gleichnamigen Gesetz zum Jahresanfang angedacht haben.
Davon haben die Bürger konkret etwas. Die Nettoreallöhne steigen seit Jahren erstmals wieder.
Die Zahlen zeigen auch: Wir sind eine exportorientierte Wirtschaft, und darauf können wir stolz sein. Wir können stolz darauf sein, dass die ganze Welt unsere hochwertigen Waren und Dienstleistungen nachfragt,
dass wir in Deutschland hochqualifizierte und hochmotivierte Arbeitskräfte haben, dass wir die Konjunkturlokomotive für die gesamte Europäische Union sind und dass wir in vielen Zukunftsbranchen an der Spitze der technologischen Entwicklung stehen. Ich nenne beispielhaft: Pharmabereich, Biotechnologie, Nanotechnologie, Medizintechnik, Umwelttechnologie, die erneuerbaren Energien und Energieeffizienz. Vergessen wir auch nicht die klassischen Stärken unserer Exportwirtschaft: den Maschinen- und Anlagenbau, Chemie und Elektrotechnik. Auch bei der Automobilindustrie brummt es wieder. Nicht nur bei Daimler, Audi und BMW gibt es Sonderschichten, auch viele Mittelständler fahren die Kapazitäten hoch.
Die internationalen Export- und Importströme sind übrigens sehr viel komplexer, als mancher behauptet. Der Anstieg des deutschen Exports geht vor allem auf die starke asiatische Nachfrage zurück.
Diese Länder produzieren ihrerseits Exportüberschüsse. Sie leiden also nicht unter der deutschen Exportstärke und an ihren Importen, sondern sie nutzen den Import hochwertiger deutscher Produkte, um wirtschaftlich erfolgreicher zu sein.
Auch die Vereinigten Staaten haben das offensichtlich erkannt. Präsident Obama hat im Februar eine Außenwirtschaftsoffensive gestartet.
Nun gibt es einige, die unser erfolgreiches Exportmodell infrage stellen. Sie fordern: Erhöht drastisch die Löhne, macht noch mehr Konjunkturprogramme! Aber das ist der falsche Weg.
Das wäre eine Art schleichende ?Griechenlandisierung? der deutschen Wirtschaftspolitik. Das machen wir nicht.
Es werden hundertprozentige Sofortabschreibungen vorgeschlagen, sozusagen eine Abwrackprämie für alte Maschinen. Das ist kurzsichtig. Das ist kurzatmig. Das ist aktionistische Strohfeuerpolitik.
Natürlich ist eine starke Binnenkonjunktur wichtig. Natürlich sind die sie stärkenden Investitionen wichtig, aber dafür brauchen wir eine klare Politik mit langen Linien und kein kurzes Denken.
Wir müssen die Unternehmen auch in Deutschland investieren lassen. Technologiefeindlichkeit und ein rückwärtsgerichtetes Denken schaden unserem Land. Die Binnennachfrage wird stärker gefördert, wenn wir die Selbstblockaden etwa bei der Kernenergie
oder der Gentechnik auflösen.
Ich verweise auf den Transrapid in der Vergangenheit. Ich nenne die CCS-Technologie mit großen Chancen für unsere Wirtschaft, aber auch für den Klimaschutz.
Wer nicht in Deutschland investieren darf, wird zum Export gezwungen. Im schlimmsten Fall geht er ganz. So stärkt man die Binnennachfrage nicht. Man stärkt sie, indem man Beschäftigung schafft. Jeder Arbeitslose, der einen Job bekommt, macht sein eigenes Konjunkturprogramm. Er hat mehr Einkommen und damit mehr Konsummöglichkeiten. Sie kennen die Faustformel: 100 000 Arbeitslose weniger bedeuten allein für den Staat rund 2 Milliarden Euro mehr. Die gestiegenen privaten Konsumausgaben, die damit verbunden sind, sind hierbei nicht eingerechnet. Ich will lieber Hunderttausende kleine private Konjunkturprogramme haben als staatlichen Dirigismus.
Wir erleben in Deutschland ein gar nicht so kleines Jobwunder. Die Erwerbstätigkeit nimmt zu, die Arbeitslosigkeit nimmt ab. Wir können bald die Marke von 3 Millionen Arbeitslosen unterschreiten. Im Juni gab es noch 3,15 Millionen Arbeitslose. Das sind fast 260 000 weniger als im Vorjahr. Erfreulich ist auch die Lage in Ostdeutschland. Dort ist die Arbeitslosigkeit das erste Mal seit Jahren unter 1 Million gefallen.
In ganz Deutschland hat sich die Zahl der Kurzarbeiter seit dem Höhepunkt im Mai letzten Jahres etwa halbiert. Die Bundesagentur für Arbeit sieht hierin Signale für weitere Entspannung. Es gibt erste Schätzungen, dass wir Ende des Jahres die Zahl auf 100 000 zurückführen können.
Im internationalen Vergleich steht Deutschland mit einer ILO-Arbeitslosenquote von 7,1 Prozent deutlich besser da als die Vereinigten Staaten mit 9,9 Prozent und liegt unter dem Durchschnitt des Euro-Raums mit über 10 Prozent. Für dieses Jobwunder gibt es eine Formel: Flexibilität und Sicherheit. Diese Entwicklung haben zu zwei Dritteln betriebliche Bündnisse und flexible Strukturen ermöglicht - und nur zu einem Drittel die staatliche Arbeitsmarktpolitik.
Meine Damen und Herren, wir können die Weichen für weiteren wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland stellen. Wir brauchen eine Rückbesinnung auf die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft. Die christlich-liberale Koalition hat diesen Kompass. In der sozialen Marktwirtschaft geht es um die richtige Balance von Staat und Markt, von eigenverantwortlichen Entscheidungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger und kollektiven Entscheidungen des Staates.
In diesem Zusammenhang ist das Prinzip von Eigenverantwortung und Haftung von zentraler Bedeutung. Der Einzelne haftet für die Folgen seines Handelns im Positiven wie im Negativen. Das heißt, er muss die Früchte seiner Leistung ernten können, aber er muss auch für die Verluste, von Fehlentscheidungen ausgelöst, einstehen und dafür haften.
Im Zuge der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise ist dieses Prinzip durch zahlreiche Rettungsschirme für Banken und Unternehmen und sogar für Staaten notgedrungen verletzt worden. Wir hatten eine heftige keynesianische Situation mit großer Deflationsgefahr und der Gefahr der Liquiditätsfalle, was bedeutet, dass selbst weitere Liquidität nicht zu Impulsen führt. Karl Schiller sagte es einmal so: Wenn die Pferde nicht saufen, dann funktioniert das nicht.
Aber jetzt kommt der Unterschied zu den Politikansätzen der Opposition. Es lohnt sich immer, auch das zweite Kapitel von Keynes zu lesen: Im Aufschwung müssen staatliche Programme zurückgefahren werden.
Im Aufschwung müssen die Staatsschulden wieder reduziert werden.
Wir müssen also wieder zu einer bewussten Gestaltung des Ordnungsrahmens kommen. Wir bezeichnen das als Exit-Strategie.
Der Fall Opel ist ein Beleg dafür, dass wir es mit der sozialen Marktwirtschaft ernst meinen. Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht; aber General Motors hat wenige Tage nach unserer Entscheidung alle Anträge auf Staatshilfen in Europa zurückgezogen. General Motors übernimmt die volle unternehmerische Verantwortung - übrigens mit einem historischen Börsengang im Rücken. Dort stehen Zahlen von 80 bis 90 Milliarden US-Dollar im Raum. Wir haben dem deutschen Steuerzahler einen Haufen Geld gespart.
Auch in anderen europäischen Staaten wird man mit der Entwicklung in Deutschland, was dieses Thema angeht, nicht unzufrieden sein.
Der Fall Opel zeigt auch: Die Unternehmen sollten ihren Gehirnschmalz und ihre Ressourcen in neue Ideen und Produkte stecken. Viel Zeit und viel Geld für Subventionsberater, Anwälte und Lobbyisten auszugeben, ist weder marktwirtschaftlich noch unternehmerisch.
Zum konsequenten Rückzug des Staates aus den Krisenmechanismen gehört, dass wir den Wirtschaftsfonds Deutschland nicht willkürlich verlängern; sonst drohen Gewöhnungseffekte. Bis zum 31. Dezember 2010 können noch Anträge gestellt werden. Derzeit sehe ich keinen Grund, den Fonds darüber hinaus weiterlaufen zu lassen.
Die Euro-Krise hat uns gezeigt: Wettbewerbsfähigkeit und klare, saubere ordnungspolitische Grenzen sind auch in Europa unabdingbar. Auch in Europa brauchen wir eine ordnungspolitische Diskussion. Denn in Europa gibt es unterschiedliche Philosophien und Ansätze, etwa das skandinavische Wohlfahrtsmodell, das zentralistische Modell der Franzosen, die Freihandelstradition der Engländer und die soziale Marktwirtschaft in Deutschland.
Diese unterschiedlichen Kulturen müssen im Bereich der Wirtschaftspolitik wirkungsvoll koordiniert werden. Dabei kann es nicht um eine zentrale Detailsteuerung von Einzelmaßnahmen der Mitgliedstaaten durch einseitige Vorgaben der EU gehen; so verstehen jedenfalls wir den Begriff ?Wirtschaftsregion? nicht. Wir brauchen vielmehr ein strukturpolitisches Frühwarnsystem. Die tiefer liegenden strukturellen Fehlentwicklungen müssen früher, klarer, wirkungsvoller erkannt und angegangen werden.
Letztlich steht hinter den Fehlentwicklungen und den Defiziten mangelnde Wettbewerbsfähigkeit. Die tiefe Ursache der griechischen Misere ist mangelnde Wettbewerbsfähigkeit.
Nicht nur der Blick auf die finanzpolitischen Indikatoren wie Defizitquote und Schuldenstand ist wichtig, um Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen. Zukünftig muss auch die Entwicklung weiterer Kennzahlen sorgfältig beobachtet werden, zum Beispiel die Entwicklung von Löhnen, Preisen und Produktivität. Wir brauchen ein neues, effektiveres Verfahren der wirtschaftspolitischen Begleitung und Überwachung. Es müssen rechtzeitig die richtigen politischen Signale gesendet und die notwendigen Reformprozesse angestoßen werden. Dazu gehört auch der notwendige Nachdruck.
Ein solches Verfahren muss über klare Strukturen, Regeln und eventuell auch Sanktionsmöglichkeiten verfügen. Wir sollten dabei auf vorhandene Strukturen - ich denke etwa an den Wettbewerbsfähigkeitsrat - aufbauen. Ein solcher Rat - Stichwort ?ECO-COMP? - könnte die Mitgliedstaaten sturkturpolitisch begleiten und zusätzlich als Frühwarnsystem dienen.
Als überzeugter Europäer sage ich: Wir müssen unsere eigenen Hausaufgaben machen. Unsere Zusage zur Öffnung des Arbeitsmarktes ab April nächsten Jahres werden wir einhalten. Wir sollten auch nicht durch neue Schutzzäune neue Barrieren durch die Hintertür aufbauen, nur weil sich einzelne Branchen vor Wettbewerb fürchten.
Meine Damen und Herren, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in geordnete Staatsfinanzen gehört zu den unverzichtbaren Voraussetzungen für nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum. Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte ist kein Selbstzweck. Die Beschlüsse des G-20-Gipfels vom vergangenen Wochenende zeigen, dass die Einsicht in die Zusammenhänge auch international gewachsen ist.
Die Industriestaaten haben sich bei diesem Treffen verpflichtet, ihre Defizite bis 2013 zu halbieren. Die Bundesregierung ist also keineswegs international isoliert, wenn wir ab dem kommenden Jahr den Ausstieg aus den in der Krise angewachsenen Staatsdefiziten einleiten.
Die sogenannten nicht-keynesianischen Effekte der Haushaltskonsolidierung können ihre Wirkung entfalten. Die Menschen können darauf vertrauen, dass die Schulden von heute nicht die Steuern von morgen sind. Deswegen setzen wir an der Ausgabenseite an.
Für den Etat des Wirtschaftsministeriums bedeutet das zum Beispiel weniger Subventionen für die Steinkohle. Bemerkenswert ist, dass die Grünen einen Antrag zu diesem Thema auf die heutige Tagesordnung haben setzen lassen, allerdings ohne Aussprache.
Schade! Dazu hätte man nämlich manches sagen können.
Mit ihrem Sparpaket sendet die Bundesregierung ein Signal der Stabilität und Klarheit. Wir kommen ohne Erhöhung der Einkommensteuer und der Mehrwertsteuer aus. Wir wollen durch Sanieren wachsen.
Stoltenberg und Lambsdorff ist es Anfang der 80er-Jahre gelungen, gleichzeitig die Nettokreditaufnahme zu halbieren, die Staatsquote zu senken und dabei auch noch neues Wachstum zu produzieren.
Im zweiten Schritt wollen wir durch Wachstum die Haushalte sanieren. Mit unserem Sparpaket schaffen wir den Spielraum für zukünftig niedrigere Steuern und Abgaben. Wir schaffen den Spielraum für bessere Kreditbedingungen. Nimmt sich der Staat bei der Kreditaufnahme zurück, haben die Unternehmen ein größeres Kreditangebot zur Verfügung. Eine steuerliche Entlastungsperspektive hilft Wachstumskräften. Ein einfaches Steuerrecht, Strukturreformen und Entlastungsperspektive gehören zusammen.
Wir werden nicht den Fehler von Grün-Rot wiederholen und ein monströses Steuervergünstigungsabbaugesetz vorlegen, das die Entlastungsperspektive vollkommen außer Acht lässt.
Das ist damals ökonomisch und politisch gescheitert. Die Bevölkerung war tief verunsichert und die Wirtschaft gelähmt.
Heute heißt es Maßhalten, damit morgen die Entlastung kommen kann.
Um Maß und Mitte geht es auch bei der Energiepolitik. Die christlich-liberale Koalition sorgt für eine verlässliche, klimafreundliche und kostengünstige Energieversorgung. Deshalb werden wir die Laufzeiten für Kernkraftwerke verlängern. Kernenergie ist eine Brücke ins Zeitalter der erneuerbaren Energien.
Im Herbst werden wir dazu die Eckdaten vorlegen. Der Bundestag wird in der Folge über die Änderung des Atomgesetzes abstimmen. Die Verfassungsressorts prüfen das gerade, übrigens auch im Blick auf die kürzlich ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz. Ich persönlich gehe davon aus, dass das ohne Beteiligung des Bundesrats geht, da auch der Ausstieg aus der Kernenergie ohne Beteiligung des Bundesrats möglich war.
Bezahlbare Energie ist für Wirtschaft und Verbraucher wichtig. Mindestens genauso wichtig sind bezahlbare Rohstoffe. Das wird ein Megathema der nächsten Jahre werden. Die großen Aktivitäten der Investmentbanken auf diesem Feld geben erste Hinweise. Die Kartellbildung nach Vorbild der OPEC setzt jetzt etwa auch bei Eisenerz an. In zwölf Monaten haben sich die Preise für Eisenerz mehr als verdoppelt. Uns muss es darum gehen, dass Deutschland weiterhin verlässliche und kostengünstige Rohstoffe zur Verfügung hat.
Klar ist: Der Staat wird nicht selbst in den Markt eingreifen und etwa Rohstoffe einkaufen. Wir helfen dort, wo Kooperation von Wirtschaft und Politik einen Mehrwert bringt. Die Bundesregierung baut derzeit in der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe eine Rohstoffagentur auf. Sie wird der Wirtschaft helfen können, konkrete Informationen über Vorkommen zu erlangen und Möglichkeiten anzupacken.
Auf dem Rohstoffgipfel im Wirtschaftsministerium - die zweite Runde hat schon stattgefunden - haben wir vereinbart, dass gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt, dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Rohstoffpartnerschaften mit Entwicklungsländern auf den Weg gebracht werden können. Die Wirtschaft selbst wird bis Mitte Juli Vorschläge dazu vorlegen. Die Märkte werden jetzt weltweit neu verteilt. Da muss Deutschland als Exportnation dabei sein.
Wir sind auf einem guten Weg. Der Aufschwung geht weiter. Der Kurs der Regierung hat sich bestätigt.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Garrelt Duin für die SPD-Fraktion.
Garrelt Duin (SPD):
Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Brüderle, das hatten Sie sich so schön gedacht, als Sie - ich glaube, für das ganze Haus überraschend - diese Regierungserklärung zum Thema Aufschwung für den heutigen Morgen auf die Tagesordnung gesetzt haben. Ihre Vorstellung war so: Ich verkünde am Montag, dass der Aufschwung da ist, am Mittwoch führen wir eine glanzvolle Bundespräsidentenwahl durch, und am Donnerstagmorgen kann ich hier noch einmal kraftvoll sagen, wie erfolgreich diese Bundesregierung ist.
Das hat nicht ganz funktioniert: Nachdem Sie angekündigt hatten, wie groß der Aufschwung ist, ist der DAX um 1,5 Prozent eingebrochen.
Der gestrige Tag hat eines gezeigt: Ihnen von der Koalition ist es gestern nicht gelungen, in der regulären Spielzeit einen Sieg zu erringen; es ist Ihnen nicht gelungen, in der Verlängerung einen Sieg zu erringen; es ist Ihnen erst im Elfmeterschießen gelungen - unter tätiger Mithilfe der Linken in diesem Parlament -, einen Sieg zu erringen. Das ist die Wahrheit.
Diese Regierung geht auf dem Zahnfleisch. Das wird leider gerade in der Wirtschaftspolitik deutlich.
Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin, eines will ich noch sagen, bevor ich auf die Rede des Herrn Bundeswirtschaftsministers eingehe. Wir hatten in der vergangenen Woche einen Weltwirtschafts-Gipfel, nämlich den G-20-Gipfel. Vorher gab es einen G-8-Gipfel. Wenn uns in diesem Hause und die deutsche Öffentlichkeit insgesamt - jeden Bürger und jede Bürgerin - in den letzten eineinhalb bis zwei Jahren eine Frage beschäftigt hat, dann ist es die: Wie kriegen wir es hin, die richtigen Lehren aus dieser Finanzmarktkrise, die eine reale Wirtschaftskrise geworden ist, zu ziehen? Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin, ich hätte erwartet, dass Sie nach Ihrer Rückkehr aus Toronto eine Regierungserklärung darüber abgeben, wie Sie gedenken, weltweit gegen die Finanzmarktakteure vorzugehen und sie an den Kosten dieser Krise zu beteiligen. Das wäre heute hier Ihr Platz gewesen. Stattdessen kümmern Sie sich nur darum, Ihre Koalition mit Ach und Krach zusammenzuhalten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Herr Wirtschaftsminister hat gesagt, der Aufschwung sei da und diese Bundesregierung habe so viel dafür getan. Es wäre ja schön, wenn der Aufschwung tatsächlich selbsttragend wäre. Davon sind wir aber leider noch ein gutes Stück entfernt, weil die Akteure auf den Märkten auch nach wie vor verunsichert sind. Das gilt ganz besonders für den Binnenmarkt.
Wenn Sie sich vor Augen führen, dass das Ifo-Institut die Geschäftsentwicklung in den kommenden sechs Monaten sehr zurückhaltend einschätzt, wenn Sie sich vergegenwärtigen, dass das IMK sagt, dass die Wirtschaftsdynamik bereits in der zweiten Jahreshälfte deutlich nachlassen wird, wenn Sie sich den Konjunkturbericht des Bankenverbandes anschauen, in dem ebenfalls steht, dass es viele Gründe gibt, die gegen die Erwartung sprechen, dass es im zweiten Halbjahr ein deutlich positiveres Gesamtbild geben wird,
dann ist es notwendig, mehr zu sagen als der Bundeswirtschaftsminister. Er hat heute nur gesagt: Wir machen eine Exit-Strategie. - Das kann nicht die Antwort auf diese Herausforderung sein.
Lassen Sie uns doch endlich eine Debatte darüber beginnen, welche Instrumente, die wir unter anderem mit den beiden Konjunkturpaketen auf den Weg gebracht haben und die sehr hilfreich waren - das wird inzwischen auch von der FDP nicht mehr bestritten, auch wenn sie damals laut dagegen vorgegangen ist -, über das Ende dieses Jahres hinaus fortbestehen müssen, damit wir einen dauerhaften, selbsttragenden Aufschwung in Deutschland bekommen können. Warum kommen Sie überhaupt auf die Idee - es ist wirklich aberwitzig -, das erfolgreichste Programm, das wir in den letzten Jahren gehabt haben, nämlich das CO2-Gebäudesanierungsprogramm, so einzudampfen, wie Sie das vorhaben?
Das ist der größte Fehler, den man überhaupt machen kann, weil doch gerade durch dieses Programm den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit eröffnet wird, die eigenen Energiekosten zu senken. Auch für das Handwerk war es sehr erfolgreich, weil es ihm viele Aufträge verschafft hat.
Wie kann man in einer solchen Situation denn nicht wenigstens einmal darüber nachdenken, ob man die Regelung, die wir für die Absetzbarkeit der Handwerkerrechnungen in der letzten Wahlperiode gemeinsam getroffen haben, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, noch einmal fortsetzt, weil sie so eine positive Wirkung gehabt hat und weil mit ihr vermieden wurde, dass Arbeit wieder in der Grauzone, also in der Schwarzarbeit, verschwindet? Dass ordentlich abgerechnet wurde, war gut für die Bürgerinnen und Bürger und für die Handwerksbetriebe in unserem Land.
Es gäbe also eine ganze Reihe von Punkten, die man ganz konkret anfassen könnte. Aber das ist natürlich von diesem Wirtschaftsministerium, von dieser Bundesregierung nicht zu erwarten.
Über einige Themen sind Sie heute locker hinweggegangen, zum Beispiel darüber, dass die Zahl der Insolvenzen in Deutschland trotz der konjunkturellen Erholung gestiegen ist. In den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres haben 17 360 Unternehmen einen Insolvenzantrag gestellt. Das sind 7,1 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Sie haben kein Wort zu dieser Entwicklung gesagt.
In der letzten Woche haben wir eine sehr schwerwiegende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zum Grundsatz der Tarifeinheit zur Kenntnis nehmen müssen. Ich hätte erwartet, dass sich der Bundeswirtschaftsminister hier und heute, in einer solchen Regierungserklärung, wenigstens ansatzweise zu diesem Thema geäußert und gesagt hätte: Wir müssen gemeinsam mit dem DGB und der BDA das weiterführen, was diese beiden hierzu schon entwickelt haben. - Sie glauben noch immer an das seligmachende Instrument der betrieblichen Bündnisse. Nein, es kommt darauf an, dass wir Frieden in den Betrieben haben, und das geht nur über die Tarifeinheit in Deutschland. Deswegen wäre es eine Herausforderung für dieses Parlament, gemeinsam mit der BDA, dem DGB und anderen Partnern dafür zu sorgen, dass wir das nach diesem Urteil auch in Zukunft sicherstellen können, Herr Fuchs. Durch die Bewältigung dieser Aufgabe könnten wir gemeinsam etwas voranbringen.
Sie setzen stattdessen auf eine völlig falsche Sparstrategie ohne jeglichen Impuls für ein wirklich nachhaltiges Wachstum in Deutschland. Das, was Sie hierzu vorlegen, ist zu wenig. Sie verzetteln sich in Kleinigkeiten, anstatt eine klare Linie für Deutschland auch mit Blick auf die internationalen Verflechtungen der deutschen Wirtschaft zu entwickeln. All das gibt es bei Ihnen nicht.
Deswegen bin ich genötigt, Herr Bundestagspräsident Lammert, mit Ihrer Genehmigung, die ich jetzt einmal voraussetze, auf das zurückzukommen, was Sie gestern gesagt haben. Sie haben es natürlich auf das Amt des Bundespräsidenten bezogen, als Sie, wie ich fand, sehr nachvollziehbar gesagt haben: Man muss in einer Demokratie kein Amt übernehmen; aber wenn man denn gewählt ist, dann muss man das Amt mit aller Kraft ausüben und ausführen. - Sehr geehrter Herr Bundeswirtschaftsminister Brüderle, das und nicht mehr verlangen wir auch von Ihnen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Michael Fuchs ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Aufgrund eines spürbaren Aufschwungs in der Wirtschaft und ganz besonders - und das ist sehr erfreulich - auf dem Arbeitsmarkt erleben wir momentan ein Sommermärchen. Nein, es ist kein Märchen, es ist real. Gott sei Dank ist das so. Wir sind aus der Krise heraus, und zwar schneller, als wir alle uns das gedacht haben.
Wir haben die Folgen dieser Krise gut gemeistert. Dazu haben alle Programme, die wir in diesem Hohen Hause gemeinsam erarbeitet haben, beigetragen. Herr Duin, ich gebe Ihnen recht: Die Konjunkturprogramme haben gewirkt. Alles andere, was Sie zur Wirtschaftspolitik von sich gegeben haben, waren aber eher Klein Fritzchens Wirtschaftsweisheiten, die nicht ganz nachvollziehbar sind.
Auch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz hat gewirkt. Zum 1. Januar dieses Jahres haben wir die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland in einem Gesamtumfang von rund 23 Milliarden Euro entlastet. Ein Konjunkturprogramm in dieser Größenordnung hat es selten gegeben. In allen Bereichen wurden Wirkungen erzielt. Mit Sicherheit ist das einer der Gründe dafür, dass die Wirtschaft mittlerweile wieder boomt und dass neu eingestellt wird. Bei einer Konjunkturumfrage des Ifo-Instituts haben alle befragten Unternehmen gesagt, dass sie davon ausgehen, dass sich der Aufschwung in der zweiten Jahreshälfte eher verstetigen und verstärken wird. Herr Duin, Sie haben hierzu etwas Falsches gesagt. Man sollte die entsprechenden Statistiken eben lesen, bevor man etwas behauptet.
Wir haben mit den Rettungsschirmen für Griechenland und den Euro auch auf dem europäischen Finanzmarkt richtig reagiert. Der Euro steht heute bei 1,23 Dollar. Das ist überhaupt kein Drama. Im Gegenteil: Die deutsche exportierende Wirtschaft ist nicht unzufrieden damit, weil dadurch unsere Chancen im dollarabhängigen Ausland, in das immerhin rund 40 Prozent unserer Exporte gehen, verstärkt werden. Das sollte man in diesem Zusammenhang sehen. Der Euro hat schon einmal bei 85 Cent und auch bei 1,55 Dollar gestanden. Das war jeweils zu handhaben; auch das gehört zur Wahrheit.
Ich denke, dass die Bundesregierung richtig gehandelt hat, als sie diese Krise jetzt für beendet erklärt hat. Ich bin dem Bundeswirtschaftsminister für diese Aussage dankbar. Es ist völlig richtig, dass wir die Lehre von Keynes vollständig betrachten müssen. Der Keynesianismus muss so verstanden werden, wie er von Keynes gedacht war: Im Aufschwung müssen Maßnahmen sofort zurückgefahren und Sparmaßnahmen eingeleitet werden, damit die Kosten der deflatorischen Phase wieder ausgeglichen werden können. Ich bin davon überzeugt, dass die Sparpakete, die wir bis jetzt beschlossen haben, richtig sind.
Dass wir nicht so stark in das Soziale einschneiden, will ich an zwei Beispielen klarmachen. Der Bereich Soziales macht ungefähr 55 Prozent des Bundesetats aus, aber der Anteil des Bereichs Soziales an unserem Sparpaket beträgt rund 30 Prozent. Er ist also unterproportional, weil wir uns unserer Verantwortung gegenüber den sozial Schwächeren in der Republik bewusst sind. Das zeigt unser Sparpaket sehr deutlich.
Ich halte es für richtig, dass wir in bestimmten Bereichen Einsparungen vorgenommen haben. Ich will einen Bereich nennen: Wenn wir beim Elterngeld Einsparungen vorgenommen haben, dann haben wir das deswegen getan, weil das Elterngeld bei Hartz-IV-Familien falsch angesetzt ist. Wir müssen uns über eines im Klaren sein: Das Elterngeld war und ist eine Lohnersatzleistung und nichts anderes. Wenn heute eine Hartz-IV-Familie mit zwei Kindern inklusive Elterngeld rund 1 870 Euro netto erhält, dann führt das dazu, dass sich sehr viele dem ersten Arbeitsmarkt nur relativ zögerlich zur Verfügung stellen. Das muss korrigiert werden, und das wollen wir tun.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Haßelmann?
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
Warum nicht?
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Na, also. - Bitte schön, Frau Haßelmann.
Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Fuchs, da Sie dankenswerterweise ausgeführt haben, dass das Elterngeld für Hartz-IV-Berechtigte gestrichen werden soll, weil es sich dabei um eine Lohnersatzleistung handelt und das nicht der Intention des Elterngeldes entspricht, frage ich Sie: Wenn Sie diese Argumentation durchgängig beibehalten wollen, warum kürzen Sie bei Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfängern das Elterngeld, nicht aber bei Studierenden und bei Hausfrauen bzw. Hausmännern, die in einer Familienkonstellation leben, wo eine Person ein volles Gehalt bezieht und die andere Person nicht arbeitet? Ich finde das insgesamt nicht richtig. Wo aber greift das Argument der Lohnersatzleistung bei diesen beiden Gruppen?
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
Ich bin der Meinung, dass die Lohnersatzleistung gerade bei Hartz-IV-Empfängern, die dem Arbeitsmarkt ja nicht zur Verfügung stehen - jedenfalls zurzeit nicht -, nicht angebracht ist. Es ist richtig, dass wir das Elterngeld dort kürzen. Ich habe des Weiteren gesagt, dass jemand, der Hartz IV bezieht und Elterngeld empfängt, rund 1 870 Euro netto hat. Wissen Sie, wie viel das brutto ist? Das sind knapp 3 000 Euro brutto.
Das bedeutet schlicht und ergreifend, dass der Hartz-IV-Empfänger dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung steht. Das ist einer der Gründe, warum wir diese Maßnahme ergriffen haben.
Die Situation unseres Landes hat sich deutlich verbessert. Der Außenhandel gewinnt an Fahrt. Ich habe eben schon gesagt, dass dazu der Euro-Kurs beiträgt. Die Auftragsbücher der Industrie füllen sich. Der Bundeswirtschaftsminister hat vollkommen recht: Das gilt für fast alle Branchen. Vor allen Dingen beim Maschinenbau, der im letzten Jahr eine unserer kritischen Branchen war, geht es jetzt wieder nach oben. Der IWF rechnet damit, dass die Weltwirtschaft in diesem Jahr um 4 Prozent wächst. Wir müssen sehen, dass wir davon unseren Teil abbekommen. Dafür müssen wir kämpfen, dafür müssen wir alles einsetzen. Ich glaube, dass wir dazu in der Lage sind.
Es ist richtig, wenn wir uns auf den asiatischen Raum fokussieren. China wird in diesem Jahr um annähernd 10 Prozent wachsen. Da werden unsere Hightechprodukte gebraucht. Das zeigt sich gerade in der letzten Zeit. Ich bin dem Bundeswirtschaftsminister dankbar dafür, dass er China in den Fokus genommen hat. Dass seine erste Auslandsreise dorthin führte, hat sicherlich dazu beigetragen.
Viele Maßnahmen, die wir ergriffen haben, sind richtig. So haben wir das Kurzarbeiterprogramm verlängert. Allerdings kann man die Frage stellen, ob es aufgrund der wesentlich verbesserten Situation auf dem Arbeitsmarkt nicht unter Umständen schon früher zurückgeführt werden kann, um Kosten zu sparen, damit wir in unseren Sparprogrammen vorankommen. Herr Duin, es ist festzustellen, dass die von uns umgesetzten Programme richtig waren. Wenn sie allerdings auf dem Arbeitsmarkt in dieser Form nicht mehr benötigt werden, dann ist eben Sparen angesagt.
Das Sparpaket - lassen Sie mich das noch einmal betonen - war richtig. Die Bundeskanzlerin hat in der jetzigen Weltmeisterschaftsphase das wichtige Auswärtstor geschossen, indem sie Herrn Obama dazu gebracht hat, zu erkennen, dass zusätzliche Maßnahmen falsch sind und dass Sparen angesagt ist. Dazu möchte ich ihr herzlich gratulieren. Es war alles andere als einfach, das in Toronto umzusetzen und durchzusetzen.
Auf dem G-20-Treffen in Toronto wurde beschlossen, die Neuverschuldung bis zum Jahre 2013 zu halbieren und bis zum Jahre 2016 auf null zu setzen.
Ich hoffe erstens, dass das umgesetzt wird, und zweitens, dass dadurch ein neues Denken in der Welt einsetzt, das dazu führt, dass endlich wirklich mit dem Sparen begonnen wird, und zwar in allen Bereichen; denn nur eine Politik, die dazu führt, dass die Haushalte sich nicht mehr neu verschulden, sondern im Gegenteil in die Lage versetzt werden, Schulden abzutragen, wird eine langfristige und nachhaltige Politik - daran müsste gerade den Grünen gelegen sein - sein. Dafür kämpfen wir.
Dazu gehört für mich, dass die Wirtschaft ein wenig umdenken muss. Ich finde es schon bedenklich, wenn immer wieder neue Forderungen an die Politik gestellt werden. Einige dieser Forderungen aus den letzten Wochen will ich einmal aufzählen.
Zum Beispiel erklären die Airlines: Da war Asche am Himmel; jetzt brauchen wir Asche von der Politik. - ?Asche für Asche? ist eine Politik, die ich nicht besonders amüsant finde. Dabei handelt es sich um ein originäres Risiko einer Airline. Das kann nicht von der Politik gelöst werden.
Ich habe auch ein Problem damit, dass wir jetzt eine Anschubfinanzierung für den Kauf von Elektromobilitätsfahrzeugen leisten sollen. Es ist wiederum eine Aufgabe der deutschen Industrie und der deutschen Automobilwirtschaft, solche Dinge ohne staatliche Hilfen zu machen. Der Staat kann nicht an allen Stellen eingreifend wirken und versuchen, die Fehler, die in der Vergangenheit in den Unternehmen vielleicht gemacht worden sind, überall zu korrigieren.
Im Übrigen finde ich es hervorragend, dass der Bundeswirtschaftsminister verhindert hat, dass Opel zusätzliches Geld bekommt. Dass General Motors in der Lage ist, das alles selbst zu finanzieren, hat uns dieses Unternehmen drei Tage nach dem Entscheid des Bundeswirtschaftsministers bestätigt.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, eigentlich ist es schon eine ziemlich große Unverschämtheit, das Ministerium über Monate mit allen möglichen Anträgen zu beschäftigen - ich wüsste gerne einmal, wie viele Manntage dafür draufgegangen sind - und anschließend zu sagen: April, April! Wir brauchen euch gar nicht; wir können es alles selber. - Das ist schon höchst ärgerlich. So sollte man mit der Bundesregierung und dem Bundeswirtschaftsministerium nicht umgehen.
Einen letzten Punkt will ich erwähnen. Ich halte es für richtig, dass wir uns sehr intensiv mit dem Thema Energiepolitik beschäftigen. Dazu gehört für mich, dass die Kernenergie eine Brückentechnologie in das Zeitalter der erneuerbaren Energien ist.
Wir müssen uns aber auch darüber im Klaren sein, dass bei den erneuerbaren Energien nicht alle Wünsche in Erfüllung gehen können. Wenn in der Zeitschrift Photon - wahrlich kein Parteiblatt der CDU/CSU - jetzt festgestellt wird, dass der Strompreis nächstes Jahr nur aufgrund der Photovoltaik um bis zu 12 Prozent steigen wird, dann ist das mehr als bedenklich. Nächstes Jahr wird es im Rahmen des EEG mit Sicherheit zu einer Verdoppelung der Sätze kommen. Heute ist ein Aufschlag auf den Strompreis von ungefähr 2,04 Cent pro Kilowattstunde erforderlich; nächstes Jahr werden es über 4, annähernd 5 Cent pro Kilowattstunde sein. Was bedeutet das? Das bedeutet für einen Vierpersonenhaushalt, der ungefähr 3 500 Kilowattstunden im Jahr verbraucht, dass er allein im Rahmen des EEG bis zu 200 Euro zahlen muss. In die Richtung wird das gehen.
Jeder, der da zusätzliche Forderungen aufstellt, sollte genau wissen, was er tut. Er sollte wissen, dass er damit die Wirtschaft und natürlich auch die Familien, die Haushalte überbelastet. Das ist meines Erachtens gefährlich. Da müssen wir jetzt einschreiten. Ich wünsche mir, dass der Bundesrat in der nächsten Woche eine kluge Entscheidung trifft, damit das Gesetz endlich in Kraft treten kann. Wir müssen schnell absenken. Das ist absolut notwendig.
Für mich gehört noch etwas dazu: Bei dem Sparpaket müssen wir darauf achten, dass im Bereich der Stromsteuer keine Fehler gemacht werden; denn wir wollen die Industrie in Deutschland behalten. Meines Erachtens ist Deutschland ein Industrieland. Wir sind nur deshalb so gut aus der Krise herausgekommen, weil die Industrie in Deutschland schnell wieder angepackt hat, weil es schnell wieder vorangegangen ist. Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem 27 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in der City of London erzeugt werden. Nicht in der Finanzwelt liegt die Chance für unser Land, sondern in der deutschen Industrie.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Gregor Gysi erhält nun das Wort für die Fraktion Die Linke.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Herr Bundestagspräsident! Meine Damen und Herren! Herr Brüderle, ich habe Ihnen sehr genau zugehört, auch Ihren Ausführungen zur Atomenergie. Ich habe an Sie die Bitte, einmal ganz im Ernst über Folgendes nachzudenken: Eine Technologie muss man beherrschen.
Man muss sie auch im Falle eines Unfalls beherrschen können. Wenn uns je ein Atommeiler um die Ohren fliegt, können Sie - wie wir alle - nichts einschätzen. Sie wissen nicht, wie viele Tote es gibt. Sie wissen nicht, ob man unser Land noch bewohnen kann. Sie wissen nicht, wie viele Generationen das betrifft. Ich sage Ihnen: Lassen Sie die Finger von einer Technologie, die wir alle nicht beherrschen! Kein Mensch in unserem Land hat verdient, dass Sie da umgekehrt vorgehen.
Sie haben mit Stolz verkündet, dass die Wirtschaft wächst. Ich sage: trotz der Politik der Bundesregierung, nicht etwa wegen dieser Politik. Dann schauen wir uns einmal die drei Gründe dafür an:
Der erste Grund ist, dass die Exporte nach China und Südostasien steigen. Warum? Weil die Chinesen ein gewaltiges Konjunkturprogramm gestartet haben, also das tun, was Sie für Deutschland gerade ablehnen. Dadurch können wir dorthin natürlich mehr exportieren.
Der zweite Grund liegt in der Abwertung des Euro gegenüber dem Dollar und anderen Währungen. Dadurch werden unsere Produkte billiger. Das hat noch nichts mit Qualität zu tun; sie werden erst einmal billiger und lassen sich leichter verkaufen.
Der dritte Grund ist, dass die Löhne in Deutschland in den letzten zehn Jahren real um 11 Prozent gesunken sind. Dadurch haben Sie den Export erhöht. Das Problem ist nur, dass die anderen Länder das merken. China will jetzt nicht mehr wie Deutschland das Land mit dem berühmten Exportüberschuss sein. China versucht, das zum Ende des Jahres hin zu korrigieren. Aber die Bundesregierung hier in Deutschland korrigiert das überhaupt nicht. Sie von der Bundesregierung haben nicht begriffen, wie wichtig der Binnenmarkt, die Binnenwirtschaft für Deutschland sind; Sie setzen allein auf den Export, was falsch ist.
Im Übrigen ist das Ganze eine Ausnahme im Jahr 2010. Das setzt sich im Jahr 2011 nicht fort, und das hat einen Grund. Als die Krise begann, hatten Sie eine andere Logik. Da hat Frau Merkel gesagt: Ich will auf gar keinen Fall ein Sparprogramm; ich will ein Konjunkturprogramm. - Jetzt, mitten in der Krise, ändern Sie Ihre Logik. Sie haben übrigens nie erklärt, warum, warum also damals das Konjunkturprogramm richtig gewesen sein soll und warum es jetzt plötzlich richtig sein soll, dramatische Sozialkürzungen - ich werde darauf noch eingehen - vorzunehmen.
- Ja, ja.
Der Punkt ist, dass Sie auch andere Länder zu solchen Kürzungsprogrammen, die Sie fälschlich immer ?Sparpaket? nennen - da wird nichts gespart; Sie kürzen schlicht und einfach -, gezwungen haben, nämlich Griechenland, Spanien, Portugal, Irland, Großbritannien und Frankreich. Was ist Ihres Erachtens die Folge, wenn dort all diese Kürzungsprogramme durchgeführt sind? Die Folge ist, dass Deutschland dorthin weniger exportieren kann; denn die Kaufkraft nimmt ab, und deshalb werden weniger Produkte verkauft. Schon damit ist Ihr Boom beendet.
Da Sie selbst in Deutschland ein solches Sparprogramm, ein solches Kürzungsprogramm, durchführen, wird es hier entsprechende Folgen geben, worauf ich noch eingehen werde. Ich sage Ihnen: Die reine Exportorientierung muss weg. Wir brauchen eine deutlich stärkere Binnenwirtschaft.
Sie sagen in dem Zusammenhang, Herr Brüderle, dass es falsch wäre, wenn wir höhere Löhne in Deutschland hätten und ein Konjunkturprogramm durchführten. Ich habe an der Stelle auf zwei Sätze gewartet, in denen Sie das erklären oder begründen. Sie kamen nicht. Sie sagen einfach, es sei falsch. Wieso ist das falsch? Wieso ist es eigentlich falsch, unsere Binnenwirtschaft zu stärken? Wieso ist es falsch, mehr soziale Gerechtigkeit herzustellen? Wieso ist es falsch, die Löhne endlich wieder an die Produktivitätsentwicklung anzupassen und damit zu steigern? Wieso ist es falsch, diejenigen, die Werte schaffen, daran finanziell zu beteiligen? Dafür habe ich von Ihnen keine Erklärung bekommen.
Was machen Sie jetzt? Sie schlagen ein Kürzungsprogramm vor. Ein erster Vorschlag ist die Umwandlung von Pflichtleistungen in Ermessensleistungen bei Arbeitslosen. Wenn ich mich recht erinnere, hieß doch der Slogan ?Fordern und Fördern?. Das Fördern soll jetzt gestrichen werden, wenn ich das richtig verstehe. Schließlich wollen Sie 16 Milliarden Euro bis 2014 einsparen. Das heißt, die ganzen Ausbildungsprogramme und die Trainingsprogramme, all das, was es sonst noch gibt, müssen von den Jobcentern gestrichen werden. Was bieten Sie denn dann den Arbeitslosen? Alle Programme sollen doch jetzt Ermessensleistungen werden. Ich weiß gar nicht, nach welchem Ermessen entschieden wird. Entscheidet dann ein Angestellter oder eine Angestellte darüber, je nachdem, ob er oder sie Lust hat oder nicht? Ermessen ist für mich Willkür. Nein, diese Leistungen müssen Pflichtleistungen bleiben. Das ist für mich ganz entscheidend.
Ein anderer Punkt ist die geplante Streichung des Zuschlages beim Übergang von Arbeitslosengeld I in Arbeitslosengeld II. Das ist grob ungerecht. Stellen Sie sich einmal Folgendes vor: Ein erwerbsloser Ingenieur bekommt Arbeitslosengeld I. Bisher war es so: Bevor dieser Ingenieur ALG II erhielt, bekam er ein Übergangsgeld, damit er sich auf diesen Bruch, auf diese Veränderung seines Lebensstandards einstellen konnte. Jetzt aber wollen Sie diesen Zuschlag einfach streichen. Sie weigern sich, vom Millionär einen halben Cent mehr zu nehmen; aber dem ALG-II-Empfänger streichen Sie das Übergangsgeld. Das können Sie nicht erklären. Mit der Vokabel ?Gerechtigkeit? hat das Ganze überhaupt nichts zu tun.
Jetzt komme ich zum Elterngeld; darüber hat auch Herr Fuchs gesprochen. Beginnen wir der Ehrlichkeit halber ganz von vorne: Am Anfang war die Große Koalition. Was hat diese Große Koalition beim Elterngeld gemacht, auch Sie, meine Damen und Herren von der SPD? Stellen Sie sich doch einmal selbstkritisch hierhin und erklären Sie: Das war ein Fehler. - Bis dahin bekam die ALG-II-Empfängerin bzw. der ALG-II-Empfänger zwei Jahre lang Elterngeld in Höhe von monatlich 300 Euro.
- Ja, Sie haben es anders genannt. Aber faktisch gab es dieses Geld, und zwar 24 Monate lang. - In der Großen Koalition ist entschieden worden, die Dauer des Bezugs zu halbieren, also 12 Monate zu streichen, und zwar nur aus dem einen Grund, damit man in der Regel der besserverdienenden Frau - gelegentlich auch dem besserverdienenden Mann - nicht mehr 300 Euro, sondern bis zu 1 800 Euro zahlt. Das heißt, die Sozialdemokratie Deutschlands hat zugestimmt, für ALG-II-Empfängerinnen und -Empfänger die Dauer des Bezugs von Elterngeld zu halbieren,
damit die Bestverdienenden einen Betrag von 1 800 Euro bekommen können. Das ist völlig antisozialdemokratisch. Sagen Sie doch einmal ehrlich, dass das ein Fehler war.
Dass die Union das macht, passt zu ihrer ideologischen Logik. Aber bei der SPD kann ich es nicht nachvollziehen.
Jetzt passiert das, was immer passiert und was mich wirklich ärgert. Sie haben einen Schritt gemacht und die Dauer des Bezugs für ALG-II-Empfänger halbiert. Jetzt sagen Union und FDP: Gut, wenn die Tür schon einen Spalt geöffnet ist, dann machen wir sie ganz auf und streichen das Geld für ALG-II-Empfänger gänzlich. - Das ist die Folge. Ich sage Ihnen: Sie hätten sich das nicht getraut, wenn die SPD in der Großen Koalition nicht zugestimmt hätte, die Dauer des Bezugs zu halbieren. Sie hätten sich nicht getraut, das Geld für diese Menschen ganz zu streichen. Aber genau das machen Sie jetzt.
Logisch, Herr Brüderle und Herr Fuchs, ist Ihre Argumentation überhaupt nicht. Sie erklären, man könne den ALG-II-Empfängern das Geld nicht zahlen, weil es eine Lohnersatzleistung sei. Es ist doch ganz egal, was es ist. Die Menschen bekamen dafür, dass sie Kinder haben, zusätzliches Geld - das war entscheidend und wichtig -, und zwar über einen bestimmten Zeitraum. Dieses Geld nehmen Sie ihnen jetzt einfach weg.
Der Gattin des Millionärs, die ständig zu Hause ist und auch keine Lohnersatzleistung bekommt, sagen Sie, dass sie weiterhin Elterngeld bekommt; denn für sie wird es nicht gestrichen. Erklären Sie das einmal der ALG-II-Empfängerin! Gehen Sie zu ihr und erklären Sie, warum die Frau des Millionärs Elterngeld bekommt und sie nicht! In beiden Fällen soll es doch keine Lohnersatzleistung sein. Sie bringen keine Logik in Ihre Politik hinein.
Es gibt 7 Millionen Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfänger. Es geht also um sehr viele Menschen.
Dann wollen Sie die Heizkostenpauschale für Geringverdiener streichen. Was sagen Sie diesen Menschen, wovon sie die Heizkosten bezahlen sollen?
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Gysi, Herr Geis möchte Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Ja, bitte.
Norbert Geis (CDU/CSU):
Herr Kollege, würden Sie mit mir die Unterscheidung zwischen Elterngeld auf der einen Seite und Erziehungsgeld auf der anderen Seite machen? Erziehungsgeld wurde seit 1986 gezahlt, unabhängig davon, ob nun eine Frau zur Arbeit gegangen ist oder nicht. Das wurde als Erziehungsleistung abgegolten, weil die Frau eine bestimmte Erziehungsleistung erbracht hat. Diese Erziehungsleistung erbringt sie nach wie vor, unabhängig davon, ob sie arbeitet oder nicht. Wegen dieser Erziehungsleistung bekommt sie die 300 Euro. Diese sollen erhalten bleiben. Was haben Sie dagegen?
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Ich habe etwas dagegen, dass Sie die Erziehungsleistung der ALG-II-Empfängerin nicht anerkennen. Das ist mein Problem. Diese leistet doch auch Erziehungsarbeit. Warum bekommt sie kein Geld? Das können Sie nicht erklären.
- Er möchte noch eine Frage stellen, Herr Präsident.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Sie möchten offenkundig auch, dass er eine weitere Frage stellt.
Dann stehe ich dem nicht im Wege. - Bitte schön.
Norbert Geis (CDU/CSU):
Stimmen Sie mit mir überein, dass es dadurch, dass die ALG-II-Empfängerin in Form von aufgestuftem Kindergeld eine Ersatzleistung bekommt
- lassen Sie mich doch meine Frage beenden -, möglich ist, die 300 Euro zu streichen, weil in diesem Fall das Erziehungsgeld über das Kindergeld läuft?
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Nein. Das kann ich Ihnen deshalb nicht zubilligen, weil ja das Kindergeld, von dem Sie hier sprechen, jetzt nicht erhöht wird. Sie streichen vielmehr 300 Euro, weil Sie sagen, es sei eine Leistung, die nicht gerechtfertigt ist. Es ist ja nicht so, dass Sie zugleich das Kindergeld um 300 Euro erhöhen. Wenn das der Fall wäre, dann könnten wir darüber diskutieren. Aber genau das machen Sie ja nicht. Deshalb handelt es sich um eine Schlechterstellung, und es bleibt dabei: Die Hausfrau des Millionärs bekommt weiterhin Geld - Sie nennen es hier nun Erziehungsgeld -, aber die ALG-II-Empfängerin bekommt nichts.
- Richtig, es kommt noch hinzu, dass das Kindergeld bei Hartz-IV-Empfängern verrechnet wird. Diese bekommen gar kein Kindergeld, weil sie den Zuschlag für Kinder bekommen. Darüber haben wir uns schon immer aufgeregt. Wir halten das für eine völlig falsche Herangehensweise.
Jetzt möchte ich gerne fortsetzen. Das Problem ist doch folgendes: Wir haben eine Krise. Es gibt einige, die die Schuld für diese Krise tragen. Die Schuldigen sind nämlich die Banker, die Spekulanten und diejenigen, die für bestimmte politische Entscheidungen verantwortlich sind. Als Ergebnis Ihres sogenannten Sparpaketes kommt nun heraus, dass weder die Banker noch die Spekulanten noch die Verantwortlichen in der Politik die Folgekosten dieser Krise bezahlen; vielmehr sollen diese die ALG-II-Empfänger und die Geringverdiener in Deutschland bezahlen. Erklären Sie denen einmal, was daran gerecht sein soll. Nichts haben Sie bisher unternommen, damit die tatsächlich Verantwortlichen zur Verantwortung gezogen werden.
Die Einkommen aus Unternehmenstätigkeit werden übrigens im nächsten Jahr um 7,1 Prozent steigen. Ihr Vorgehen hat, wenn Sie schon nicht sozial denken, auch wirtschaftliche Auswirkungen: Eine ALG-II-Empfängerin gibt all das Geld aus, das sie bekommt. Wenn Sie jedoch Herrn Ackermann 100 Euro mehr geben, dann kauft er nicht für 100 Euro mehr ein, sondern er spekuliert mit diesen zusätzlichen 100 Euro. Wenn Sie einer ALG-II-Empfängerin 10 Euro mehr geben, kauft sie dafür ein. Das heißt, die ALG-II-Empfängerinnen und -Empfänger wie auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Geringverdiener würden die Binnenwirtschaft stärken, wenn sie mehr Geld hätten. Die wirklich Reichen und Vermögenden spekulieren bloß, wenn sie mehr Geld bekommen, aber stärken nicht die Binnenwirtschaft. Dieser Unterschied muss doch einmal deutlich hervorgehoben werden.
Ich stehe mit meiner Meinung nicht alleine da. Der Wirtschaftsrat der CDU hat verlangt, endlich einmal für eine gerechtere Steuerbelastung zu sorgen. Millionäre stellen sich hin und erklären sich bereit, höhere Einkommensteuern zu zahlen. Es ist doch wirklich grotesk: Nur die FDP und die Union weigern sich und handeln konsequent dagegen.
- Ja, ich auch. Man sollte nur Politikern trauen, deren Vorschläge dazu führen, dass auch sie selber mehr Steuern zahlen müssen. Sie dagegen machen immer Vorschläge, die dazu führen, dass Sie selber weniger Steuern zahlen. Das macht mich ungeheuer stutzig.
Jüngst haben Sie zusammen mit der SPD die Schuldenbremse eingeführt. Aufgrund dieser Schuldenbremse müssen bis 2014 knapp 96 Milliarden Euro eingespart werden. Sagen Sie mir doch einmal, wie. Sie sagen, die Hälfte solle durch Leistungskürzungen eingespart werden. Aber die Länder sind doch am Ende, und die Kommunen sind schon kaputt. Wohin soll das noch führen? Schleswig-Holstein zum Beispiel hat die Schuldenbremse in die eigene Verfassung übernommen. Wozu führt das dort? Um die Schuldenbremse einzuhalten, muss man dort 5 300 Stellen, mehrheitlich im Schulbereich, streichen. An den Hochschulen werden bestimmte Studiengänge dichtgemacht. Die Landeszuschüsse für die Schülerbeförderung werden gestrichen. Es wird also in allen Bereichen der Bildung gespart. Wenn das alles nicht reichen sollte, dann sollen auch noch Schwimmbäder geschlossen und die Zahl der Kultureinrichtungen reduziert werden. Ich frage Sie: Was ist das Ziel? Wohin soll das in diesem Land noch führen?
- Ja, dass es Berlin schlecht geht, weiß ich. Im Unterschied zu Ihnen, Herr Lindner, kümmern wir uns darum.
Meine Frage an die in der Bundespolitik Verantwortlichen lautet: Wohin soll das in diesem Land führen? Soll die kommunale Selbstverwaltung beseitigt werden und Zwangsverwaltung eingeführt werden? Wollen Sie keine Schwimmbäder und keine Kultureinrichtungen mehr haben? Das kann doch nicht der richtige Weg sein. Wir brauchen endlich eine klare Kurskorrektur.
Sie sind stolz darauf, dass Sie die Zahl der Arbeitslosen reduzieren. Sagen Sie doch einmal die Wahrheit: Der DGB hat ermittelt, dass wir 1,6 Millionen weniger Vollzeitstellen haben und die Zahl der sogenannten prekären Beschäftigungsverhältnisse um 1,7 Millionen zugenommen hat.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Sie wollen mir wahrscheinlich sagen, dass ich zum Ende kommen soll.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nein, Sie wissen doch, dass ich mit Ihnen besonders großzügig umzugehen pflege. Der Kollege Lindner möchte ebenfalls durch eine Zwischenfrage Ihre Redezeit verlängern.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Na gut, Herr Lindner. Obwohl Sie mich schon in die Psychiatrie schicken wollten, höre ich mir Ihre Frage an.
Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP):
Sie können jetzt ja beweisen, dass Sie da nicht hingehören.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Ob ich Sie überzeugt bekomme?
Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP):
Sie verweisen darauf, dass in Schleswig-Holstein Stellen im Schuldienst abgebaut werden. Erklären Sie uns doch einmal, wie es dazu kommen konnte, dass Ihre Partei in der rot-roten Landesregierung von Berlin insgesamt 30 000 Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut hat, das gemeinnützige Wohnungsbauunternehmen GSW an die böse ?Heuschrecke? Cerberus und die Investmentbank Goldman Sachs verkauft hat und vor wenigen Monaten auch noch dem Börsengang der GSW zugestimmt hat, der von Goldman Sachs und Cerberus betrieben wird. Wie kommt es, dass Sie hier in Berlin das Blindengeld gekürzt haben? Wie kommt es, dass Sie gerade im Bereich des Schuldienstes gekürzt haben? Herr Gysi, wie kommt es dazu, dass Sie uns hier den puren Sozialismus predigen, aber dort, wo Sie mitregieren, das vollkommene Gegenteil machen? Wie kommt es, dass von Ihnen eine ganz andere Politik verantwortet wird?
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Beifall für eine Frage heißt ja, dass Sie gar keine Antwort hören wollen.
Im Klartext: Der Verkauf der Wohnungsbaugesellschaft war meines Erachtens ein Fehler. Allerdings muss ich sagen, dass FDP, Union und Grüne daran beteiligt waren. Ich werde Ihnen auch sagen, warum.
- Ich werde es Ihnen erklären. Sie sind zum Landesverfassungsgericht gegangen und haben gesagt: Der Haushalt ist verfassungswidrig. Dann hat das Landesverfassungsgericht gesagt: Das stimmt. Es hat gesagt: Ihr müsst entweder die Einnahmen erhöhen oder bei den Leistungen kürzen. Weil man bei den Leistungen nicht kürzen wollte, ist man diesen Weg gegangen. Trotzdem sage ich: Er war falsch. Das war aber nicht in dieser Legislaturperiode, sondern in der vorigen. Dafür sind wir schon ausreichend bestraft worden. In dieser Legislaturperiode machen wir das wesentlich besser.
Zweitens. Was die Stellenkürzung betrifft, können Sie Schleswig-Holstein und Berlin nicht gut vergleichen. Diese Politik wurde schon von der Union eingeleitet. Das hing damit zusammen, dass zwei öffentliche Dienste zusammengekommen sind, nämlich der öffentliche Dienst von Westberlin und der öffentliche Dienst von Ostberlin. Dadurch bedingt war vieles doppelt vorhanden. Das war wirklich eine Sondersituation. Eine solche Sondersituation hat Schleswig-Holstein nicht zu bewältigen. Es hat in Berlin nicht eine einzige betriebsbedingte Kündigung gegeben, und dabei wird es auch bleiben.
Mit dieser Ausnahme in Berlin streiten wir überall dafür, dass wir mehr Stellen im öffentlichen Dienst bekommen.
Weiter mit dem Thema ?prekäre Beschäftigung?. Sie haben Vollzeitbeschäftigung abgebaut und stattdessen die Bereiche der Teilzeitarbeit, der Leiharbeit und der 400-Euro-Jobs erweitert, und Sie haben den Kreis der Aufstockerinnen und Aufstocker und vor allem der befristetet Beschäftigten erweitert. Das war schon unter SPD und Grünen so, ist von der Großen Koalition fortgesetzt worden und wird jetzt weiter fortgesetzt. Was glauben Sie, wie dadurch das Land verändert wird? Immer weniger Vollzeitbeschäftigung bedeutet eine Schwächung der Gewerkschaften - das wissen Sie natürlich -, aber das schwächt auch die Betroffenen. Es gibt immer mehr 400-Euro-Jobs und immer mehr befristete Arbeitsverhältnisse. Das, was Sie in diesem Zusammenhang organisieren, ist alles nicht hinnehmbar.
Zum Schluss muss ich kurz auf den G-20-Gipfel in Toronto eingehen. Was haben Sie dort verkündet? Sie haben gesagt: Die öffentlichen Schulden der Länder sollen bis 2013 halbiert werden. Das ist doch ein Scherz. Die meisten Länder können das überhaupt nicht. Das ist nichts weiter als das Verkünden einer Illusion.
US-Präsident Obama und sein Finanzminister haben Frau Merkel dringend gebeten, ihren harten Sparkurs in Deutschland einzustellen. Aber sie denkt gar nicht daran und hat dem widersprochen. Warum? Obama will eine Ankurbelung der Weltkonjunktur, während Sie organisieren, dass die Weltkonjunktur abstirbt. Dort ist ein tiefer Gegensatz entstanden.
Wenn ich an die Bankenabgabe und andere Dinge denke, muss ich sagen: In letzter Zeit hat Obama in der Regel recht und Sie unrecht. Es ist schon merkwürdig, welche Entwicklung wir hier zu verzeichnen haben.
Jetzt frage ich Sie: Was haben Sie bei der Regulierung der Finanzmärkte erreicht?
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Mit dieser Fragestellung müssen Sie es dann auch fast bewenden lassen. Die Antwort darauf müssen andere geben.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Das ist sehr bedauerlich. Herr Präsident, sehen Sie einmal, was Sie versäumen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ja, Sie können mir das Manuskript Ihrer Rede gerne zur Verfügung stellen.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Als Letztes sage ich Ihnen: Ihr Versuch, zulasten der sozial Schwachen die Krise zu lösen, ist ungeheuerlich, ist ungerecht und muss schiefgehen. Sie müssen endlich einmal den Mut haben, bei den wirklich Vermögenden, bei den Bestverdienenden die Steuern zu erhöhen oder entsprechende Steuern einzuführen. Dafür stehen Sie nicht. Deshalb setzt sich jetzt der schwarze Tag von gestern als schwarzer Tag für die Bevölkerung fort. Hoffen wir, dass es bald einmal einen roten Tag gibt.
Danke schön.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Hermann Otto Solms ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion.
Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Unterhaltungsleistung von Herrn Gysi lässt nicht nach, die inhaltliche Substanz seiner Ausführungen ist so dünn wie immer. Das beweist sich an den praktischen Beispielen: Als er in der Verantwortung stand, konnte er nichts liefern.
Im Namen der FDP-Fraktion möchte ich dem Wirtschaftsminister für den ermutigenden Bericht, den er hier vorgelegt hat, danken.
Die Bundesregierung, die ja für Fehler in der volkswirtschaftlichen Entwicklung haftbar gemacht wird, muss belobigt werden, wenn es gut läuft. Denn es ist ja nicht ganz ohne ihr Zutun, dass wir eine so positive wirtschaftliche Entwicklung haben.
Wenn Sie das in den Zusammenhang mit den sozialpolitischen Aufgaben stellen, die wir zu bewältigen haben, so ist es das ehrgeizigste, das vornehmste Ziel der Sozialpolitik, Menschen, die von Transfereinkommen abhängig sind, wieder in Lohn und Brot zu bringen, damit sie eigenständig und eigenverantwortlich handeln können, ihre Familie ernähren können und nicht von anderen abhängig sind.
Gerade in diesem Bereich haben wir jetzt die größten Erfolge erzielt; das zeigen die Daten. Die Arbeitslosigkeit geht unerwartet stark zurück. Wir stellen fest: Wir haben schon wieder Knappheit an Facharbeitern. Wenn die Prognosen stimmen, werden wir im nächsten Jahr im Durchschnitt die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 1991, also seit der deutschen Einheit, erreichen. Das hätte im letzten Jahr niemand erwartet.
Die Maßnahme, die diese Bundesregierung gerade am Anfang ihrer Tätigkeit geleistet hat, nämlich das Wachstumsbeschleunigungsgesetz gegen den geballten Widerstand der Opposition und der Journaille durchzusetzen, hat wesentlich dazu beigetragen. 22 Milliarden Euro wurden seit 1. Januar 2010 für die Bürger freigegeben. Die Bürger nutzen das, wo immer sie können. Durch Konsum und durch Investitionen stärken sie diesen Wachstumsprozess und tragen dazu bei, dass der Wachstumsprozess ein dauerhafter ist.
Die Wirtschaftskrise ist überwunden. Deswegen müssen wir von kurzfristigen Wirtschaftskrisebekämpfungsmaßnahmen zu dauerhaften, ordnungspolitisch sauber angelegten Maßnahmen der Wirtschaftspolitik kommen. Der Wirtschaftsminister hat hier an die Ordnungspolitik deutscher Prägung erinnert; denn es ist ganz wichtig, dass wir diese ordnungspolitischen Prinzipien wieder einhalten. Der Staat setzt die Regeln und achtet darauf, dass die Regeln eingehalten werden. Aber er darf nicht mitspielen; denn wenn er mitspielt, verletzt er die marktwirtschaftlichen Prinzipien, verletzt er den Wettbewerb. Das hat das Fußballspiel gegen Serbien gezeigt: Wenn der Schiedsrichter einseitig eingreift und den besten Spieler einer Mannschaft vom Feld stellt, kann kein neutrales Ergebnis, kein vernünftiges Wettbewerbsergebnis erzielt werden.
Genau so muss der Staat in Zukunft vorgehen.
Das hat Rainer Brüderle in der Causa Opel genau vorgeführt. Gegen den Widerstand auch in der eigenen Regierung hat er ordnungspolitisch saubere Politik durchgesetzt. Binnen kürzester Zeit - das haben wir alle nicht erwartet - hat sich gezeigt, dass das tatsächlich die richtige Maßnahme war.
Deswegen kann ich ihn nur ermutigen, genauso fortzufahren, also eine ordnungspolitisch saubere Wirtschafts- und Wettbewerbspolitik zu betreiben. Das wird allen in Deutschland helfen.
Nun kommt es zu Aussagen wie von Herrn Gysi, die Löhne seien gesunken. Sie sind nicht gesunken, aber die Lohnstückkosten, auf die es im Wettbewerb ankommt, sind in Deutschland sehr maßvoll gestiegen. Das beklagen nun unsere Wettbewerbsländer. Dazu kann man nur sagen: Macht es doch nach!
Wir haben dadurch erreicht, dass wir unter allen Industriestaaten weltweit den höchsten Anteil des produzierenden Gewerbes am Sozialprodukt haben. Wir werden von allen Ländern beneidet. Bei uns beträgt der Anteil des produzierenden Gewerbes am Bruttoinlandsprodukt 22 bis 23 Prozent. Wenn wir die Bauwirtschaft mit einbeziehen, sind es knapp 27 Prozent. Das liegt noch über dem Niveau von Japan. In anderen europäischen Staaten dagegen ist der Anteil stark gesunken.
Wir überwinden diese Krise deswegen besser und nachhaltiger, weil wir uns in Deutschland eine so gute Struktur mit kleinem und mittelgroßem Gewerbe, produzierendem Gewerbe, Dienstleistungsgewerbe und ähnlichem erhalten haben. Darum werden wir beneidet. Dies hat Paul Volcker vor kurzem in einem Zeitungsbeitrag festgestellt. Er hat gesagt, es wäre gut, wenn sich die Vereinigten Staaten an Deutschland orientieren und größeren Wert auf das produzierende Gewerbe gelegt hätten.
Auf Großbritannien will ich jetzt gar nicht eingehen. Dort ist es noch viel dramatischer.
Jetzt kommt es darauf an, die Aufgaben, die sich uns stellen, möglichst schnell und klar zu lösen. Wir brauchen klare Konzepte in der Energiepolitik. Die Bundesregierung hat angekündigt, das bis zum Herbst zu leisten. Ich bitte auch darum, dass die unterschiedlichen Ansichten innerhalb der Bundesregierung selbst geklärt werden statt in der Öffentlichkeit, sodass wir dann gemeinsam handeln können.
Wir brauchen klare Konzepte in der Gesundheitspolitik. Wir alle wissen, dass Gesundheit durch den medizinischen Fortschritt und die längere Lebenserwartung der Bevölkerung immer teurer wird. Das ist unvermeidlich. Nun müssen wir dafür sorgen, dass das System so effizient wie möglich arbeitet. Deswegen brauchen wir in diesem Bereich mehr Wettbewerb - daran führt kein Weg vorbei -,
um die Effizienzreserven zu heben. Aber die steigenden Kosten müssen auch getragen und verteilt werden. Hier geht es darum, mehr Eigenverantwortung und Mitwirkung der Betroffenen, der Patienten, aber selbstverständlich auch der Dienstleister im Gesundheitssystem zu erreichen. Wir brauchen endlich Entscheidungen, die nach vorne gerichtet sind, statt an der überkommenen, aber nicht mehr tragfähigen Gesundheitspolitik festzuhalten, wie wir sie erlebt haben.
Ich empfinde die Wahl des Bundespräsidenten gestern als eine symbolische Handlung.
- Ich werde es Ihnen erläutern. Zugegeben, die Koalition hat am Anfang geschwächelt. Sie hat sich im zweiten Wahlgang deutlich gesteigert und dann, als es darauf ankam, die absolute Mehrheit erreicht.
Die linke Seite konnte sich bis zum letzten Wahlgang nicht einigen. Die SPD schiebt nun die Verantwortung auf die Linken. Das ist völlig grundlos; denn man hat sich vorher nicht einigen können. Außerdem ist es auch noch mathematisch falsch. Die Linken sind nicht verantwortlich, sondern wir haben unsere Mehrheit selbst erreicht.
Die Bundesregierung hat in ihrer Arbeit in allen Bereichen am Anfang etwas geschwächelt. Jetzt nimmt sie Fahrt auf. Wir sind mitten in der Wahlperiode. Ich sage Ihnen voraus: Je näher wir der nächsten Bundestagswahl kommen, desto stärker werden wir. Machen Sie sich darauf gefasst.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Andreae, Bündnis 90/Die Grünen.
Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich mit meiner wirtschaftspolitischen Rede beginne, will ich kurz auf Sie eingehen, Herr Solms. Wenn Sie den Verlauf der Wahl gestern so darstellen, wie Sie es gerade getan haben, dann hätte ich auch gerne eine Erklärung, warum die FDP in den Umfragen inzwischen bei 4 Prozent gelandet ist. Ich zitiere gern die taz, die, wie ich finde, sehr deutlich getitelt hat: ?Einfach, niedrig und gerecht?. Das beschreibt, wo Sie gerade stehen.
Herr Brüderle, der Aufschwung ist nicht Ihr Verdienst. Sie haben in den letzten Monaten nichts dafür getan, dass dieser Aufschwung kommt. Das Schlimme ist: Die Maßnahmen, die Sie jetzt ergreifen, werden diesen Aufschwung abwürgen. Ich werde das im Einzelnen darlegen. Die Wirtschaftsforschungsinstitute prognostizieren für dieses Jahr ein Wirtschaftswachstum von 2 Prozent. Aber schon im kommenden Jahr soll das Wirtschaftswachstum nur noch 1,5 Prozent betragen. Jetzt werden die Weichen gestellt: Entweder wir schaffen es, diesen Aufschwung zu verstetigen, oder aber wir würgen ihn ab.
Der Aufschwung steht auf zwei Beinen. Viele meiner Vorredner haben über die Auslandsnachfrage gesprochen. Die Auslandsnachfrage ist in weiten Teilen abhängig von einem schwachen Euro. Das kann sich wieder ändern. Die Stabilität des Euros können wir nur wenig beeinflussen. Aber der Wirtschaftsminister muss durchaus die Entwicklung des Euros beobachten. Auf dem Bein ?Stabilität des Euros? allein können wir nicht stehen.
Allein auf dem zweiten Bein können wir aber auch nicht stehen. Der Aufschwung ist in weiten Teilen verursacht durch die Konjunkturprogramme. Weltweit sind über 1 Billion Euro in Konjunkturprogramme investiert worden. Diese Programme laufen aus. Das heißt, auch dieses Bein bricht weg.
Wir von den Grünen sind der Ansicht, dass diese Konjunkturprogramme ein Ende haben müssen. Staatliche Stützungsprogramme in dieser Größenordnung können wir gar nicht dauerhaft finanzieren. Über die eine oder andere Maßnahme muss man reden; aber in dieser Größenordnung kann nicht weiter finanziert werden. Wir haben heute eine Rekordneuverschuldung von 65 Milliarden Euro. Eines der Worte, die ich in den letzten Monaten bei Ihnen, aber auch in der Debatte insgesamt völlig vermisst habe, ist das Wort ?Generationengerechtigkeit?. Diese Neuverschuldung ist ein Angriff auf die Generationengerechtigkeit, und da machen die Grünen nicht mit.
Was ist jetzt zu tun? Drei Sachen: Sie müssen sparen, ohne den Aufschwung abzuwürgen. Sie müssen die Einnahmen verbessern, und vor allem müssen Sie in die Zukunft investieren - in Klima, in Effizienz bei Ressourcen und in Bildung.
Auf die damit verbundenen Fragen können Sie die richtigen oder die falschen Antworten geben. Sie geben die falschen Antworten. Ich erkläre Ihnen das im Einzelnen.
Was wäre denn ?richtig sparen?? Sparen Sie endlich unsinnige Verkehrsprojekte ein. Bei mir in Süddeutschland gibt es eines der unsinnigsten Verkehrsprojekte überhaupt: Stuttgart 21. Sie verbuddeln dort Milliarden Euro, indem Sie einen Bahnhof unter die Erde legen. Beerdigen Sie dieses Projekt! Das wäre eine sinnvolle Sparmaßnahme.
Aber Sie sollten auch einmal Ihre Förderprogramme durchforsten; allein das Wirtschaftsministerium hat 55. Wir Grüne werden eines machen: Wir werden uns Stück für Stück jedes Einzelne dieser Förderprogramme anschauen und im Hinblick auf seine ökologische Ausrichtung - die fast nicht vorhanden ist - untersuchen. Wir werden Ihnen sagen: Wir können mit weniger und mit klareren Programmen mehr erreichen als mit dieser verstückelten Wirtschaftsförderungspolitik. Wir werden zeigen, wo Sie Geld sparen können und wie Sie das eingesparte Geld richtig einsetzen können.
Dass Sie falsche Antworten geben, zeigt sich auch daran, dass Sie bei den Ärmsten sparen. Teilweise verstehen Sie gar nicht, was man Ihnen vorwirft. Der Disput zwischen Herrn Gysi und Herrn Geis war ziemlich interessant. Auf einmal wurde klar, welche fachlichen Lücken
in der Koalition zuweilen vorhanden sind. Sie wissen ja gar nicht, worüber Sie reden.
Dennoch treffen Sie auf diesem Gebiet Entscheidungen.
Wenn das eine Standbein ?Auslandsnachfrage? und das andere Standbein ?Konjunkturprogramme? zumindest nicht ganz auf festen Füßen stehen und der Aufschwung daher gefährdet ist, dann brauchen wir ein drittes Standbein. Dieses dritte Standbein sind die Binnennachfrage und die Binnenkonjunktur. Notwendig ist also eine Investitionsoffensive im Inland im Bereich Bildung und im Bereich Klima. Notwendig ist natürlich auch, die Binnennachfrage derjenigen zu stärken, die wenig Geld haben.
Sie haben gesagt: Wir wollen zahlreiche Konjunkturprogramme auflegen, um Arbeitslose wieder in Arbeit zu bringen. D?accord; das klingt gut. Warum kürzen Sie dann aber 16 Milliarden Euro bei Qualifizierung und Umschulung, also bei genau denjenigen Maßnahmen, durch die Arbeitslosen geholfen wird, sich auf dem Arbeitsmarkt zu etablieren?
Natürlich müssen Sie die Einnahmen verbessern. Mit Sparen allein werden Sie nicht hinkommen; das wissen Sie aber auch. Ich fand es niedlich, dass das Nachdenken über eine Anhebung des Spitzensteuersatzes in der FDP als Steuerrebellion empfunden wird. Ich weiß nicht, was Sie unter Rebellion verstehen. Über eine solche Anhebung ist nur nachgedacht worden. Entsprechende Überlegungen sind gleich wieder eingesammelt worden, an vorderster Front von Ihnen von der FDP, wie wir haben lesen dürfen. Dabei werden Sie zum Jagen getragen. Die Leute sagen Ihnen: Erhöhen Sie den Spitzensteuersatz!
Wir alle, die wir hier sitzen, sind von Ihrem Sparprogramm in keiner Weise betroffen. Im Gegenteil: Durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz haben diejenigen von uns, die Kinder haben, noch mehr bekommen. Das ist sozial ungerecht; das schafft eine Schieflage. So geht es nicht.
Es wäre auch richtig, klimaschädliche Subventionen zu streichen. Das Umweltbundesamt spricht von Subventionen in Höhe von 48 Milliarden Euro jedes Jahr. Wenn Sie anfangen, klimaschädliche Subventionen zu streichen, machen Sie dreierlei: Erstens helfen Sie der Wirtschaft, umzusteuern - das ist notwendig -, zweitens machen Sie etwas für das Klima, drittens machen Sie etwas für die Haushalte. Streichen Sie Steuervorteile für große Dienstwagen! Schaffen Sie Ökosteuersubventionen für energieintensive Unternehmen sukzessive ab!
Sie sagen natürlich, dass Sie bei der Steinkohle streichen. Machen Sie aber einmal einen konkreten Vorschlag! Wir bringen einen konkreten Vorschlag ein, der in die Ausschüsse geht.
Ich bin sehr gespannt, wie Sie von der Koalition sich dazu verhalten.
Ihre Antworten reichen nicht aus. Ihre Politik ist unsozial und ökologisch blind.
Warum müssen wir uns jetzt Einnahmen und Ausgaben anschauen? Warum müssen wir darauf achten, dass der Staat handlungsfähig bleibt? Weil wir in die Zukunft investieren müssen. Wie lautet die richtige Antwort? Sie sagen, die Krise sei vorbei. Die Kanzlerin hat immer gesagt, es sei wichtig, dass wir nach der Krise wieder so dastehen wie vor der Krise. Das ist ganz gefährlich. Entscheidend ist doch, dass wir jetzt die Weichen richtig stellen. Die Weichen liegen bei der Ökologie: Die Ökologie ist die beste Ökonomie des 21. Jahrhunderts.
In zehn Jahren - wir alle werden es hoffentlich erleben - werden vier von zehn neu zugelassenen Autos in Europa einen Elektromotor haben. Gestern schrieb das Handelsblatt, dass die Börse das Elektroauto feiert. Die Börse feiert aber in Amerika; nicht bei uns. Wenn wir die Chancen auf diesem Markt nicht nutzen, dann verschlafen wir einen Riesenmarkt.
Was machen Sie? Sie lassen sich für Ihren Umgang mit Opel feiern. Helfen Sie lieber der Automobilindustrie, auf neuen Pfaden zu gehen! Schaffen Sie ein Marktanreizprogramm für schadstoffarme Autos! Geben Sie mehr Forschungsmittel für Speicher, Werkstoffe und Antriebe aus! Entwickeln Sie intelligente Verkehrskonzepte! Dann bewegen Sie sich in einem Zukunftsmarkt; das wäre richtig. Vielleicht werden Sie dann dafür gefeiert.
Wir haben in Deutschland 18 Millionen Wohnungen. Wir fordern eine Sanierungsquote von 3 Prozent. Das heißt: 540 000 Wohnungen sollen jedes Jahr saniert werden.
Das ist dringend notwendig, für das Klima, aber auch für die Arbeitsplätze im Handwerk. Was glauben Sie, welch enormen Impuls Sie geben können, wenn Sie ein gescheites, vernünftiges Gebäudesanierungsprogramm auf den Weg bringen! Das lohnt sich auch noch, weil jeder Euro doppelt und dreifach zurückkommt, zum einen durch Steuern und Abgaben, zum anderen, weil öffentliche Investitionen private Investitionen nach sich ziehen.
Wir haben Ihnen vorgeschlagen, die Mittel für das Gebäudesanierungsprogramm zu erhöhen. Was macht die Koalition? Sie hat es abgelehnt. Das ist ökonomisch blind. Die Zukunft der Wirtschaft - -
- Ach! Ich bin mir sicher, dass ganz schön viele im Saal klatschen werden, wenn ich sage, dass die Koalition ökologisch blind ist.
Vor 20 Jahren betrug der Ölpreis 18 Dollar pro Barrel. Damals ist prognostiziert worden, dass er in 20 Jahren 50 Dollar pro Barrel beträgt. Heute liegen wir bei 76 Dollar pro Barrel. Dieser Preis ist relativ niedrig; vor zwei Jahren war der Preis schon deutlich höher. Wenn wir es nicht schaffen, den Unternehmen zu helfen, sich auf sinkende Rohstoffmengen und steigende Rohstoffpreise einzustellen, dann haben wir nicht begriffen, wie wir unsere Wirtschaft umstellen müssen. Deswegen sagen wir: Sie geben in diesem zarten Aufschwung die falsche Antwort, weil Sie den Unternehmen nicht helfen, sich umzustellen. Wir geben die richtigen Antworten. Die Effizienzrevolution im Bereich der Materialeffizienz und der Energieeffizienz ist einer der entscheidenden Punkte. Da müssen wir hin: unsere Kreativität, unser Mut und unsere Entschlossenheit.
Ich komme zum Schluss. Nietzsche hat gesagt: ?Den Stil verbessern, das heißt den Gedanken verbessern?. Ihr Stil steht seit Monaten zu Recht in der Kritik. Der Grund sind Ihre Ideen und der Streit, den Sie aufgrund dieser Ideen haben. Ich sage Ihnen: Grüne Ideen sind besser und, glauben Sie mir, unser Stil ist es auch!
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Klaus Barthel ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion. - Nein, das ist gar nicht wahr. Zuerst ist der Kollege Joachim Pfeiffer für die CDU/CSU-Fraktion dran und dann der Kollege Barthel. Das entspricht offenkundig auch den beiderseitigen Erwartungen, sodass wir Irritationen vermeiden sollten. Bitte schön.
Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Mittelpunkt der heutigen Regierungserklärung steht das Thema Aufschwung. Es ist in der Tat sinnvoll, sich zu vergegenwärtigen, was hinter uns liegt. Es wurde bereits angesprochen: Es ist noch keine zwei Jahre her, dass wir in den Abgrund geblickt haben.
Es wurden 5 Millionen Arbeitslose prognostiziert. Im letzten Jahr hatten wir einen noch nie da gewesenen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 5 Prozent, von den Turbulenzen auf den Finanzmärkten ganz zu schweigen. Keiner wusste genau, was zu tun ist, weil diese Situation kein historisches Vorbild hatte.
Die Politik hat national, auf europäischer Ebene und international gehandelt. Die Finanzmärkte wurden mit Rettungsschirmen stabilisiert. Weltweit wurden Konjunkturprogramme initiiert. In Deutschland wurden Konjunkturpakete mit einem Gesamtvolumen von 50 Milliarden Euro geschnürt, was in der Krise zu Stabilität, Sicherheit und Vertrauen geführt hat. In diesem Jahr - wir hatten bereits die Hoffnung, dass es aufwärts geht - haben wir die Bürger mit dem Bürgerentlastungsprogramm und dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz nochmals um rund 23 Milliarden Euro entlastet. Das ist größte Entlastung, die es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland je gab. Das sind die Fakten, die man sich vergegenwärtigen sollte.
Die Fakten sprechen eine klare und deutliche Sprache. Die Finanzmärkte sind wieder stabiler. Am heutigen Tag wird das von der Europäischen Zentralbank gewährte Jahresgeld in Höhe von 442 Milliarden Euro - das war die größte Summe, die jemals für ein Jahr gewährt wurde -, geräuschlos zurückgezahlt werden können. Das zeigt: Es ist wieder Vertrauen in die Märkte vorhanden. Die Banken leihen sich gegenseitig wieder Geld. Wir können also hoffen, dass die Finanzmärkte wieder stabiler sind. Wir müssen und werden nun mit weiteren Instrumenten dafür sorgen, dass sich eine solche Krise nicht wiederholt.
Auch auf den Gütermärkten, die vor allem durch staatliche Aktivitäten stabilisiert wurden - Stichwort: Umweltprämie; zu nennen sind auch die Bereiche energetische Sanierung und Handwerk -, wurde das Vertrauen gefestigt und Umsatz geschaffen. Das ist nicht allein auf staatliche Stimulanzien zurückzuführen, sondern wir haben einen selbsttragenden Aufschwung, der dazu führt, dass sich die Wirtschaft weiter stabilisiert. Die Automobilindustrie und die Maschinenbauindustrie sind erfreulicherweise wieder gut ausgelastet. Aufträge sind vorhanden. Zum Teil werden wieder Sonderschichten gefahren. Wir können also von einem selbsttragenden Aufschwung sprechen.
Das Szenario von 5 Millionen Arbeitslosen ist nicht eingetreten. Erfreulicherweise bewegt sich die Arbeitslosigkeit auf einem Niveau von 3 Millionen.
Keiner hat uns das zunächst zugetraut. Nun spricht die ganze Welt vom ?German Jobwunder?.
2 Millionen weniger Arbeitslose zu haben, bedeutet - die Zahlen wurden eben genannt -, dass mehr in die Sozialkassen eingezahlt wird. 100 000 Arbeitsplätze bringen mehr als 80 Millionen Euro an zusätzlichen Einnahmen für die Bundesagentur für Arbeit. Wären sie weggefallen, wären Kosten für Arbeitslosengeld I usw. in Höhe von 1,6 Milliarden Euro angefallen.
Uns ist insgesamt ein Betrag von 40 Milliarden Euro erspart geblieben. Und ?uns? heißt in dem Fall dem Steuerzahler, weil er keine Steuern dafür aufbringen muss, und dem Beitragszahler, weil er keine höheren Sozialversicherungsbeiträge aufbringen muss. Das ist die beste Art und Weise, dieses selbsttragende Wachstum weiter zu beschleunigen und anzuheizen.
Was werden wir weiter tun? Wir werden das Wachstum stabilisieren und beschleunigen, und wir werden intelligent sparen und konsolidieren.
Wie wollen wir das Wachstum beschleunigen? Wir wollen mehr Wettbewerb durch moderne und wettbewerbsfördernde Regulierungen in den Gütermärkten. Beispielsweise werden wir das Telekommunikationsgesetz und das Postgesetz novellieren und dafür sorgen, dass es mehr Wettbewerb gibt, der dann auch mehr Arbeitsplätze schafft, und dass wir einen Infrastrukturwettbewerb bekommen. Bei den vor- und nachgelagerten Diensten in diesen Bereichen wollen wir neue Dienstleistungen ermöglichen und damit neue Arbeitsplätze schaffen, wodurch zusätzliches Wachstum entsteht.
Wir werden weiter entbürokratisieren. Das bringt der Wirtschaft etwas und kostet nichts. Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Wir haben uns vorgenommen, Schwellenwerte zu vereinheitlichen und Aufbewahrungsfristen zu verkürzen. Jeder Freiberufler, jeder Unternehmer muss heute seine Rechnungen zehn Jahre lang aufbewahren. Die elektronische Rechnungserstellung funktioniert noch nicht richtig. Der Normenkontrollrat hat ausgerechnet, dass allein diese Aufbewahrungsfristen fast 7 Milliarden Euro pro Jahr kosten. Wenn wir vernünftige Regelungen umsetzen und beispielsweise die Aufbewahrungsfristen halbieren, dann können wir auch hier Wachstum schaffen und sinnvolle neue Ansätze bringen, ohne dass wir uns deswegen verschulden müssten.
Wir werden auch im Energiebereich Wachstumspotenziale mobilisieren. Energieeffizienz ist in der Tat unser Thema. Wir wollen die Energieeffizienz bis zum Jahr 2020 noch einmal verdoppeln. Wir hatten das schon einmal - von 1970 bis 1990 - geschafft. Das ist eine große Herausforderung; aber wir werden es angehen, die entsprechenden Instrumente zu schaffen.
Wir werden einen Energiemix schaffen und die Potenziale, die dort vorhanden sind, heben. Wir wollen den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien. Gegenüber heute wollen wir sie im Strombereich bis zum Jahre 2020 auf über 30 Prozent, vielleicht sogar 35 Prozent steigern. Der Strom muss dann aber immer noch zu 60, 65 oder 70 Prozent von irgendwo anders kommen. Der kommt ja nicht vom Mond, Herr Kuhn, auch bei Ihnen nicht.
- Oder aus der Steckdose. - Die volkswirtschaftlichen Folgen der Photovoltaik hat der Kollege Fuchs vorhin schon angesprochen. Deshalb werden wir auch die volkswirtschaftlichen Potenziale der Kernenergie nutzen. Nicht wir, sondern das Öko-Institut und das RWI haben ausgerechnet, dass dort ein volkswirtschaftlicher Nutzen in einer Höhe von 250 Milliarden Euro verloren gehen würde. Deshalb werden wir die Laufzeiten substanziell verlängern und dafür sorgen, dass dieses nicht allein den großen Vier zugute kommt. Vielmehr werden wir eine den Wettbewerb stimulierende Lösung finden, sodass der Wettbewerb weiter vorankommt. Diese Potenziale werden der gesamten Wirtschaft und letztlich auch dem Bürger zugute kommen.
Ich möchte, weil das auch heute wieder erwähnt wurde, das Thema Binnennachfrage und Lohn ansprechen. Es wurde gesagt, die Löhne würden zurückgehen. Das stimmt überhaupt nicht. Wir haben immer noch mit die höchsten Lohnkosten in Europa. Es ist in der Tat aber so: Wenn man den Unterschied zwischen Lohnstückkosten und Lohnkosten nicht kennt, wird es schwierig.
Herr Solms hat ja versucht, Ihnen das darzulegen.
Es hat sich in den letzten 20 Jahren empirisch erwiesen: Jedes Prozent Reallohnanstieg führt zu einer Steigerung der Binnennachfrage von 0,3 Prozent. Jedes Prozent Beschäftigungsanstieg dagegen führt zu einer Steigerung der Binnennachfrage von 0,8 Prozent. Das heißt, die beste Förderung der Binnennachfrage besteht in einer guten Beschäftigungspolitik bzw. in der Erweiterung des Arbeitsvolumens.
Wir haben dazu einiges in Bezug auf den Arbeitsmarkt getan. Es ist beispielsweise gelungen, vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2008 die Erwerbsbeteiligung der Älteren - der 55- bis 64-Jährigen - von unter 40 Prozent - 37,6 Prozent - auf 54 Prozent konsequent zu steigern. Daran werden wir auch weiterhin arbeiten.
Beim Elterngeld - es ist vorhin schon angesprochen worden - wollen wir Wahlfreiheit für Familien und Alleinerziehende. Wir können es uns auch angesichts der demografischen Situation nicht leisten, zukünftig auf dieses volkswirtschaftliche Asset zu verzichten.
Dieses Jahr werden wir am Ausbildungsmarkt einen Wendepunkt erleben. Der Ausbildungspakt wird neu gestaltet werden. Bisher ging es darum, genug Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Das wird zukünftig nicht mehr die Herausforderung sein. Es wird zukünftig mehr Ausbildungsplätze geben, als Bewerber vorhanden sind. Die Facharbeiter- bzw. Fachkräftelücke zeichnet sich schon ab. Diese Entwicklung ist der Demografie geschuldet.
Unser Ziel ist, vor allem die Bereiche, in denen noch etwas zu tun ist, besser zu fördern. Als Beispiele nenne ich Migranten und Menschen, die schlecht ausgebildet sind oder keinen Abschluss haben; beide Gruppen sind häufig identisch.
Diese Klientel müssen wir ganz besonders in den Blick nehmen und effektiver fördern. Das werden wir beispielsweise beim Ausbildungspakt tun.
Wenn wir all dies machen, dann gelingt es uns tatsächlich, stärker aus der Krise hervorzugehen, als wir in die Krise hineingegangen sind. Das ist unser Ziel. Abgerechnet, meine Damen und Herren, wird zum Schluss. Ich bin mir sicher: Wir haben einen klaren ordnungspolitischen Kompass - das ist heute schon vorgetragen worden -, unsere Instrumente werden wirken, und am Ende dieser Legislaturperiode wird Deutschland durch die Arbeit dieser bürgerlichen Koalition von CDU, CSU und FDP besser dastehen,
als Deutschland nach sieben Jahren Rot-Grün dagestanden hat, und es wird auch besser dastehen als nach vier Jahren Großer Koalition. Davon bin ich überzeugt. Lassen Sie uns die entsprechenden Zahlen, Daten und Fakten dann zusammentragen. Dem sehen wir gelassen entgegen.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nun hat der Kollege Klaus Barthel für die SPD-Fraktion das Wort.
Klaus Barthel (SPD):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gebe es ja gerne zu: Wir haben zumindest zwei Dinge nicht erwartet. Wir haben das, was gestern passiert ist, nicht erwartet,
und wir haben nicht erwartet, dass es auf dem Arbeitsmarkt einen so starken Aufschwung gibt. Das geben wir unumwunden zu. Wir freuen uns über beides. Über den Aufschwung am Arbeitsmarkt freuen wir uns allerdings mehr. Zwischen beiden Dingen gibt es aber einen entscheidenden Unterschied: Für das, was gestern passiert ist, konnten Sie etwas. Aber für den Aufschwung am Arbeitsmarkt kann diese Koalition nichts.
Wir müssen uns einmal mit den Ursachen dieser Entwicklung befassen. Binnenwirtschaftlich betrachtet zehren wir im Moment von den Rettungsschirmen für das Finanzsystem, die Stabilisierung des Geldkreislaufs, die Kreditversorgung und die Unternehmen. All das hat die Große Koalition gemacht. Herr Brüderle - Sie werden sich an Ihre Reden vielleicht nur ungern erinnern -, wer war dagegen? Die FDP. Das Konjunkturprogramm mit einem Volumen von 81 Milliarden Euro für 2009 und 2010 entfaltet in diesem Jahr seine volle Wirkung. Wer war dafür, und wer war dagegen, Herr Brüderle?
Den betrieblichen Bündnissen hat die FDP zugegebenermaßen zugestimmt. Aber was ist bei der Arbeitsmarktpolitik? Kurzarbeitergeld, betriebliche Bündnisse und Arbeitszeitkonten, das alles funktioniert auf der Grundlage sicherer Arbeitsverhältnisse und starker Betriebsräte und Gewerkschaften. Das funktioniert aber nicht auf der Grundlage Ihrer Vorstellungen vom Arbeitsmarkt, von ?Hire and Fire? und von sogenannter Flexibilität, der Sie seit Jahren das Wort reden.
Einen weiteren Beitrag zu dieser Entwicklung leistet die Niedrigstzinspolitik der EZB, gegen die die FDP auch immer heftig polemisiert hat.
Außerdem hilft uns im Moment die Entwicklung, dass die Weltwirtschaft doppelt so schnell wächst wie die Wirtschaft in Deutschland, nämlich um über 4 bis 5 Prozent. Woher kommt dieses Wachstum, das das Volumen unserer Exporte in diesem Jahr um 8 bis 9 Prozent nach oben treiben wird? Es kommt aus Ländern, die in der Wirtschaftspolitik das genaue Gegenteil von dem machen, was diese schwarz-gelbe Koalition seit einem halben Jahr predigt. In Ländern wie China und Brasilien zum Beispiel wird sozialer Ausgleich betrieben. In China unterstützt die Regierung streikende Arbeiter gegen internationale Konzerne. In Brasilien wird seit Jahren eine binnenwirtschaftlich orientierte Nachfragepolitik gemacht. Im Weltmaßstab ist Deutschland als eine der größten Volkswirtschaften leider nicht die Lokomotive, sondern eher der Bremsklotz des Aufschwungs; auch das weisen die aktuellen Zahlen aus. Sie schmücken sich also mit fremden Federn. Dieser Aufschwung kommt aus Quellen, mit denen Sie überhaupt nichts zu tun haben; vielmehr haben Sie alles bekämpft.
Das heißt bei all unseren Erfolgen aber auch: Die schwarz-gelbe Wirtschaftspolitik ist nun wirklich kein Exportartikel. Statt Investitionsförderung zu betreiben, sparen Sie. Bei der Gebäudesanierung, die dem Mittelstand helfen würde, sparen Sie. Bei der Solarförderung kürzen Sie. Ich weiß nicht, was Atomwerke mit Mittelstand zu tun haben.
Sie machen Steuergeschenke statt Modernisierung. Und das nennen Sie Mittelstandspolitik. Sie schwächen die Binnenkonjunktur durch Abkassieren bei den kleinen Einkommen und durch Kürzungen bei den Sozialleistungen; dazu haben wir heute schon etwas gehört.
Sie versagen bei der europäischen Politik und bei G 20. Es gibt keine verbindlichen Verabredungen zur Regulierung. Es gibt keine Refinanzierungsinstrumente gegen die Krise wie die Finanztransaktionsteuer. Da stellt sich Frau Merkel, kurz bevor sie nach Toronto fliegt, hin und sagt: Wahrscheinlich haben wir keine Mehrheit für die Finanztransaktionsteuer. Aber es ist gut so. Wir führen die Entscheidung herbei; dann wissen wir wenigstens, woran wir sind. - Es ist doch politischer Masochismus pur, zu sagen: Schlagt uns; dann wissen wir, dass wir auf dem falschen Dampfer sind. Denn eigentlich wollten wir es ohnehin nicht.
Das heißt - das ist das eigentliche Problem -, die Lunte für die nächste Krise ist gelegt. Die Krise ist eben nicht überwunden, Herr Solms. Die weltweiten Ungleichgewichte im Handel erfahren jetzt einen neuen Schub; das weisen die Zahlen aus. Die Überschüsse in Deutschland und in China steigen weiter, und die Defizite der Schuldnerländer gehen weiter in den Keller. Die Geldvermögen sind schon wieder so groß wie vor der Krise und treiben die Spekulation an. Gegen Finanzblasen gibt es keine Regelungen. Deswegen sind auch die Institute für 2011 äußerst skeptisch. Wenn Sie den Instituten nicht glauben, dann schauen Sie sich einfach an, wie es an den Börsen jeden Tag rauf und runter geht. Dies zeigt eine hochgradige Nervosität, und die hat mit dieser Situation zu tun. Wir sind längst nicht durch die Krise durch.
Wir brauchen eine Strategie für die Euro-Zone. Hier ist nichts gelöst. Die Ungleichgewichte bestehen in der Euro-Zone bzw. in der EU fort. Wir brauchen eine Finanzierung der Krisenlasten, die nicht nur im sozialen Sinne gerecht, sondern auch volkswirtschaftlich sinnvoll ist. Das heißt, man darf nicht da kürzen, wo mit dem Geld Binnenkaufkraft gestärkt wird, sondern muss die belasten, die das große Geld haben und bei denen etwas zu holen ist. Belastet werden müssen also Finanztransaktionen und große Vermögen.
Schließlich brauchen wir eine Umkehr bei der Lohnentwicklung, das heißt eine Bekämpfung der Prekarisierung. Ich fordere die Koalition dringend auf - da gab es unterschiedliche Äußerungen; ich bin gespannt darauf, wie Sie das angehen -: Tun Sie gesetzlich etwas, um die Auswirkungen der verheerenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts einzugrenzen! Wir müssen das Prinzip ?ein Betrieb, eine Branche, ein Tarifvertrag? retten. Sonst wird der Druck auf die Löhne zunehmen, und das können wir in der jetzigen wirtschaftlichen Situation überhaupt nicht gebrauchen.
Herr Solms und Herr Pfeiffer, das, was Sie hier über Lohnstückkosten erzählen, ist purer Unsinn. Herr Pfeiffer sagt, Löhne schaden eher; wir brauchen Beschäftigung. - Wenn man das von der Logik her zu Ende denkt, dann hieße das: Am besten wäre es, alle arbeiten und bekommen kein Geld dafür. - Das wäre der volkswirtschaftliche Gipfel der Erkenntnis.
Herr Pfeiffer, Sie sagen, die Lohnstückkosten bei uns stärken die Wettbewerbsfähigkeit im Export. Schauen Sie sich doch einmal die Stundenlöhne und die Lohnstückkosten in der Exportwirtschaft an. Sie sind, volkswirtschaftlich gesehen, relativ hoch. Das Problem ist nur: Es gibt andere Sektoren, in denen die Löhne immer weiter sinken. Dazu gehören der Dienstleistungsbereich und andere nicht exportstarke Sektoren. Daher hat die Anhebung der Löhne im Dienstleistungsbereich mit der Wettbewerbsfähigkeit unserer Exportartikel - Maschinen usw. - überhaupt nichts zu tun.
Sie sind dabei, dem Aufschwung, über den wir hier reden, die Grundlage zu entziehen.
Herr Brüderle, Sie haben bisher das Richtige bekämpft. Was andere Regierungen getan haben, bekämpfen Sie.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das können Sie jetzt aber nicht mehr im Einzelnen darstellen.
Klaus Barthel (SPD):
Was die frühere Bundesregierung auf diesem Gebiet getan hat, bekämpfen Sie. Sie haben das Falsche gefordert, und Sie nennen das Ordnungspolitik. Herr Brüderle, ich kenne Sie ja schon länger. Sie sind als durchaus pragmatisch und flexibel bekannt. Mein Appell zum Schluss ist: Wenden Sie sich von dieser Art von Wirtschafts- und Ordnungspolitik ab, und machen Sie etwas ganz anderes!
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält der Kollege Martin Lindner für die FDP-Fraktion.
Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP):
Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Herr Kollege Barthel, ich glaube, das wird der Bundeswirtschaftsminister ganz sicher nicht machen. Er wäre auch verrückt.
Jedes größere Wirtschaftsinstitut attestiert, dass hier eine vernünftige Wirtschaftspolitik gemacht wird. Davon abzukehren, wäre vollkommen wahnsinnig.
Wenn man Führungskräfte der Wirtschaft fragt, was für nachhaltigen Aufschwung und nachhaltige Wirtschaftspolitik entscheidend sei, nennen sie überwiegend alle als einen der wichtigsten Punkte,
dass eine Konsolidierung der öffentlichen Haushalte von elementarer Bedeutung ist. Da hat die Bundesregierung mit dem Entwurf eines Sparpakets einen richtigen und wegweisenden ersten Schritt gemacht:
sozial ausgewogen, mit klaren Schwerpunkten - Bildung und Forschung.
Wenn, auch unter Berücksichtigung dieser Sparanstrengungen, 55 Prozent der Ausgaben des Bundes für Soziales getätigt werden und Sie, Herr Kollege Barthel, uns für Sozialpolitik China und Brasilien als Vorbild empfehlen, zeigt das, wie ver-rückt Ihr Koordinatensystem in sozialpolitischen Belangen ist.
Das geht doch völlig an der Realität vorbei. Es gibt kaum ein Land, das so unbeschränkt und nachhaltig Sozialleistungen gewährt wie Deutschland.
Zu den anderen Themen. Natürlich ist Forschung etwas, was mittelfristig wirtschaftspolitische Bedeutung hat. Deswegen ist es vernünftig, dort nicht zu sparen, sondern auf dem Wachstumspfad zu bleiben. Bildung ist natürlich auch ganz elementar. Das wirkt langfristig. Deswegen ist es richtig, dass die Bundesregierung hier nicht spart. Die Konsolidierungsanstrengungen, die sich ja hauptsächlich auf den Bereich Luftverkehrsabgabe, Bankenabgabe und auf das zusätzliche Belasten von Kernkraftwerksbetreibern beziehen, müssten genau in Ihrem Sinne sein. Deswegen verstehe ich nicht, warum Sie hier nicht viel deutlicher Beifall klatschen, als wir das tun.
Lassen Sie mich noch etwas zum Thema Steuern sagen, weil auch von Kollegen Gysi das einfache Motto ausgegeben wird: Man muss nur bei den Stärkeren ein wenig zugreifen. - Schauen Sie sich doch einmal die steuerpolitische Entwicklung der letzten 40 Jahre an. 1958 hat ein Lediger eine Eingangssteuer von 20 Prozent, umgerechnet etwa 860 Euro pro Jahr, bezahlt. Den Spitzensteuersatz von 53 Prozent hat ein Lediger mit 110 000 DM im Jahr - heute umgerechnet 56 000 Euro - bezahlt.
Wenn Sie das inflationsbereinigt fortschreiben würden, dann müssten Sie heute als Lediger bei etwa 2 400 Euro 20 Prozent Steuern bezahlen und den Spitzensteuersatz mit 160 000 Euro pro Jahr. Tatsächlich aber zahlen Sie den Spitzensteuersatz bereits bei 53 000 Euro und den Eingangssteuersatz von 14 Prozent bei 8 000 Euro.
Daran sehen Sie doch ganz deutlich, wenn Sie nicht ideologisch verblendet sind, dass die starken Schultern und vor allen Dingen die mittleren Einkommen immer mehr belastet wurden. Darum geht es dieser Bundesregierung: Wir müssen die mittleren und auch die kleinen Einkommen entlasten, um den Sozialstaat, den wir hier alle wollen, finanzieren zu können. Deswegen ist es vernünftig, wie hier vorgegangen wird.
Die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen wird auch entscheidend davon abhängig sein, inwieweit wir die Anforderungen an die Wirtschaft in sozialpolitischer, arbeitsrechtlicher und ökologischer Hinsicht optimieren.
Ich sage Ihnen an dieser Stelle ganz klar: Ich halte nichts davon, die hohen Standards, die wir in Deutschland haben, blind nach unten zu ziehen. Ich glaube auch, dass viele deutsche Produkte ihre Geltung in der Welt und ihr hohes Niveau auch dadurch erhalten haben, dass wir in Deutschland höhere Standards haben als beispielsweise in China, Korea oder sonst irgendwo. Ich glaube, dass man hier das Optimum erreichen muss, denke aber, dass wir uns in vielen Bereichen weg vom Optimum und hin zu einem Maximum an Anforderungen bewegen, wodurch deutsche Produkte national und international schlechter wettbewerbsfähig sind.
Mit der pharmazeutischen Industrie haben wir ein gutes Beispiel dafür. Wir waren einmal die Apotheke der Welt. Im Laufe der Jahre haben wir uns über Ethikkommissionen, andere Anforderungen, das Verbot von Tierversuchen und Ähnlichem von dem Optimum an Produktsicherheit und Ethik hin zu einem solchen Maximum bewegt, dass für die Entwicklung eines Produkts eine Investition von mindestens 1 Milliarde Euro nötig ist, wodurch die Unternehmen mit ihren Produkten nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Wir müssen hier - das ist die Anforderung an diese Bundesregierung und diese Koalition - zu einem vernünftigen Level kommen.
Ich glaube, man muss unter dem Begriff ?Bürokratieabbau? versuchen - das greift ja in der Regel zu kurz -, das in den nächsten Jahren vernünftig zu erreichen.
Dazu gehören auch die Exportvorschriften. Natürlich müssen wir auch diese überprüfen. Es ist wichtig, die Exportwirtschaft in Deutschland weiter zu stärken. Ich verstehe überhaupt nicht, warum die Linke des Hauses das jedes Mal in einen Gegensatz zur Binnennachfrage stellt. Wir brauchen eine starke Exportwirtschaft. Alles andere ist verrückt.
Wir werden weiter daran arbeiten müssen, und natürlich müssen auch die Löhne und Gehälter international konkurrenzfähig sein.
Damit, dass Sie hier, genau wie in der Sozialpolitik, Gespenster in die Welt setzen, gehen Sie völlig am echten Leben vorbei. Natürlich hat es in Deutschland in den letzten Jahren auch bei den Löhnen und Gehältern eine gewisse Konsolidierung gegeben, aber es kann doch nicht Ihr Ernst sein, hier zu erzählen, das seien Dumpinglöhne, Herr Gysi. Im verarbeitenden und für die Exportwirtschaft relevanten Gewerbe stehen wir innerhalb der Europäischen Union noch immer an vierter Stelle von oben.
Es ist Ausdruck der völligen Unkenntnis der tatsächlichen Gegebenheiten, hier von Dumpinglöhnen zu reden.
Wir brauchen wettbewerbsfähige Löhne und Gehälter. Dabei sind wir in Deutschland auf einem guten Weg, und zwar auch dank der Vernunft von Gewerkschaften und vor allen Dingen auch dank der betrieblichen Vereinbarungen in den Unternehmen. Dafür danken wir. Natürlich ist man auch dort mit Vernunft vorgegangen. Das war wegweisend, und es zeigt sich in diesen geringen Arbeitslosenzahlen ganz deutlich,
dass man hier eben nicht Ihren ideologischen Phantasmagorien gefolgt ist, sondern Vernunft hat obwalten lassen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch kurz auf die ordnungspolitische Klarheit dieser Bundesregierung am Beispiel Opel eingehen. Ich freue mich wirklich, dass diese Bundesregierung - federführend der Bundeswirtschaftsminister Brüderle -, anders als viele Vorgänger, egal, welcher Couleur, in dieser Frage standhaft geblieben ist. Ich denke an die Maxhütte, an Philipp Holzmann und an KarstadtQuelle und höre noch die ?Gerhard, Gerhard?-Rufe.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Lindner, all die vielen Fälle, die sich jetzt vielleicht nennen ließen, lassen sich nach abgeschlossener Redezeit nicht mehr unterbringen.
Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP):
Ich binde das in einem Satz zusammen und sage: Es ist jeweils gescheitert.
Herr Duin, eine Stunde bevor GM seine Förderanträge zurückgezogen hat, haben Sie Seite an Seite mit Ihrem linken Bruder noch immer gefordert, Brüderle solle weich werden und deutsche Steuergelder für GM ausgeben.
Das ist der große ordnungspolitische Unterschied zwischen Ihnen und uns. Sie wären weich geworden und hätten deutsche Steuergelder nach Amerika gegeben.
Ich bin froh, dass er standhaft geblieben ist und einen klaren ordnungspolitischen Kurs hat. Sie können schreien, soviel Sie wollen: Die Bundesregierung und diese Koalition werden diesen ordnungspolitischen Kurs unbeirrt fortsetzen.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun der Kollege Ernst Hinsken für die CDU/CSU-Fraktion.
Ernst Hinsken (CDU/CSU):
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Andreae, ?Wasser predigen, aber Wein trinken? heißt ein schönes Sprichwort. Heute Morgen bin ich mit meinem Fahrrad zum Büro gefahren. Ich wurde von drei Dienstlimousinen überholt; in jeder saß ein Grüner. Sie aber fordern die Abschaffung der Dienstlimousinen. Fordern: Ja! Nutzen: Ja!
- So sind sie halt. - Das alles passt nicht mehr zusammen. Ich wollte das bei dieser Gelegenheit ganz kurz erwähnen, damit ich der Öffentlichkeit das sage, was ihr auch glaubwürdig überbracht werden kann.
Verehrter Herr Kollege Duin, im Gegensatz zu Herrn Wirtschaftsminister Brüderle haben Sie meines Erachtens kein realistisches Bild gezeichnet; denn es steht doch unbestritten fest: Kein Land hat die Krise besser bewältigt als wir. Die jetzige christlich-liberale Bundesregierung und ihre Vorgängerin - das betone ich ausdrücklich - in der Großen Koalition haben doch in den letzten zwei Jahren eine richtige Politik betrieben. Diese führte zum Erfolg. Ich meine, wir sollten uns alle darüber freuen, anstatt uns gegenseitig zu beschimpfen und das Leben schwer zu machen. Gemeinsam an einem Strang ziehen, ist das Gebot der Stunde.
Wir sind zwar über den Berg, aber trotzdem ist nicht alles eitel Sonnenschein. Die konjunkturelle Frühjahrsbelebung ist stärker als sonst. Die Auftragsbücher des Mittelstandes und des Handwerks füllen sich. Der Export gewinnt an Fahrt. Jedes zweite produzierte Auto geht in den Export. Die Arbeitslosigkeit liegt in verschiedenen Regionen sogar unter 4 Prozent. Davon haben wir alle noch vor einem Jahr geträumt. Es ist Wirklichkeit geworden, wie Kollege Fuchs vorhin bereits ausgeführt hat. Aufgrund sehr guter Exportmöglichkeiten können unsere Unternehmen ihre Mitarbeiterzahl nahezu unverändert halten. Die Dienstleistungsbranche plant sogar, Arbeitnehmer einzustellen.
Noch auf anderen Gebieten sind wir spitze. Die tariflichen Monatsverdienste der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft sind im letzten Jahr um durchschnittlich 2,7 Prozent gestiegen, in Frankreich nur um 2,2 Prozent. Herr Gysi, Sie haben vorhin einen Vergleich gezogen. Ich möchte deshalb besonders darauf verweisen, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland für unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, was Verdienstmöglichkeiten anbelangt, sehr viel mehr und Besseres geleistet haben als die Nachbarländer, die in etwa mit uns vergleichbar sind. Auch in dieser Hinsicht sind Sie widerlegt.
Das, was gemacht worden ist, hat den Staat viel Geld gekostet. Das war in der Wirtschaftskrise richtig. Unbestritten ist, dass unser soziales Netz spitze ist. Wir müssen uns aber grundsätzlich die Frage stellen, ob das alles noch bezahlbar ist. Haben wir nicht in den letzten Jahren und vielleicht Jahrzehnten ein bisschen über die Verhältnisse gelebt?
Ich setze auf die Bürger. Die Bürger, Kollege Barthel, sind mündiger als viele Kolleginnen und Kollegen auf Ihrer Seite des Deutschen Bundestages. Sie sind mündig und wissen, was machbar und was nicht machbar ist. Deshalb muss die Devise jetzt lauten, dass gespart werden muss; denn die Schulden von heute sind die Steuern von morgen. Was ist deshalb zu tun? Wir müssen auf dem Gebiet Leitgedanken entwickeln. Erstens: Haushaltskonsolidierung über die Ausgabenseite vornehmen. Zweitens: keine Steuererhöhungen. Drittens: Zukunftsinvestitionen fortführen. Viertens: selbsttragenden Aufschwung unterstützen. Fünftens: Binnenkonjunktur ankurbeln. Sechstens: inflationäre Tendenzen im Keim ersticken. Schließlich ist Inflation Diebstahl am kleinen Bürger. Für den wollen wir ganz besonders da sein.
Wir wollen und werden jetzt einen dauerhaften Wachstumsprozess anstoßen, der ohne staatliche Hilfe auskommt.
Was wollen wir? Erstens: mehr netto - und das trotz Sparpakets. Zweitens: die Sozialversicherungsbeiträge stabil halten. Das hilft den Beschäftigten, Arbeitgebern und auch Rentnern.
Drittens: der Jugend eine Zukunft geben. Ich möchte Sie, Herr Minister Brüderle, ergänzen. Was die Jugendarbeitslosigkeit anbelangt, steht die Bundesrepublik Deutschland als absolutes Spitzenland da. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt in Deutschland bei 9,5 Prozent, in der gesamten EU bei 20,6 Prozent, in Frankreich bei 22,2 Prozent, in Spanien bei 40,3 Prozent und in den USA bei 19,6 Prozent. Wir müssen für die Jugend, die uns so ans Herz gewachsen ist, schon jetzt die Weichen stellen, damit sie sich auch einmal so entfalten kann, wie wir das jetzt tun können.
Viertens. Gerade diese Bundesregierung fördert den Mittelstand, und zwar zu Recht; denn dort, wo der Mittelstand stark ist, ist die Arbeitslosigkeit mit am niedrigsten. Herr Brüderle, gerade hier haben Sie einige Akzente gesetzt, die in die richtige Richtung gehen. Mit dem Wirtschaftsfonds Deutschland hilft die Bundesregierung zielgenau vor allem mittelständischen Unternehmen bei der Bewältigung der durch die Krise entstandenen Finanzierungsprobleme.
In diesem Zusammenhang müssen wir natürlich berücksichtigen, dass es in der Bundesrepublik Deutschland verschiedene Gebiete gibt, die nicht so stark sind wie bestimmte Ballungsräume. Es ist daher erforderlich, eine Politik aufzulegen, die dem ganzen Land dienlich ist. Herr Minister Brüderle, ich bitte Sie, dafür zu sorgen, dass an der regionalen Wirtschaftsförderung so weit wie irgend möglich festgehalten wird; denn das hat sich bewährt. Allein in den letzten 20 Jahren haben wir auf diesem Gebiet durch subsidiäre Hilfe des Staates
über 1 Million Arbeitsplätze schaffen und darüber hinaus über 1,8 Millionen Arbeitsplätze erhalten können. Das, was sich bewährt hat, gilt es hier fortzuführen.
Ich bitte Sie deshalb, sich dafür einzusetzen, dass das erfolgt.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss darauf hinweisen, dass die Energie ein bedeutender Faktor ist. Wenn man nur 50 Kilometer von Temelin entfernt wohnt, macht man sich natürlich schon Gedanken darüber, wie wir vorgehen und wie andere vorgehen. Die Schweden zum Beispiel steigen aus dem Ausstieg aus der Kernenergie aus. Bei uns nimmt man das - zumindest auf der linken Seite - überhaupt nicht zur Kenntnis. Man negiert, dass allein in Europa fast 200 Kernkraftwerke in Betrieb sind -
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, achten Sie bitte auf die Redezeit.
Ernst Hinsken (CDU/CSU):
- ich bin gleich fertig, Frau Präsidentin -, dass in Deutschland 17 Kernkraftwerke betrieben werden und dass in der europäischen Zone 14 neue Kernkraftwerke gebaut werden. Das wird alles beiseitegeschoben. Um in diesem Bereich wettbewerbsfähig zu sein, muss nun einmal auch der Energiepreis stimmen. Der stimmt bei uns nicht. Deshalb sind wir für Kernkraftwerke als Brückentechnologie. Wir brauchen sie, solange wir sie nicht durch alternative Energieerzeugung ersetzen und den Strom anderweitig preisgünstig produzieren können.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Peter Friedrich.
Peter Friedrich (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auf den Anlass der Debatte zurückkommen, nämlich die Regierungserklärung von Herrn Minister Brüderle. Herr Brüderle, die Schlüsselworte Ihrer Rede waren ?könnte? und ?müsste?. Darum hat sich alles gedreht. Ich habe bei intensivstem Nachdenken und Nachforschen, welche wirtschaftspolitischen Aktivitäten Sie bisher in Ihrem Amt entfaltet haben, genau drei Punkte gefunden. Das Erste war der Kreditmediator; darauf gehe ich gleich noch ein. Das Zweite war das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Das Dritte war der Opel-Entscheid. Mehr gab es nicht. Welche Ihrer Nicht-Aktivitäten ist jetzt genau für das Jobwunder verantwortlich? Sie profitieren von den Ergebnissen einer vernünftigen und guten Konjunkturpolitik sowie von den Ergebnissen einer vernünftigen und guten Arbeitsmarktreform, die Rot-Grün angestoßen hat und die wir in der Großen Koalition fortgesetzt haben. Auf dieser Welle schwimmen Sie - und auf sonst nichts. So etwas nennt man Trittbrettfahrertum. Mit konzeptioneller Wirtschaftspolitik hat das aber überhaupt nichts zu tun.
Herr Hinsken, Sie haben den Deutschlandfonds angesprochen und ihn mit Herrn Brüderle in Verbindung gebracht. Noch vor einem halben Jahr hätte Herr Brüderle es sich verbeten, in einem Satz mit dem Deutschlandfonds zitiert zu werden.
Damals hat er bei dem, was wir in der Großen Koalition zusammen auf den Weg gebracht haben, ordnungspolitisch noch Sodom und Gomorrha ausgerufen.
Jetzt wird es als Erfolg abgefeiert. Man sollte zumindest so ehrlich sein, das Copyright mit anzugeben, wenn man sich auf Erfolge bezieht, die andere zu verantworten haben.
- Ich weiß. Adenauer hat auch gesagt: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?
Aber nun zu dem Bild des selbsttragenden Aufschwungs, das Sie alle heute Morgen bemühen: Vielleicht ist es so. Wir haben Glück, wenn es so ist. Aber das, was Sie politisch jetzt einleiten, läuft darauf hinaus, dass das, was an selbsttragenden Elementen vorhanden ist, kaputtgemacht wird. Ihr Sparpaket betrifft genau die Anreize, die wir gesetzt haben. Wir wollten, dass es mit der Konjunktur wieder aufwärts geht. Sie aber entziehen den Kommunen exakt die Mittel, die wir ihnen vorher gegeben haben, damit sie investieren. Über das, was Sie an Kürzungen im Sozialbereich planen, entziehen Sie den Menschen exakt die Gelder, die wir ihnen vorher im Rahmen von Entlastungen gegeben haben. Sie machen die Rolle rückwärts und würgen den selbsttragenden Aufschwung ab. Er trägt nicht. Er erträgt nämlich nicht Ihre Politik. Das werden Sie erleben.
Schauen wir uns doch einmal nur einen Punkt aus dem an, was Sie ?Wachstumspolitik? nennen! Sie haben 1 Milliarde Euro - ich weiß, dass Sie das nicht mehr hören mögen - darauf verwendet, die Hotels zu subventionieren. 1 Milliarde Euro!
Sie haben damit die bombastische Investition von 100 Millionen Euro ausgelöst.
- Das ist die Behauptung des Fachverbandes.
Ich nenne Ihnen einmal ein anderes Beispiel. Im Bereich des Marktanreizprogramms haben Sie 144 Millionen Euro gesperrt, haben das abgewürgt, obwohl Sie da nach eigener Darstellung das 7,2-Fache an Investitionen auslösen.
Bei den Hotels geben Sie 1 Milliarde Euro aus für 100 Millionen Euro Investitionen, und in dem anderen Bereich kürzen Sie rund 100 Millionen Euro, womit Sie gut 700 Millionen Euro Investitionen abwürgen. Das ist Ihre Wirtschaftspolitik in diesem Land!
Herr Brüderle hat gesagt: Die Kapazitäten werden wieder hochgefahren. - Wir können uns hier über das Thema Binnennachfrage austauschen. Ich finde den Gegensatz, der immer hergestellt wird, interessant. Es kommt immer von Ihrer Seite, dass Export und Binnennachfrage ein Gegensatz sind. Wir betrachten das ausdrücklich nicht so. Wir wollen, dass beides funktioniert, dass beides gut läuft. Wir brauchen in einem ganz bestimmten Bereich auch Binnennachfrage. Wir müssen nämlich wieder für mehr Investitionen sorgen.
Alle Firmen, alle Mittelständler, alle Handwerksbetriebe haben ihre Investitionen in der Krise geschoben. Sie haben aus der Substanz gewirtschaftet. Sie stehen vor großen Ersatzinvestitionen, weil man eben nicht beliebig lange aus der Substanz leben kann. Sie müssen jetzt also Ersatzinvestitionen tätigen. Sie wollen auch in Kapazitätserweiterungen investieren. Das ist gut. Das wollen wir auch.
Erleben werden wir in diesem Herbst aber, dass der steigende Bedarf an Kreditmitteln für Investitionen auf die Bankenregulierung trifft, die wir ja auch wollen. Wir stehen dazu: Wir wollen, dass die Banken die Risiken vernünftiger prüfen. Wir wollen, dass mehr Eigenkapitalunterlegung vorhanden ist. Wir wollen auch, dass Basel III zu einem vernünftigen Ergebnis geführt wird. - Da trifft also etwas aufeinander, was sich nicht verträgt, nämlich ein wachsender Kreditbedarf auf der einen Seite und ein zurückgehendes Kreditangebot wegen der Restriktionen, die wir in der Regulierung vornehmen, auf der anderen Seite. Der Minister aber sagt: Das Problem gibt es nicht.
Der Kreditmediator hat seine Tätigkeit etwas süffisant mit den Worten kommentiert, er müsse ein Problem herbeireden, weil er nichts zu tun habe. Aber dass sich ein Problem aufbaut, hat Ihr Staatssekretär, Herr Brüderle, uns auf eine Anfrage hin bestätigt. Der Kreditmediator - ich nehme an, dass er für Sie eine Autorität ist - bestätigt Ihnen das auch. Aber Sie sagen: Das Problem gibt es nicht. Darum müssen wir uns nicht kümmern. Das Problem sind die Energiepreise. Das Problem ist nicht mehr die Kreditversorgung.
Das, Herr Brüderle, heißt: Sie führen Unternehmen, die in den Aufschwung gehen wollen, die etwas dazu beitragen wollen, jetzt sehenden Auges in eine Versorgungsklemme hinein, was den Kreditbereich angeht. Ich sage Ihnen: Wir brauchen Instrumente. Ich weiß, dass Sie das prüfen. Wir haben es im Ausschuss jede Woche mit Prüfaufträgen zu tun. Uns würde einmal interessieren: Was tun Sie dafür, dass die deutsche Wirtschaft in den Aufschwung hinein investieren kann, dass Investitionen bei uns ausgelöst werden und dass es sich lohnt, die Kapazitäten auf einen Aufschwung hin auszurichten?
Die Diskussion zum Sparpaket ist bei Ihnen ja nicht beendet. Ich weiß, es gibt immer wieder Appelle des Zusammenhalts, es sei ausgewogen, jetzt müsse die Diskussion aber auch beendet sein. Nach den vielen Prüfaufträgen, sei es zum Thema Gewerbesteuer, sei es zum Thema Mehrwertsteuer, hatte ich mir heute ein bisschen Klarheit darüber erhofft, wohin Sie wirtschaftspolitisch wollen. Sie haben wieder davon gesprochen, dass Sie eine Nettoentlastung wollen. Wir erleben aber eine Nettolüge. Wir erleben, dass die Kommunen die Kindergartengebühren erhöhen müssen, dass die kommunalen Gebühren überall steigen, dass Sie das Geld, das Sie auf der einen Seite - angeblich - geben wollen, um den Aufschwung zu stärken, letzten Endes wieder vereinnahmen wollen. Aber einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche greifen. Die Kommunen stehen finanziell schon längst am Abgrund. Sie vergrößern das Problem mit Ihrer Politik noch.
Ich möchte noch einen Hinweis zur Schuldenbremse geben, weil Herr Gysi das Thema angesprochen hat. Herr Gysi, ich teile Ihre Einschätzung: Man kann das Thema Konsolidierung nicht nur über die Ausgabenseite angehen, sondern muss auch die Einnahmeseite sehen.
Was ich aber nicht verstehe, ist: Als Linker muss ich doch dafür sein, die Staatsverschuldung möglichst gering zu halten. Die Staatsverschuldung führt doch nur zu einem Effekt: Der Staat leiht sich Geld bei Menschen, die genug haben, um es zu verleihen, und zahlt ihnen dann über die Zinsen eine erhebliche Rendite. Staatsverschuldung sorgt für die stärkste Form der Umverteilung. Deswegen können Sie sich doch als jemand, der angeblich linke Politik machen will, nicht hier hinstellen und der Staatsverschuldung das Wort reden. Das passt doch nun wirklich nicht zusammen.
Der Generalsekretär der FDP hat schon zugegeben, dass der Kompass nicht funktioniert habe. Herr Brüderle hat behauptet, seiner funktioniere noch. Wissen Sie was? Wenn Sie einen funktionierenden Kompass haben, dann benutzen Sie ihn, um eine Bewegung nach vorne zu erzeugen. Bisher haben Sie ihn nicht eingesetzt.
Danke schön.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Andreas Lämmel für die CDU/CSU-Fraktion.
Andreas G. Lämmel (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute ist der 1. Juli. Vor genau 20 Jahren wurde in Ostdeutschland die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion eingeführt. Damit wurde über Nacht die windelweiche Aluminiumwährung gegen die starke und harte D-Mark eingetauscht. Das war natürlich auch für die Wirtschaft eine Schocktherapie; das muss man ganz klar sagen. Seitdem ist der wirtschaftliche Aufschwung in Gesamtdeutschland natürlich mit dem Aufschwung in Ostdeutschland unmittelbar verbunden.
Wenn man heute Meinungen hört und Zeitungsartikel darüber liest, wie das damals gewesen ist und was die letzten 20 Jahre für Ostdeutschland gebracht haben, dann stellt man fest: Das ist so ähnlich wie in der heutigen Debatte. Es wird in Deutschland immer alles schlechtgeredet. Der Aufschwung findet gar nicht statt. Das, was die Regierung macht, ist sowieso Mist.
Die Zahlen, denen nicht so einfach widersprochen werden kann, werden zwar hingenommen, aber trotzdem negativ kommentiert.
Genauso ist es mit dem wirtschaftlichen Aufbau in Ostdeutschland. Ein großes Politikmagazin hat in dieser Woche einen mehrseitigen Artikel zu diesem Thema veröffentlicht. Es fehlte bloß noch - das hat man schon 1990 gemacht -, dass man die Bilder nachträglich schwärzt, um die wirtschaftliche Situation Ostdeutschlands noch düsterer darzustellen. Diese Darstellung ist einfach unfair, und zwar gegenüber beiden Seiten: unfair gegenüber den Menschen in den alten Bundesländern, die mit einer großen solidarischen Anstrengung den wirtschaftlichen Aufbau in Ostdeutschland in großen Teilen mitfinanziert haben, unfair aber auch gegenüber den Menschen in Ostdeutschland, die nämlich diese Schocktherapie über sich haben ergehen lassen und deren gesamtes Lebensumfeld sich änderte. Ihnen wird jetzt suggeriert: Das, was ihr gemacht habt, war sowieso nur Mist. Lasst es doch einfach sein.
Wenn wir so weitermachen, dann haben wir die übliche deutsche Stimmung. Das Ausland denkt aber ganz anders darüber. Das Ausland sieht, dass Deutschland trotz der Finanzierung der deutschen Einheit, trotz der großen Lasten, die aufgrund des wirtschaftlichen Aufbaus in Ostdeutschland zu schultern waren, heute, nach 20 Jahren, die Konjunkturlokomotive in Europa ist. Andere Länder wie Frankreich sagen: Es kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen, dass wir nicht so schnell wie Deutschland sind. - Meine Damen und Herren, das ist doch eigentlich ein großes Lob für uns. Wir müssen doch stolz darauf sein, dass wir nach zwei Jahren Wirtschaftskrise wieder die Lokomotive in Europa sind, obwohl wir in Ostdeutschland noch weitere Probleme zu lösen haben.
Werfen wir doch einmal einen Blick auf die Entwicklung der ostdeutschen Wirtschaft der letzten 20 Jahre und den heutigen Stand. Das Wachstum der ostdeutschen Wirtschaft ging in der Wirtschaftskrise nicht so stark zurück wie das der gesamtdeutschen Wirtschaft; der Rückgang war nur halb so groß. Der Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes wird für dieses Jahr vom Ifo-Institut mit 1,6 Prozent prognostiziert. Ein Blick in die einzelnen Sektoren der Volkswirtschaften zeigt - ich spreche einmal die Zahl Sachsens an, weil ich sie sehr genau kenne -, dass im verarbeitenden Bereich, also in genau dem Bereich, in dem wir in Gesamtdeutschland besonders stark sind, seit über zehn Jahren zweistellige Wachstumsraten zu verzeichnen sind. Hätte nicht die Bauwirtschaft in den letzten Jahren ständig negative Beiträge zum Bruttoinlandsprodukt erbracht, läge die Gesamtwachstumsrate in Ostdeutschland deutlich höher. Das ist doch eine Leistung, die wir in Gesamtdeutschland erbracht haben. Der Aufschwung in Ostdeutschland trägt nämlich unmittelbar auch zum Aufschwung in Westdeutschland bei.
Ich möchte auch auf die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen verweisen. Wir sind dabei, die Arbeitslosenzahlen in Ostdeutschland zu halbieren.
Es kann doch nicht geleugnet werden, dass große Erfolge beim Aufbau der Wirtschaft in Ostdeutschland zu verzeichnen sind. In besagtem Artikel wird geschrieben, man habe es in 20 Jahren nicht einmal geschafft, dass eines der 100 größten Unternehmen in Deutschland seinen Sitz in Ostdeutschland hat. Meine Damen und Herren, das ist doch kein Wunder. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dass Sie von der SPD oder von den Grünen sich dafür eingesetzt hätten, dass Audi wieder nach Zwickau zurückgeht, wo es eigentlich hingehört; denn Audi ist ursprünglich kein Unternehmen aus Ingolstadt, sondern aus Sachsen. Oder haben Sie sich dafür eingesetzt, dass andere Unternehmen, die früher ihren Sitz in Ostdeutschland hatten, ihre Konzernzentralen wieder zurückverlegt haben? Ich habe davon nichts mitbekommen. Deshalb darf man sich doch heute nicht beklagen, dass von den 100 größten deutschen Unternehmen keines in Ostdeutschland seinen Sitz hat.
In Ostdeutschland ist aber ein neuer Mittelstand entstanden, und es gibt hocheffiziente Unternehmen, die auf modernste Technologien setzen. In Ostdeutschland wird genau auf die Technologien ein Schwerpunkt gelegt, auf die Sie - ich schaue jetzt einmal in Ihre Richtung, Frau Andreae - ganz stark setzen. Es handelt sich um die Bereiche regenerative Energien, Nanotechnologie, eigentlich um alle neuen Technologien. Wenn Sie Ihre Blockade aufgeben würden, würde Ostdeutschland auch bei Grüner und Weißer Gentechnologie eine Spitzenposition einnehmen.
Ich plädiere dafür, genauer hinzuschauen, wenn man nach 20 Jahren eine Bilanz zieht.
Damit Deutschland auch in Zukunft weiterhin positiv dasteht, gilt es nun, den beginnenden Aufschwung weiter zu verstetigen. Herr Duin hat im Ausschuss gesagt, er verstehe nicht viel von Wirtschaft, dafür aber viel von Fußball. Das hat man auch an seiner heutigen Rede gemerkt. Weil das so ist, trägt Ihre Partei auch keine Regierungsverantwortung mehr. Wir jedenfalls werden im nächsten Haushalt die Kräfte unterstützen, die das Wachstum auch weiterhin wirkungsvoll befeuern.
Hier geht es zunächst einmal um das Thema ?Forschung und Entwicklung?. In diesem Punkt, Frau Andreae, sind wir ja nicht so weit auseinander.
Für regionale Wirtschaftsförderung im Rahmen von GRW und für die Mittelstandsinnovationen
geben wir in einem Jahr allerdings noch nicht einmal so viel aus wie in einem halben Jahr für die Steinkohle. Das ist schon ein Problem. Trotzdem werden in den Haushaltsansätzen, die wahrscheinlich nächste Woche im Bundeskabinett verabschiedet werden, die Themenbereiche FuE und Innovationsförderung für den Mittelstand an erster Stelle stehen.
Dann müssen wir Fortschritte beim Thema ?freier Handel? erreichen. Wir müssen die sogenannte Doha-Runde weiterentwickeln und
dafür sorgen, dass freier Welthandel weiterhin möglich ist und somit auch die deutsche Industrie freien Zugang zu den internationalen Märkten hat.
Wir müssen auch die Rohstoffbasis sichern. Auf diesen Punkt ist der Minister schon eingegangen. Wir begrüßen das ausdrücklich. Auch wenn der Staat gar nicht so viele Möglichkeiten hat, hier tätig zu werden - es ist eine Aufgabe der Wirtschaft, für die Erschließung von Rohstoffen zu sorgen -, wollen wir hier am Ball bleiben.
Auch die Infrastruktur muss weiter ausgebaut werden. Hierbei geht es nicht bloß um den Ausbau von Straßen, sondern genauso um den Ausbau von Breitbandinfrastruktur, Wissenschaftsinfrastruktur und Bildungsinfrastruktur.
Das Thema Bildung ist in jedem Fall ein sehr wichtiger Punkt - das ist schon mehrfach angesprochen worden -: Bildung in der Schule, Bildung in der Hochschule und natürlich auch Berufsausbildung. Angesichts der zurückgehenden Zahl an Schulabgängern müssen wir - das sehe jedenfalls ich persönlich so - die Qualität in der Berufsausbildung steigern.
Meine Damen und Herren, zusammenfassend kann ich Ihnen versichern: Der neue Bundeshaushalt wird darauf ausgerichtet sein, den Aufschwung, den wir brauchen und im Moment auch erleben, weiterhin zu unterstützen. Sie können dabei mithelfen, indem Sie Ihre Stimme in die Haushaltsberatungen einbringen.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Alexander Bonde, Priska Hinz (Herborn), Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Haushalt zukunftsfest machen - Nachhaltig sanieren - Ökologisch und sozial investieren
- Drucksache 17/2327 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich sehe, damit sind Sie einverstanden. Dann werden wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Fritz Kuhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben diese Debatte beantragt, weil wir der Regierung das, was sie vor der Sommerpause als sogenanntes Sparpaket vorgelegt hat, nicht durchgehen lassen wollen. Mit dem, was Sie vorgelegt haben, erreichen Sie das Ziel eines zukunftsfesten Haushalts nicht. Im Wesentlichen liegt das daran, dass Ihr Sparpaket nicht sozial gerecht ist, dass Sie in ökologischer Hinsicht völlig blind sind und Sie eine Vielzahl von Luftbuchungen vorgenommen haben. Sie haben Vorschläge niedergeschrieben, die sich nicht realisieren lassen.
Der erste Punkt: Wie kann man eigentlich in einer Zeit, in der man Milliarden Euro zur Rettung der Banken ausgibt und die Bevölkerung fragt, ob dies sinnvoll, notwendig und richtig ist, die Haushaltskonsolidierung bzw. die Sparpolitik in der Form betreiben, dass die kleinen Leute belastet und diejenigen, die mehr haben, verschont werden? Wo ist das soziale Gewissen dieser Koalition? Im Sparpaket schlägt es sich jedenfalls nicht nieder.
Ich sage Ihnen: Sie können der Bevölkerung die Haushaltskonsolidierung nur dann zumuten, wenn Sie ihr auch klarmachen können, dass es dabei gerecht zugeht. ?Gerecht? heißt, dass diejenigen, die mehr haben, die starke Schultern haben, mehr schultern müssen als diejenigen, die wenig haben. Sie machen es aber so: Diejenigen, die wenig haben, tragen die Hauptlast, und diejenigen, die viel haben, tragen gar nichts.
Es war eine hohe Stunde der Peinlichkeit, als Frau Merkel bei der Vorstellung des Sparpakets auf die Frage, woran man die Gerechtigkeit erkenne, sagte, dass auch die Wirtschaft belastet würde, und die Brennelementesteuer als Beispiel nahm. Wer diesen Punkt als Ausweis sozialer Gerechtigkeit ins Feld führt, hat nicht verstanden, worum es geht. Im Übrigen nimmt sie den Atomkonzernen vielleicht 2 Milliarden Euro ab, schenkt ihnen aber 6 bis 8 Milliarden Euro durch die Laufzeitverlängerung, die Sie vorhaben. Das ist Zynismus pur. So können Sie Haushaltskonsolidierungspolitik nicht betreiben.
Der zweite Punkt: Sie streichen Mittel im Haushalt und vergrößern gleichzeitig die ?ökologische Verschuldung? unseres Landes. Ich will ein Beispiel nennen: Gegenwärtig wird 1 Prozent aller Gebäude in Deutschland pro Jahr energetisch saniert. Das heißt im Klartext: Wir brauchen 100 Jahre, bis wir einmal durch sind. Schon allein aufgrund dieser Schwäche können wir das Klimaschutzziel - 2050 95 Prozent weniger CO2-Ausstoß - gar nicht erreichen. Deswegen sagen wir: Wir müssen auf eine Quote von 3 Prozent kommen, und dafür müssen wir investieren. Aber was machen Sie? Beim Gebäudesanierungsprogramm streichen Sie kontinuierlich: 2009 standen 2,2 Milliarden Euro zur Verfügung, 2010 sind es noch 1,5 Milliarden Euro und 2011 werden es nur noch 880 Millionen Euro sein. An den Stellen, an denen Sie investieren müssen, um die ?ökologische Verschuldung? abzubauen, streichen Sie die Mittel. Die dadurch entstehenden ökologischen Schäden kosten uns viel Geld, und das kostet uns Arbeitsplätze in wichtigen Zukunftsbereichen.
Wo ist bei dem, was Sie anregen, eine solide und seriöse Konsolidierungspolitik zu erkennen?
Wir müssen uns auch endlich von dem Gedanken verabschieden, dass es nur die Alternative ?Investieren oder Sparen? gibt. Der Gegensatz, der beim G-20-Gipfel zwischen Obama und Merkel aufgebaut wurde, ist doch völlig falsch. Jeder, der in einem Betrieb oder einem privaten Haushalt konsolidieren will, weiß, dass es Felder gibt, auf denen man sparen, und andere, auf denen man investieren muss.
Das ist der Fehler Ihres Sparpakets. Sie investieren nicht richtig in ökologische Bereiche. Sie haben gar nicht erkannt, dass soziale Gerechtigkeit in der sozialen Marktwirtschaft eine Produktivkraft entfalten kann. Sie glauben, es ist am besten für die Wirtschaft, wenn es wenig soziale Ausgaben gibt. Aber dass soziale Gerechtigkeit Zufriedenheit, Sicherheit und die Fähigkeit der Menschen, Teilhabe zu praktizieren, beinhaltet, das vergessen Sie, wie das, was Sie bisher vorgelegt haben, zeigt. Deswegen sage ich noch einmal: Wenn Sie dabei bleiben, wird es mit Ihnen politisch weiter bergab gehen. Machen Sie die Mehrwertsteuersenkung für Hoteliers rückgängig, heben Sie den Spitzensteuersatz an, zeigen Sie den Menschen, dass Sie sich langsam an soziale Gerechtigkeit gewöhnen! Kümmern Sie sich auch um die Einnahmeseite des Haushalts; denn diese vernachlässigen Sie sträflich. So kommen Sie nicht weiter.
Letzter Punkt, den ich noch ansprechen möchte: Ihr Sparpaket ist voller Verschiebebahnhöfe; das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Sie wollen den Zuschuss zur Rentenversicherung für Arbeitslosengeld-II-Empfänger streichen; das macht 1,8 Milliarden Euro aus. Die Große Koalition hatte diesen schon halbiert. Was bedeutet das? Sie sparen heute im Haushalt, was zu anwachsender Altersarmut führt, für die in zehn Jahren zu zahlen sein wird.
Wer wird das zahlen müssen? Die Gemeinden werden dafür zahlen, weil sie für die Grundsicherung im Alter zuständig sind.
Wer mit solchen primitiven Verschiebebahnhöfen der Bevölkerung und dem Parlament weismachen will, dies wäre Konsolidierungspolitik, der hat mit Zitronen gehandelt. Da muss sich die FDP nicht wundern, dass sie laut Umfragen inzwischen bei 4 Prozent gelandet ist.
Das wird so weitergehen, wenn Sie sich nicht ändern.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Norbert Barthle für die CDU/CSU-Fraktion.
Norbert Barthle (CDU/CSU):
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen gibt uns Gelegenheit, darüber nachzudenken, wo wir stehen. Ich finde im Antrag - im Gegensatz zu der wirklich sehr polemischen Schaufensterrede des Kollegen Kuhn - sehr viel Übereinstimmung in der Analyse.
Wir in Deutschland und die Staatengemeinschaften weltweit stehen vor finanzpolitischen Herausforderungen, wie man sie sich vor einigen Jahren noch nicht hat vorstellen können. Die Wirtschaftskrise hat bewirkt, dass sich die Schulden aller Nationen von 2001 bis 2009 verdoppelt haben: von 20,4 auf 41,5 Billionen Dollar. Der Schuldenberg in Deutschland ist auf 1,7 Billionen Euro angestiegen; allein im Bundeshaushalt sind es 1,065 Billionen Euro. Die Verschuldung des Bundes, der Länder und der Kommunen ist also derzeit auf dem höchsten je erreichten Stand. Diese immense Verschuldung der Staatshaushalte gefährdet nicht nur die Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit des Staates, sondern destabilisiert auch unser internationales Währungssystem. Das durften wir jüngst beim Euro erfahren. Deshalb ist eine Rückkehr auf einen soliden, stabilen Konsolidierungs- und Wachstumspfad dringend geboten.
Einerseits brauchen wir das Vertrauen der Finanzmärkte, andererseits zwingt uns unsere Schuldenbremse, die ich sehr begrüße, zu einer nachhaltigen Haushaltspolitik. Deshalb ist eine solche Politik der Grundpfeiler christlich-liberaler Politik und auch, Herr Kuhn, ein Kernelement der sozialen Marktwirtschaft. Das sichert uns auch für die Zukunft Wohlstand und soziale Gerechtigkeit. Zu dem Thema komme ich gleich noch.
Nun zu Toronto. Ich bin der Auffassung, dass unsere Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzminister beim G-20-Treffen in Toronto einen wirklich großen Erfolg erzielt haben. Denn die G-20-Staaten haben sich darauf geeinigt, dass die großen Industrieländer bis 2013 ihre Verschuldung halbieren und ab dem Jahr 2016 mit dem Schuldenabbau beginnen. Damit hat sich im Kern die deutsche Stabilitätskultur, sprich: die deutsche Schuldenbremse, als internationales Vorbild empfohlen und durchgesetzt. Das ist ein Riesenerfolg.
An der Stelle möchte ich noch einmal betonen, dass es richtig war, dass sich die Bundeskanzlerin nicht dem Druck der USA gebeugt und die Verschuldungsspirale weiter hochgetrieben hat. Sie macht genau das Gegenteil, und das ist vollkommen richtig.
Das Ergebnis dieses Treffens zeigt auch, dass Ziel und Umfang unseres Sparpakets richtig sind. Es ist ein Mix aus moderaten Ausgabenkürzungen und wachstumsfördernden Investitionen. Es ist sozial ausgewogen und geeignet, die Defizite maßvoll zurückzuführen und ein nachhaltiges Wachstum zu sichern. Denn nur mit diesem durchgreifenden Konsolidierungskurs verschafft sich der Staat die notwendigen Spielräume, um zu gestalten und die Bürger zu entlasten. Nur ein robustes, nachhaltiges Wirtschaftswachstum ist ein Garant, um Armutsrisiken zu vermeiden, Arbeitslosigkeit zu verringern und Wohlstand für alle zu sichern.
Was das Sparpaket angeht, sind mir vier Schwerpunkte besonders wichtig: erstens Vorrang für wachstumsfördernde Zukunftsinvestitionen insbesondere im Bereich Bildung und Forschung, zweitens Überprüfung von Transferleistungen auf ihre Effizienz und Zielgenauigkeit, drittens Rückführung ineffizienter Doppelleistungen im Sozialbereich und viertens Subventionsabbau und ökologische Neujustierung. Das sind die Kernbotschaften dieses Pakets.
Sie sehen: Wir legen - das ist mir besonders wichtig - den Schwerpunkt nicht auf die Erhöhung der Einnahmen, sondern auf die Kürzung der Ausgaben. Zahlreiche Ökonomen bestätigen uns aus den Erfahrungen der Vergangenheit, dass Sparpakete, die die Priorität auf höhere Steuern oder Investitionskürzungen legen, keinen Erfolg versprechen. Diejenigen Staaten, die Steuern erhöhten, waren nach drei Jahren noch genauso verschuldet wie vorher. Die Erfolgsaussichten sind dann besonders gut, wenn bei den Sozialtransfers und beim Personal im öffentlichen Dienst gespart wird. Das zeigen die Erfahrungen. Auf mittlere Sicht hemmen Steuererhöhungen das Wirtschaftswachstum, was wiederum die Steuereinnahmen senkt und letzten Endes die Konsolidierung gefährdet.
Unser Sparpaket setzt deshalb die richtigen Schwerpunkte. Wir haben aus den Erfahrungen der Vergangenheit, auch in anderen Ländern, gelernt, und jetzt sind wir auf dem richtigen Weg.
In der öffentlichen Debatte ist immer wieder die Leier zu hören - auch Herr Kuhn hat es wieder vorgetragen -, die Gutverdiener müssten zusätzlich belastet werden. Man sollte an dieser Stelle eines bedenken: Das obere Drittel der Steuerpflichtigen trägt bereits heute rund 80 Prozent der Einkommensteuer. Das untere Drittel der Einkommen erhält fast 60 Prozent aller Transferleistungen, zahlt aber nur 5 Prozent der Steuern und Sozialabgaben. Das heißt doch de facto: Schon heute tragen die starken Schultern den Löwenanteil der sozialen Lasten. Auch das muss immer wieder gesagt werden.
Im Zusammenhang mit der Steuererhöhungsdebatte sollte auch immer bedacht werden, inwieweit durch Steuererhöhungen möglicherweise auch Anreize zur Schaffung von Arbeitsplätzen vernichtet werden und damit das Wachstum behindert wird. Das darf nicht außer Acht gelassen werden. Zudem würde durch Steuererhöhungen zwar kurzzeitig zusätzliches Geld in die öffentlichen Kassen gespült, dies würde aber nicht die chronische, also strukturelle Unterfinanzierung des Staatshaushalts beseitigen. Das ist mit dem Satz gemeint, der in den vergangenen Wochen an dieser Stelle mehrfach bewusst oder vielleicht auch unbewusst fehlinterpretiert worden ist, nämlich dass wir in der Vergangenheit über unsere Verhältnisse gelebt haben.
Das mag vielleicht für den Einzelnen so nicht gelten - das ist keine Frage -, aber für unsere Gesellschaft als Ganzes gilt das sehr wohl. An dieser Stelle gilt es, umzusteuern.
Allein ein Blick auf die Sozialausgabenquote macht dies deutlich: Die Sozialausgaben im Bundeshaushalt 2010 belaufen sich auf mehr als 170 Milliarden Euro und machen damit rund 54 Prozent der gesamten Bundesausgaben aus. Im Jahr der deutschen Wiedervereinigung lag der Anteil noch bei 34 Prozent. So hat sich das inzwischen entwickelt.
Auch in dem Antrag der Grünen wird wie auch eben von Herrn Kuhn wieder der Vorwurf zum Ausdruck gebracht, das Sparpaket sei sozial unausgewogen, und es werde auf dem Rücken der Arbeitslosen und der Familien gespart.
Das ist falsch. Es ist unverantwortliche Polemik, dies immer wieder so vorzutragen. Entweder Sie verstehen den Kerngedanken des Sparkonzepts nicht, oder Sie wollen ihn nicht verstehen.
Ich werde ihn Ihnen nochmals erklären: Soziale Gerechtigkeit ist keine Einbahnstraße.
An der ganzen Gerechtigkeitsdebatte stört mich eines fundamental: dass diese Debatte ausschließlich aus einer einzigen Blickrichtung geführt wird, nämlich aus der Sicht der Leistungsempfänger. Gerechtigkeit ist aber nicht eindimensional, sondern muss stets im Hinblick auf andere betrachtet werden. Das steht auch im Einklang mit dem im Grundgesetz verankerten Solidaritätsprinzip.
Mir stellt sich die Frage, ob es tatsächlich ein Ausweis sozialer Kälte ist, wenn eine immer kleiner werdende Gruppe in unserer Gesellschaft, die mit ihren Steuerbeiträgen eine immer größer werdende Gruppe von Transferempfängern unterstützt, danach fragt, ob die erbrachten Leistungen den gewünschten Effekt erzielen. Genau dem werden wir an dieser Stelle gerecht.
Angesichts unserer demografischen Entwicklung - Sie alle kennen sie - wird sich das Verhältnis der Transferzahler zu den Transferempfängern weiter verschärfen. Deshalb muss eine Gerechtigkeitsdebatte auch vor dem Hintergrund der Generationengerechtigkeit geführt werden. Das blenden Sie auf der linken Seite dieses Hauses immer aus. Das geht nicht.
Wer sich das Sparpaket genau anschaut, der wird sehr schnell feststellen, dass insofern eine Ausgewogenheit besteht, als Verwaltung, Unternehmen und Sozialleistungsempfänger an den Lasten in etwa gleichermaßen beteiligt werden. Was die Sozialleistungen in diesem Sparpaket angeht, fällt mir auf: Dort wird sogar unterproportional gekürzt. Würden wir den von vielen immer geforderten Rasenmäher anwenden, also proportional gleichmäßig sparen, würde das bedeuten, dass wir im sozialen Bereich gut das Doppelte von dem einsparen müssten, was wir jetzt einsparen. Das sei auch an die Adresse derer gerichtet, die von einem Kettensägenmassaker oder Ähnlichem gesprochen haben. Wer so spricht, urteilt völlig jenseits der Realität.
Zu dem gleichen Ergebnis kommt man, wenn man sich anschaut, in welchen Bereichen der Sozialleistungen Kürzungen vorgesehen sind: Im Bereich der Eingliederungsleistungen für Arbeitsuchende sollen durch Erweiterung des Handlungsspielraums die Arbeitsvermittler in die Lage versetzt werden, zielgenauer als bisher zu fördern. Unser Ziel ist es, Anreize zur Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zu setzen. Das ist der Kerngedanke dieser Maßnahme; darum geht es.
Auch die geplante Anrechnung des Elterngeldes bei den Beziehern von Arbeitslosengeld II ist richtig. Dadurch wird für mehr Gerechtigkeit in diesem Land in Bezug auf den Niedriglohnsektor gesorgt. Es geht darum, Doppelleistungen zu vermeiden. Die zusätzliche Gewährung von Elterngeld für Bezieher von Arbeitslosengeld II verringert den Lohnabstand. Sie müssen sich einmal die Berechnungen der verschiedenen Wirtschaftsforschungsinstitute anschauen. Darin kommt man klar zu dem Ergebnis: Ein verheirateter Alleinverdiener, der Vollzeit arbeitet, muss mindestens einen Stundenlohn von 11 Euro brutto erzielen, um ohne Transferleistungen auf das gleiche verfügbare Einkommen zu kommen, das er ohne Erwerbsarbeit erhalten würde.
Das ist mehr, als im Niedriglohnsektor gezahlt wird. Auch dieser Tatsache muss man ins Auge schauen.
Eine Aufstockung der Regelsätze, wie im Antrag der Grünen gefordert, würde - das haben Sie verschwiegen, Herr Kuhn - dieses Problem noch verschärfen. Erklären Sie einmal einem Arbeitnehmer, der keine üppig bezahlte Vollzeitstelle hat, warum er eigentlich noch arbeiten soll, warum er in das Sozialsystem einzahlen soll und warum er mit seinen Beiträgen unser Land stützen soll, wenn sich jemand, der nicht arbeiten geht, finanziell besserstellt.
Das ist nicht zu erklären. Das, was wir hier machen, ist also gerecht.
Nochmals: Wir gehen nicht mit der Rasenmähermethode vor. Wir setzen zielgenau dort an, wo es möglich ist, zu sparen. Wir schaffen Wachstumspotentiale. Wir sanieren den Bundeshaushalt. Mit all dem sind wir hier genau auf dem richtigen Weg.
Eines sei noch hinzugefügt: Wir Haushälter werden es mit Sicherheit nicht zulassen, dass an dem Sparpaket geschliffen, dass es aufgeschnürt oder abgemildert wird. Wer meint, angesichts einer besseren Konjunktur müsse man weniger sparen, ist auf dem Holzweg; denn hier geht es um konjunkturelle Effekte. Wir müssen jedoch strukturell sparen. Das ist die Aufgabe; sie bleibt uns erhalten.
Danke.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Joachim Poß.
Joachim Poß (SPD):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Barthle, ich finde es schon erschreckend, dass Ihnen, seit die Große Koalition nicht mehr existiert, wohl innerhalb weniger Monate das soziale Empfinden gänzlich weggerutscht ist
und dass Sie sich im Zusammenhang mit diesem Sparpaket offenkundig zum politischen Gefangenen dieser kleinen, radikalen, neoliberalen Partei haben machen lassen.
Dieser Vorgang ist bei den Parteien der Union zu beobachten, bei denen zum Beispiel der sozial verpflichtete Katholizismus bisher immer eine Rolle spielte.
Es ist erschreckend, wie das aus dem Ruder läuft.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fricke?
Joachim Poß (SPD):
Aber selbstverständlich.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Fricke, bitte.
Otto Fricke (FDP):
Herr Kollege Poß, Sie haben gerade meine Partei als eine ?radikale? Partei bezeichnet.
- Ich finde es sehr bemerkenswert, dass unter Demokraten, zu denen sich die Grünen angeblich zählen, so auf ein solches Wort reagiert wird. Herr Kollege Poß, ich würde Sie bitten, entweder den Begriff zurückzunehmen oder hier zu erklären, warum Sie der Meinung sind, dass Sie im Zusammenhang mit der FDP von einer radikalen Partei sprechen können.
Joachim Poß (SPD):
Sie leugnen die Notwendigkeit eines finanziellen und sozialen Ausgleichs in dieser Gesellschaft konsequent und radikal.
Damit waren Sie in dieser Koalition leider erfolgreich. Das ist eine aktuelle Zustandsbeschreibung.
Es handelt sich bei der FDP um eine Partei, die sich zum Beispiel bis Mitte Mai vehement dagegen gewehrt hat, dass der Finanzbereich einen angemessenen Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens entrichtet. Wir haben mehrere Stunden mit Ihnen verhandelt. In einer gewissen Situation ist eine solche Haltung eben vernagelt. Man kann auch ?vernagelt? sagen, wenn man nicht ?radikal? sagen möchte;
aber es gibt da nichts zurückzunehmen.
Die FDP ist in der Tat eine radikale Partei. Herr Fricke, ich würde nie auf den Gedanken kommen, sie als extremistische Partei zu bezeichnen; das liegt mir fern. Die FDP ist aber eine radikale Partei in dem Sinne, dass sie radikal die Notwendigkeit des sozialen Ausgleichs in dieser Gesellschaft leugnet und den größeren Koalitionspartner bis Mitte oder Ende Mai - bis in manchem Bewegung entstanden ist - zum politischen Gefangenen gemacht hat, zum Nachteil dieses Landes. Das ist erschreckend.
Wenn es beim sogenannten Sparpaket im Hinblick auf die betroffenen Individuen auch keinen sozialen Ausgleich gibt - ich werde gleich noch darauf eingehen -, dann zeigt dies, dass der Einfluss der FDP weiterhin groß ist. Sie haben sehr wahrscheinlich weitergehende Überlegungen aus der Union, teilweise auch aus der FDP, zur Anhebung des Spitzensteuersatzes und zu anderen Maßnahmen konsequent abgeblockt. Das Ergebnis dessen wurde von Ihrem Parteivorsitzenden gemeinsam mit Frau Merkel ziemlich ratlos vorgestellt.
Sie sind nach eigenem Bekunden dabei, sich neu aufzustellen, weil wohl viele, die Sie aus Versehen gewählt haben, erkannt haben, welch unheilvollen Einfluss Sie in der bundesdeutschen Politik ausüben.
Auch das spricht für meine Ansicht.
Herr Kollege Barthle, wenn das Mindestelterngeld für die Ehefrau eines Spitzenverdieners erhalten bleibt, das von Hartz-IV-Empfängern aber gestrichen wird, stellt sich die Frage: Was hat das denn mit Ordnungspolitik oder mit dem Lohnabstandsgebot zu tun?
Das ist doch eine haarsträubende Begründung, die Sie da gebracht haben, und sie zeigt, woran es Ihnen mangelt.
Gestern ist der Versuch einer Neuaufstellung gescheitert. Das Sparpaket war der vorletzte Versuch einer Neuaufstellung dieser Koalition.
Auch das ist kräftig danebengegangen.
- Herr Barthle, ich wundere mich, dass Sie überhaupt nicht zu den gemeinsamen Erfolgen der Großen Koalition stehen. Sie weisen nicht auf das hin, was wir gemeinsam an Wichtigem für unser Land erreicht haben.
Das hätten Sie in der Tat tun können.
Dem Regierungssprecher und Frau Merkel ist es lediglich gelungen, aus Toronto in die Wohnzimmer der deutschen Fernsehzuschauer den Eindruck zu vermitteln, dass eine Protokollerklärung der Gipfelteilnehmer, die den guten Willen der dort Versammelten zum Schuldenabbau ausdrückt, ausreicht - in sehr unrealistischer Weise, wenn man sich, was 2013 und 2016 angeht, die Länder und deren Verschuldung im Einzelnen ansieht -, um Veränderungen herbeizuführen. Beim bundesdeutschen Publikum wurde der Eindruck erweckt, das sei die Hauptfrage des G-20-Gipfels gewesen. Dadurch wollte man davon ablenken, dass man auch auf internationaler Ebene gescheitert ist, vernünftige Maßnahmen in Sachen Finanzmarktregulierung zu vereinbaren, weil die deutsche Bundesregierung in dieser Koalition nicht aufgestellt war - dort saßen die radikalen Bremser - und
weil Instrumente wie die Finanzmarkttransaktionsteuer nicht durchgesetzt werden konnten. Sie haben vorher schon den Kampf darum aufgegeben. Durch Ihren Spin wurde davon abgelenkt, dass Frau Merkel ihren durchaus vorhandenen guten Ruf, den sie in Europa und auch weltweit genoss, in der Griechenlandkrise hoffnungslos verspielt hat. Das ist der Vorgang, der tatsächlich stattgefunden hat und von dem abgelenkt wurde.
Dem sogenannten Sparpaket fehlt das Gestaltungsziel, der Kompass. Es fehlt der Wachstumsimpuls für die Zeit nach dem Auslaufen der Konjunkturpakete.
Im Moment haben wir zwei Elemente der Wirtschaftsentwicklung. Der Export läuft super - wir alle finden das gut, das hat auch etwas mit dem Euro-Dollar-Verhältnis zu tun -, und die Investitionen werden vorangetrieben. Wir werden in diesem Jahr erleben, dass bis zum Auslaufen der Konjunkturpakete noch ungefähr 10 Milliarden Euro an öffentlichen Investitionen in Bewegung gesetzt werden. Im letzten Jahr sind nur 3 Milliarden Euro der Investitionen abgeflossen. Aber es stellt sich folgende Frage: Was ist danach? Sie haben nicht einmal versucht, eine Antwort darauf zu geben. Sie haben keine Antwort gesucht. Sie haben ein jämmerliches Bild abgegeben.
Ich habe mir die Pressekonferenz von Frau Merkel und Herrn Westerwelle am 7. Juni angesehen. Es war nicht nur körperliche Erschöpfung, die sich da niedergeschlagen hat, sondern offenkundig auch geistiges Ausgebranntsein
und das Eingeständnis, dass man die Kraft zur Führung unseres Landes nicht mehr hat.
Was ist mit einer Soforthilfe für die Kommunen? Die Kommunen können doch nicht auf irgendwelche Maßnahmen warten. Ihnen brennt bereits jetzt der Pelz. Der Bund muss gemeinsam mit den Ländern - in erster Linie ist es die Aufgabe der Länder - helfen, und zwar schnell. Auf diese zentrale Frage geben Sie keine Antwort. Diese Antwort sind Sie schuldig geblieben. Stattdessen soll die Gewerbesteuer - eine alte Obsession von Herrn Schäuble; es wird spekuliert, ob das ein Zugeständnis an die FDP im Zusammenhang mit dem Präsidentenpoker war - abgeschafft werden. Das heißt, 30 bis 40 Milliarden Euro, die jetzt die Wirtschaft tragen muss, sollen bzw. werden in welcher Form und nach welchem Modell auch immer auf Verbraucher und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verlagert. Das ist eine gewaltige, zusätzliche Umverteilungsmaßnahme.
Ich hoffe, dass die politischen Verhältnisse in diesem Land - auch nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen - inzwischen so sind, dass eine solche Maßnahme nicht mehr Platz greifen kann.
Es fehlt in Ihrem Konzept - Kollege Kuhn hat darauf hingewiesen - die Streichung der neu geschaffenen Privilegien für Hotels und für Unternehmenserben. Sie haben ja wieder eine aktuelle Auseinandersetzung in Ihren Reihen. Man fasst sich an den Kopf, wenn man sieht, welche Auseinandersetzung da bei Ihnen stattfindet. Man fragt sich, ob Sie nach Finanz-, Wirtschafts- und Währungskrise nicht die Kraft finden, um auch mal Dinge zu korrigieren, die offenkundig schiefgelaufen sind.
Und dann stellen Sie sich hin, Herr Lindner, und verteidigen die Streichungen bei Hartz IV und anderen sozial Schwachen, sagen aber kein Wort zu diesen unzumutbaren Privilegien, die kein Mensch in dieser Republik mehr versteht.
Die von Ihnen behauptete Beteiligung der Wirtschaft an der Konsolidierung besteht aus Luftbuchungen und Hoffnungswerten. Da, wo es zur Sache geht - bei sozial Schwachen -, wird konkret gekürzt. Das ist das Ganze. Und dann sagen Sie: Na ja, wir haben doch einen sozialen Ausgleich. Frau von der Leyen sagt das lächelnd, wie es ihre Art ist. Ich finde, das ist manchmal etwas sehr kalt lächelnd. Sie sagt: Das ist doch sozial ausgewogen, wenn wir bei Behinderten und bei Leistungen für Rentner nicht gestrichen haben. Das war die Begründung von Frau von der Leyen, warum das Paket sozial ausgewogen ist. Man stelle sich das vor. Ich habe es selbst im Fernsehen gesehen und es fast nicht glauben mögen. Wenn ich das gelesen hätte, hätte ich noch einmal nachgelesen. Es ist eine unhaltbare und fast zynische Begründung, die Frau von der Leyen zur Rechtfertigung dieses Pakets abgegeben hat.
Frau Merkel und Herr Schäuble argumentieren mit einer Drittelbelastung. Das Paket sei ausgewogen, weil zu je einem Drittel die Sozialausgaben, die Wirtschaft sowie Beamte und Verwaltung betroffen sind. Das sind hohle Aussagen, mit denen Sie - weder hier im Parlament noch bei den Menschen - nicht durchkommen werden.
Seit wann sind denn Unternehmen und die Verwaltung der soziale Gegenpol zu den Arbeitslosengeld-II-Empfängern oder den Wohn- und Elterngeldempfängern? Der soziale Gegenpol, meine Damen und Herren, falls es noch nicht in Ihre Köpfe vorgedrungen ist, zu wirtschaftlich schwächeren Individuen sind nicht irgendwelche Institutionen, sondern wirtschaftlich stärkere Individuen wie Spitzenverdiener und Vermögende.
Das ist das Diktat Westerwelles und dieser radikalen Partei, der FDP.
Die wirtschaftlich Stärkeren spielen in Ihren Belastungsüberlegungen gar keine Rolle. Das ist das Skandalöse.
Unklar ist, ob die Belastungen der Wirtschaft, die Sie vorsehen, überhaupt den Sommer überleben werden. Ich gehe davon aus, dass Frau Merkel vor der Atomlobby noch völlig einknicken wird. Vermutlich werden wir gar keinen Gesetzentwurf für eine Brennelementesteuer oder Ähnliches von der Regierung vorgelegt bekommen.
Die behauptete Beteiligung des Bankensektors ist ebenfalls unklar. Ich hoffe, dass, wie angekündigt, um die Transaktionsteuer in Europa wirklich gekämpft wird. Wenn das nicht kommt, müssen wir eben über eine nationale Lösung nachdenken.
Ich hoffe, dass die 2 Milliarden Euro, die dafür in 2012 als erste Scheibe vorgesehen sind, nicht gänzlich aus Ihrem Gedächtnis entschwinden werden.
Alles in allem: Wenn man zusammenfasst, was Sie da mit diesem sogenannten Sparpaket vorgelegt haben, dann ist das nicht ?intelligentes Sparen?, sondern Ausdruck einer eher dummen, kurzsichtigen und einfallslosen Finanz- und Regierungspolitik.
Obwohl Sie Ihren Kandidaten für das Bundespräsidentenamt dann doch noch durchgebracht haben, war das - wie auch ich fürchte - nicht der Beginn professioneller und guter Regierungsarbeit. Sie werden sich - so ist es zu erwarten - in der Koalition weiter blockieren und den Problemen und Herausforderungen dieses Landes überhaupt nicht gerecht werden. Wir alle werden deshalb Schaden erleiden. Es ist das Bedauerliche, dass offenkundig keine Möglichkeit besteht - es sei denn über den Bundesrat -, den größten Schaden abzuwenden.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Florian Toncar für die FDP-Fraktion.
Florian Toncar (FDP):
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es ist gut, dass wir über die Sparpolitik diskutieren. Aber, Kollege Poß, bei allem Verständnis dafür, dass Sie Ansatzpunkte für Kritik suchen, muss ich sagen, dass der Tonfall und der Duktus Ihrer Rede etwas Beschämendes hatten.
Ich kann nur sagen: Ich wünsche mir, dass viele Wähler diese Rede gehört haben
und sie unter anderem im Zusammenhang mit den vermeintlichen Bemühungen Ihrer eigenen Landesvorsitzenden in Nordrhein-Westfalen sehen, Koalitionen zu bilden, die offensichtlich - wenn man Ihnen zuhört, bekommt man diesen Eindruck - nicht ernsthaft gewollt, sondern eher ein Akt der Wählertäuschung sind.
Das, was Sie heute geboten haben, war aufschlussreich. Dafür danken wir Ihnen herzlich.
Die Koalition wird den Haushalt in dieser Wahlperiode nachhaltig sanieren. Dazu gehören zwei Aspekte: erstens eine gute Wirtschaftsentwicklung und zweitens die Verringerung der staatlichen Defizite. Das geht bei dieser Koalition Hand in Hand. Das gebietet nicht nur die Einhaltung der Schuldenbremse, unser Verfassungsrecht, sondern das gebieten auch die Handlungsfähigkeit des Staates in künftigen Jahren und unsere Verantwortung gegenüber künftigen Generationen. Genau deswegen schlägt die Regierung diesen Kurs ein.
Das bedeutet erstens, dass wir uns um die Wirtschaftsentwicklung kümmern müssen. Das ist ein Aspekt, der mir in der Debatte bisher zu kurz kommt, übrigens auch in dem Antrag, den Sie eingebracht haben, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. Wir müssen uns überlegen, wie wir es schaffen, dass die Wirtschaft wieder ins Laufen kommt. Das hat diese Koalition getan, indem sie Steuerentlastungen für Mittelstand und Familien durchgesetzt hat, sie hat es dadurch getan, dass sie die Sozialversicherungsbeitragssätze stabil gehalten hat, und nicht zuletzt auch dadurch, dass sie mit großen Anstrengungen den Euro, die europäische Währungsunion stabilisiert hat.
Auch das gehört dazu, wenn man dafür sorgen will, dass die Wirtschaft wieder läuft, dass Arbeitsplätze entstehen können.
Wir haben zum Zweiten ein Konsolidierungspaket vorgelegt, das einen Umfang von 80 Milliarden Euro hat, das die Eckwerte für den Haushalt 2011 markiert, aber darüber hinaus auch eine Finanzplanung bis 2014 beinhaltet. Das heißt, wir haben uns gleich auf vier Jahre verständigt. Das ist, wie ich glaube, eine der besten Botschaften der Klausur der Bundesregierung. Es ist nicht nur über ein Jahr gesprochen worden, sondern es wurde ein Fahrplan verabredet, der mittelfristig gilt und uns Orientierung gibt.
Nicht alles, was da drinsteht, ist einfach, auch für unsere Bevölkerung nicht; das wissen wir. Aber es ist notwendig, wenn wir verhindern wollen, dass der Staat in Zukunft nicht mehr handlungsfähig ist.
Die Einsparungen betreffen den gesamten Verwaltungsbereich, und zwar massiv; sie werden zu deutlichen Veränderungen führen. Sie betreffen selbstverständlich auch die Unternehmen und gerade den Finanzsektor, entgegen allem, was in der Diskussion immer wieder behauptet wird. Im Sozialbereich kommt es zu Einsparungen; das stimmt. Sie machen ungefähr ein Drittel des Sparvolumens dieses Paketes aus. Bei einem Sozialausgabenanteil am Haushalt in Höhe von 55 Prozent ist das unterproportional.
- Das ist so. Zahlen lügen nicht, Frau Kollegin Hagedorn. 33 Prozent sind weniger als 55 Prozent. Das möchte ich für das Protokoll festhalten.
Ich möchte darauf hinweisen: Dabei wurde noch nicht berücksichtigt, dass wir es dieses Jahr trotz Sparanstrengungen und Schuldenbremse schaffen, 2 Milliarden Euro extra für die gesetzliche Krankenversicherung bereitzustellen, die Sie in einem Zustand hinterlassen haben, der wahrhaftig empörend ist. Man muss doch sagen: Was Sie den gesetzlich Versicherten durch die Gesundheitspolitik der letzten Jahre zugemutet haben, das ist empörend, das ist sozial gefährlich, und das werden wir korrigieren.
Dafür stellen wir in diesem Haushalt 2 Milliarden Euro extra zur Verfügung.
Wenn es um die Frage: ?Welche Einsparungen werden letzten Endes im Sozialetat vorgenommen?? geht, muss man sagen: Der Großteil der Einsparungen wird nicht im Leistungsbereich, sondern im administrativen Bereich vorgenommen, insbesondere bei den Instrumenten, die die Arbeitsverwaltung hat, um Arbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern.
Das wird mit einem neuen Konzept, das treffsicherer als die bisherige Lösung ist, verbunden sein.
Wenn Sie sich nur den schieren Geldbetrag, um den es geht, anschauen - das machen Sie ja -, stellen Sie fest: In Zukunft wird für die Betreuung von Langzeitarbeitslosen pro Kopf mehr Geld zur Verfügung stehen, als es 2005 der Fall gewesen ist.
Die Kritik, die Sie an dieser Stelle äußern, ist unglaubwürdig, weil Sie selber, als Sie Verantwortung getragen haben - das gilt auch für die Grünen -, keinen Euro mehr pro Kopf zur Verfügung gestellt haben, als das in den nächsten Jahren der Fall sein wird.
Jetzt möchte ich auf einen weiteren Aspekt eingehen - ich kann nicht alle Punkte ansprechen; aber der Kollege Otto Fricke wird meine Ausführungen nachher vielleicht noch ergänzen -:
Im Antrag der Grünen geht es um ökologisch schädliche Subventionen. Das ist für Sie eine der ganz großen Maßnahmen, mit denen Sie die Einnahmen erhöhen möchten. Ich kann nur sagen: Wenn ich lese, was Sie in Ihrem Antrag aufgeschrieben haben, dann empfinde ich das als eine schonungslose Abrechnung mit der Politik, die Sie unter Rot-Grün gemacht haben.
Sie haben kein einziges Beispiel dafür nennen können - vielleicht kann das der Kollege Kindler noch -, dass Rot-Grün eine der von Ihnen kritisierten ökologisch schädlichen Subventionen abgebaut hätte. Ich würde gerne wissen, wo das der Fall war. Vielleicht können Sie mir noch eine nennen. Einige dieser Subventionen wurden von Rot-Grün sogar eingeführt. Ob Stromsteuergesetz, Energiesteuergesetz oder Spitzenausgleich, das alles sind Gesetze von Rot-Grün, die unter maßgeblicher Mitwirkung von Jürgen Trittin zustande gekommen sind. Dass Sie ihm in Ihrem Antrag quasi so einen mitgeben, finde ich erstaunlich, aber in Teilen sicherlich auch berechtigt.
Sie schreiben in Ihrem Antrag, wenn diese Koalition nun Missbrauchsmöglichkeiten bei der Strom- oder der Energiesteuer beseitige, dann sei das eine Selbstverständlichkeit. Ich hätte es für eine Selbstverständlichkeit gehalten, wenn Sie in Ihrer Regierungszeit Gesetze gemacht hätten, die handwerklich so sauber gewesen wären, dass es überhaupt keine Missbrauchsmöglichkeiten gegeben hätte. Das wäre selbstverständlich gewesen. Aber wir gehen jetzt das Problem, das Sie uns hinterlassen haben, an und leisten damit einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung.
Wir müssen bei allem, was wir tun, die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und insbesondere die Zukunftschancen des Mittelstandes im Blick haben; denn dort entstehen Arbeitsplätze und nicht durch Beschlüsse von Parlamenten oder durch Programme von Parteien. Deswegen genügt es meines Erachtens nicht, dass Sie in Ihrem Antrag aufzählen und benennen, dass es große Potenziale im Umweltbereich und beim Energiesparen gibt. Das ist im Grunde eine Erkenntnis, die weitgehend unumstritten ist. Ich bestreite sie jedenfalls nicht. Es genügt aber nicht, Zukunftsbranchen aufzuzählen. Hinzu muss die Erkenntnis kommen, dass Arbeitsplätze dort nur entstehen können, wenn Unternehmen investieren und wenn Menschen etwas riskieren. Dafür müssen sie die entsprechenden Bedingungen vorfinden. Das, was Sie zum Spitzensteuersatz schreiben, der im Kern bei allen Personengesellschaften und Familienunternehmen erhoben wird, konterkariert das völlig. Es reicht nicht, zu sagen: Umwelttechnologie ist gut. - Wir müssen auch die Bedingungen dafür schaffen, dass Menschen es wagen, dort mit eigenem Geld einzusteigen. Dazu gehört vieles, selbstverständlich auch attraktive steuerliche Rahmenbedingungen. Wir werden uns darum kümmern.
Wenn der vorliegende Antrag einen politischen Wert hat, dann den, dass er deutlich macht, dass es in diesem Parlament zu dem Kurs dieser Regierung, der darauf abzielt, Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze und Haushaltskonsolidierung zu verbinden, im Grunde keine vernünftige Alternative gibt.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Für die Fraktion Die Linke hat nun das Wort der Kollege Steffen Bockhahn.
Steffen Bockhahn (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe gerade gelernt, dass die FDP es für radikal-sozial hält, wenn künftig im Gesundheitswesen ein Bankdirektor den gleichen Zuschlag zahlt wie eine Angestellte an der Kasse bei Lidl oder Schlecker.
Das ist die Sozialpolitik der FDP. Das finde ich total schlau. Aber mit sozial hat das ganz sicher nichts zu tun.
Wir reden gar nicht so sehr über das Sparpaket der Bundesregierung, sondern über einen Antrag, bei dem es um die Frage geht, wie der Haushalt saniert und zukunftsfähig gemacht werden kann. Diese Fragestellung ist völlig richtig; denn man muss diesen Haushalt sanieren. Es ist auch klar: Dieser Haushalt stellt definitiv nicht die richtigen Weichen, um etwas Besseres für die Zukunft zu erreichen. Wir müssen diesen Haushalt also konsolidieren. Das geht nur dann, wenn man einerseits streicht und andererseits klug investiert und sich Gedanken über Einnahmeerhöhungen macht. Bei all dem muss aber der Ausgleich durch einen verantwortlichen Umgang mit Steuergeldern und der Erfüllung der Aufgaben des Staates gewährleistet werden. Das ist gegenwärtig mit Sicherheit nicht der Fall.
Wir brauchen Investitionen in gesellschaftlich notwendige Arbeit, die keine Profite bringt. Warum sage ich das? Weil wir momentan, wenn wir über Investitionen reden, eher selten an soziale Bereiche denken und weil wir eher selten daran denken, wie wir Menschen in Bereichen in Arbeit bringen können, für die es keinen Markt gibt. Aber es gibt Bereiche in dieser Gesellschaft, in denen es zwingend erforderlich ist, dass man sich um sie kümmert und dass dort Arbeit geleistet wird. Diese Arbeit muss finanziert werden. Ich glaube, es gibt in diesem Hause niemanden, der den Spruch ?Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren? falsch findet.
Es scheint mir aber tatsächlich so, dass es unterschiedliche Ideen dazu gibt, wie man das richtig macht. Wir schlagen Ihnen an der Stelle nachdrücklich vor, einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor einzurichten. Da kann man dann vernünftige Dinge tun, wie zum Beispiel eine Fahrgastbegleitung im öffentlichen Personennahverkehr einzurichten. Das hat es zum Beispiel in einigen Städten in Mecklenburg-Vorpommern gegeben, als Rot-Rot regiert hat und wir mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds - vom Bund gab es nichts dafür - einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor eingerichtet haben und dort beispielsweise im öffentlichen Nahverkehr älteren Damen und Herren dabei geholfen haben, ihre Station zu finden, Touristinnen und Touristen geholfen haben, den richtigen Weg zu finden, wo wir Menschen mit Behinderung geholfen haben, die Nahverkehrsmittel ordentlich nutzen zu können. Das ist Arbeit, die Sinn macht. Da wissen die Leute, warum sie aufstehen und warum sie zur Arbeit gehen. Sie bekommen dafür einen existenzsichernden Lohn aus öffentlichen Geldern. Wir haben dadurch große Vorteile: Zum einen haben wir einen gesellschaftlichen Nutzen, weil gute und notwendige Arbeit geleistet wird, und zum anderen haben wir Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanziert.
Das hat natürlich weitere Vorteile: Diese Menschen, die dann nicht mehr arbeitslos sind, sondern vernünftige und sinnvolle Arbeit tun, zahlen auch wieder in die Sozialsysteme ein. Sie sind keine Belastung für die Sozialsysteme, sondern sie stärken sie. Dies sind keine Investitionen, die wir tätigen müssen - quasi als Ansparabschreibung -, damit diese Menschen irgendwann auch Rente bekommen, sondern sie tun selbst etwas dafür, dass sie Rente bekommen können, und zwar eine vernünftige Rente auf einem vernünftigen Niveau. Das lohnt sich, und damit sollte man weitermachen.
Es gibt noch viele andere Bereiche. Ich möchte hier nur Seniorenbetreuung oder Integrationslotsen nennen. Hier in Berlin, unter einer rot-roten Regierung, gibt es diese Integrationslotsen im öffentlich geförderten Beschäftigungssektor. Das ist eine notwendige und sinnvolle Arbeit, und da wird deutlich mehr getan und geschaffen, als es mit vielen anderen Programmen des Bundes momentan der Fall ist. Insofern lohnt sich auch so etwas. Hören Sie endlich auf damit, Ihre ideologischen Blockaden dagegen aufrechtzuerhalten, und fangen Sie an, mit uns über konkrete Projekte zu diskutieren. Wir haben da gute Vorschläge zu machen.
Es gibt dabei noch einen zweiten ganz wichtigen Aspekt, den man im Bereich dieser sozial vernünftigen und auch notwendigen Arbeit nicht außer Acht lassen sollte: Zurzeit müssen wir noch immer sehr viel Geld in den Ausgleich von Schäden durch gesellschaftliche Fehlentwicklungen investieren. Wie viel müssen wir in Programme investieren, um benachteiligte Jugendliche und benachteiligte Frauen und Männer in den Arbeitsmarkt zu integrieren, um sie überhaupt erst fähig zu machen, wieder etwas tun zu können? Wie viel haben wir mit Gewaltprävention und Ähnlichem zu tun? Ich sage Ihnen - Sie wissen es selbst eigentlich ganz genau -: Wenn wir mehr im Bereich der Prävention, wenn wir mehr im Bereich gesellschaftlich notwendiger Arbeit tun, dann werden die Kosten dafür radikal sinken. Das entlastet die Haushalte und gibt uns Gestaltungsspielraum.
Ein zweiter wichtiger Punkt ist, dass wir das Gewähren von Subventionen überprüfen und teilweise ändern müssen. Wenn man sich anschaut, was Sie für Geschenke an die Atomkraftlobby machen, kann einem nur schlecht werden. Sie sagen immer, wir brauchen diese Technologie, damit der Strom aus der Steckdose auch rauskommt. Ich sage Ihnen: Die Investition in Atomenergie behindert erstens eine ökologische Kehrtwende, und zweitens verhindert sie die Schaffung vieler neuer, produktiver Arbeitsplätze.
Es ist richtig, dass in jedem Kernkraftwerk Menschen arbeiten, die dafür gebraucht werden, das Kraftwerk sicher und in Betrieb zu halten. Aber schauen Sie sich bitte einmal die Belegschaften in den Atomkraftwerken an, und schauen Sie sich an, wie viele Menschen dagegen bei Unternehmen der Photovoltaik-Branche, im Bereich der Windenergie usw. beschäftigt sind. Wenn Sie sich allein diese Beschäftigungszahlen anschauen, müssten Sie begreifen, dass Sie momentan auf dem falschen Weg sind, dass wir Investitionen und Förderung von erneuerbaren Energien brauchen und nicht alte Dinosaurier weiter füttern müssen.
Insofern kann ich Ihnen nur empfehlen, Grundlagenforschung im Bereich der erneuerbaren Energien zu unterstützen und zu fördern. Das schafft einen Technologievorsprung, den wir brauchen, um uns weiter am Weltmarkt behaupten zu können.
Ich finde es immer ganz erstaunlich, dass gerade CDU/CSU und FDP sagen, es dürfe keine Bestandsgarantien und Ewigkeitsgarantien im Bereich der Sozialleistungen geben. Wenn das so ist, frage ich mich natürlich, warum Sie diese Bestandsgarantien gerade bei Ihren Lobbygruppen immer wieder aufrechterhalten wollen. Das kann so nicht sein.
Wir brauchen natürlich genauso einen Abbau von Subventionen bei energieintensiven Produktionen. Es ist einfach unsinnig, jemanden zu fördern, der sehr viel Energie verbraucht. Viel mehr Sinn würde es doch machen, die Unternehmen dafür zu belohnen - auch wenn sie energieintensive Produktionen betreiben -, wenn sie diesen Energieverbrauch runterfahren und so etwas für die ökologische Wende in Deutschland tun. Da können Sie etwas ändern. Das können Sie subventionieren: den Rückgang von Energieverbrauch. Aber einfach zu akzeptieren, dass viel Energie gebraucht wird, hilft nicht. Das muss man nicht weiter fördern.
Genauso ist es nicht notwendig, Flugbenzin nicht zu besteuern. Allein die Steuerfreiheit für Flugbenzin hat den Bund seit 2005 8,7 Milliarden Euro an Einnahmeausfällen beschert. Ich finde das nicht logisch. Ich finde das nicht begründbar. Sie können es mir bestimmt nachher erklären.
Ein ganz wichtiger Punkt ist natürlich, die Investitionsfähigkeit der öffentlichen Hand sicherzustellen, insbesondere die Investitionsfähigkeit der Kommunen. Da es so gewollt ist - ich finde das im Grunde auch in Ordnung -, dass der Bund über die Struktur der Einnahmen in Deutschland entscheidet, welche Einnahmen also die Kommunen, die Länder und der Bund bekommen, muss man sich natürlich auch Gedanken darüber machen, wie man sicherstellen kann, dass die Kommunen und die Länder überhaupt in der Lage sind, zu investieren.
Ich darf Sie hier an das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland erinnern, in dem festgelegt ist, dass wir alle gemeinsam die Verantwortung dafür haben, gleichwertige Lebensverhältnisse überall in Deutschland zu schaffen. Das funktioniert nur, wenn die Kommunen überall in Deutschland in der Lage sind, zu investieren. Der Wettbewerbsföderalismus, den Sie momentan betreiben, ist hier definitiv der falsche Weg.
Ich darf Ihnen sagen, dass die Halbierung der Mittel für die Städtebauförderung, die Sie jetzt vorhaben, zu einem gigantischen Problemfall für die Kommunen in ganz Deutschland wird. Schauen Sie sich einfach nur die Investitionsplanungen der Kommunen an. Egal ob in Baden-Württemberg oder in Mecklenburg-Vorpommern: Alle Kommunen ächzen darunter, dass aufgrund Ihrer Halbierung der Mittel für die Städtebauförderung zuverlässige Zusagen zurückgenommen wurden. Das ist im Übrigen städteplanerisch nicht sinnvoll, und das ist auch ökonomisch nicht sinnvoll, weil Sie dadurch den Handwerksbetrieben, die hier zum Zuge kommen würden, die Grundlage für ihre wirtschaftliche Tätigkeit entziehen.
Daneben wollen Sie im nächsten Jahr die Mittel im Bereich der energetischen Gebäudesanierung von 700 Millionen Euro auf 450 Millionen Euro kürzen. Ich bin mir nicht sicher, ob Ihnen das bekannt ist; deswegen sage ich Ihnen das noch einmal: Jedem einzelnen Euro, den Sie im Bereich der Gebäudesanierung investieren, folgen neun Euro an Folgeinvestitionen. - Es ist ökonomischer Unfug, so etwas abzuschaffen. Hören Sie auf damit!
Ich muss natürlich auch noch etwas zur Schuldenbremse sagen; denn es ist ganz klar: So, wie Sie das momentan planen, werden Investitionen verhindert. - Sie sagen: Ja, in besonderen ökonomischen Situationen kann man auch mehr Schulden machen. - In diesem Haus hat niemand irgendwann einmal bestritten, dass man gerade im Bereich der Wirtschaftsförderung antizyklisch handeln muss. Wir alle wollen Wirtschaftsförderung betreiben, aber wir brauchen ein antizyklisches Handeln. Das tut ja selbst die Koalition. Sie sagen: Wir haben jetzt eine Krise und müssen etwas tun, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. - Wir gehen aber unterschiedliche Wege. Ich sage Ihnen: Wenn Sie antizyklisch handeln und investieren wollen, dann können Sie sich eine Schuldenbremse nicht leisten. So, wie das gegenwärtig geplant ist, wird das nicht helfen.
- Herr Toncar, die Konjunkturkomponente habe ich gerade eben angesprochen. Dass Sie das nicht gehört haben, verzeihe ich Ihnen.
Wir müssen natürlich auch die Einnahmeseite berücksichtigen. Ich finde es gut, dass die Grünen sagen, sie wollen den Spitzensteuersatz wieder erhöhen. Ich kann es Ihnen aber nicht ersparen, zu fragen: Wer hat ihn denn reduziert? - Das waren zuletzt doch Sie.
Eine wichtige Sache ist auch die Abgeltungsteuer, bei der wir uns wieder völlig einig sind. Es kann doch nicht sein, dass jemand, der Millionen und Abermillionen Euro durch Zinsen oder Spekulationsgewinne verdient bzw. bekommt - verdienen kann man das schlecht -, darauf nur 25 Prozent Steuern bezahlt, während jemand, der sich in einem Jahr 1 Million Euro hart erarbeitet hat - damit spreche ich Sie von der Koalition an -, dafür Steuern gemäß dem Spitzensteuersatz bezahlen muss. Das kann selbst aus Ihrer Sicht nicht sozial gerecht sein.
Wir brauchen natürlich auch eine andere Finanzierung der Sozialsysteme. Mit der Kürzung der Zuschüsse für die Arbeitslosen- und die Rentenversicherung betreiben Sie einfach ökonomischen Wahnsinn, weil Sie damit nichts anderes tun, als eine Last, die heute bekannt ist, den Generationen aufzubürden, die Sie eigentlich angeblich entlasten wollen. Wer soll denn die Grundsicherung und die Rente für diejenigen bezahlen, die heute keine Rentenansprüche mehr erwerben, weil Sie die Zahlung der Rentenversicherungsbeiträge für diese gestrichen haben? Das, was Sie hier machen, ist Wahnsinn und verrückt.
Ihre Arbeitsmarktpolitik, bei der es immer wieder um Mini- und Midijobs geht, ist genau der gleiche Wahnsinn. Sie zerstören damit die Sozialsysteme; Sie stärken sie nicht. Wenn Sie etwas Vernünftiges tun wollen, um die Sozialsysteme und damit auch den Staatshaushalt vernünftig in Ordnung zu bringen, dann sorgen Sie dafür, dass existenzsichernde Beschäftigung geschaffen wird, die sozialversicherungspflichtig ist. Alles andere hilft nicht; alles andere ist kompletter Unsinn. Das können Sie sich sparen.
Ich bin froh, dass jetzt ein Antrag vorliegt, über den wir diskutieren können und mit dem uns geholfen wird, gemeinsam Projekte zu entwickeln. Wir werden ihn jetzt beraten und vor der Abstimmung vielleicht noch zu gemeinsamen Ideen kommen. Dadurch wird im Zweifel mehr geholfen, als sich vorher irgendetwas vorzunehmen und sich hinterher zu wundern, dass es nicht geklappt hat.
Ich danke Ihnen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Klaus-Peter Willsch für die CDU/CSU-Fraktion.
Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bockhahn, ehe ich mir von Kommunisten Ratschläge in Sachen Wirtschaftspolitik und wirtschaftliche Gestaltung geben lasse, muss schon viel passieren. 80 Jahre lang hat diese Ideologie Teile des Kontinents, einige Teile glücklicherweise etwas kürzer, mit katastrophalen wirtschaftlichen Auswirkungen in Geiselhaft genommen, Landstriche verwüstet und Menschen unterdrückt. Deshalb brauchen wir Ratschläge von Ihnen wirklich als Allerletztes.
Andere in der Debatte haben geschmeidiger gesprochen. Herr Kuhn, ich will Sie direkt ansprechen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, darf ich Sie, bevor Sie Herrn Kuhn ansprechen, fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bockhahn zulassen?
Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU):
Aber klar.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Bockhahn.
Steffen Bockhahn (DIE LINKE):
Herr Kollege Willsch, ich frage Sie, welche Kenntnisse meiner Biografie Sie zu der Aussage veranlassen, dass ich Menschen unterdrückt oder Landstriche verwüstet hätte?
Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU):
Herr Bockhahn, ich nehme Sie in Haftung für die Partei, in deren unmittelbarer Nachfolgerin Sie Mitglied sind. Sie sind in der Nachfolgepartei der SED. Dafür stehen Sie, und für diese sind Sie in Mithaftung zu nehmen. Es gab nie eine Trennung und nie einen Schlussstrich. Die Linke ist die Rechtsnachfolgerin der SED, die unweit von hier - dort hinten stand die Mauer - Menschen brutal unterdrückt und das Land ökonomisch vollständig ruiniert hat. Das müssen Sie sich zurechnen lassen.
- Sie hätten sich eine anständige Partei aussuchen können, als Sie angefangen haben, sich zu engagieren.
Herr Kuhn, ich habe extra nachgeschaut, was Sie gelernt haben. Sie sind Sprachwissenschaftler. Ich habe jetzt gelernt, dass ein Sprachwissenschaftler es versteht, einigermaßen gefällig für die Zuhörer über Dinge zu sprechen, die er offenkundig nicht versteht. Das war die Quintessenz dessen, was von Ihrem Vortrag bei mir hängen geblieben ist.
Der Antrag, den Sie von den Grünen hier gestellt haben, enthält viele Ideen - das kommt auch in der Überschrift zum Ausdruck -, zum Beispiel den Haushalt zukunftsfest zu machen und ihn sozialverträglich zu sanieren, die genau das beschreiben, was wir mit dem Sparpaket tun. Ich verstehe, dass Ihre Haushaltspolitiker, zum Beispiel Alex Bonde, sich mit solchen Positionen nicht identifizieren. Wir führen im Haushaltsausschuss intelligente Diskussionen miteinander, und unsere Positionen sind häufig nicht weit auseinander. Es geht Ihnen darum, mit dem alten Muster - hier die Reichen, da die Armen, die ausgepresst und unterdrückt werden - ein Bild des Klassenkampfes heraufzubeschwören, das mit der Wirklichkeit dieses Sparpakets und der Regierungspolitik der christlich-liberalen Koalition überhaupt nichts zu tun hat.
Wir stehen vor der Herausforderung, dass wir nach 40 Jahren hemmungsloser Schuldenwirtschaft in diesem Land - ich spreche bewusst von 40 Jahren, weil ich die Zeiten, in denen wir regiert haben, einschließe - endlich zu dem Punkt kommen, zu sagen: Das muss ein Ende haben. Wir können nicht eine Bevölkerung, die schrumpft und die im Vergleich zum Jahr 1964, als 1,375 Millionen Geburten zu verzeichnen waren - das war ein Spitzenjahrgang -, jetzt nicht einmal mehr die Hälfte, nämlich nur 765 000 Geburten im Jahr, aufweist, immer mehr belasten. Wir versündigen uns an unseren Kindern.
Das Ende einer solchen Wirtschaft konnten wir beobachten, als der IWF und die Europäische Union mit der griechischen Regierung über ein Sparprogramm verhandelt und Auflagen erteilt haben.
Wenn der Karren so in den Dreck gefahren wird, dann kommt eine Situation wie in Griechenland heraus. Jetzt wird über eine Lohnsenkung von 8 Prozent und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 5 Prozentpunkte innerhalb von drei Monaten gesprochen, weil es anders nicht mehr geht. In eine solche Situation wollen wir mit unserem Land nicht kommen.
Sie von den Grünen reden über die Haushaltspolitik und die nachhaltige Finanzpolitik im Ausschuss wie auch im Plenum sehr gefällig. Wenn wir miteinander diskutieren, stellen wir fest, dass wir durchaus gemeinsame Auffassungen haben. Leider steht in krassem Kontrast dazu Ihr konkretes Handeln, wenn Sie Regierungsverantwortung übernehmen sollen. Schauen Sie sich doch einmal an, welchen Wahlbetrug Sie mit Ihrer Minderheitsregierung verüben, über die Sie jetzt in Nordrhein-Westfalen verhandeln.
Bei erwarteten Mindereinnahmen von 1,3 Milliarden Euro wollen Sie mit einem Federstrich 1 Milliarde Euro mehr ausgeben. Auf diese Idee muss man erst einmal kommen. Das zeigt, dass bei Ihnen Reden und Handeln weit auseinanderfallen und dass Sie noch nicht so weit sind, dass Sie verantwortlich eine Haushaltskonsolidierungspolitik betreiben könnten.
Der Kern des Sparpakets ist die Senkung der Ausgaben. Wir haben überprüft, an welchen Punkten Einsparungen möglich sind, ohne das Wachstumspotenzial in unserem Land zu gefährden. Gleichzeitig stellen wir sicher, die Aufgabenwahrnehmung und Aufgabenerfüllung gerecht zu verteilen.
Der Vorwurf, um den sich hier alles dreht, dass dieses Sparpaket sozial ungerecht sei, ist durch nichts zu rechtfertigen. Die Sozialausgaben in diesem Lande entwickeln sich seit 1952 kontinuierlich nach oben. Inzwischen sind wir bei einem Anteil der Sozialausgaben an den Gesamtausgaben des Staates von 54,17 Prozent angelangt. Vernünftigerweise können Sie deshalb nicht über Einsparungen nachdenken und dabei diesen Bereich vollständig ausklammern.
Es wäre auch ökonomisch völlig falsch, diesen Bereich auszuklammern, weil eine Ausgabe für einen sozialpolitischen Zweck natürlich nicht per se eine gute Ausgabe ist und nicht per se eine effiziente Ausgabe ist. Es muss immer wieder geschaut werden: Erreichen wir mit dieser Ausgabe überhaupt das, was wir erreichen wollten?
Wird das Steuerzahlergeld, das ein relativ kleiner Anteil der Bevölkerung erbringt - Norbert Barthle hat es dargestellt -, auch wirklich effizient eingesetzt?
Solidarität und Subsidiarität sind zwei Schwestern.
Sie gehören zusammen. Wir müssen immer darauf achten, es bei einer sozialpolitischen Maßnahme nicht so weit zu treiben, dass der paternalistische und für alles sorgende Staat sich um alles kümmert. Es muss immer auch der Anreiz gegeben werden, sich selbst zu helfen nach dem Motto: ?Hilf dir selbst; wir geben dir Hilfe dazu, damit du selbst wieder auf die Beine kommst.? - Es muss immer das Ziel verfolgt werden, sich als Staat zurück zu halten und die Verantwortlichkeiten beim Einzelnen oder einer kleinen Gruppe zu lassen, damit dort eigenverantwortlich gehandelt werden kann.
- Das ist doch völliger Unfug. Ich will Ihnen das noch einmal kurz erklären. Es geht also um die Frage, warum jetzt kein Elterngeld mehr an Empfänger von Arbeitslosengeld II - vulgo: Hartz-IV-er - bezahlt werden soll.
Es war von Anfang an ein Strickfehler, dass das überhaupt gezahlt worden ist.
Wie wird denn der Bedarf eines Haushalts, der vollständig von öffentlichen Mitteln abhängt und bezahlt wird - wo es sein muss, tun wir das gerne -, ermittelt? Das Statistische Bundesamt erstellt Einkommens- und Verbrauchsstudien. Alle fünf Jahre wird überprüft, wie hoch die Ausgaben der unteren 20 Prozent der Einkommensbezieher - ohne Sozialhilfeempfänger; also nur derjenigen, die für sich selbst aufkommen - sind. Aus diesen Werten wird dann abgeleitet, wie hoch der Bedarf von jemandem ist, der Arbeitslosengeld II erhält.
- Nein, lieber Kollege. Dazu kommen wir auch noch. Das Verfassungsgericht hat gesagt, dass der Satz, den Kinder erhalten, nicht als bloßer Prozentsatz des Erwachsenensatzes ermittelt werden darf.
Das Verfassungsgericht hat ausdrücklich bestätigt, dass der Rechenweg, sich an dem unteren Fünftel der Einkommensbezieher zu orientieren, richtig ist. Das Ganze muss nur für die Kinder auch diskretionär nach einzelnen Ausgabengruppen erarbeitet werden. Das tun wir derzeit.
Hier wird also demjenigen, der Hilfe braucht, maßgeschneidert die Hilfe gegeben - nicht üppig, aber ausreichend. So muss es auch sein, damit der Anreiz bestehen bleibt, wieder aus dieser Situation herauszukommen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage - -
Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU):
Kleinen Moment; lassen Sie mich den Gedanken gerade zu Ende bringen. - Genau das geschieht auch. Dann ist es Unsinn, das Elterngeld nicht anzurechnen. Es muss genauso angerechnet werden, wie das Kindergeld natürlich auch angerechnet wird, weil der Grundbedarf
sozusagen anhand des Einkaufszettels diskretionär ermittelt worden ist. Daher ist es Unfug, das Geld obendrauf zu legen. - Jetzt gebe ich gerne die Zwischenfrage frei.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Frau Kressl, bitte sehr.
Nicolette Kressl (SPD):
Sehr geehrter Herr Kollege Willsch, da Sie jetzt schon behaupten, die Elterngeldzahlung habe etwas mit Existenzsicherung zu tun, was vom Grundsatz her nicht stimmt, würde ich Sie gerne fragen: Was soll das, was Sie vorhaben - Sie wollen nämlich an die nicht erwerbstätige Ehefrau eines Einkommensmillionärs weiterhin 300 Euro im Monat auszahlen -, mit Existenzsicherung zu tun haben?
- Da Herr Fricke immer dazwischenschreit: Frau Gruß hat ja genau dies kritisiert, wenn ich mich nicht irre.
Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU):
Liebe Kollegin - -
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat der Kollege Willsch zur Beantwortung der Frage.
Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU):
Die Diskussion hellt vielleicht auf. Die können wir gleich noch ein bisschen kreuz und quer laufen lassen, aber ich will jetzt doch gern die Frage beantworten.
Ich habe ausdrücklich nicht von der Grundsicherung gesprochen. Ich habe ausdrücklich gesagt: Die Grundsicherung ist da. Es wäre unsinnig, das Elterngeld nicht zu verrechnen, weil ja der Satz hinreichend hoch ist.
- Moment! Lassen Sie mich doch einmal ausreden!
Bei der Frage, ob das Elterngeld, das ja das Erziehungsgeld abgelöst hat, auch an Haushalte gezahlt wird, in denen nur einer arbeitet - Stichwort ?Daheimbleibprämie? -, geht es darum, ein gesellschaftspolitisches Modell, ein familienpolitisches Modell nicht zu bestrafen, das ich zumindest für durchaus positiv halte.
Das betrifft nicht nur den Millionär, sondern genauso den Facharbeiter, der gemeinsam mit seiner Frau entscheidet: ?Pass auf, jetzt haben wir Kinder; ich bringe das Geld herbei, und du bleibst zu Hause? oder auch umgekehrt, wenn die Frau mehr verdient. Das kann jeder machen, wie er will. Mit diesem Modell, das nicht nur den Zahnarzt oder den Millionär betrifft, sondern eben auch den ganz normalen Mittelstandsfacharbeiter oder Arbeiter - da sagt man sich: wir müssen nicht zweimal im Jahr in Urlaub; wir brauchen keine zwei Autos; uns ist es wichtig, dass das Kind eine feste Bezugsperson, Mutter oder Vater, zu Hause hat -, wollen wir diese nicht bestrafen, indem wir sagen: Ihr bekommt nichts vom Staat. - Ich glaube, das habe ich jetzt hinreichend deutlich gemacht.
Wenn jetzt nicht noch eine Zwischenfrage kommt, fürchte ich, ist meine Redezeit zu Ende. Ich möchte Sie gern dazu ermuntern. Wenn Sie noch Gelegenheit nehmen wollen, den einen oder anderen Punkt mit mir zu vertiefen, können Sie uns dazu in die Lage versetzen, indem Sie mir eine Zwischenfrage stellen. - Leider kommt sie nicht.
Dann kann ich nur noch eine Abschlussbemerkung machen - sonst bekomme ich einen Rüffel von der Präsidentin -: Ich fordere Sie auf, seriös zu diskutieren. Wir werden das riesige Problem der aufgetürmten Schulden - es sind 1,7 Billionen Euro; das ist für fast jeden in unserem Land unvorstellbar - nur lösen, wenn wir Ernst machen, die staatlichen Ausgaben intensiv infrage stellen
und immer wieder schauen: Gehen wir effizient mit dem Geld um? Gehen wir auch strukturell an die Dinge heran? Wir können uns nicht damit begnügen, in konjunkturell guten Zeiten mehr Geld einzunehmen; wir müssen darangehen, den Staat schlanker zu machen, dem Staat weniger Ausgaben zuzumuten, dem Einzelnen mehr zuzutrauen. Das ist der Weg, den diese christlich-liberale Koalition geht. Sie sind herzlich eingeladen, ihn mit uns zu gehen - zum Wohle unseres Vaterlandes.
Danke schön.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist für die SPD-Fraktion der Kollege Johannes Kahrs.
Johannes Kahrs (SPD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer sich die Debatte angehört hat, fragt sich, was sie mit dem Antrag zutun hat. Es wurde aber klar, warum in den letzten acht, neun Monaten in diesem Land nicht viel passiert ist. Wir haben eine Regierung, die gestern, glaube ich, ihren achten oder neunten Neustart probiert hat, und auch den hat sie versemmelt.
Wenn man sich diese Argumentation anschaut, fragt man sich, wie das überhaupt möglich ist.
Zuvor noch einen kleinen Einschub: Der Kollege Willsch hat den Kollegen Bockhahn eben als Kommunisten bezeichnet. Kommunisten mag es in der Linkspartei ja geben, aber der Kollege Bockhahn ist nun wirklich keiner. Er ist einer von den wirklichen Realpolitikern dort.
Mit Leuten wie dem Kollegen Bockhahn kann man in Mecklenburg-Vorpommern vernünftig regieren. Das mag anderswo nicht gehen.
Wenn Sie sich die Rede vom Kollegen Bockhahn angehört haben, werden Sie festgestellt haben: Er hat als einer der wenigen heute sachlich inhaltlich Punkt für Punkt argumentiert.
Man muss nicht jeden Punkt teilen, Kollege Fricke,
aber man muss sich inhaltlich mit ihm auseinandersetzen. Ihn einfach als Kommunisten in die Ecke zu stellen, finde ich - dazu muss ich sagen: ich bin nicht der Linkeste in meiner Partei - ein bisschen unanständig. Das geht eigentlich nicht. Das senkt das Niveau einer Debatte so weit, dass es unerträglich wird.
- ?Fundamentalistisch? wäre ärgerlich gewesen.
- Wenn man radikal spart, kann das sogar positiv sein.
Wenn man radikal vernünftig spart, ist es noch besser. ?Fundamentalistisch? hätte ich als Beleidigung empfunden.
Ich finde, dass die Reaktion, Herr Fricke, die Sie gezeigt haben, eigentlich nichts mit der Sache zu tun hat; sie zeigt nur, wie dünn das Eis ist, auf dem Sie zurzeit gehen, wie sensibel und angefasst Sie zurzeit sind.
Die Frage ist, warum das so ist. Ich muss ganz ehrlich zugeben: Als wir am 27. September 2009 so gegen 18 Uhr die Hochrechnungen mit dem Ergebnis für die SPD gesehen haben, war ich ziemlich erschrocken. Ich habe gedacht: Es wird zu einer schwarz-gelben Regierung mit einer schneidigen Wirtschafts-, Finanz-, Verteidigungs- und Innenpolitik kommen, die uns alle an die Wand haut, und dann läuft das, zwar nicht in meinem Sinne, aber es wird wohl laufen, denn es ist ja eine Traumkoalition. Nun stehe ich hier seit acht Monaten mit offenem Mund und großen Augen und schaue mir an, was Sie für ein Trauerspiel geben.
Da passiert gar nichts. Sie haben zwar von konkreten Punkten gesprochen. Aber ganz ehrlich: Mit Ausnahme der Vergünstigungen für Hoteliers habe ich nicht wirklich viel Konkretes erlebt.
Was ich gesehen habe, war ein Koalitionsvertrag, der mehr Fragen aufgeworfen hat, als er beantwortet hat.
So viele Arbeitsgruppen, Fragezeichen und ungelöste Probleme! Wenn ich Sie einmal beraten darf - als Opposition können wir das machen, weil wir das Interesse unseres Landes im Blick haben -: Wenn man einen Koalitionsvertrag macht, dann muss dieser am Ende so durchdekliniert sein, dass die drei Vertragspartner dasselbe sagen, meinen und wollen. Dann wird er unterschrieben und umgesetzt. Das ist ein Koalitionsvertrag.
Das haben wir hervorragend mit der CDU und der CSU hinbekommen. Das haben wir auch mit den Grünen erfolgreich gemacht. Das hat funktioniert. Da kann man in dem einen oder anderen Punkt nölen, aber das Land ist damit gut gefahren.
Was Sie zurzeit abliefern, ist ein Haufen von Fragezeichen. Da haben Sie den einen oder anderen Neustart gehabt, Sie haben sich gegenseitig demontiert, Sie sind zurückgetreten oder weggerannt. Im Ergebnis haben Sie jetzt mit Ihrem 80-Milliarden-Euro-Sparpaket den nächsten Neustart gemacht. Da sagt man sich: Das klingt erst einmal gut. Einsparungen von 80 Milliarden Euro sind eine echte Nummer. Kollege Willsch hat hier davon gesprochen, dass man sich 40 Jahre lang radikal verschuldet hat. Er hat auch eingestanden, dass die meiste Zeit die CDU regiert hat. Aber im Ergebnis hat er vergessen, zu sagen, dass Sie in den nächsten vier Jahren weitere 150 Milliarden Euro Schulden machen werden. Was er auch vergessen hat, zu sagen - das finde ich nicht ganz unwichtig -, ist: Dieses 80-Milliarden-Euro-Paket, das Sie auflegen, ist genau wie Ihr Koalitionsvertrag. Es ist nur ein Haufen von Zahlen auf einem Stück Papier. Dahinter stehen keine Beschlüsse, keine Gesetzesvorschläge, nichts, worin sich diese Regierung einig ist, und zwar durchgängig.
Sie haben sich mit diesem Sparpaket einen Haufen Probleme geschaffen. Sie haben Probleme aufgebaut, die Sie nicht bewältigen können.
Als Beispiel nenne ich die Brennelementesteuer. Diese finden wir alle suboptimal. Wenn sie wenigstens funktionieren würde; aber damit ist nicht zu rechnen. Dass man als Opposition dagegen ist, daran ist die breite Öffentlichkeit gewöhnt. Bei der Brennelementesteuer aber sagt der eine Partner: Nein, die gibt es nur bei einer Verlängerung der Laufzeiten. Der andere sagt: Nein, das kommt unabhängig von einer Verlängerung der Laufzeiten. Ob sie überhaupt kommt, ist nicht klar. So geht es mit jedem einzelnen Ihrer Punkte, weil es immer drei Parteien gibt. Darüber hinaus gibt es noch den wirtschaftspolitischen Flügel der CDU/CSU und auch noch andere, die immer wieder anderer Meinung sind.
Wenn Sie ein Sparpaket vorgelegt hätten, bei dem Sie sich selber einig gewesen wären, dann könnten wir etwas kritisieren. Aber dazu kommen wir gar nicht; denn wenn wir etwas kritisieren, haben Sie uns darin schon lange übertroffen.
So wie die Pläne zur Kopfpauschale kritisiert werden müssen und wir uns als Opposition wirklich anstrengen, zu sagen, die Kopfpauschale dürfe nicht kommen, so muss man anerkennen: Das schafft die CSU doppelt so gut.
Das macht sie mit einer Brutalität, mit der sie Herrn Rösler gegen die Wand fahren lässt, dass man sich fragt, ob das noch eine Koalition ist.
Schauen wir uns einmal die so genannte Bundeswehrreform an, oder was auch immer das sein soll. Wenn ich mir als Oberstleutnant der Reserve anschaue, was Sie aus meiner Bundeswehr machen; das ist nicht tragbar und unverschämt. Was Sie bei der Wehrpflicht vorhaben, geht überhaupt nicht. Was bei der Umsetzung der Pläne in der Realität passiert, ist eine Katastrophe.
- Red doch einmal mit der Truppe. Das geht doch gar nicht.
Außerdem sitzt du bei der falschen Partei. Setz dich zur CDU, wo du hingehörst.
- Ganz ruhig bleiben! Du bist auch im Haushaltsausschuss, wir sehen uns da ja.
Wenn man das macht, dann muss das alles Sinn und Verstand haben. Das ist durchgehend so: Seit den Zeiten von Theo Waigel - der eine oder andere erinnert sich vielleicht noch an ihn - ist es so, dass Schuldenabbau immer aus drei Säulen besteht: Einnahmeverbesserung, Wachstumsförderung, Einsparung.
Dann habe ich hier eben Worte gehört wie ?Wirtschaftswachstum fördern?, ?Vorrang für Wirtschaft? und Ähnliches. Wenn ich mir nun Ihr Papier anschaue, stelle ich fest, dass da auch etwas von ökologischer Neujustierung steht - das ist ja bei der CDU immer ganz gefährlich.
In meinem eigenen Wahlkreis - man soll sich ja immer an praktischen Fragestellungen orientieren - liegen Europas größtes Kupferwerk Aurubis und eine Aluminiumhütte. Die Ausnahmen von der Ökosteuer für diese Unternehmen, die wir den Grünen abgerungen haben - das war für die Grünen bitter - und die auch in der Großen Koalition noch Bestand hatten, sollen jetzt abgeschafft werden. Das bedeutet, dass Grundstoffindustrie in Deutschland fast nicht mehr möglich ist; denn es gibt ja einen internationalen Wettbewerb, so etwas wie ein Level-Playing-Field. Wir waren uns hier einmal alle einig, dass solche Unternehmen in Deutschland nach den gleichen Spielregeln wie vergleichbare Unternehmen in Europa bzw. in der Welt behandelt werden sollten.
Aber vergleichbare Unternehmen in Kanada, Norwegen, Australien und im Mittleren Osten haben andere Strompreise; unsere können noch so viele Einsparungen vornehmen, sie kämen gegen diese nicht an, wenn man sie nicht von der Ökosteuer ausnimmt. Jetzt kommt aber auf einmal diese großartige Wirtschaftskoalition daher und zerschlägt das. Mit Intelligenz und Sparen, mit dem Schaffen und Sichern von Arbeitsplätzen, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat das überhaupt nichts zu tun.
Man sollte die drei von Theo Waigel aufgestellten Punkte beherzigen: Einnahmeverbesserungen, Wachstumsförderung, Einsparungen. Gehen wir Ihre Vorschläge einmal durch.
Einnahmeverbesserungen können Sie nur durch Einführung einer Finanztransaktionsteuer und Erhöhung des Spitzensteuersatzes erreichen. Wenn man sich einmal Ihre Pläne anschaut, stellt man fest: alles heiße Luft. Die FDP will es nämlich nicht, die CDU nur ein bisschen, bei der CSU warten wir auf die Erleuchtung.
Zum Spitzensteuersatz ist zu sagen: Die Sozialisten Kohl und Genscher haben es geschafft, mit einem Spitzensteuersatz von 53 Prozent zu regieren, und keiner in diesem Land hat ?Sozialismus!? geschrien oder irgendjemanden der Verantwortlichen beschuldigt, ein Kommunist zu sein. Jetzt, wo wir davon reden, dass man den Satz wieder der 50-Prozent-Marke annähern sollte, werden wir auf einmal in eine ganz linke Ecke geschoben. Natürlich bin ich gesamtgesellschaftlich ein Linker, aber dass Kohl und Genscher, dann links von mir stehen sollen, ist schwer nachvollziehbar. Ich finde, hier sollten Sie an Ihrer Argumentation noch ein wenig feilen. Vielleicht kommt ja dabei etwas Brauchbares zustande.
Auch bei der Bankenabgabe müssen wir genau schauen, wo die Einnahmen daraus landen. Ich persönlich denke, dass die Einnahmen daraus in den Bundeshaushalt gehören und nicht in irgendwelche Extratöpfe. Der Steuerzahler zahlt für die Rettung, also muss der Steuerzahler auch entlastet werden, wenn entsprechende Einnahmen generiert werden. Das wäre nur vernünftig.
Über Wachstumsförderung können wir viel reden. Wenn aber der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung - gerade war er noch hier im Plenum; jetzt ist er weg - eine Halbierung der Ansätze für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm vornimmt, sollte er auch bedenken, welche Folgen das hat. Es betrifft nämlich insbesondere die mittelständischen Handwerksbetriebe, die das alles einbauen.
Das kann man durchdeklinieren und sich die Folgen Stadtteil für Stadtteil anschauen. Sie begründen die Reduzierung nun damit, dass das Programm nicht mehr so stark nachgefragt wird. Natürlich wird das Programm nicht mehr so stark nachgefragt, wenn die Zinssätze so stark angehoben werden, dass sie fast das marktübliche Niveau erreichen. Dann funktioniert das nicht mehr. Es sollte ja einen Anreiz dafür schaffen, dass Menschen etwas Sinnvolles tun, indem wir ihnen dabei ein wenig helfen. Wenn Sie die Hilfe faktisch auf null herunterfahren, indem Sie die Zinsen stark anheben, und dann behaupten, es werde nicht mehr so stark nachgefragt, deshalb könne man hier Einsparungen vornehmen, dann fragt man sich doch, was das soll.
Für den Mittelstand und für die Wirtschaft, Herr Fricke, haben Sie schon lange nichts mehr gemacht.
Die Frau Präsidentin gibt mir ein Zeichen, dass meine Redezeit abgelaufen ist. Ich komme jetzt auch zum Schluss. Ich wünsche mir nur, dass diese Regierung innerlich zu sich selbst findet und auch entsprechend handelt. Dann hätten wir etwas, was wir kritisieren könnten. Im Moment ist uns das gar nicht möglich; denn Sie hauen sich ja nur gegenseitig in die Pfanne. Leidtragende sind das Land und die Menschen, die hart und anständig arbeiten und Steuern zahlen. An diese sollten Sie zur Abwechslung einmal denken.
Vielen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun der Kollege Otto Fricke für die FDP-Fraktion.
Otto Fricke (FDP):
Geschätzte Frau Vizepräsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Warum sparen wir eigentlich? Warum müssen wir das tun? Weil wir dadurch, dass wir in der Vergangenheit in diesem Land nicht gespart haben, eine Verschuldung haben, die es, wenn wir jetzt nicht mit dem Sparen anfangen, unmöglich macht, dass für zukünftige Generationen ein Generationenvertrag mit denselben Grundlagen gilt, die auf mich, Geburtsjahrgang 1965, noch zutrafen.
Nun die typisch deutsche Frage: Wer ist daran schuld? Als Antwort darauf muss man der Bevölkerung doch sagen: Alle. Alle sind daran mehr oder weniger beteiligt gewesen. Wenn die SPD jetzt behauptet: ?Nein, wir waren das gar nicht, wir machen das alles ganz sozial und vernünftig?,
muss man auf Folgendes hinweisen: Wir haben eine Gesamtverschuldung des Bundes - das ist nur das, was in diesem Hause beschlossen worden ist - von 1 000 Milliarden Euro. Das ist die berühmte Billion. Herr Poß, wissen Sie, wie viele Milliarden SPD-Finanzminister in elf Jahren zu verantworten hatten?
Sie wissen es nicht mehr. 350 Milliarden Euro haben Sie von der SPD zu diesem Haufen hinzugetan.
Jetzt tun Sie so, als hätten Sie nichts damit zu tun, anstatt zu erkennen, was wir in den letzten Jahrzehnten gemacht haben, um von diesem Schuldenberg herunterzukommen; egal wer an der Macht war. Wir haben eigentlich immer dasselbe gemacht. Wir haben alle gesagt: Wir wollen sparen. Das Ergebnis waren immer Steuererhöhungen. Wie war denn das mit der Mehrwertsteuererhöhung, die die SPD angeblich nicht wollte? Warum haben Sie das denn gemacht? Weil Sie gemerkt haben - damit komme ich zum Antrag der Grünen -, dass es überhaupt nicht nachhaltig ist, wenn man versucht, Haushalte über die Einnahmeseite zu sanieren.
Die Bürger draußen, die jetzt vielleicht sagen: ?Dem von der FDP glaube ich nicht?, bitte ich, einmal über Folgendes nachzudenken: Wenn Sie Schulden hätten, die dem Vierfachen Ihres Jahresnettoeinkommens entsprächen,
seien Sie Rentner, seien Sie ALG-II-Empfänger, seien Sie Pensionär, seien Sie Arbeitnehmer, glaubten Sie dann, dass Sie von der Verschuldung herunterkommen könnten, indem Sie schauen würden, woher Sie mehr Geld bekommen? Glauben Sie nicht auch, dass man irgendwann einmal fragen muss: Auf was kann ich, auf was soll ich, auf was muss ich bei mir und bei anderen verzichten?
Darum muss sich eine politische Diskussion drehen. Diese politische Diskussion nimmt diese Koalition mit dem großen Sparpaket auf. Wir kommen nur über die Ausgaben an das Problem heran. Das weiß jeder, der einmal persönlich erlebt hat, was Verschuldung bedeutet.
Es ist immer wieder bemerkenswert, dass dann gesagt wird, das alles sei unsozial. Wir wissen, dass das im politischen Diskurs das Böse ist: Wer unsozial ist, ist ein schlechter Politiker; wer unsozial ist, ist ein schlechter Mensch. Das stimmt so aber nicht. Unsozial ist derjenige, der sagt: ?Wir geben dir mehr?, der aber fünf Jahre später zurückkommt und sagt: Tut uns leid, das war alles zu viel; jetzt müssen wir davon wieder herunter. Unsozial ist derjenige, der sagt: ?Ich bin sozial und tue in dem und dem Leistungsbereich etwas?, nach der nächsten Wahl aber sagt: Jetzt erhöhe ich die Mehrwertsteuer; tut mir leid.
Genau darauf will Rot-Grün bzw. Rot-Rot-Grün wieder hinaus. Sie sagen: Wir geben, wir geben, wir geben, weil es sozial ist. In ein paar Jahren werden sie aber sagen: Es tut uns leid, wir haben uns wieder einmal verrechnet; wir nehmen, wir nehmen, wir nehmen.
Die Koalition geht diesen Weg dieses Mal nicht. Wenn diese Koalition unsozial wäre,
wie sähe dann die Antwort auf die folgende Frage aus - das muss sich auch jeder Bürger draußen fragen -: Wie viel von dem, was wir einnehmen - der Kollege Barthle hat gesagt, dass die Einnahmen im Wesentlichen von denen, die starke Schultern haben, kommen -, geben wir den Schwächeren? Man muss doch feststellen, wie das nach den ersten vier Jahren von Rot-Grün war. Da hatten sie eine Quote von 44 Prozent. Nach weiteren drei Jahren lag die Quote bei 50 Prozent. Diese Koalition sagt: Wir bleiben über den 50 Prozent von Rot-Grün.
Kann man sagen, dass eine Politik unsozial ist, wenn versucht wird, die Dinge neu zu justieren?
Ich glaube, das ist nur möglich, wenn man Polemik betreibt.
Man muss beim Haushalt Folgendes erkennen: Sie können sich nicht nur etwas wünschen, sondern Sie müssen auch die Zahlen dazu nennen. Je lauter Sie in den ersten Reihen reden und je weniger Sie zuhören, desto deutlicher zeigen Sie, dass meine Worte zutreffen. Man kann nur eines feststellen: Wir müssen die Ausgaben durchforsten. Wir müssen prüfen, was nicht richtig ist, auf was wir verzichten können. Wir müssen dringend prüfen, auf was wir mit Blick auf die Zukunft verzichten sollten. Als Erstes müssen wir ganz klar definieren, auf was wir verzichten müssen. Sie können das konkret tun. Sie könnten als Opposition doch einmal einen Gegenhaushalt aufstellen.
Die Zuschauer und Zuhörer werden denken, dass Sie einen Gegenantrag eingereicht haben. In dem Antrag der Grünen steht ganz viel drin. Aber was nicht drinsteht, ist das Entscheidende bei der Haushaltspolitik - das ist auch für jeden Bürger wichtig -: Welche Zahl steht wo?
Steht auf meinem Konto nachher ein Plus, oder steht auf meinem Konto nachher ein Minus? Zu dem Antrag der Grünen kann ich nur sagen: Es ist sehr viel hineingeschrieben worden. Manche Kritik darin ist vielleicht gerechtfertigt und gehört zum politischen Diskurs in unserer Gesellschaft. Aber immer dann, wenn es konkret werden sollte, wenn Zahlen angegeben werden sollten, dann wird Allgemeines gesagt: Wir wollen hier und da etwas tun; wir wollen bei der Gebäudesanierung und bei der sozialen und kulturellen Teilhabe etwas machen; dann wollen Sie 420 Euro Hartz IV haben. Sie machen aber nicht rechts den Strich, um zu sagen, wie viel das kostet.
Man kann das nur grob überschätzen. Das, was Sie in Ihrem Antrag vorschlagen, umfasst weit über 20 Milliarden Euro. Dazu kommen dann noch die 20 Milliarden Euro, die wir aufgrund der Verfassungsregelung einsparen müssen; das wollen wohl auch Sie. Das sind dann 40 Milliarden Euro. Dies wollen Sie im Wesentlichen über die Einnahmeseite erreichen.
Das wird die SPD nicht anders sehen; die Linken sogar noch ein bisschen stärker. Doch was bedeutet das, wenn Ihnen ein Politiker sagt: ?Wir wollen so viel mehr?? Das bedeutet, dass Sie den Spitzensteuersatz um 50 Prozentpunkte erhöhen müssten; Sie müssten ihn also auf über 90 Prozent erhöhen. Wenn Sie die Mehrwertsteuer erhöhen - nur ein Teil davon geht an den Bund -, wären Sie bei 35 Prozent Mehrwertsteuer.
Diese Seite Ihrer Forderungen müssen sie der Ehrlichkeit halber auch darstellen. Machen Sie konkrete Vorschläge, nennen Sie konkrete Zahlen und sagen Sie nicht nur, man wolle ein bisschen wegnehmen. Seien Sie doch einfach ehrlich, und sagen Sie, wo Sie abkassieren wollen, sagen Sie, dass Sie nicht sparen und die Ausgaben nicht senken wollen.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Sven-Christian Kindler für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss zugeben: Mit dem sogenannten Sparpaket spart die Bundesregierung. Sie spart vor allen Dingen an guten und sozial gerechten Vorschlägen, und sie spart sich nachhaltige Vorschläge. Heute wird zwar gekürzt, aber auf Dauer wird nichts gespart. Denn die soziale und ökologische Verschuldung in der Zukunft wird nur vergrößert. Das ist das große Problem an diesem Sparpaket.
Wir haben heute schon einiges dazu gehört. Ich kann nur sagen: Wir haben im letzten Haushaltsverfahren ein detailliertes Konzept mit konkreten Zahlen und mit konkreten Forderungen bezüglich der Ausgabe- und der Einnahmeseite vorgelegt. Wenn wir Ihren Haushaltsentwurf in der nächsten Woche vorliegen haben, werden wir im Haushaltsverfahren wieder ein konkretes Konzept vorlegen und belegen, wie eine seriöse grüne Haushaltspolitik aussieht.
Wichtig ist, glaube ich, auf zwei Punkte einzugehen: auf die ökologische und die soziale Seite dieses unausgeglichenen Pakets. Unsere Gesellschaft driftet immer weiter auseinander. Mittlerweile besitzen die obersten 10 Prozent 60 Prozent des Vermögens in Deutschland. Die neueste Studie des DIW hat noch einmal gezeigt, dass die Reichen in Deutschland reicher werden, die Armen ärmer und die Mittelschicht schrumpft. Deswegen müssen nicht nur einzelne Maßnahmen im Sparpaket sozial gerecht sein, sondern es muss insgesamt einen Beitrag dazu leisten, dass die soziale Gerechtigkeit in Deutschland wieder größer und die Ungleichheit abgebaut wird.
Doch mit diesem sogenannten Sparpaket greifen Sie vor allen Dingen den Ärmsten in die Tasche, statt Wohlhabende an der Konsolidierung der Gesellschaft zu beteiligen.
Ja, wir brauchen auch Gerechtigkeit auf der Einnahmeseite. Ich wusste, dass es in der FDP - gerade bei Minister Brüderle, bei Otto Fricke oder Florian Toncar - ein ideologisches Dogma ist, dass man keine Steuern erhöhen will. Ich war sehr erstaunt, dass es auch in der FDP schon Stimmen gibt - ich teile ausdrücklich die Meinung der Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger -, dass Steuerpolitik auch Umverteilung heißt, dass Steuern dazu da sind, zu steuern und Geld umzuschichten. Starke sollten stärker belastet werden, und Schwache sollten entlastet werden.
Die Erhöhung des Spitzensteuersatzes und höhere Einnahmen aus der Erbschaftsteuer sind ein richtiger Weg.
Wir brauchen eine Vermögensabgabe und eine Finanztransaktionsteuer, weil den Menschen nicht zu erklären ist, warum die Ärmsten die Folgen der Krise bezahlen sollen und nicht die Banken und die Vermögenden die Lasten der Wirtschafts- und Finanzkrise tragen. Das ist ein wichtiger Punkt.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege Kindler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fricke?
Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ja, gerne.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Bitte sehr.
Otto Fricke (FDP):
Herr Kollege Kindler, ich akzeptiere, dass das die Vorstellung Ihrer Partei ist. Aber wenn Sie sagen, dass Sie das konkret berechnet haben, dann können Sie uns doch jetzt hier sagen: Auf wie viel soll die Erbschaftsteuer in etwa erhöht werden? Auf wie viel soll die Vermögensteuer erhöht werden? Wie hoch soll eine Reichensteuer angesetzt werden? Können Sie uns sagen, wie viel das Ihrer Meinung nach ungefähr sein soll?
Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ja, das kann ich Ihnen sagen. Wir wollen vor allen Dingen eine Vermögensabgabe einführen, um die Belastungen
- ja, ich komme darauf -, die durch die Krise entstanden sind, einzudämmen und die Verschuldung abzutragen. Dadurch würden die großen Vermögen pro Jahr ungefähr 10 Milliarden Euro dazu beitragen. Wir wollen den Spitzensteuersatz auf 45 Prozent anheben; das macht 2 bis 3 Milliarden Euro aus. Wir wollen auch die Einnahmen durch die Erbschaftsteuer von 4 auf 8 Milliarden Euro verdoppeln. Das ist auch deshalb wichtig, weil die großen Vermögen in den letzten Jahren stark gewachsen sind und auch sie einen Beitrag dazu leisten müssen, dass wir die Haushalte gerecht konsolidieren. Darum geht es.
Ich will noch auf einen weiteren Punkt eingehen, durch den die ökologische Verschuldung vergrößert wird. In den Wortbeiträgen gibt es einige richtige Ansätze. Auf den zweiten Blick wird aber klar, dass das nur Greenwashing ist, um Ihre atomfreundliche und antiökologische Politik zu verkaufen.
Ich komme jetzt zu dem Punkt ökologisch schädliche Subventionen. Das Umweltbundesamt hat kürzlich die Zahlen erneuert. Wir haben ökologisch schädliche Subventionen in Höhe von 48 Milliarden Euro, durch die wir Klimazerstörung, Umweltzerstörung und den Verlust der biologischen Vielfalt finanzieren. Das muss abgeschafft werden. Unter Rot-Grün, um auf die Frage von Herrn Toncar zurückzukommen, haben wir eine sehr mutige ökologische Steuerreform durchgeführt, die dazu beigetragen hat, einen ökologisch-ökonomischen Umbau unserer Gesellschaft voranzutreiben. Wir haben dabei sehr große Erfolge erzielt.
Dabei haben wir in Verhandlungen mit der Wirtschaft auch Ausnahmen vereinbart. Wir haben jetzt erkannt, dass diese kontraproduktiv sind. Deswegen wollen wir sie abbauen. Wir wollten aber auch andere Subventionen abbauen. Das ist am CDU-CSU-FDP-geführten Bundesrat gescheitert. Wir wollten unter Rot-Grün die Eigenheimzulage abschaffen und die Besteuerung von Kerosin einführen. Das hat leider nicht funktioniert. Die CDU/CSU hat dann zum Glück unter der Großen Koalition die Eigenheimzulage abgeschafft. Ich fordere Sie auf: Knicken Sie bitte auch bei der Nichtbesteuerung von Kerosin im Flugverkehr ein und schaffen Sie diese endlich ab!
Liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Regierungsfraktionen, mischen Sie sich ein! Nutzen Sie das Recht des Parlaments im Haushaltsverfahren, um Ihre Arbeit zu machen und das einseitig unsoziale Sparpaket in ein gerechtes Sanierungspaket umzuwandeln! Sparen Sie bei den Subventionen! Kürzen Sie Steuervergünstigungen für Gutverdienende! Erhöhen Sie die Einnahmen und investieren Sie in die Zukunft! Dann klappt es vielleicht auch wieder mit den 5 Prozent, liebe FDP.
Danke.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Alois Karl das Wort.
Alois Karl (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir uns heute mit dem Antrag der Fraktion der Grünen ?Haushalt zukunftsfest machen - Nachhaltig sanieren - Ökologisch und sozial investieren? befassen, dann erkennt man viele alte Hüte, lieber Herr Kindler. Sie wollen Ihr Heil in der Steuererhöhung suchen. Einseitig sollen die Einkommen höher besteuert und die Vermögen besteuert werden. Auch die Erbschaftsteuer soll erhöht werden. Das Ehegattensplitting soll abgeschafft werden.
Kaum ein Segment wird von der Steuererhöhungsorgie ausgenommen.
Man könnte fast sagen: Die grünen Steuer-Würgeengel gehen um.
Die staatliche Eingriffspolitik führt zu mehr staatlicher Bevormundung und weniger Freiheit. Der Staat soll kassieren, und es soll nach sozialistischem Muster umverteilt werden.
Das ist eine rückwärtsgewandte, altmodische Politik. Wir stellen ihr unsere eigenen klaren Vorstellungen gegenüber. Unsere Politik verzichtet auf direkte Steuererhöhungen. Wir legen den Schwerpunkt auf die Konsolidierung und auf den Abbau von Subventionen. Wir suchen eine gerechte Verteilung der Lasten. Darüber streiten wir.
Meine Damen und Herren, wenn die Wirtschaft um etwa 5 Milliarden Euro und der soziale Bereich um 5 Milliarden Euro zusätzlich belastet werden - von letzterem müssen wir aber die 2 Milliarden Euro abziehen, die zusätzlich als Zuschüsse zur GKV vorgesehen sind - und im öffentlichen Dienst und in anderen Bereichen 3 Milliarden Euro eingespart werden, dann ist in der Tat eine soziale Ausgewogenheit gegeben.
Die Menschen draußen im Lande wollen Verschiedenes: Sie wollen solide Staatsfinanzen. Sie wollen einen ausgeglichenen Haushalt, und sie wollen, dass die Währung stabil ist. Darauf haben wir uns verständigt, und das sind Grundpfeiler unserer Politik in dieser Koalition.
Wir wissen, dass wir uns auf einen steinigen Weg gemacht haben. Aber wir wissen auch - das ist bereits gesagt worden -, dass in diesem Land über 40 Jahre lang mehr Geld ausgegeben als eingenommen worden ist. Seit 1969 beschreiten wir einen Weg in den sogenannten Wohlstandsstaat. Es ist nicht länger zu verantworten, dass wir etwa 20 Prozent unseres Bundeshaushaltes für den Schuldendienst ausgeben. Es ist geradezu unglaublich, dass der Bundesfinanzminister jeden Tag 100 Millionen Euro für Zinszahlungen aufgrund der Schuldenpolitik in diesem Lande in den letzten 40 Jahren ausgibt.
Ich kann uns nicht zumuten und ich kann auch nicht draußen vertreten, dass wir unseren Wohlstand heute weiterhin dadurch sichern, dass wir Schulden für unsere Kinder und Kindeskinder machen, die diese dann in Jahren und Jahrzehnten abbauen müssen.
Was könnten wir heute mit dem Geld, das zur Schuldentilgung verwendet wird, an Zukunftsinvestitionen tätigen? Wir könnten Steuern problemlos senken. In der Bildungs- und in der Forschungsarbeit könnten wir geradezu alle Wünsche erfüllen, wenn wir nicht diese Schuldendienste zu leisten hätten.
Ich komme aus der Kommunalpolitik, Frau Hagedorn. Ich hatte dort die Gelegenheit, Haushalte zu führen, die ausgeglichen waren. Es gibt einem eine unglaubliche Freiheit, wenn man 99,7 Prozent der Einnahmen für anderes als für Schuldendienst verwenden kann. Ich möchte erleben, dass in diesem Land auch die Finanzminister und die Parlamente wieder die Freiheit bekommen, mit den Einnahmen umzugehen, Investitionen zu tätigen und nicht die Schulden zu tilgen, die vor Jahren und Jahrzehnten gemacht worden sind, um den Wohlstand damals und den Wohlstand heute mit Geld zu finanzieren, das wir nicht haben.
Unsere Politik ist eine Politik, die auf die Zukunft unserer jungen Leute gerichtet ist. Ich bin der Bundesregierung und auch unseren Koalitionsfraktionen dankbar, dass wir diesen Weg, der nicht einfach sein wird - ich habe es gesagt -, beschreiten wollen.
Haushaltskonsolidierung schränkt die Menschen und die Politik nicht ein. Im Gegenteil: Sie gibt uns Perspektiven für die nächsten Jahre, und sie gibt uns Freiheit zurück. Wir sind auf einem guten Weg. Steinbrück hat vor einem Jahr einen Haushaltsentwurf mit 86 Milliarden Euro Neuverschuldung vorgelegt. Schäuble hat im Herbst im zweiten Haushaltsentwurf die Neuverschuldung auf 85 Milliarden Euro festgelegt. Tatsächlich wird dieses Haushaltsjahr mit einer Neuverschuldung von 65 Milliarden Euro abgeschlossen. Das ist viel, immer noch zu viel; aber wir sind auf dem richtigen Weg. Diesen richtigen Weg werden wir fortsetzen, auch wenn wir dabei von der Opposition keine Unterstützung erhalten werden.
Herr Kahrs hat vorhin gesagt, acht Monate lang habe er hier gar nichts erlebt. Ich sage Ihnen eines, lieber Herr Kahrs: Wir haben in den letzten acht Monaten erlebt, dass wir hervorragend aus dieser Wirtschaftskrise herausgekommen sind.
Wir haben erlebt, dass die Anzahl der Arbeitsplätze in einer Weise angewachsen ist, wie wir es eigentlich gar nicht erwartet hätten.
Wir haben erlebt, dass die Arbeitslosenzahlen zurückgegangen sind, in einer Weise, wie wir uns das erwünscht und erträumt hätten, wie wir es aber nicht erwarten konnten. Wir haben heuer, wahrscheinlich im Herbst, weniger als 3 Millionen Arbeitslose.
Unter Schröder und Joschka Fischer, liebe Frau Hagedorn, gab es mehr als 5 Millionen Arbeitslose. Das war die Schlussbilanz Ihrer Regierungszeit. Hätten Sie damals unsere Erfolge gehabt, hätten Sie Dankprozessionen veranstaltet, aber Sie hätten nicht in der Weise gesprochen, wie Sie es heute tun. Das, was ich angesprochen habe, ist - ich möchte das in Erinnerung rufen, Herr Kahrs - eine Entwicklung der letzten acht Monate.
Meine Damen und Herren, auch der Bundesverkehrsminister investiert. Wir werden seine Mittel für Investitionen in dieser kritischen Zeit nicht streichen. Wir investieren in unsere Kinder. Wir investieren in die Bildung und in die Forschung. Wir werden hierfür 12 Milliarden Euro mehr ausgeben.
Es ist vieles gesagt worden über die Konsolidierungsmaßnahmen, über die Brennelementesteuer genauso wie über die Vergünstigung bei der Energiesteuer, die zurückgenommen wird. Der Sozialhaushalt hat am Bundeshaushalt einen Anteil von 54 Prozent; auch das ist gesagt worden.
Vor 20 Jahren, bei der deutschen Wiedervereinigung, betrug der Haushaltsansatz für Soziales 34 Prozent. In solch einer Situation zu sagen, dass an den Ärmsten gespart wird - so wird es bei den Grünen gemacht -, ist ein völlig falscher Ansatz.
Ich sage Ihnen eines: Wer eine verkehrte Bestandsaufnahme vornimmt, der kann auch nicht die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Wer so an die Haushaltskonsolidierung herangeht, hat keine Chance. Wir werden die Haushaltskonsolidierung in der von uns beschriebenen Weise fortsetzen. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Wir werden uns davon auch durch den Antrag der Grünen in gar keiner Weise abbringen lassen.
Vielen herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Stefanie Vogelsang für die CDU/CSU-Fraktion.
Stefanie Vogelsang (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Am nächsten Mittwoch wird das Kabinett den Entwurf des Bundeshaushalts verabschieden. Als ich den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zum Haushalt gesehen habe, habe ich mich zunächst einmal sehr gefreut; denn es ist eine Alternative, mit der man sich auseinandersetzen kann. Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen im Herbst werden wir uns damit intensiv im Haushaltsausschuss beschäftigen.
Als letzte Rednerin in dieser Debatte - ich meine nicht nur diesen Tagesordnungspunkt, sondern auch die Debatte über die wirtschaftliche Entwicklung beim vorherigen Tagesordnungspunkt - möchte ich nicht alle Argumente, die schon ausgetauscht worden sind, wiederholen. Ich möchte mich auf drei Punkte konzentrieren: erstens auf die Generationengerechtigkeit, zweitens auf die soziale Gerechtigkeit, drittens auf die Position, die Sie, Herr Poß, und auch andere im Hinblick auf die Bedeutung der Bundesrepublik Deutschland und die Rolle von Frau Merkel in Europa und beim Gipfel der G 20 in Toronto vertreten.
Bei den Sparbemühungen, bei der Aufstellung des Haushalts und der Benennung der Eckwerte sowie bei den Debatten über das Verhalten der Bundesregierung gegenüber Griechenland und auf dem Gipfel in Toronto bildete das starke Bewusstsein, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland eine veränderte demografische Entwicklung haben, den Ausgangspunkt. Dieser Gedanke ist Triebfeder; er steht allem Handeln voran.
Frau Andreae von den Grünen hat vorhin in ihrer Rede gesagt, dass das Wort ?Generationengerechtigkeit? eines der Worte sei, die sie in den letzten Monaten vermisst habe. Für uns, die christlich-liberale Koalition, ist die Generationengerechtigkeit die entscheidende Frage in der Haushaltspolitik. Bei uns geht es eben nicht um Verteilungsgerechtigkeit, sondern um echte Chancengerechtigkeit, damit auch zukünftige Generationen die Möglichkeiten haben, ihre politischen Schwerpunkte zu setzen und ihre politischen Entscheidungen zu treffen.
Wir wollen nicht, dass unseren Kindern und Enkelkindern die Möglichkeit genommen wird, die Herausforderungen ihrer jeweiligen Zeit zu bestehen. Deshalb ist der Aspekt der Generationengerechtigkeit bei uns der Maßstab allen Handelns. Da haben Frau Andreae und viele andere wohl nicht richtig zugehört.
Zum Zweiten möchte ich auf das Thema soziale Gerechtigkeit kommen. Ich möchte drei Personen anführen, bei denen man sich vielleicht erst wundert. Der Vorsitzende der SPD, Sigmar Gabriel - Herr Poß ist leider nicht mehr da; vielleicht trägt es Herr Schneider an ihn weiter -, hat im April des Jahres 2010 den Gustav-Heinemann-Preis verliehen. Er hat zusammen mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der SPD sehr lobende Worte für einen Sozialdemokraten gefunden. Sie haben gesagt, dass die Berliner SPD und die Bundes-SPD auf diesen Sozialdemokraten sehr stolz sein können, weil er auch für die eigenen Leute unbequeme Wahrheiten auf den Punkt bringe und sie ausspreche. Ich möchte aus einem Artikel über diesen Preisträger zitieren:
Dennoch stieß das Sparpaket in Berlin nicht nur auf harsche Kritik. Neuköllns Bezirksbürgermeister, Heinz Buschkowsky (SPD),
- der Preisträger -
hält die Kürzung des Elterngeldes für Hartz-IV-Empfänger für richtig. Damit werde die Grundsicherung nicht angetastet. Das Sozialsystem stoße an seine Grenzen, weil immer weniger Menschen einzahlten ?
Weil immer weniger Menschen einzahlten, müsse es auch eine Gerechtigkeit für andere geben. Weiter heißt es in dem Artikel: Wer hier spare, mache sich immer unbeliebt. Das Sparen sei aber notwendig. - Ich teile die Aussagen Ihres Preisträgers.
Der dritte Punkt umfasst den Gipfel in Toronto und die Position der Bundesregierung mit Blick auf Griechenland. Wir haben vorhin gehört, dass unsere Bundeskanzlerin noch in der letzten Wahlperiode - so Ihre Aussagen - über großes Renommee in Europa verfügt habe. Wir haben auch gehört, dass sie dieses Renommee in der Debatte über Hilfen für Griechenland verspielt habe.
Wir haben von Ihnen gehört, dass die Bundeskanzlerin mit ihrer Position isoliert gewesen sei und die Bundesregierung nicht adäquat vertreten habe.
Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Wir als christlich-liberale Koalition sind sehr stolz auf die Positionen und auf das Durchhalten der Bundesregierung.
Bei der Griechenlanddebatte haben wir gemerkt, dass es richtig und wichtig war, das Augenmerk auf Haushaltskonsolidierung zu legen. Zu der Aussage, dass wir mit unserer Position alleine dastanden: Wir konnten feststellen, dass wir für unsere Position nicht nur in ganz Europa, sondern auch auf dem G-20-Gipfel in Toronto eine große Mehrheit bekommen haben und dass auch in Zukunft die Haushaltskonsolidierung bei den G 20 ein wesentlicher Maßstab ist.
Ich möchte meine Ausführungen mit einem Zitat aus dem Tagesspiegel beenden, der am 28. Juni schrieb: Es ist
Merkels Verdienst
- also das Verdienst dieser Bundesregierung -,
dass die G 20 bei den Staatsfinanzen erstmals eine gemeinsame Sprache gefunden haben ?
? in Toronto hat sie eine Klarheit gezeigt, die über den Tag hinausweist.
Ich danke Ihnen für Ihren Antrag. Ich danke Ihnen für die Arbeit, die Sie hineingesteckt haben. Ich freue mich auf eine gute Beratung der einzelnen Punkte im Haushaltsausschuss und auf einen abschließenden Meinungsaustausch im November oder im Dezember.
Danke schön.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/2327 an die Ausschüsse vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung finden. Damit sind Sie einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 51. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 2. Juli 2010,
auf der Website des Bundestages unter ?Dokumente & Recherche?, ?Protokolle?, ?Endgültige Plenarprotokolle? veröffentlicht.]