Artikel erscheint am Montag in der Wochenzeitung "Das Parlament"
Als sie geboren wurde, am 27. Mai des Jahres 1990, da gab es den Staat namens DDR noch, in dem ihre Eltern geboren und aufgewachsen waren. Die Mauer war bereits etwa ein halbes Jahr zuvor gefallen, die Wiedervereinigung sollte sich knapp vier Monate nach ihrer Geburt vollziehen. Juliane Witt, heute 17 Jahre alt, war eines der letzten Kinder eines Staates, der nunmehr Vergangenheit ist.
Ist er wirklich nur vergangen - verschwunden und vergessen? Oder spielt er auch im Leben der Nachgeborenen noch eine prägende, eine maßgebliche Rolle? "Eigentlich hat die DDR für mich keine große Bedeutung", meint die Oberstufenschülerin anfänglich. Aber eben nur "eigentlich". Bohrt man tiefer, so stellt man fest, dass der untergegangene Staat doch immer wieder – fast unbemerkt - Eingang in ihr Leben findet. Die Auseinandersetzung mit ihm ist so alltäglich geworden, dass sie sie beinahe schon nicht mehr wahrnimmt.
"Meine Eltern sprechen sehr oft über die DDR", bemerkt Juliane, "meistens sagen sie, dass früher viele Dinge besser gelaufen sind als heute." Man habe sich nicht so viele Sorgen gemacht, erinnern sich die Eltern, die Lebensmittel seien günstiger gewesen, Arbeitslosigkeit habe es nicht gegeben und man habe viel weniger als im vereinigten Deutschland auf das Äußere Acht gegeben. "In sehr schlechter Erinnerung ist ihnen allerdings die Stasi, von der haben auch sie sich beobachtet gefühlt", weiß Juliane. Längst glaubt sie nicht alles, was ihre Eltern an positiven Aspekten der DDR zu berichten wissen. "Wir haben in der Schule die Geschichte der DDR behandelt, da bekommt man dann schon ein realistischeres Bild, als es einem die Eltern vermitteln", stellt sie fest. Manches allerdings, was ihre Eltern erzählen, kommt ihr durchaus plausibel vor. "Ich finde es nicht gut, dass heute so viel Wert auf Äußerlichkeiten gelegt wird, auf Kleidung zum Beispiel. Bestimmt ist das in der DDR nicht so krass gewesen." Am ungeteilten Deutschland stört sie auch, dass die Löhne im Westen noch immer höher sind als im Osten. "Wenn man vereinigt sagt, dann soll auch alles einheitlich sein", meint Juliane. Ansonsten aber ist sie recht zufrieden mit dem Staat, in dem sie lebt. Man habe beruflich viele Möglichkeiten und große Freiheit bei der Gestaltung der eigenen Zukunft.
In der neunten und zehnten Klasse hat Juliane Witt im Emsland gewohnt, auf dem platten Land, zwischen Leer und Papenburg. Mit ihren Mitschülern hat sie in dieser Zeit keine negativen Erfahrungen gemacht, wohl aber mit den Lehrern, die gelegentlich spitze Bemerkungen fallen ließen. "Aus dem Osten kommen doch nur Rechtsradikale", sei eine solche gewesen. Trotzdem könnte sie sich durchaus vorstellen, wieder in Deutschlands Westen zu leben und zu arbeiten, denn "Wessis und Ossis gibt es für mich nicht - es gibt nur Deutsche."
Von Benjamin Piel