Vertragsunterzeichnung am 13. Dezember in Lissabon
Zur Unterzeichnung des EU-Reformvertrages sind am 13. Dezember
2007 die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Mitgliedstaaten in
der portugiesischen Hauptstadt zusammengetroffen. Mit dem Vertrag
von Lissabon, der nach schwieriger Kompromisssuche auf der
Grundlage eines unter deutscher Präsidentschaft erarbeiteten
Mandates ausgearbeitet werden konnte, soll die Europäische
Union bis zu den nächsten Wahlen zum Europäischen
Parlament (EP) im Jahr 2009 auf eine neue rechtliche Grundlage
gestellt werden. Unter anderem soll die Rolle der nationalen
Parlamente aufgewertet werden.
Der Reformvertrag sieht, wie schon der nach den zwei negativen
Referenden in Frankreich und den Niederlanden im Jahr 2005
gescheiterte EU-Verfassungsvertrag, weitgehende institutionelle
Reformen der EU vor. So wird es künftig einen "Hohen Vertreter
der Union für Außen- und Sicherheitspolitik" geben, der
mit den Befugnissen ausgestattet ist, die bereits dem im
Verfassungsvertrag vorgesehenen EU-Außenminister zugedacht
waren. Zu seiner Unterstützung soll ein diplomatischer Dienst
der EU, genannt Europäischer Auswärtiger Dienst,
eingerichtet werden. Neu ist ebenfalls, dass dem Europäischen
Rat, der aus den Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten
besteht, für eine Amtszeit von zweieinhalb Jahren ein
Präsident vorsitzen wird. Die Kontinuität der EU-Politik
im Europäischen Rat soll so gegenüber dem derzeit
geltenden, alle sechs Monate wechselnden Vorsitz verbessert
werden.
Der Europäische Rat soll künftig einen Kandidaten für den Posten des Kommissionspräsidenten vorschlagen, der dann dem Europäischen Parlament (EP) zur Wahl gestellt wird. Bei seinem Personalvorschlag ist der Europäische Rat bereits verpflichtet, die Ergebnisse der Wahlen zum EP zu berücksichtigen.
Die Kompetenzverteilung zwischen der Union und den
Mitgliedstaaten wird klarer gefasst. Auch wird das
Rechtssetzungsverfahren der EU modifiziert: Für zahlreiche
Regelungsbereiche, in denen das EP bislang nur angehört werden
muss, wird zukünftig eine Parlamentsmehrheit für das
Zustandekommen der Rechtsakte erforderlich sein. Im Ministerrat
gilt zudem ab November 2014 das "Prinzip der doppelten Mehrheit"
bei so genannten qualifizierten Mehrheitsentscheidungen. Danach
kommt ein Beschluss zustande, wenn 55 Prozent der Mitgliedstaaten
im Rat dem Vorschlag zustimmen und sie zugleich 65 Prozent der
EU-Bürger repräsentieren. Mit den institutionellen
Reformen soll die mittlerweile auf 27 Mitglieder angewachsene Union
nach innen funktionsfähiger und nach außen hin
handlungsfähiger werden. Die EU-Grundrechtecharta, die dem
Vertrag von Lissabon beigegeben ist, wird rechtsverbindlich. Damit
wird der Grundrechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger
erhöht und transparenter gestaltet.
Der Reformvertrag wertet neben dem EP auch die nationalen Parlamente auf. Wie alle nationalen Parlamente der 27 EU-Mitgliedstaaten soll auch der Bundestag nach der künftigen Fassung des EU-Vertrags "aktiv zur reibungslosen Funktionsweise der Union" beitragen. Nach heute geltender Rechtslage kommt den nationalen Parlamenten eine eher indirekte Rolle im europäischen Rechtssetzungsprozess zu: Sie sind hauptsächlich darauf beschränkt, die EU-Politik ihrer jeweiligen Regierung im Rat zu kontrollieren. In Zukunft werden sie maßgeblich an der so genannten Subsidiaritätskontrolle mitwirken.
Nach dem Grundsatz der Subsidiarität sollen politische Entscheidungen möglichst auf der niedrigsten Ebene eines Systems gefällt werden - auf die EU übertragen heißt dies, dass die Kompetenz für diejenigen Materien, die lokal geregelt werden können, den Mitgliedstaaten verbleiben sollen. Ist eine Mehrheit der nationalen Parlamente der Meinung, der Entwurf eines Rechtsakts der Union verletze dieses "Prinzip der kleinsten Einheit", so können sie innerhalb von acht Wochen nach Übermittlung des Entwurfs erreichen, dass der Entwurf überprüft werden muss.
Will die Kommission trotzdem an ihrem Vorschlag festhalten, so leitet sie ihre begründete Stellungnahme zusammen mit den Stellungnahmen der nationalen Parlamente dem Rat und dem EP zu. Teilen 55 Prozent der Mitglieder des Rates oder eine Mehrheit des EP die Auffassung der nationalen Parlamente, wird der Legislativvorschlag nicht weiter verfolgt.
Weitere Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte der nationalen
Parlamente wird es unter anderem in den Bereichen des
Familienrechts, bei der politischen Kontrolle des Europäischen
Polizeiamtes (Europol) sowie der 1992 eingerichteten Einheit
für justizielle Zusammenarbeit (Eurojust) geben.
Nach der feierlichen Unterzeichnung durch die Staats- und Regierungschefs beginnt der Ratifizierungsprozess des Reformvertrages durch alle Mitgliedstaaten. Fast überall wird die Ratifizierung durch die nationalen Parlamente - in Deutschland durch den Bundestag und den Bundesrat - erfolgen, Referenden sind die Ausnahme.