Von Susanne Kailitz - Aus: Das Parlament, Ausgabe 22/23 2007
Norbert Lammert will veröffentlichen, wo die Abgeordneten außerhalb des Bundestags noch arbeiten. Das sorgt nicht nur für Begeisterung.
Wenn der Bundestagspräsident noch vor der Sommerpause die Nebentätigkeiten der Abgeordneten veröffentlichen wird, werden die Wähler über Katrin Göring-Eckardt nicht mehr erfahren, als sie auch bisher schon wissen können. "Ich habe überhaupt keine Nebentätigkeiten", winkt die Bundestagsvizepräsidentin (Bündnis 90/Die Grünen) im Gespräch mit "Das Parlament" ab, "und da geht es mir übrigens wie vielen anderen Politikern, die neben ihrer eigentlichen Arbeit überhaupt keine Zeit mehr haben, noch etwas anderes zu machen. Für mich ist Politik ganz klar ein Vollzeitberuf."
So sieht das auch das Abgeordnetengesetz vor. Darin heißt es, dass die "Ausübung des Mandats im Mittelpunkt der Tätigkeit" eines Bundestagsabgeordenten stehen soll. Wenn Politiker darüber hinaus in ihrem alten Beruf, in Aufsichtsräten, als Berater oder in diversen Gremien tätig sind, ist das zwar nicht veboten - doch nach den Verhaltensrichtlinien für die Parlamentarier, die der 16. Deutsche Bundestag am 18. Oktober 2005 übernommen hat, müssen diese Nebentätigkeiten und die Einkünfte, die daraus erzielt werden, dem Bundestagspräsidenten gemeldet werden, der sie dann im zweiten Teil des Handbuchs des Deutschen Bundestags veröffentlicht. Waren früher nur Nebentätigkeiten mit Einkünften von mehr als 3.000 Euro meldepflichtig, wurde diese Grenze auf 1.000 Euro pro Monat gesenkt.
Warten auf Karlsruhe
Da im Februar 2006 sechs Abgeordnete aus Union, SPD und FDP gegen vor dem Bundesverfassungsgericht das Abgeordnetengesetz geklagt hatten, setzte Bundestagspräsident Norbert Lammert die Veröffentlichung zunächst aus - eine durchaus umstrittene Entscheidung. Mehr als ein Jahr hat Lammert auf den Spruch aus Karlsruhe gewartet; nun hat er genug und kündigte an, er werde die Nebentätigkeiten veröffentlichen - auch ohne Richterspruch, aber zunächst auch ohne Angabe der Höhe der Nebeneinkünfte.
Seine Entscheidung begründete Lammert damit, "entgegen anderen Vermutungen" sei ein Termin für die Urteilsverkündung "noch nicht absehbar" - die Verfassungsrichter täten sich mit der Entscheidung wohl schwerer "als allgemein vermutet". Nach Informationen der "Frankfurter Rundschau" befinden sich die Karlsruher Richter derzeit in einer Pattsituation: Während vier Richter der Klage der Abgeordneten stattgeben wollen, sind genauso viele dagegen. Da niemand sagen kann, wann und wie sich das Problem lösen wird, hat Lammert nun die Initiative ergriffen: In einem Rundschreiben forderte er am 24. Mai alle Abgeordneten auf, ihm bis zum 22. Juni die entsprechenden Informationen zu ihren Nebentätigkeiten zu übermitteln.
Für Katrin Göring-Eckardt ein überfälliger Schritt: "Ich befürworte das absolut, zumal wir überhaupt nicht wissen, wann die Entscheidung in Karlsruhe fällt. Allerdings glaube ich nicht, dass es nötig ist, die Höhe der Einkünfte nicht zu veröffentlichen -richtiger wäre meiner Ansicht nach, alles transparent zu machen."
Weit weniger glücklich als die Vizepräsidentin dürfte der FDP-Abgeordnete und Vorsitzende des Kulturausschusses, Hans-Joachim Otto, über die Post aus dem Präsidentenbüro sein. Er gehört zu den Abgeordneten, die Klage eingereicht haben. Otto, der neben seinem Mandat auch als Rechtsanwalt und Notar tätig ist, sieht in der Veröffentlichung seiner Nebentätigkeiten einen "weitgehenden Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht".
Er wehrt sich dagegen, Einzelheiten des Berufs, "den ich schon vor meiner Tätigkeit im Bundestag erlernt und ausgeübt habe, in allen Einzelheiten der Öffentlichkeit zu präsentieren. Das ist unangemessen." Dem Liberalen ist die Vorstellung ein Graus, "jede Rechnung über 1.000 Euro mitteilen zu müssen - selbst wenn es sich dabei um einen Auslagenvorschuss für Gerichtskosten handelt".
Schweigepflicht in Gefahr?
Insbesondere die Juristen unter den Klägern - neben Kolb auch Sybille Laurischk (FDP), Peter Danckert (SPD) und Friedrich Merz (CDU) - befürchten, die Veröffentlichung ihrer Nebeneinkünfte würde die Schweigepflicht gegenüber ihren Mandaten verletzten. Allerdings sehen die Verhaltensregeln für Abgeordnete für solche Fälle Ausnahmeregelungen vor. In Paragraph 1 heißt es: "Die Anzeigepflicht umfasst nicht die Mitteilung von Tatsachen über Dritte, für die der Abgeordnete gesetzliche Zeugnisverweigerungsrechte oder Verschwiegenheitspflichten geltend machen kann."
In diesen Fällen könne der Präsident in den Ausführungsbestimmungen festlegen, "dass statt der Angaben zum Auftraggeber eine Branchenbezeichnung anzugeben ist". Weder würde die Öffentlichkeit damit erfahren, welche Mandaten Otto oder Laurischk vertreten, noch welche exakte Summe sie für ihre Dienste berechnen: Die Einnahmen werden drei Einkommensstufen (1: 1.000 bis 3.500 Euro, 2: 3.500 bis 7.000 Euro, 3: über 7.000 Euro) zugeordnet. Für den Bundestagspräsidenten ist der "Anspruch der Öffentlichkeit auf Offenlegung von Tätigkeiten neben dem Mandat" ebenso "unverzichtbar wie der Anspruch auf Schutz persönlicher Daten, den auch Abgeordnete mit Annahme ihres Mandats keinesfalls verwirkt haben".
Der Düsseldorfer Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann halt die Offenlegung für wichtig: "Der Bürger muss wissen, wo der Abgeordnete steht." Es sei durchaus legitim, wenn Abgeordnete neben ihrem Mandat auch andere Tätigkeiten ausüben würden und im Berufsleben verwurzelt blieben. "Das macht sie unabhängiger von ihrer Partei und sie laufen nicht Gefahr, ihr Mandat um jeden Preis verlängern zu müssen. Wichtig ist aber, dass das nur Nebentätigkeiten sind - das Mandat muss der Hauptjob sein."
Auch Interessen stehen zur Wahl
Dass Abgeordnete immer auch Interessenvertreter sind, sei gewünscht, so der Politikwissenschaftler. "Wir wollen keine politischen Eunuchen. Abgeordnete haben wie alle anderen Bürger einen Lebensweg, der durch Verbände, Gewerkschaften, Kirchen geprägt wurde. Natürlich entstehen dabei Bindungen und Interessenlagen - doch der Wähler muss entscheiden können, ob er jemanden mit diesen Bindungen wählen will."
Für Hans-Joachim Otto sind diese Bindungen genau das, was einen guten Parlamentarier ausmacht. Gerade seine berufliche Tätigkeit mache ihn unabhängiger von Partei und Fraktion. Als Gesetzgeber wisse er so besser, worüber er entscheide. "Das sind äußerst vernunfttreibende Realitätskontakte. Was mir in meinen Beruf begegnet, ist das pralle Leben mit all seinen Widrigkeiten und Problemen." Allerdings: Wenn Parlamentarier Tätigkeiten als Berater etwa in Vorständen und Aufsichtsräten ausübten, die sie unter Umständen in Interessenkollision mit dem Mandat führen könnten, müsse das offengelegt werden. "Aber wenn ich als Notar einen Wohnungskaufvertrag beurkunde, hat das mit meiner Tätigkeit als Bundestagsmitglied nichts zu tun."
Müssten künftig alle Nebentätigkeiten und -einkünfte veröffentlicht werden, befürchtet Otto, dass sich die "Qualität der zur Wahl Stehenden drastisch weiter verringert" und die "Tendenz zum Berufspolitikertum" weiter befördert werde. Ein Argument, von dem Vizepräsidentin Göring-Eckardt nichts hält. Es sei zwar wichtig, noch "ein zweites Bein im realen Leben" zu haben, doch in Sachen Realitätsbezug seien die Abgeordenten des Bundestags auch bisher "gar nicht so schlecht". Wie allerdings Abgeordnete wie etwa Friedrich Merz, für den Journalisten bis zu 18 Nebentätigkeiten zählen, dieses Pensum zeitlich bewerkstelligten, sei ihr unklar. Aufklären will Merz dieses Rätsel nicht: Über seine Sprecherin lässt er ausrichten, er gebe "überhaupt keine Interviews mehr".