Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages soll die Umstände klären, unter denen die Bundesregierung unter Dr. Helmut Kohl (CDU) im Jahr 1983 entschied, nur den Standort Gorleben im niedersächsischen Wendland auf seine Eignung als Atommüll-Endlager zu erkunden. SPD, Linke und Grüne, die diesen Antrag ( 17/888) am Donnerstag, 4. März 2010, im Plenum einbringen wollen, verfügen über die nötige Zahl von Abgeordneten, um das erforderliche Quorum zur Einsetzung eines solchen Gremiums zu erfüllen. Die Opposition hegt den Verdacht, dass das seinerzeitige Votum für den Salzstock in Gorleben auch unter politischen Aspekten erfolgt sein könnte. Der Beschluss von 1983, so die Vermutung, fuße nicht allein auf wissenschaftlichen Erwägungen. Ein wesentliches Gutachten sei von der damaligen Regierung, die von Union und FDP gebildet wurde, "manipuliert" worden. Der gemeinsame Antrag von SPD, Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen wird am Donnerstag ab 16.05 Uhr eine halbe Stunde lang beraten und anschließend an den Geschäftsordnungsausschuss überwiesen.
Aus Sicht der Opposition sollen die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses, der seine Arbeit wohl nicht vor April aufnehmen dürfte, in Schlussfolgerungen für die Debatte über die künftige Suche nach einem Endlager für radioaktiven Abfall münden. Die Erkundungen im Wendland wurden unter der rot-grünen Koalition gestoppt und ruhen seither wegen dieses Moratoriums. Auch unter der Großen Koalition wurden diese Arbeiten nicht wieder aufgenommen, ebenso unterblieb die Suche nach alternativen Standorten. Die schwarz-gelbe Regierung will die Prüfung des von Kernkraftgegnern heftig bekämpften Projekts in Gorleben nach dem Auslaufen des Moratoriums jedoch fortsetzen.
SPD, Linke und Grüne begründen die Erfordernis eines Untersuchungsausschusses und ihren Verdacht unzulässiger politischer Einflussnahme auch mit diversen Medienberichten im Jahr 2009, wonach Unterlagen aus jener Zeit die Vermutung nahelegten, dass in den achtziger Jahren kritische Studien über die Eignung des Salzstocks in Gorleben unter dem Einfluss des Bundesforschungsministeriums nachträglich geändert worden sein könnten.
Beispielsweise soll aufgrund dieser Intervention in einer Expertise die Gefahr von Wasserzuflüssen in den Salzstock nicht mehr so stark wie in der Ursprungsfassung gewichtet worden sein. Die Opposition verweist auch auf Stellungnahmen anderer Geologen, nach deren Meinung die Inhomogenität des Salzstocks, die diesen Untergrund durchziehenden Frostrisse und das Fehlen eines Deckgebirges über dem Salzstock problematisch seien.
SPD, Linke und Grüne wollen mit einem umfangreichen und detaillierten Prüfkatalog in den Untersuchungsausschuss gehen. Im Kern geht es um die Frage, ob politische Vorfestlegungen oder Vorgaben beim Standort Gorleben existierten und ob Mitglieder oder Mitarbeiter der damaligen Bundesregierung die Aussagen wissenschaftlicher Gutachten zu beeinflussen suchten. Geklärt werden soll zudem, ob manche Expertisen zurückgehalten worden seien.
Die Konzentration der Erkundungsarbeiten für die Endlagerung von radioaktivem Müll allein auf Gorleben sorgt seit Jahrzehnten für Zündstoff in der Atomdebatte. Auch neuere Medienveröffentlichungen mit Zitaten aus alten Dokumenten warfen die Frage auf, ob bei der 1983 getroffenen Entscheidung für Gorleben die Überlegung mit eine Rolle gespielt haben könnte, dass das dünn besiedelte Wendland wirtschaftlich strukturschwach war und in der Nähe der innerdeutschen Grenze lag.
Hinter solchen Erwägungen soll etwa der einstige niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) gestanden haben. Im Laufe der Jahre hatten Wissenschaftler immer mal wieder erklärt, dass neben Salzstöcken prinzipiell auch andere geologische Formationen wie Granit oder Ton für die Endlagerung von Atommüll geeignet sein könnten. In Regionen mit solchen Gesteinsarten, etwa in Süddeutschland, wird jedoch Protest gegen ein möglicherweise in solchen Landstrichen zu errichtendes Endlager laut.
Nach dem Vorschlag der Opposition sollen dem Gorleben-Ausschuss 15 Abgeordnete angehören. Laut Medienberichten, die sich auf Angaben aus Unionskreisen stützen, soll die niedersächsische CDU-Abgeordnete Maria Flachsbarth den Vorsitz des Gremiums übernehmen, offiziell bestätigt wird dies von der Fraktion noch nicht.
Die Leitung des ersten Untersuchungsausschusses, der die Bombardierung von Tanklastern in der Nähe von Kundus in Afghanistan am 4. September 2009 zum Gegenstand hat, obliegt der SPD-Abgeordneten Susanne Kastner.