Berlin: (hib/KOS) Auf Ablehnung stößt bei der Bundesnetzagentur und beim Bundeskartellamt die Absicht der EU-Kommission, die Strom- und Gasnetze eigentumsrechtlich völlig von der Stromerzeugung und anderen energiewirtschaftlichen Tätigkeiten zu trennen. Bei einer Anhörung des Wirtschaftsausschusses über das dritte EU-Energie-Paket kritisierten am Mittwochmittag die Präsidenten Matthias Kurth und Bernhard Heitzer auch die von Brüssel vorgeschlagene Alternative einer Übertragung des Netzbetriebs an eine gesellschaftsrechtlich vom Netzeigentümer unabhängige Einrichtung. Stattdessen traten Kurth und Heitzer für die von Deutschland und sieben anderen EU-Staaten ins Spiel gebrachte "3. Option" ein, nämlich innerhalb von Energieunternehmen die Eigenständigkeit der Netzgesellschaften zu stärken. Brüssel solle diese Variante den Mitgliedsländern offenstehen lassen. Allerdings wurden die Konzepte der EU-Kommission bei dem Hearing auch differenziert befürwortet.
Weithin Übereinstimmung herrschte unter den Sachverständigen über die Notwendigkeit, den Wettbewerb zu stärken und dabei die Netze von der Strom- und Gaserzeugung wirksam zu trennen. Für Kurth ist das Modell der Bundesregierung eine auf die Situation in Deutschland zugeschnittene "pragmatische Lösung", die "substanzielle Forschritte gegenüber dem status quo" bewirken werde. So sei etwa vorgesehen, dass Management und Personal einer Netzgesellschaft nicht mit dem Mutterunternehmen verbunden sein dürften. Heitzer gab zu bedenken, dass das Konzept der EU-Kommission wegen verfassungs- und eigentumsrechtlicher Probleme gerichtliche Klagen provozieren und deshalb zu jahrelangen Verzögerungen bei der Durchsetzung von mehr Wettbewerb führen werde. Auch bei Johannes Teyssen (E.ON) und Heinz-Werner Ufer (RWE) fand die Strategie der Regierung im Prinzip Zustimmung. Wie andere Sachverständige wertete Teyssen vor allem eine konsequente Regulierung des Netzbetriebs und der Leitungsgebühren als das zentrale Mittel, um mehr Wettbewerb zu erreichen. Wolfgang Brinkmann von den Bielefelder Stadtwerken warnte vor einer wirtschaftlichen Schwächung der Stadtwerke als Konkurrenten der Energiekonzerne, wenn die kommunalen Unternehmen gemäß dem EU-Modell ihre Netze und sonstigen Aktivitäten nicht mehr wie bisher zusammen managen könnten.
Als Vertreter der Kommission verteidigte Heinz Hilbrecht die Brüsseler Initiative. Es seien "strukturelle Änderungen" auf dem Energiemarkt notwendig. Unabhängige Netzbetreiber hätten ein größeres Interesse an Investitionen in die Leitungssysteme. So sind laut Hilbrecht in der Bundesrepublik solche Investitionen seit 2002 um 40 Prozent gestiegen, in Spanien mit einer eigenständigen Netzgesellschaft hätten sie sich hingegen verdoppelt. In Ländern mit einem von den Energieunternehmen getrennten Netz seien zudem die Strompreise weniger stark gestiegen. Teyssen entgegnete, hierzulande würden Investitionen in Leitungen vor allem durch überaus langwierige Genehmigungsverfahren behindert: "Ein Atomkraftwerk wird schneller genehmigt als eine Hochspannungsleitung".
Robert Busch vom Bundesverband Neuer Energieanbieter bezeichnete unter den zur Debatte stehenden Varianten die eigentumsrechtliche Entflechtung als die beste Idee, um die Netze "neutral zu stellen" und so allen Strom- und Gasverkäufern einen ungehinderten Zugang zur Einspeisung in die Leitungen zu ermöglichen. Das Modell der Bundesregierung sei "sehr intransparent" und deshalb problematisch. Busch betonte, nicht nur die Fernübertragungs-, sondern auch die lokalen Verteilnetze bei Strom und vor allem Gas müssten entflochten werden. Allerdings stelle sich die Frage, wer bei einem Verkauf der Leitungssysteme durch Konzerne oder Stadtwerke die Netze erwerben werde und ob die neuen Besitzer kurzfristige Gewinninteressen oder langfristige Engagements im Auge hätten.
Professor Heinz-J. Bontrup von der Fachhochschule Gelsenkirchen forderte, die Strom- und Gasnetze als "natürliches Monopol" in öffentliches Eigentum zu überführen, das "Gut Energie" dürfe nicht allein dem Wettbewerb überlassen werden. Gegen eine Verstaatlichung sprach sich Matthias Kurth aus. Uwe Leprich gab sich überzeugt, dass auch andere Energieunternehmen dem Beispiel E.ON folgen und ihre Netze zum Verkauf anbieten werden und dass es in Deutschland zu einer unabhängigen Netz-AG kommen werde. Der Professor von der Saarbrücker Hochschule für Wirtschaft und Technik plädierte dafür, der öffentlichen Hand an einer solchen Betreibergesellschaft 51 Prozent und privaten Investoren 49 Prozent der Anteile zu übertragen. Holger Krawinkel vom Bundesverband der Verbraucherzentralen warb für das Schweizer Modell einer Netzgesellschaft, die mehrheitlich in staatlichem Besitz und privatrechtlich verfasst sei, aber nicht an die Börse gehen dürfe. Krawinkel rief zu einer Grundsatzdebatte über die Rolle von Staat und privater Wirtschaft im Energiesektor auf, deren Rollen seien bislang "nicht klar definiert".
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