Pressemeldung -
05.10.2005
Laudatio von Bundestagspräsident
Wolfgang Thierse auf Gyula Horn zur Verleihung des "Memminger
Freiheitspreises" am 5. Oktober 2005
Es gilt das gesprochene Wort
"Er ist noch ganz jung, der "Memminger Freiheitspreis": Zum
allerersten Mal wird er in diesem Jahr verliehen. Aber er erinnert
an eine alte, wohl die älteste demokratische
Verfassungsurkunde auf deutschem Boden, an die berühmten 12
Bauernartikel aus dem Jahre 1525. Johannes Rau hat sie das
"Monument der deutschen Freiheitsgeschichte" genannt, weil sie
bereits mutige Forderungen nach Grund- und Menschenrechten
enthielten. So kühn waren etliche von ihnen, dass es noch
Jahrhunderte dauern sollte, bis sie sich überall auf dem
europäischen Kontinent durchsetzen konnten. Allzu lange ist
das noch nicht her, wie wir aus eigenem Miterleben wissen: Wirklich
frei geworden ist Europa erst an der Schwelle zum 21. Jahrhundert,
ein halbes Jahrtausend nach den Memminger Bauernartikeln, als sich
auch die Menschen im bis dahin hinter Mauer und Stacheldraht
eingesperrten Teil Europas von der Diktatur befreien konnten.
Ob der Tag der Preisverleihung bewusst nah an den Tag der Deutschen
Einheit gelegt worden ist, oder ob das eher ein Zufall ist, kann
ich nicht sagen. Auf jeden Fall ist die zeitliche Nähe mit
Blick auf den Preisträger eine wunderbare Fügung. Denn
dass wir vorgestern diesen Tag der Deutschen Einheit feiern konnten
- in diesem Jahr zum 15. Mal - ist nicht zuletzt dem heutigen
Preisträger zu verdanken. Wann immer die Rede auf das - ja,
ich werde es nicht müde zu sagen - Geschenk der deutschen
Einheit kommt und auf den Prozess, in dem sich die Freiheit in
Europa ihren Wege bahnte, muss unbedingt dieser Name genannt
werden: Gyula Horn.
Gerne bin ich zur Verleihung des "Memminger Freiheitspreises" an
Gyula Horn hierher gekommen, und mit großer Freude halte ich
die erbetene Laudatio auf einen bedeutenden Europäer, auf
diesen Visionär der Freiheit, den überzeugten Humanisten
und Demokraten.
Lassen Sie mich noch einmal zurückblenden in die Zeit Ende der
80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Es sind seither zwar erst
anderthalb Jahrzehnte vergangen und doch scheint das alles für
viele schon sehr, sehr weit zurück zu liegen. Wie war das
damals? In Ungarn hatte die sozialistische Regierung die epochale
Bedeutung von Michail Gorbatschows Politik erkannt und den Freiraum
genutzt, der sich daraus ergab. Tatsächlich war Ungarn das
einzige Land in Mittel-Osteuropa, das bereits zwischen 1988 und
Anfang 1990 die institutionellen Elemente des demokratischen
Systems, so das Mehrparteiensystem, gesetzlich verankert hat. Die
Trennung von Regierung und Partei wurde sukzessive vorangetrieben
und auch die Ernennung Gyula Horns zum Außenminister war ja
1989 etwas geradezu Sensationelles: Da wurde jemand erstmals nicht
durch das ZK ernannt, sondern durch den
Ministerpräsidenten.
Aber schon bevor Gyula Horn Außenminister wurde, hatte man
Vielversprechendes von ihm vernommen. Da war ein Mann, der einen
ganz anderen, einen offenen Ton anschlug. Das kannte man bei
Politikern aus dem Ostblock bis dahin so gar nicht. Bereits im
November 1988 haben Sie, lieber Herr Horn, als Gast auf der Tagung
der Nordatlantischen Versammlung davon gesprochen, dass die
Präsenz fremder Truppen in europäischen Ländern ein
Anachronismus sei. Das ließ mehr als aufhorchen. Da hatte
offenbar ein Mann die politische Bühne betreten, der
visionäre Kraft besaß. Und Mut dazu. Denn Sie waren auch
der erste hochrangige Parteipolitiker, der das Gerichtsverfahren
gegen Imre Nagy nach dem vergeblichen Aufstand der Ungarn gegen die
Sowjetherrschaft 1956 als das bezeichnete, was es tatsächlich
war: ein politischer Schauprozess.
Was sich in Ungarn vor 16 Jahren abspielte, zeigt, dass es nicht
auf die Größe eines Landes ankommt, um
Veränderungen voranzubringen, sondern auf den Willen und auf
den Mut dazu. Gyula Horn hatte beides, als er gemeinsam mit dem
österreichischen Außenminister Alois Mock am 27. Juni
1989 symbolhaft das erste Loch in den Eisernen Vorhang schnitt, und
damit einen Prozess in Gang setzte, der die Welt veränderte.
Das "Tor zur Freiheit" hatten DDR-Bürger 1989 das Loch im
Draht des Eisernen Vorhangs getauft. Und das kleine Loch im Zaun
wurde sehr schnell groß und größer.
In Ihren Erinnerungen haben Sie, lieber Herr Horn, sehr
eindrucksvoll über die spannungsreichen Wochen im Sommer und
Herbst 1989 geschrieben, als immer mehr DDR-Bürger nach Ungarn
strömten und auf ihre Ausreise hofften. Beim so genannten "Pan
Europäischen Picknick" nutzten viele die Gelegenheit zur
Flucht, aber das war eine unkoordinierte, spontane Aktion mit
beachtlichen Risiken. Sie ahnten damals längst, dass es eine
dauerhafte, legale Lösung geben müsse. Das war für
Sie eine schwierige Abwägung - Sie haben sie selbst einmal als
die schwerste Ihres Lebens bezeichnet. Da gab es auf der einen
Seite die vertraglich abgesicherte Solidarität mit dem
Warschauer-Pakt Partner DDR. Auf der anderen Seite aber waren die
Menschen mit ihren existenziellen Ängsten und den im wahrsten
Sinne des Wortes grenzenlosen Hoffnungen.
Wir wissen, wie Sie sich damals entschieden haben: Gegen
Unterdrückung und für Freiheit. Am 10. September 1989
öffneten Sie die Schlagbäume und zu Tausenden gelangten
DDR-Bürger über Ungarn in die Freiheit – auf
legalem Weg. Es waren Bilder, die um die Welt gingen, und deren
Botschaft unmissverständlich war: Menschen lassen sich nicht
auf Dauer einsperren. Das bis dahin Unvorstellbare, was sich da an
der ungarisch-österreichischen Grenze ereignete, konnte nicht
folgenlos bleiben. In der DDR schwoll der Protest gegen die
Staatsführung an und der Funke der Freiheit sprang über
auf andere Staaten des Ostblocks, der im eigentlichen Sinne mit der
ungarischen Grenzöffnung am 10. September 1989 bereits
aufgehört hatte zu existieren.
Aus der Rückschau erscheinen die Ereignisse der Jahre
1989/1990 wie eine logische Folge abzulaufen. Am Ende stand die
Deutsche Einheit und die Mitgliedschaft Ungarns und seiner Nachbarn
in EU und NATO. Doch ein Selbstgänger war der friedliche
Umbruch in Osteuropa keineswegs. Damals hoffte zwar jeder, dass die
Revolution friedlich verlaufen würde. Aber die Angst vor einer
gewaltsamen Niederschlagung war oft genau so groß wie diese
Hoffnung. Die ständige Furcht, dass der Prozess aus dem Ruder
laufen, dass es zu blutigen Konflikten komme könnte, wurde in
Rumänien dann auch bittere Realität.
Das Bangen um die Friedlichkeit und Unumkehrbarkeit war auch vor
dem Hintergrund der Erfahrung verständlich und berechtigt, wie
oft die Freiheitsbestrebungen der Menschen im Ostblock schon
enttäuscht und niedergeschlagen worden waren. 1956 waren es
die Ungarn selbst, deren Mut zum Widerstand, deren Protest von
sowjetischen Panzern niedergewalzt wurde. Natürlich war 1989
die Situation eine andere; gleichwohl ist 1989 nicht denkbar ohne
diesen Herbst 1956, übrigens auch nicht ohne den Juni 1953 in
Berlin und der DDR und den Sommer 1968 in Prag, schon gar nicht
ohne die Solidarnosc in Polen - an deren Gründung vor 25
Jahren wir im August erinnert haben. Aus der Wut und dem Mut der
Danziger Werftarbeiter, war eine Bewegung entstanden, die 1989 das
alte System kollabieren ließ. Nach vielen vergeblichen
Versuchen hatte sich die Freiheit in Europa endlich Bahn gebrochen.
Und Sie, lieber Herr Horn, waren der richtige Mann an der richtigen
Stelle, um gegen die Teilung Europas entscheiden zu können.
Wahrscheinlich ist der alte Satz "Männer machen Geschichte"
aus vielen Gründen falsch. Aber ohne Männer - und auch
Frauen! -, die den richtigen Zeitpunkt für die richtige
Entscheidung erkennen und nutzen, geht es in der Geschichte eben
auch nicht.
Viele hatten sich bereits damit abgefunden, dass die Welt auf immer
in zwei Blöcke geteilt sein würde. Dass Deutschland, dass
Europa wieder zusammen wachsen könnte, war für viele
schlicht unvorstellbar. Doch die Erfahrungen des Sommers und
Herbstes 1989 haben uns wieder einmal bewiesen, dass Geschichte
immer offen, niemals abgeschlossen ist. Natürlich ist es
unhistorisch zu fragen, was wäre gewesen wenn? Aber eines
steht fest: Das, was Gyula Horn im September 1989 entschieden hat,
war entscheidend für uns alle. Dafür möchte ich
Ihnen im Namen aller Deutschen herzlich danken. Und erlauben Sie
mir, Ihnen auch sehr persönlich zu danken, schließlich
weiß ich - als ehemaliger DDR-Bürger - noch genau, was
es bedeutet, in einem System von staatlicher Bevormundung und
Unfreiheit zu leben.
Schon kurz nachdem Bundestag und Bundesregierung nach Berlin
gezogen waren, wurde am Reichstagsgebäude eine Gedenktafel
angebracht. Sie erinnert an Ungarns Mut, als - so der Text auf der
Tafel - "Ein Zeichen der Freundschaft zwischen dem deutschen und
ungarischen Volke, für ein vereintes Deutschland, für ein
unabhängiges Ungarn, für ein demokratisches
Europa."
Ich bin sicher, dass es für Sie, lieber Herr Horn ein starkes,
bewegendes Erlebnis war, als am 1. Mai 2004 die Teilung Europas
dann tatsächlich Geschichte wurde. 15 Jahre nach dem ersten
Schnitt im Zaun war das sozusagen der Schlussstein Ihrer Politik,
die ja von Anfang an darauf gerichtet war, ein friedliches,
gemeinsames Europa zu schaffen - zusammen mit den Ländern, die
nach dem Zweiten Weltkrieg über vier Jahrzehnte lang mit
Gewalt daran gehindert worden waren. Als vor anderthalb Jahren
Ungarn und andere mittelosteuropäische Staaten der EU
beitraten, war das ein epochales Ereignis, das - wie ich finde - in
seiner Bedeutung nicht immer richtig ermessen wird.
Ja mehr noch - 15 Jahre nach der Wende, anderthalb Jahre nach der
Erweiterung hat sich die Stimmung deutlich verändert. Es ist
von der Krise Europas die Rede. Die Finanzverhandlungen sind an der
Agrarfrage vorerst gescheitert und ob die Verfassung in der jetzt
vorliegenden Fassung kommen wird, weiß im Moment noch
niemand. Zwar ist der Ratifizierungsprozess nicht zu Ende, darf
nicht zu Ende sein, denn das, was in der Verfassung steht, ist
vernünftig und muss kommen: Mehr Rechte für das
Europäische Parlament und für die nationalen Parlamente,
mehr Subsidiarität, mehr Demokratie und mehr Teilhabe - zum
Beispiel auch durch Bürgerbegehren - mehr Transparenz, mehr
Effizienz. Das ist für Europa alles sehr notwendig und sehr
zweckmäßig. Meine These ist, dass viele
Europäerinnen und Europäer das genau so sehen, aber
wissen: das ist nicht genug. Sie wollen, dass Europa stark genug
bleibt, um die Welt mitzugestalten, aber auch um die eigenen
Bürger vor einer Ökonomisierung der Gesellschaft zu
schützen. Sie wollen, dass wir uns sichtbar um die wichtigste
europäische Kulturleistung, den Sozialstaat,
bemühen.
Dass man nach den gescheiterten Referenden zunächst eine
Denkpause einlegt, halte ich nicht für das Schlechteste.
Europa hat in letzter Zeit eine ganze Reihe von sehr großen
Schritten gemacht: Der Euro etwa - auch wenn er nicht von allen
geliebt wird - war so ein richtiger Schritt, die Osterweiterung war
nicht nur ein richtiger Schritt, sondern eine historische
Entscheidung, die Wiedervereinigung Europas.
Jetzt heißt es, "Europa stecke in einer Krise". Ich glaube,
das wäre erst dann der Fall, wenn wir ohne neue Ideen aus der
Denkpause heraustreten würden, wenn die europäische
politische Klasse keine - oder eine falsche - Schlussfolgerung aus
der skeptischen Haltung der Bürgerinnen und Bürger ziehen
würde. Bei den Finanzverhandlungen des EU-Gipfels warteten die
zehn jüngsten Beitrittsländer mit einem
Kompromissvorschlag auf, mit dem sie auf Fördermittel
verzichteten, um die Europäische Union nicht insgesamt zu
blockieren. Diese Bereitschaft zum Verzicht auf eigene Vorteile
zugunsten des Ganzen war ein Signal europäischen Denkens und
dementiert eindrucksvoll den mancherorts verbreiteten Eindruck,
unter den neuen Mitgliedern seien noch nicht alle "europatauglich"
- was immer das ist.
Die Einsicht ist gewachsen und für die große Mehrheit
unumkehrbar, dass unsere Zukunft untrennbar mit Europa verbunden
ist. Viele aber haben bemerkt, dass der Prozess der Integration
zwar zu Erfolg versprechender gemeinsamer Wirtschaftspolitik
führt, die soziale Sicherheit aber den Nationalstaaten
überlässt. Dieser Mangel, die Angst vor einem unsozialen
Europa, hat Franzosen und Niederländer bewogen, beim
Verfassungsreferendum mit "Nein" zu stimmen. Sie nehmen Europa als
einen Raum der immer brutaler werdenden Konkurrenz wahr, in dem die
Bürger durch Lohndumping und Sozialdumping bedroht werden.
Anlässe für solche Befürchtungen sind real. Wir
müssen sie ernst nehmen, damit Europa nicht zum Problem wird,
obwohl es doch die Lösung unserer Globalisierungsprobleme sein
soll. Wenn die Antwort auf die Folgen der Globalisierung eine
rückwärtsgewandte Haltung der nationalstaatlichen
Abschottung werden würde, wären nicht nur unsere
ökonomischen Chancen auf Wohlstand gescheitert.
Dass Europa als "Europäische Gemeinschaft für Kohle und
Stahl" (Montanunion) und "Europäische Wirtschaftsgemeinschaft"
begonnen hat, nach dem schlimmsten aller Kriege, war ein genialer
Schachzug. Aber Europa war deshalb nicht als reiner Wirtschaftsraum
gedacht. Die europäische Idee war immer und vor allem die Idee
des Friedens. Menschen vergessen aber schnell, sehr schnell. Es
sind gerade erst 60 Jahre vergangen, seit die Jahrhunderte
europäischer Kriege mit dem entsetzlichsten - von
Nazi-Deutschland angezettelten - Krieg zu Ende gingen. Millionen
Tote, Millionen Verletze, Vertriebene, Entwurzelte und ein ganzer
Kontinent am Boden. Jean-Claude Juncker hat kürzlich gesagt,
"Wer an Europa verzweifelt, der sollte Soldatenfriedhöfe
besuchen." Er hat Recht. Europa ist für viele von uns - gerade
für die Jüngeren - eine solche
Selbstverständlichkeit geworden, dass sie sich gar nichts
anderes vorstellen können. Aber Europa war jahrhundertelang
eben kein Kontinent des Friedens, sondern ein Raum permanenter
Kriege und Aggressionen. Es war die Europäische Union, die
diesem leidgeprüften Kontinent Frieden und Freiheit gebracht
hat; lediglich dort, wo die die Europäische Union nicht war -
auf dem Balkan - gab es noch am Ende des 20. Jahrhunderts Krieg. Es
ist gut möglich, dass der Verweis auf diese friedensbringende
Leistung der Union bei vielen nicht mehr wirkt, weil sie (zum
Glück) nie Krieg erleben mussten. Vielleicht reicht der
Friedensdiskurs allein nicht mehr aus, um die europäische
Einigung zu legitimieren. Aber auch dann gibt es genügend
Gründe, für ein gemeinsames Europa einzutreten, weil es
auf der Hand liegt, dass wir in der zusammenwachsenden Welt nur
gemeinsam Antworten auf die drängenden Fragen der Gegenwart
finden können - etwa was die Bedrohung der Arbeitsplätze
im Zuge des globalen Wettbewerbs abgeht, den Kampf gegen den
internationalen Terrorismus oder die Bewahrung der natürlichen
Lebensgrundlagen.
Überhaupt ist die Europäische Union viel besser als ihr
Ruf - Europa hat Stärken, derer es sich leider nicht immer so
recht bewusst ist. Aber von außen blickt man durchaus mit
Bewunderung auf den Kontinent, weil hier vieles
selbstverständlich ist, was es in Amerika, in Asien oder
Afrika so nicht gibt. Zum Beispiel das europäische
Sozialstaatsmodell, besser gesagt die europäischen Modelle,
weil es ja nicht ein einziges, einheitliches Modell gibt, sondern
es gibt eine französische, eine britische, eine italienische
oder auch eine deutsche Ausprägung. Europa muss aber die
Balance neu finden zwischen wirtschaftlicher
Leistungsfähigkeit und sozialem Zusammenhalt. Das
Sozialstaatsmodell ist etwas, um das man uns beneidet, aber es ist
gefährdet, wenn es nicht gelingt, Opfer der Wettbewerbe, Armut
und Entwurzelung zu vermeiden. Die Bürger werden auf Dauer
nicht akzeptieren, wenn wir die Opfer bloß nachsorgend am
Wegesrand aufsammeln.
Die Vorurteile der Bürger gegen die Europäische Union
sind groß. Sie gilt als überbürokratisiert,
ineffizient und teuer. Dabei kostet Europa jeden Bürger gerade
einmal 90 Euro im Jahr. Das sollten wir uns leisten können,
oder? Und übrigens beschäftigt manch eine Großstadt
und manch ein deutsches Bundesland mehr "Bürokraten" als die
ganze Europäische Union zusammen. Zwischen den
europäischen Institutionen und den europäischen
Bürgern gibt es bedauerlicherweise keine direkte
Kommunikation. Sonst wären diese einfachen Tatsachen
bekannter.
Das gilt auch für die Türkei. Ich bin sehr froh, dass die
Beitrittsverhandlungen vorgestern begonnen haben. Damit
erfüllen wir die Zusage, die wir der Türkei seit langem
gegeben haben. Übrigens sind das keine wirklichen
Verhandlungen, es ist ein Prozess zur Erfüllung von
Beitrittsbedingungen. Erfüllt die Türkei diese
Bedingungen in 10 oder 20 Jahren, wird sie Mitglied, aber sie wird
auch ein anderes Land sein als heute. Erfüllt sie die
Bedingungen nicht, wird sie nicht EU-Mitglied werden
können.
Die Europäische Union fußt auf bestimmten Werten, die
übrigens auch dem Verfassungsvertrag zu entnehmen sind. Die
politische Kunst wird es sein, europäische Integration unter
den Bedingungen von Vielfalt hinzubekommen, ein plurales Europa zu
schaffen, das seinen Stolz gerade aus der Vielfalt der Kulturen
gewinnt und den Bürgern von Nutzen ist.
Indem wir uns diesem Auftrag verpflichtet fühlen, ehren wir
auch einen Mann, der sich in besonderem Maße um das Projekt
Europa verdient gemacht hat. Für Ihr europäisches
Integrationswerk erhielten Sie, lieber Herr Horn, 1991 den
Karlspreis - damals waren Sie der erste Osteuropäer, der
diesen Preis erhielt. Heute erhalten Sie als erster überhaupt
den Memminger Freiheitspreis. Ich freue mich sehr, dass die Jury -
mit Recht - Ihnen den allerersten Preis zuerkannt hat. Das
unterstreicht, wie sehr die Jury und wir alle den
außergewöhnlichen Rang Ihrer Leistung zu schätzen
wissen.
Ich gratuliere Ihnen, lieber Herr Horn, sehr herzlich zu einer hoch
verdienten Auszeichnung".
Pressemitteilungsübersicht