Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 19. November 2007)
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Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, kritisiert, dass künftig bei Flügen in die USA die Daten der Passagiere übermittelt und gespeichert werden. „Mein zentrales Problem ist, dass man hier unterschiedslos und ohne konkreten Anlass eine Vielzahl von Daten registriert und diese mit anderen Angaben verknüpft“, sagte Schaar in einem Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag 19. November 2007). Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen hatte der Bundestag am Donnerstag einem Abkommen zwischen der EU und den USA zugestimmt und damit den Weg zur weiteren Übermittlung von Flugdaten freigemacht.
Schaar kritisierte, als Betroffener habe man keinerlei Kontrolle darüber, was mit den personenbezogenen Daten geschehe, in welche Datenbanken sie eingespeist und wie sie ausgewertet würden. „Mulmig wird mir auch bei dem Gedanken, dass meine Daten langfristig gespeichert bleiben, ohne dass ich einen Anlass gegeben hätte“, beschrieb Schaar sein „ungutes Gefühl“ bei Reisen in den USA. Es könne sein, so der oberste deutsche Datenschützer, dass allein eine falsch gewählte Reiseroute einen Verdacht begründe. Das Hauptproblem sei, sagte Schaar, „der Übergang vom konkreten Verdacht hin zu einer ganz abstrakten Vorstellung, das Sammeln der Daten könne irgendwie nützlich sein. Der Datenschutzbeauftragte kritisierte, das Flugastdatenabkommen sei kein guter Kompromiss zwischen Deutschland und den USA, da es keinen angemessenen Datenschutz biete.
Innerhalb der EU macht nach Ansicht von Schaar eine Fluggastdatenübermittlung, wie sie von EU-Innenkommissar Fanco Frattini vorgeschlagen worden ist, „noch weniger Sinn als für den transatlantischen Flugverkehr“. Denn Europa werde überwiegend über die See- und Landgrenzen betreten, schilderte Schaar. Er prognostizierte, die Speicherung der europäischen Fluggastdaten sei nur der erste Schritt. „Ich befürchte, dass, wenn man erstmal die Flugdaten speichert, die Registrierung der Reisenden, die andere Verkehrsmittel benutzen, der logische nächste Schritt wäre.“ Dem Vorschlag Frattinis fehle die „klare Zweckbestimmung“, kritisierte Schaar. Er befürchte, dass viele Unverdächtige in diesem Raster hängen bleiben werden.
Peter Schaar warnte außerdem vor der Verknüpfung von Datenbanken mit personenbezogenen Daten. „Die ganz große Gefahr ist, dass immer mehr Daten aus ganz unterschiedlichen Lebensbereichen zusammengeführt werden bis hin zu sehr umfassenden Persönlichkeitsprofilen“, sagte er. Mit Blick auf Italien, wo 30.000 Seiten aus Telekommunikationsprotokollen aus Verfahren an die Öffentlichkeit gelangt sind und dort diskutiert wurden, sagte Schaar: „Ein solcher Vorgang ist auch bei uns nicht auszuschließen.“
Das Interview im Wortlaut:
Herr Schaar, mit welchen Gefühlen checken Sie eigentlich heute für Flüge in die USA ein?
Mit dem Gefühl, registriert zu werden – und zwar für eine lange Zeit und nicht nur mit den Daten, die mich identifizieren, sondern auch mit meiner Kreditkartennummer, meiner Telefonnummer oder meiner EmailAdresse und weiteren Angaben. Das ist ziemlich weitgehend und alles soll 15 Jahre lang gespeichert werden. Als Betroffener habe ich keinerlei Kontrolle darüber, was mit meinen Daten geschieht, in welchen Datenbanken sie landen und wie sie ausgewertet werden. Mulmig wird mir auch bei dem Gedanken, dass meine Daten langfristig gespeichert bleiben, ohne dass ich einen Anlass gegeben hätte. Ich habe auch nicht vor, eine Straftat zu begehen, bin also kein Gefährder und ich bin meines Wissens auch kein Verdächtiger einer Straftat. Daher habe ich insgesamt ein ungutes Gefühl.
Dieses Gefühl teilen sicher viele Menschen. Aber abseits der privaten Empfindung: Wie sieht Ihre Bewertung des PNR-Abkommens in Ihrer Funktion als Datenschutzbeauftragter aus?
Nicht viel anders. Mein zentrales Problem ist, dass man hier unterschiedslos und ohne einen konkreten Anlass eine Vielzahl von Daten registriert und diese mit anderen Angaben verknüpft. Ich kann nicht ausschließen, dass meine Kreditkartennummer nicht nur gespeichert, sondern auch mit Kreditkartenkonten abgeglichen wird oder mit Fingerabdruckdaten, die ebenfalls bei der Einreise abzugeben sind. Es kann sein, dass ich, wenn ich die falsche Reiseroute wähle, automatisch als verdächtig erscheine. Das Hauptproblem ist der Übergang vom konkreten Verdacht hin zu einer ganz abstrakten Vorstellung, das Sammeln der Daten könne irgendwie nützlich sein.
Sehen Sie die Gefahr, dass Menschen nicht nur unschuldig unter Verdacht geraten, sondern auch mit ganz konkreten Konsequenzen rechnen müssen?
Wir haben in Europa Beschwerden vorliegen, dass Menschen bei der Einreise in die Vereinigten Staaten zurückgewiesen worden sind, ohne dass es irgendeine Begründung gab. Das ist schon recht gravierend.Dann gibt es ein so genanntes „secondary screening“, dem eine Vielzahl von Personen unterworfen wird. Das ist sehr unangenehm, mit intensivsten Befragungen über alle möglichen Dinge – bis hin zu politischen oder religiösen Ansichten.
Nicht nur der Inhalt des Abkommens ist umstritten, auch die Art seines Zustandekommens. Die Regierung wirbt mit dem Argument, das bestehende Abkommen sei immer noch besser als gar keines, weil die Amerikaner sonst mit den Daten ohnehin machen würden, was sie wollen.
Das ist leider wahr. Es gab eine Verhandlungssituation, in der die amerikanische Seite der europäischen quasi die Pistole auf die Brust gesetzt hat und die Ankündigung im Raum stand, dass europäische Fluggesellschaften Landerechte verlieren würden, falls sie die Daten nicht liefern sollten. Das war schon eine ungünstige Verhandlungssituation. Ich möchte allerdings nicht darüber spekulieren, ob das Abkommen hätte besser sein können oder nicht. Auf jeden Fall würde ich sagen, es stellt keinen guten Kompromiss dar, denn es ist unterhalb des Niveaus, von dem man sagen würde, es wäre ein guter oder auch nur ein angemessener Datenschutz.
Passagiere müssen künftig nicht nur bei Flügen in die USA mit der Speicherung und Weitergabe ihrer Daten rechnen, sondern auch bei Flügen innerhalb der EU.
Noch ist es nicht so weit, noch ist das eine Initiative der Europäischen Kommission. Was mich dabei allerdings gewundert hat, ist die Tatsache, dass die Initiative von Herrn Frattini dabei das USA-EU-Abkommen eins zu eins umsetzen will. Das steht in einem gewissen Widerspruch auch zu der Aussage des Bundesinnenministers, der während des EU-Ratsvorsitzes das Abkommen ausgehandelt hatte, wonach es sich bei eben diesem Abkommen um einen Kompromiss handeln würde, bei dem trotz aller europäischen Bemühungen nicht mehr zu erreichen gewesen wäre. Wenn man nun das angeblich unbefriedigende Abkommen als Vorbild für eine Europäische Regelung benutzen will, ist das meiner Ansicht nach doch diskussionsbedürftig. Außerdem macht eine solche Fluggastdatenübermittlung innerhalb der EU noch weniger Sinn als für den transatlantischen Flugverkehr.
Warum?
Weil Europa überwiegend gar nicht auf dem Luftweg betreten wird, sondern über die See- und Landgrenzen. Wenn man sich die zahlenmäßige Zusammensetzung dieser Passagierströme betrachtet, steht das in keinem Verhältnis. Ich befürchte, dass, wenn man erstmal die Flugdaten speichert, die Registrierung der Reisenden, die andere Verkehrsmittel benutzen, der logische nächste Schritt wäre. Außerdem: Bei dem Kommissionsvorschlag zur Speicherung der europäischen Fluggastdaten fehlt die klare Zweckbestimmung. Es wird nicht einmal gesagt, die Speicherung diene der Aufklärung schwerer Straftaten oder terroristischer Taten. Es gehe um die Verhinderung künftiger Taten mittels der Erstellung von Risikoprofilen und der Nachvollziehung von Verhaltensmustern. Es steht zu befürchten, dass auch viele Unverdächtige in diesem Raster hängen bleiben werden.
EU-Innenkommissar Franco Frattini tröstet Kritiker seines Vorhabens damit, es werde einen EU-Rahmenbeschluss zum Datenschutz geben. Wie müsste der aussehen, damit Sie zufrieden wären?
Diese Aussage hat mich ehrlich gesagt vor Rätsel gestellt. Der Rahmenbeschluss soll sich ja nach Auffassung des Rates und entgegen der Forderung der Datenschützer ausschließlich auf die Daten beschränken, die von einem Staat in einen anderen für polizeiliche Zwecke übermittelt werden. Hier geht es aber darum, dass die Fluggesellschaften die Daten übermitteln sollen und diese dann letztlich bei einer staatlichen Stelle gespeichert werden. Auf die wäre der Rahmenbeschluss gar nicht anwendbar. Insofern beruhigt mich dieser Verweis überhaupt nicht.
Das Sammeln der Daten geschieht im Namen der Sicherheit. Viele Datenschützer warnen aber, dass damit neue Gefahren einhergehen – etwa dann, wenn die Daten an unbefugte Dritte gehen sollten. Teilen Sie diese Bedenken?
Es ist ja schon bei den Telekommunikationsdaten geschehen, etwa in Italien im großen Stil. Dort gibt es die Vorratsdatenspeicherung ja schon länger. Es sind 30.000 Seiten aus Telekommunikationsprotokollen aus Verfahren an die Öffentlichkeit gelangt und wurden dort diskutiert. Ein solcher Vorgang ist auch bei uns nicht auszuschließen.
Glauben Sie, dass es eines Tages eine allumfassende Bevölkerungsdatenbank geben wird?
Es wird wahrscheinlich nicht auf eine große Datenbank hinauslaufen. Ich sehe vielmehr die Tendenz, dass man immer mehr verknüpfte Datenbanken hat. Das ist aber im Ergebnis kein bisschen besser, weil dann je nach Bedarf für wirtschaftliche und staatliche Zwecke Daten zusammengeführt werden. In der Vergangenheit ist man von einem in sich schlüssigen Datenmodell ausgegangen und die Daten wurden in einer Datenbank gespeichert, heute steht die Verknüpfung im Vordergrund. Die ganz große Gefahr ist, dass immer mehr Daten aus ganz unterschiedlichen Lebensbereichen zusammengeführt werden bis hin zu sehr umfassenden Persönlichkeitsprofilen.
Angesichts dieser Entwicklung: Sind Sie noch gern Bundesbeauftragter für den Datenschutz?
Selbstverständlich – und zwar deshalb, weil ich diese Aufgabe für sehr bedeutsam halte. Gerade in einer Welt, in der immer mehr Daten entstehen und die Begehrlichkeiten darauf wachsen, ist eine solche Institution wichtiger denn je. Als Datenschützer kann ich auf Risiken hinweisen und Vorschläge zu ihrer Bewältigung vorbringen. Letztlich ist es aber Sache der Politik und auch des Verfassungsgerichts, darüber zu entscheiden, wo die Grenzen der Erhebung und Nutzung dieser Daten liegen.
Das Gespräch führte Susanne Kailitz.